Freiräume machen erfolgreich. Irgendwann lernen Kinder auch noch das Fahrradfahren in einem Kurs
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- Babette Fertig
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1 Freiräume machen erfolgreich Was aus Kindern werden kann, wenn man sie nur lässt drei Beispiele Beispiel 1: Maud Winkler, Diplom-Psychologin Irgendwann lernen Kinder auch noch das Fahrradfahren in einem Kurs Ihre Einstellung zum Thema Frühförderung bringt Maud Winkler in wenigen Worten auf den Punkt: Lasst die Kinder ganz viel in Frieden. Fördern, dass hat für die Diplom-Psychologin aus Hamburg weitaus weniger mit einer Vielzahl an Kursen als mit viel Freiraum zu tun. Kinder brauchen nicht immer Programm. Kinder sollten ganz viel Zeit zum Spielen haben. Sie müssen sich selber entdecken dürfen und auch mal langweilen. Prägend war für sie die eigene Kindheit. Ich war im Turnverein, ich habe Tennis gespielt und kurz auch mal Klavier aber das war alles leistungsstressbefreit, das hat einfach Spaß gemacht. Natürlich hätten sie ihre Eltern gefördert, aber weniger mit Kursen oder Unterricht stattdessen wurde vieles einfach vorgelebt. Meine Eltern waren immer sehr interessiert, waren viel in Konzerten, im Kino und in Ausstellungen und haben mich und meinen Bruder dann schon früh mitgenommen. Dieses Engagement sei aber nie ehrgeizig auf irgendein Ziel hin angelegt gewesen. Doch genau das ist heute in sehr vielen Familien der Fall, beobachtet sie immer wieder. Zu selten geht es bei den Aktivitäten der Kinder um Spaß, zu oft um Ziele, die erreicht werden sollen. Die Zweckfreiheit ist in Gefahr, zu kurz zu kommen. Denn einfach nur stunden- oder tagelang vor sich hinspielen zu können, das ist im Kinderalltag 2012 nicht mehr vorgesehen. Und selbst für kritisch eingestellte Eltern ist es oft schwierig, sich dem Förderdruck zu entziehen, wie auch Maud Winkler bei der Erziehung ihres eigenen Sohnes festgestellt hat. In der Praxis war ich dann doch mit meinem Sohn im 1 von 6
2 Musikgarten und später in der Musikschule und das war auch super, erzählt sie. Als dann noch an zwei Nachmittagen in der Woche die Kindersportschule auf dem Programm stand, wurde es allerdings schwierig und nicht nur Maud, sondern auch ihrem Sohn bald zu viel. Aus dieser Zeit nimmt Maud Winkler die Erfahrung mit, dass Kurse alle Beteiligten unglaublich viel Zeit kosten und unverplante Zeit zu einem Luxus machen. Geblieben ist außerdem der Eindruck, dass es mittlerweile für so gut wie alles einen Kurs gibt: Irgendwann lernen Kinder auch noch das Fahrradfahren in einem Kurs. Es gehe nicht darum, Kurse prinzipiell abzulehnen. Aber alles sollte in Maßen betrieben werden. Es ist wunderbar, sein Kind genau im Blick zu haben und zu sehen, was ich ihm schon zumuten kann und was es vielleicht überfordert, sagt die Diplom-Psychologin. Aber man sollte nicht mit Argusaugen darauf gucken, wie man sein Kind perfektionieren kann. Denn Kinder seien Kinder und keine Projekte, die gemanaged werden müssen. Maud Winkler lebt mit ihrem Sohn (6) und ihrem Lebensgefährten in Hamburg. Sie ist Diplom-Psychologin mit den Arbeitsschwerpunkten Organisationsberatung und Coaching ( 2 von 6
3 Beispiel 2: Prof. Dr. Claus Hipp, Geschäftsführer HiPP GmbH & Co. Vertrieb KG Man muss den Kindern die Zeit der Ruhe geben Promovierter Jurist, Unternehmer, Musiker, Maler, Reitsportler, Pferdezüchter, aktiv in zahlreichen Ehrenämtern, fünffacher Vater: Prof. Dr. Claus Hipp ist eines der besten Beispiele dafür, was ein Mensch alles werden kann, wenn man ihn nur lässt. Ich hatte eine sehr breit angelegte humanistische Ausbildung damit stand mir die Welt offen, sagt der Geschäftsführer des Nahrungsmittel- und Babykostherstellers HiPP. Heute allerdings ist die Kindheit häufig so stark verplant, dass kaum Raum bleibt, um ganz frei eigenen Interessen nachgehen zu können. Der Unternehmer sieht diese Entwicklung zu immer mehr Terminen, einer immer umfassenderen Förderung und immer umfangreicheren Lehrplänen in den Schulen kritisch. Man muss den Kindern die Zeit der Ruhe geben, das brauchen sie, ist Hipp überzeugt. Haupt, Hand und Herz sollten für Hipp nach dem Bildungsideal von Pestalozzi in Erziehung und Schule gleichermaßen eine Rolle spielen. Das Ziel muss der gebildete Mensch sein. Doch gebildet sei nicht gleichbedeutend damit, eine Menge vorgekautes Fachwissen abzuspeichern. Es wird immer mehr Fachwissen in die Köpfe gepackt, das wir mithilfe der neuen Medien heute auch ganz einfach und schnell nachschlagen könnte, bemängelt Hipp. Letztendlich kämen dadurch Hand und Herz zu kurz also etwa Musik und Kunst. Aber gerade diese Bereiche seien wichtig für die ganzheitliche Entwicklung. Wir brauchen junge Leute, die kreativ sind, die Ideen haben das entsteht nicht nur über die reine Wissensvermittlung. Und es dürfe auch nicht immer darum gehen, dass alles einen Zweck haben muss. Freiräume zum Spielen ohne Leistungsdruck sieht Hipp als unersetzlich an: Die Freude am spielerischen Entdecken ist ganz wichtig nur der homo ludens, der spielende Mensch, kommt auf neue Ideen. 3 von 6
4 Bildung ist für Hipp zudem unmittelbar verbunden mit Bindung. Die beste Ausbildung der Kinder ist immer noch das Elternhaus. Entsprechend sieht er ein großes Problem darin, dass Kinder sehr schnell also bereits im ersten Lebensjahr in eine Betreuung gegeben werden. Nach Möglichkeit sollte ein Kind am Anfang bei einer Bezugsperson bleiben, rät er aus seiner Erfahrung als Vater von fünf erwachsenen Kindern. Für die Eltern sei es zudem wichtig, wieder stärker auf ihren eigenen Bauch zu hören, statt nur den zahllosen Erziehungsratgebern zu glauben. Wer sein Kind gern hat, der macht vieles aus dem Gefühl heraus richtig. Wir können nicht immer alles mit einer Formel regeln. Und: Eltern müssen lernen, sich davon zu verabschieden, ihr Kind ständig mit anderen zu vergleichen. Denn jedes Kind hat sein eigenes Tempo. Ich war zum Beispiel selber ein Spätentwickler, sagt Hipp rückblickend. Vieles lässt sich also offenbar auch später im Leben nachholen, wenn in der Kindheit die entsprechende Basis gelegt wurde. Zu dieser Basis gehört für Hipp unbedingt die Vermittlung bestimmter Werte. Wir müssen bei der Erziehung die menschlichen Seiten in den Vordergrund rücken. Es darf nicht sein, dass immer die spitzen Ellenbogen entscheiden. Es geht auch darum, den Umgang mit anderen zu erlernen: Wie kann ich andere Menschen motivieren, wie kann ich sie für eine Sache begeistern? Wie gehe ich anständig mit meinen Mitmenschen um? Für eine glückliche Kindheit und ein entspanntes Familienleben gibt Claus Hipp Eltern zwei Tipps mit auf den Weg: Nehmen Sie ihren Kindern die Angst, etwa vor Prüfungen. Und machen Sie ihnen Mut, individuell zu sein und sich nicht anpassen zu müssen. Prof. Dr. Claus Hipp ist Geschäftsführer des gleichnamigen Nahrungsmittel- und Babykostherstellers und Vater von fünf Kindern. Der promovierte Jurist lebt auf einem Bauernhof in der Nähe von Pfaffenhofen, bekleidet neben seiner beruflichen Tätigkeit zahlreiche Ehrenämter und ist zudem unter seinem Geburtsnamen Nikolaus Hipp als Musiker und erfolgreicher Maler tätig. 4 von 6
5 Beispiel 3: Johannes Herold, Geschäftsführer checkdomain GmbH Es ist wichtig, dass jemand bedingungslos an einen glaubt Wer mit 16 sein erstes eigenes Unternehmen gründet, wird gerne als Wunderkind bezeichnet. Und tatsächlich dürfte es für viele Menschen im Umfeld von Johannes Herold wirklich ein Wunder gewesen sein, wie konsequent und erfolgreich der heute 32-Jährige seinen Weg gegangen ist. Denn in der Schule lief es für den Unternehmer alles andere als gut, inklusive mehrmaligem Sitzenbleiben. Als wesentlich für seinen heutigen Erfolg sieht der Gründer und Chef des Webhosting-Unternehmens checkdomain, dass zu entscheidenden Zeitpunkten in seinem Leben immer jemand da war, der zu 100 Prozent an ihn geglaubt hat und dass seine Mutter ihn einfach hat machen lassen. Als jüngstes von vier Kindern ist Johannes Herold in einem Dorf in der Nähe von Lübeck aufgewachsen fernab von Freizeit- und Förderstress. Meine Mutter hat mir aber immer alles ermöglicht, was ich machen wollte, erzählt der Internet- Experte. Auf Judo folgte Fußball, auf Fußball die Pfadfinder und dann auch mal eine Phase des Nichtstuns bis durch einen Untermieter die ersten Computer ins Haus einzogen. Die Rechner faszinierten Johannes Herold auf Anhieb und spielten schnell die Hauptrolle in seinem Leben. Die Schule, schon vorher nicht gerade seine große Leidenschaft, lief nur noch nebenbei. Ich habe das Lernen in der Schule als sehr standardisiert empfunden und hatte immer das Gefühl, von den meisten Lehrern gar nicht richtig wahrgenommen zu werden. Ich bin zu den Prüfungen hingegangen, aber ansonsten habe ich locker 50 Prozent der Zeit gefehlt, erzählt Johannes Herold. Allerdings nutzte er die verpassten Schulstunden nicht zum Abhängen, sondern widmete sich konsequent den Computern und ersten konkreten Geschäftsideen. In solchen Situationen würden die meisten Eltern die Nerven verlieren die Mutter von Johannes Herold suchte dagegen immer wieder gemeinsam mit ihrem Sohn nach Wegen, wie es alternativ weitergehen könnte. Sie hat vermutlich immer gespürt, dass hinter meiner Sturheit mehr steckte. 5 von 6
6 Vollkommenes Vertrauen und wenige Vorschriften: Johannes Herold wurde mit einem hohen Maß an Freiheit und vielen Freiräumen groß, die es ihm ermöglichten, eigene Talente zu entdecken und auszuleben. Er durfte stundenlang mit Freunden im Wald spielen gehen oder am Computer sitzen, ohne dass seine Mutter auf die Uhr geguckt hätte. Ansagen gab es immer erst dann, wenn ich wirklich Grenzen überschritten hatte, erinnert er sich. Und so konnte sich Johannes Herold Mitte der 90er-Jahre auch ausgiebig einer Sache widmen, mit der damals erst wenige Leute etwas anzufangen wussten: Das Internet war etwas, was mich total fasziniert hat. Plötzlich konnte man mit etwas Geld verdienen, was man nicht einmal anfassen konnte. Der technikbegeisterte Jugendliche wird zum Unternehmer und schafft trotz seiner beruflichen Selbstständigkeit nebenher seinen Schulabschluss, auch dank eines verständnisvollen Schuldirektors. Ohne Druck groß zu werden und sich frei entwickeln zu können, prägt auch die Einstellung des Internet-Unternehmers, wenn es um den schulischen Erfolg seiner Kinder geht. Wir versuchen, ein normales Leben zu leben und nicht alles der Schule unterzuordnen, erzählt Johannes Herold. Lernen und Üben werden so weit wie möglich in den Alltag integriert. Wir lernen zusammen und gucken, dass alles funktioniert. Das läuft sicherlich etwas intensiver, als es bei mir und meiner Mutter der Fall war aber mir ist es schon wichtig, dass meine Kinder eine gute Ausbildung bekommen. Mindestens ebenso wichtig ist es ihm jedoch, seine Kinder einfach Kinder sein lassen zu können, mit viel Platz und mit genügend Zeit zum Herumtollen. Deshalb sind wir auch ganz bewusst von der Stadt ins Dorf gezogen meine Kinder sollen es so schön haben, wie ich es hatte. Johannes Herold lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Mecklenburg-Vorpommern. Der 32 Jahre alte Unternehmer ist Gründer und Geschäftsführer von Checkdomain in Lübeck, einem der führenden Dienstleister im Domain- und Webhosting-Bereich. 6 von 6
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