Familiäre Pflege in Österreich eine besondere Herausforderung für die Vereinbarkeitspolitik
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- Ralf Böhler
- vor 8 Jahren
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1 FORBA Fachgespräch: Familiäre Pflege in Österreich eine besondere Herausforderung für die Vereinbarkeitspolitik Ingrid Mairhuber Inhalt des Vortrages Betreuungs- und Pflegebedürftigkeit Familiäre Betreuungs- und Pflegearbeit Auswirkungen auf die Erwerbstätigkeit Pflegepolitik in Österreich: Familialisierung der Langzeitpflege Veränderungsoptionen 2
2 Betreuungs- und Pflegebedürftigkeit PflegegeldbezieherInnen: ca BezieherInnen (2/3 Frauen) 54 % Stufe 1 und 2 (mehr als 60 bzw. 85 Stunden/Monat) 31 % Stufe 3 und 4 (mehr als 120 bzw. 160 Stunden/Monat) 15 % Stufe 5 bis 7 (mehr als 180 Stunden/Monat) Zusätzlich: so genannte hauswirtschaftlich Hilfsbedürftige Laut Rudda et al. (2008) werden: 17,5 % der PflegegeldbezieherInnen in Alten- und Pflegeheimen betreut, 5 % erhalten eine 24-Stunden-Betreuung 25 % erhalten Hilfe durch mobile Dienste auch in Kombination mit Angehörigenpflege 52,5 % werden nur von Angehörigen gepflegt 3 Betreuungs- und Pflegebedürftigkeit Graphik 1: Professionelle Betreuung und Pflege für Personen ab 65 Jahren in % 4 Quelle: Studie des Europäischen Zentrums für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung (EZ): Facts and Figures on Long-Term Care 2009, S. 72.
3 Familiäre Betreuungs- und Pflegearbeit Insgesamt werden in Europa und auch in Österreich ca. 80% der Betreuungs- und Pflegearbeit für behinderte oder ältere Personen durch informelle, familiäre Betreuung und Pflege abgedeckt oder 7,7 % der öst. Wohnbevölkerung im erwerbsfähigen Alter betreuen hilfebedürftige Angehörige/Freunde (Mikrozensus 2010) Familiäre Betreuungs- und Pflegearbeit wird in Ö mehrheitlich von Frauen und eher von älteren Personen (ab 45 Jahren) geleistet (Hauptpflegeperson) Wiener Studie (2009): Mehrheit der erwerbstätigen Menschen, die nahe Angehörige betreuen oder pflegen, sind zwischen 46 und 60 Jahre alt (Durchschnittsalter der Frauen etwas niedriger als das der Männer) 5 Familiäre Betreuungs- und Pflegearbeit Graphik 2: Informell pflegende Angehörige ab 50 Jahren in % Quelle: OECD 2011 (SHARE- Datensatz) 6
4 Familiäre Betreuungs- und Pflegearbeit In den europäischen Ländern leisten durchschnittlich 10 % der Erwachsenen ab 50 Jahren informelle, familiäre Pflege (SHARE- Datensatz 2004/06) Die Länderunterschiede sind allerdings sehr groß: 8 % Schweden, 16 % Italien, 9,6 % Österreich 2/3 der pflegenden Angehörigen ab 50 Jahren sind Frauen, allerdings gleicht sich der Anteil mit zunehmenden Alter aus Frauen pflegen Ehemänner/Partner, andere Familienangehörige und FreundInnen, Männer meist ihre Partnerinnen 7 Familiäre Betreuungs- und Pflegearbeit Graphik 3: Wöchentliche Betreuungs- und Pflegestunden Quelle: OECD 2011 (SHARE- Datensatz) 8
5 Familiäre Betreuungs- und Pflegearbeit Intensität der Betreuungs- und Pflegearbeit unterscheidet sich stark zwischen den europäischen Ländern In den nordeuropäischen Ländern wie Dänemark, Schweden und der Schweiz wird deutlich weniger intensiv gepflegt als etwa in den südeuropäischen Ländern oder Polen Österreich liegt hier im Mittelfeld: etwa 30 % der pflegenden Angehörigen leisten intensive (sprich mehr als 20 Stunden pro Woche) Betreuung und Pflege Die Unterschiede werden vor allem auf die unterschiedliche Versorgung durch professionelle Betreuung und Pflege (in Einrichtungen oder auch zu Hause) zurückgeführt (OECD 2011) 9 Auswirkungen auf die Erwerbstätigkeit Tabelle 1: Erwerbstatus von pflegenden Angehörigen PensionistInnen Erwerbstätige Erwerbslose Hausfrau/-mann UK 10,6 77,9 1,4 5,3 Schweiz 7,3 67,0 3,5 15,7 Schweden 12,9 75,4 1,4 0,8 Spanien 10,0 33,0 5,9 43,9 Polen 37,6 33,6 3,4 9,8 Niederlande 6,5 52,4 2,9 27,0 Italien 36,2 33,5 3,2 24,5 Irland 11,1 55,6 1,7 24,7 Griechenland 18,7 31,4 2,4 46,0 Deutschland 23,5 48,2 9,7 11,9 Frankreich 24,0 51,6 4,3 13,8 Dänemark 19,1 59,0 7,0 1,3 Tschechien 34,7 44,7 11,2 0,3 Belgien 22,3 39,0 10,5 16,5 Österreich 48,9 31,8 3,3 11,6 Quelle: OECD 2011(SHARE- Datensatz) 10
6 Auswirkungen auf die Erwerbstätigkeit Große länderspezifische Unterschiede gibt es auch beim Erwerbsstatus pflegender Angehöriger. In den nordeuropäischen Ländern, der Schweiz und Großbritannien ist die Mehrzahl erwerbstätig. In Schweden trifft dies etwa auf 75,4 %, in der Schweiz auf 67 % und in Großbritannien auf 77,9 % zu. In den südeuropäischen Ländern, Polen und Österreich ist die Mehrzahl entweder Hausfrau/-mann oder PensionistIn. Aber selbst in diesen Ländern geht 1/3 der pflegenden Angehörigen einer Erwerbstätigkeit nach. 11 Auswirkungen auf die Erwerbstätigkeit Graphik 4: Teilzeitquote mit und ohne Betreuungs- und Pflegeaufgaben Quelle: OECD 2011 (SHARE- Datensatz) 12
7 Auswirkungen auf die Erwerbstätigkeit Erwerbstätige pflegende Angehörige arbeiten in den meisten Ländern häufiger Teilzeit als Personen ohne Betreuungs- und Pflegeaufgaben In Österreich ist dieses Verhältnis am stärksten ausgeprägt: 31 % der 50 bis 65-jährigen erwerbstätigen, pflegenden Angehörigen arbeiten Teilzeit, aber nur 18 % der gleichaltrigen Personen ohne Betreuungsund Pflegeaufgaben Laut OECD-Studie liegen die Ursachen für Nicht-Erwerbstätigkeit oder Teilzeitbeschäftigung von pflegenden Angehörigen in der mangelnden Vereinbarkeit der Pflegeaufgaben mit den Anforderungen der Erwerbsarbeit Probleme sind hier vor allem fehlende Möglichkeiten einer Karenz und mangelnde flexible Gestaltungsmöglichkeiten der Erwerbsarbeitszeit 13 Auswirkungen auf die Erwerbstätigkeit In Österreich stufen rund 12 % der in Vollzeit erwerbstätigen pflegenden Angehörigen (im Alter zwischen 15 und 64 Jahren) die Vereinbarkeit als schwierig ein (Mikrozensus 2010) Gründe: fehlende, zu teure oder qualitativ mangelhafte Betreuungsangebote für pflegebedürftige Erwachsene Von den nicht-erwerbstätigen pflegenden Angehörigen in Österreich geben 14 % an, berufstätig sein zu wollen, aufgrund fehlender oder unpassender Betreuungsangebote dies aber nicht umsetzen zu können In Österreich würden etwa 10 % der teilzeitbeschäftigten pflegenden Angehörigen mehr Wochenstunden arbeiten, gäbe es geeignete Betreuungsangebote. Hierbei handelt es sich fast ausschließlich um Frauen 14
8 Familialisierung der Langzeitpflege Tabelle 2: Pflegestufen und Höhe des Pflegegeldes in Euro Stufe Durchschnittlicher Pflegebedarf pro Monat Pflegegeld ab 2009 Stufe 1 > 60 Stunden (seit 2011) 154,2 Stufe 2 > 85 Stunden (seit 2011) 284,3 Stufe 3 >120 Stunden 442,9 Stufe 4 >160 Stunden (seit 1999, vorher 180 Stunden) 664,3 Stufe 5 >180 Stunden und außergewöhnlicher Pflegaufwand 902,3 Stufe 6 >180 Stunden und dauernde Beaufsichtigung 1,242 Stufe 7 >180 Stunden und praktische Bewegungsunfähigkeit 1655,8 15 Familialisierung der Langzeitpflege Neuordnung der Pflegevorsorge und Einführung des Pflegegeldes (1993) Betonung des Geldleistungsaspektes im Bereich der Pflegevorsorge (im Unterschied etwa zu Schweden und Dänemark) Baut explizit und implizit auf der kostenlosen bzw. kostengünstigen Pflege im Rahmen familiärer Beziehungen auf (und verfestigt damit die geschlechtliche Arbeitsteilung) Geringes Leistungsniveau verunmöglicht bedarfsgerechte, professionelle Pflege und fördert somit informelle, irreguläre Pflege und trug/tägt implizit zur Institutionalisierung der informellen, irregulären Betreuungs- und Pflegearbeit bei Trotz hoher Kosten des Pflegegeldes - für die Allgemeinheit die billigste Variante: Ausgaben Pflegevorsorge (Geld- und Sachleistungen): 3,3 Mrd. Euro; geschätzte Kosten für private im Haushalt erbrachte Betreuung und Pflege: 3 Mrd. Euro (Schneider 2006) 16
9 Familialisierung der Langzeitpflege Förderung des Berufsausstieges: 1998: Einführung der begünstigten Weiterversicherung in der PV für pflegende Angehörige (Stufe 5 bis 7), die aus der Erwerbsarbeit aussteigen - diese wurde in den kommenden Jahren auf die Stufen 4 und 3 ausgedehnt; seit 2009 trägt der Bund die Beiträge zur Gänze und pflegende Angehörige können eine beitragsfreie Mitversicherung in der KV beantragen 2002: Einführung der unbezahlten Familienhospizkarenz (Härteausgleich/2011: 436 LeistungsbezieherInnen; Durchschnitt: 805 Euro/Monat) Legalisierung und Förderung der 24-Stunden-Betreuung (2007) damit wurde der eingeschlagene Weg in Richtung Familialisierung der Langzeitpflege weitergegangen! geschlechtliche Arbeitsteilung (entlang nationaler Zugehörigkeiten) zementiert; Mehrheit der neuen AV selbständige BetreuerInnen 17 Veränderungsoptionen Enttabuisierung des Themas: Anerkennung und Sichtbarmachen der informellen, unbezahlten Betreuung und Pflege im Rahmen fam. Beziehungen Von wegen Heim! Grenzen dieser Form der Betreuung und vor allem der Pflege diskutieren und aufzeigen: Frauenerwerbstätigkeit und Qualität der Pflegearbeit Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Angehörigenpflege als Thema etablieren in der öffentlichen und politischen Diskussion sowie im Betrieb Förderung der gleichzeitigen Vereinbarkeit: Betreuungs- und Pflegekarenz mit Einkommensersatz Recht auf Pflegeteilzeit mit Einkommensausgleich Sozialversicherungsrechtliche Anerkennung von Betreuungsund Pflegezeiten in der PV und AlV 18
10 Veränderungsoptionen Maßnahmen auf betrieblicher Ebene: Arbeitszeit: vor allem Gestaltungsspielräume der Beschäftigten erhöhen, gleichzeitig aber auch klassische Arbeitszeitlage bevorzugt, Verlässlichkeit und Planbarkeit Arbeitsorganisation: adäquate Aufgaben- und Tätigkeitszuschnitte (etwa Vermeidung von Dienstreisen, Vertretungsmanagement) Betriebskultur: Verständnis der Vorgesetzten, Pflege als Thema im Betrieb etablieren, Informationsaustausch Weniger finanzielle Transfers (an Pflegebedürftige), sondern mehr Sach- und Dienstleistungen: Ausbau von qualitativ hochwertigen und leistbaren stationären und teil-stationären Einrichtungen sowie professionellen ambulanten Diensten Aufwertung der professionellen Betreuungs- und Pflegearbeit: Bessere Arbeitsbedingungen, berufliche Entwicklungschancen und Entlohnung (insbesondere in der Geriatrie); Verbesserungen für 24- Stunden-Betreuung tatsächlicher Status als unselbständig erwerbstätige Betreuungs- und Pflegekräfte 19 DANKE FÜR IHR INTERESSE! 20
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