Barrierefreiheit: Rechtliche Grundlagen (für Städte und Gemeinden)
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- Klara Schumacher
- vor 5 Jahren
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1 Anwalt für Gleichbehandlungsfragen für Menschen mit Behinderung Barrierefreiheit: Rechtliche Grundlagen (für Städte und Gemeinden) Impulsvortrag Dr. Erwin Buchinger Städtebund, AK Barrierefreiheit Salzburg,
2 10 Jahre Behindertenanwaltschaft Mit Inkrafttreten des Bundes- Behindertengleichstellungsrechts eingerichtet 3 Bestellungen zum Behindertenanwalt (4-Jahreszyklus) Beratung und Unterstützung von Personen, die sich diskriminiert fühlen (im Bereich Bundeszuständigkeit) > Beschwerden > 200 Teilnahmen an Schlichtungsverfahren Schwerpunkte: Arbeit, Bildung und Barrierefreiheit
3 Wieviele Menschen sind behindert? Weltweit ca.15% der Weltbevölkerung (WHO 2011) in Österreich ca. 1,7 Millionen 20% der Bevölkerung - 1 Mio mit Mobilitätseinschränkungen (50 T benützen Rollstuhl) - 0,3 Mio mit starker Sehbeeinträchtigung - 0,2 Mio mit psychischen/neurologischen Beeinträchtigungen - 0,2 Mio mit starker Hörbeeinträchtigung - 0,1 Mio mit Lernschwierigkeiten
4 Rechtlicher Rahmen und Anspruch (für Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen) UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (2006/2007/2008) Artikel 7 B-VG (Novelle 1997) Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Die Republik (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich dazu, die Gleichbehandlung von behinderten und nichtbehinderten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten. EU-Richtlinie 2000/78/EG zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie) Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz (seit ) Antidiskriminierungs- bzw. Gleichbehandlungsgesetze der Länder
5 Rechtlicher Rahmen und Anspruch (für Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen) Weiters gibt es besonderen Rechtsgrundlagen etwa für die bauliche und informative sowie kommunikative Barrierefreiheit selbst (z.b. im Bundesvergabegesetz, in den einzelnen Baugesetzen der Länder, dem ORF-Gesetz, im e- Government-Gesetz udgl.) Dzt. in Erarbeitung: European Accessibility Act (EEA) als Rechtsnorm der EU
6 Beeispielen für besondere Rechtsvorschriften Bundesvergabegesetz: 87 Barrierefreies Bauen E-Government-Gesetzes ( 1 Abs. 3) ORF - Gesetz Die Bauordnungen und Bautechnikgesetze der Länder: diese verweisen (ua) auf die OIB-Richtlinie 4 - Nutzungssicherheit und Barrierefreiheit - (zuletzt S/2016) und auf die ÖNORM B1600 bis 1603; daneben weitere ÖNORMEN (EN und V) diese Normen haben grundsätzlich nur Empfehlungs-Charakter und sind für sich nicht rechtsverbindlich aber Stand der Technik; Z.B. NÖ Bauordnung 2014 und NÖ Bautechnikverordnung 2014 (beide gültig ab )
7 Geltungsbereich BGStG Verwaltung des Bundes einschließlich Selbstverwaltung sowie Zugang zu und Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen und unmittelbare Regelungskompetenz des Bundes gegeben ist (D.h. Ämter und Behörden im Bereich der Vollziehung des Bundes*, Verkehrseinrichtungen, Handelsbetriebe, Dienstleister, Gastronomie, Freizeiteinrichtungen ) * Details in Folge
8 Geltungsbereich der ADG bzw. GBG, Beispiel Salzburg Landesvollziehung Einschließlich Gemeinden, Gemeindeverbände und Selbstverwaltungskörper Natürliche und juristische Personen, soweit sie Landesgesetzen unterliegen In den Bereichen Gesundheit, Soziales, Bildung, Zugang zu und Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, Selbständige Erwerbstätigkeit
9 Kernstück: Diskriminierungsverbot Verboten sind Unmittelbare Diskriminierung und Mittelbare Diskriminierung (z.b. durch Barrieren)
10 Barrierefreiheit I Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind ( 6 Abs. 5 BGStG und 7c BEinstG)
11 Barrieren Man versteht darunter alle (von Menschen gestaltete) Erschwernisse, Einschränkungen und Hindernisse, die behinderte Menschen gegenüber andere Personen in besonderer Weise benachteiligen können Meist wird unterschieden zwischen - physischen - kommunikativen - intellektuellen und - sozialen Barrieren
12 Einschub: Barrierefreiheit generell Für Menschen mit Behinderungen ist Barrierefreiheit eine notwendige und gesetzlich gebotene Voraussetzung für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Für: Familien mit Kindern Personen nach Krankheit oder Unfall Altersbedingt mobilitätseingeschränkte Personen Personen mit (schwerem) Gepäck ist Barrierefreiheit eine Notwendigkeit, für alle weiteren Personen ein zusätzlicher Komfortgewinn!
13 Spezifische Anforderungen I
14 Spezifische Anforderungen II Blinde Menschen benötigen Taktile oder akkustische Informationen über (Bewegungsrichtung/Ziel, nicht zu erwartende Hindernissen usw) Einfach gestaltete Gebäude Tastbare Symbole oder Hinweise in Brailleschrift Sehbehinderte Menschen benötigen Stark kontrastierende visuelle Information Farbkontrast mindestens 30% von SW Ausreichende Beleuchtung von Arbeitsflächen
15 Spezifische Anforderungen III Menschen mit Lernschwierigkeiten benötigen Leichte bzw. verständliche Sprache Klare räumliche und zeitliche Strukturen Vermeidung von Zeitdruck Psychisch beeinträchtigte Menschen benötigen Verständnis Rücksichtnahme
16 Mehrkosten von Barrierfreiheit Laut einer Studie der ETH Zürich liegt der Mehraufwand für barrierefreies Bauen, abhängig von der Größe des Projektes, zwischen 0,15% und 3% der Bausumme, wenn Barrierefreiheit von Beginn an mitgeplant wird. Im Durchschnitt aller untersuchten Bauten liegen die Mehrkosten bei 1,8% - dies entspricht in etwa den Kosten der abschließenden Baustellenreinigung! (Quelle: ETH-Zürich: Hindernisfrei bauen so teuer wie Baureinigung, Prof. Meyer-Meyerling 2003)
17 Mittelbare Diskriminierung - Regel Eine mittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sowie Merkmale gestalteter Lebensbereiche Menschen mit Behinderungen gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sowie Merkmale gestalteter Lebensbereiche sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Zieles angemessen und erforderlich ( 5 Abs. 2 BGStG) eine mittelbare Diskriminierung kann also zulässig sein! Barrieren sind Merkmale gestalteter Lebensbereiche
18 Mittelbare Diskriminierung - Ausnahme Eine mittelbare Diskriminierung ( ) liegt nicht vor, wenn die Beseitigung von Bedingungen, die eine Benachteiligung begründen, insbesondere von Barrieren rechtswidrig oder wegen unverhältnismäßiger Belastungen unzumutbar wäre. ( 6 Abs. 1 BGStG). Dabei sind gem. 6 Abs. 2 BGStG insbesondere zu prüfen: 1. Der Aufwand für die Beseitigung 2. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit 3. Förderung aus öffentlichen Mitteln 4. Die seit dem Inkrafttreten des BGStG vergangene Zeit 5. Die Auswirkungen auf die allgemeinen Interessen 6. Beim Zugang zu Wohnraum der darzulegende Bedarf
19 Mittelbare Diskriminierung - Auffangbestimmung Erweist sich die Beseitigung von Bedingungen, die eine Benachteiligung begründen, als unverhältnismäßige Belastung ( ), liegt eine Diskriminierung vor, wenn verabsäumt wurde, durch zumutbare Maßnahmen zumindest eine maßgebliche Verbesserung der Situation der betroffenen Person im Sinne einer größtmöglichen Annäherung an eine Gleichbehandlung zu bewirken ( 6 Abs. 3 BGStG) Bei der Beurteilung des Vorliegens einer mittelbaren Diskriminierung durch Barrieren ist auch zu prüfen, ob einschlägige auf den gegenständlichen Fall anwendbare Rechtsvorschriften zur Barrierefreiheit vorliegen und ob und inwieweit diese eingehalten wurden. ( 6 Abs. 4 BGStG)
20 Rechtsfolgen nach Diskriminierung Kein Anspruch auf Unterlassung oder Beseitigung Anspruch auf Schadenersatz (Ausnahme Arbeitswelt) Beweislasterleichterung (~Beweislastumkehr) Vor gerichtlicher Geltendmachung ist zwingend ein Schlichtungsverfahren beim BASB vorgeschrieben * kostenlos * freiwillig * beim Bundessozialamt (SMS) * Beteiligung des Behindertenanwaltes möglich Verbandsklage durch Dachverband (ÖAR) möglich
21 Gilt das BGStG auch für Gemeinden? Zum Teil Gemeinde wird im Rahmen des übertragener Wirkungsbereiches in Vollziehung von Bundesgesetzen tätig (z.b. StVO, Personenstandsgesetz) - strittig Gemeinde wird im Rahmen von Privatwirtschaftsverwaltung tätig (z.b. Betrieb von Einrichtungen, wie Schwimmbäder, Kindergärten) Keine Geltung des BGStG im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde bzw. im Rahmen der Vollziehung von Landesgesetzen hier im Regelfall aber ADG/GBG
22 Fallbeispiel 1 Eine Gemeinde führt ein städtisches Hallenbad. Laut Badeordnung (Gemeindeverordnung) ist für Menschen mit Behinderungen der Zutritt nur mit einer erwachsenen Begleitperson gestattet. Unter Hinweis auf diese Bestimmung wird einem blinden Mann (ehemaliger Sportschwimmer) der Zutritt verwehrt. Fragen: Liegt eine Diskriminierung vor? Eine unmittelbare oder eine mittelbare? Ist das BGStG anwendbar? Wir könnte vorgegangen werden?
23 Fallbeispiel 2 Eine Gemeinde erneuert im Jahr 2016 den Straßenbelag einer Gemeindestraße (historisches Katzenkopfpflaster wird neu verlegt). Rollstuhlfahrer beschweren sich, dass das neue Pflaster genauso wenig berollbar ist, wie das alte. Fragen: Liegt eine Diskriminierung vor? Eine unmittelbare oder eine mittelbare? Ist das BGStG anwendbar? Wir könnte vorgegangen werden?
24 Fallbeispiel 3 Eine Gemeinde bietet die Trauungszeremonie in einem historischen Stadtsaal an. Dieser ist weil im 1. Stock ohne Lift nicht barrierefrei zugänglich. Auf Wunsch bietet die Gemeinde einen alternativen Trauungssaal an, der einige kleinere Mängel in Bezug auf Barrierefreiheit aufweist, aber mit Lift erschlossen ist. Fragen: Liegt eine Diskriminierung vor? Eine unmittelbare oder eine mittelbare? Ist das BGStG anwendbar? Wir könnte vorgegangen werden?
25 Fallbeispiel 4 Der Gemeinderatssitzungssaal einer Gemeinde ist nicht mit induktiver Höranlage ausgestattet. Hörbeeinträchtigte Menschen kritisieren, dass die öffentlichen Gemeinderatssitzungen daher für Sie nicht barrierefrei verfolgbar sind. Fragen: Liegt eine Diskriminierung vor? Eine unmittelbare oder eine mittelbare? Ist das BGStG anwendbar? Wir könnte vorgegangen werden?
26 Fallbeispiel 5 Eine Gemeinde führt mehrere Kindergärten selbst. Einer davon ist barrierefrei ausgestattet, die weiteren vier nicht. ausgestattet. Den Eltern eines behinderten Kindes wird ein Platz im barrierefreien Kindergarten angeboten. Der ist von ihrem Wohnort fast 2 km weiter entfernt als der nächstgelegene Kindergarten, der nicht barrierefrei ist. Fragen: Liegt eine Diskriminierung vor? Eine unmittelbare oder eine mittelbare? Ist das BGStG anwendbar? Wir könnte vorgegangen werden?
27 Vielen Dank! Behindertenanwaltschaft Babenbergerstraße 5 A-1010 Wien Tel: office@behindertenanwalt.gv.at
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