Kinderlos wider Willen Mittwoch, den 02. Juni 2010 um 14:18 Uhr

Transkript

1 Unfruchtbarkeit. Schätzungen zufolge sind in Österreich fünfzehn Prozent aller Paare ungewollt kinderlos. Die Gründe dafür sind vielfältig und liegen etwa zur Hälfte beim Mann und zur Hälfte bei der Frau. Von Sterilität oder Infertilität spricht man, wenn ein Paar innerhalb von zwei Jahren ungewollt kinderlos bleibt. Der unerfüllte Kinderwunsch, eine von der WHO anerkannte Krankheit, ist ein zunehmendes Problem in unserer Gesellschaft. Dies ist in erster Linie darauf zurückzuführen, dass der Kinderwunsch in ein immer höheres Lebensalter verschoben wird. Ist die Ausbildung abgeschlossen und der Einstieg ins Berufsleben geglückt, steht für viele Paare der Wunsch nach einer Familie an. Umso verzweifelter reagieren sie, wenn der ersehnte Nachwuchs ausbleibt. Die Diagnose Unfruchtbarkeit (Sterilität) ist für die Betroffenen ein großer Schock, auf den Unverständnis, Scham- und Minderwertigkeitsgefühle folgen. Manche reagieren auch mit Wut auf den eigenen Körper, der nicht so funktioniert wie erwartet. So beginnt oft ein langer Leidensweg. Viele Paare fragen sich, warum es ausgerechnet sie getroffen hat. Dabei ist Unfruchtbarkeit keine Seltenheit. Etwa 10 bis 15 Prozent aller Paare sind ungewollt kinderlos die Dunkelziffer liegt weitaus höher. Meist wird eine ungewollte Kinderlosigkeit verschwiegen, oft auch innerhalb der eigenen Familie. Die Betroffenen haben das Gefühl, nicht mehr ganz Frau oder Mann zu sein. Daraus können massive soziale Probleme entstehen, welche die Partnerschaft auf eine harte Probe stellen. Die heutige Medizin ist in der Lage, verschiedenste Ursachen für eine ungewollte Kinderlosigkeit zu erkennen und bietet vielfältige Möglichkeiten einer Sterilitätsbehandlung an eine 100-prozentige Erfolgsgarantie gibt es jedoch nicht. Auch wird nicht in jedem Fall ein klarer Grund für die Unfruchtbarkeit entdeckt. Bei den meisten Paaren führt die Behandlung rasch zum erwünschten Erfolg. Gelegentlich braucht es aber viel Geduld und Ausdauer. Bereits im Vorfeld der Sterilitätsbehandlung werden die Paare über die Erfolgsaussichten und Risiken genau informiert. Aufgrund der seelischen Belastung kann eine begleitende psychologische Beratung sehr hilfreich sein. In den letzten Jahrzehnten hat sich der Erfolg von Unfruchtbarkeitsbehandlungen massiv verbessert. Während sich die Schwangerschaftsraten in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts beispielsweise bei der In-Vitro-Fertilisationsbehandlung (IVF) noch im tiefen einstelligen Prozentbereich bewegten, liegt heute der Durchschnitt in Österreich bei 32 bis 33 Prozent Schwangerschaften pro Eingriff. Für die Paare kann je nach Qualität der Embryonalentwicklung die Erfolgsaussicht bis über 50 Prozent steigen. Die kommulative Schwangerschaftsrate liegt unter dem 40. Lebensjahr bei 90 Prozent. Vor der Indikationsstellung einer Kinderwunschbehandlung muss eine sorgfältige, gelegentlich zeitaufwendige Abklärung durchgeführt werden. Nur dies erlaubt, diejenige Behandlung zu eruieren, welche die besten Aussichten auf Erfolg verspricht, bei gleichzeitig geringstem Risiko für Mutter und Kind. Das Vorgehen bei der Abklärung der Sterilität/Infertilität hat sich in den letzten Jahren verändert. Sie wurde nicht komplexer, sondern einfacher und strukturierter, sodass die Erstabklärung ohne weiteres vom Gynäkologen des Vertrauens durchgeführt werden kann. Von einer Sterilität spricht man, wenn trotz regelmäßigem, ungeschütztem Geschlechtsverkehr während zwei Jahren keine Schwangerschaft eintritt, sagt Michael Zajc, Chef der gleichnamigen Babywunschklinik in Wals bei Salzburg. Wegen der schnellen Abnahme der Fertilität bei über 35-jährigen Frauen sollen jenseits dieses Alters bereits nach einem halben Jahr erste Abklärungen eingeleitet werden, empfiehlt Gynäkologe Zajc des Weiteren. 1 / 5

2 Bei den meisten Paaren handelt es sich nicht um eine absolute, sondern nur um eine relative Sterilität. Das heißt, die Schwangerschaftschance ist zwar (teilweise sogar massivst) erniedrigt, aber keineswegs gleich null. Ursachen der Unfruchtbarkeit. Die wichtigsten unspezifischen Sterilitätsfaktoren sind der allgemeine Gesundheitszustand und das Alter. Sie beeinflussen die Chancen und damit auch die Prognose auf die Erfüllung des Kinderwunsches. Mit zunehmendem Alter des Paares, früher bei der Frau als beim Mann, ist mit einer Abnahme der Fruchtbarkeit zu rechnen. Während beim Mann die Fruchtbarkeit nur langsam abnimmt und gelegentlich sogar bis ins hohe Alter erhalten bleibt, nimmt die Fertilität bei der Frau nach dem 35. Lebensjahr innerhalb von zehn Jahren dramatisch ab. So ist die relative Fertilität einer Frau mit 35 Jahren nur noch etwa halb so groß wie diejenige der 20-jährigen; bei der 45 Jahre alten Frau beträgt sie nur noch etwa ein Zwanzigstel. Das Problem wird dadurch verschärft, dass umgekehrt das Abortrisiko mit zunehmendem Alter ansteigt und zwischen 40 und 45 Jahren durchschnittlich 50 Prozent beträgt. Sowohl auf die männliche wie auch die weibliche Fruchtbarkeit wirken sich Alkohol, Nikotin, Drogen oder Umweltgifte negativ aus. Bei starken Rauchern kann die Samenqualität vermindert sein oder es kann bei Raucherinnen durch vielfältigen Einfluss auf Eizellreifung, Gebärmutterschleimhaut und Embryonalentwicklung zu Einschränkungen kommen. Das gilt auch bei übermäßigem Alkoholgenuss. Außerdem sind Über- oder Untergewicht vor allem bei jungen Frauen häufige Ursachen einer vorübergehenden Sterilität. Das Ideal wäre die goldene Mitte. Einige Diäten können zu Zyklusstörungen führen oder den Körper dazu bringen, auf Sparflamme zu schalten, die keine Schwangerschaft erlaubt. Auch Leistungssport oder schwere körperliche Arbeit können eine Fruchtbarkeitsstörung verursachen. Liegt der Sterilität dagegen eine organische Ursache zugrunde, kann sie meist nur durch ärztliche Hilfe behandelt werden. Körperliche Ursachen können entweder angeboren oder im Laufe des Lebens durch Erkrankungen, Operationen oder andere Faktoren erworben worden sein. Häufig ist nicht ein Faktor allein für die ungewollte Kinderlosigkeit verantwortlich die Psyche spielt auch bei einer organisch verursachten Unfruchtbarkeit oftmals eine große Rolle. Oft gehen die Partner unterschiedlich mit der ungewollten Kinderlosigkeit um, sodass Spannungen innerhalb der Paarbeziehung entstehen. Die Sexualität und das eigentliche Zusammensein treten dann oftmals in den Hintergrund. Werden keine körperlichen Ursachen gefunden, stellt sich dem Paar umso mehr die Frage, warum es mit dem Nachwuchs nicht klappt und der steigende Druck auf Erfolg kann gerade diesen verhindern. Ein Paar sollte sich daher nicht scheuen, während einer Behandlung oder im Vorfeld professionelle Hilfs angebote oder eine psychologische Beratung in Anspruch zu nehmen. Prognose. Die Erfolgsquote einer Sterilitätsbehandlung liegt im Schnitt zwischen 32 und 33 Prozent pro Behandlung, jedoch führt nicht jede Schwangerschaft zur Geburt eines Kindes. Der Behandlungserfolg hängt stark von den Voraussetzungen eines Paares ab. Dabei spielt das Alter der Frau, die Art der Fruchtbarkeitsstörung und die seelische Befindlichkeit beider Partner eine große Rolle. Christoph Archet 2 / 5

3 Bei Männern Unterschätzt Das Klinefelter-Syndrom Jeder Mann ist davon betroffen. Klinefelter bedeutet Unfruchtbarkeit bei Männern. Ein Hauptsymptom des Klinefelter-Syndroms ist die Unterentwicklung der Hoden. Daraus resultiert eine Unfruchtbarkeit des Mannes, da sich keine befruchtungsfähigen Samenzellen bilden. Oft werden auch nur geringe Mengen des männlichen Geschlechtshormons Testosteron gebildet. Manche haben bis auf ihren unerfüllten Kinderwunsch keine Probleme damit, viele wissen auch nichts von dieser chromosomalen Disposition, sagt Dr. Michael Zajc. Die Mehrzahl der Männer mit Klinefelter-Syndrom führt ein vollkommen normales Leben. Sie ergreifen den Beruf ihrer Wahl, heiraten und wenn sich der Wunsch nach einem Kind einstellt, kann in manchen Fällen eine Befruchtung mit operativ direkt aus dem Hoden gewonnen Samenzellen erfolgen. Sollte das nicht funktionieren, ist eine Befruchtung mit Spendersamen möglich. Behandlungsansätze Eine Therapie richtet sich nach der bei der Untersuchung festgestellten Ursache. Je nach Art der Störungen kommen unterschiedliche Behandlungsansätze infrage: Hormonelle Stimulation des weiblichen Eierstocks: Die Behandlung besteht in diesem Fall aus einer Stimulation der Eierstöcke durch hormonähnliche Medikamente. Samenübertragung (Insemination): Bei geringer Fruchtbarkeit des männlichen Samens wird der männliche Samen vom Arzt mit speziellen Verfahren aufbereitet. Künstliche Befruchtung (In-Vitro-Fertilisaton, kurz IVF): Wörtlich steht der Begriff In-Vitro-Fertilisation für die Befruchtung im Reagenzglas. Diese Methode wird bei einem Eileiterverschluss der Frau, bei einer vorliegenden Endometriose, bei Antikörpern gegen die Spermien des Partners oder bei sehr stark eingeschränkter Qualität der Samenzellen angewendet, oder wenn eine vorherige Inseminationsbehandlung nicht erfolgreich war. Mikro-Injektion oder ICSI (Intracytoplasmatische Spermieninjektion): Eine Samenzelle wird mittels einer feinen Nadel direkt in eine Eizelle injiziert. Diese Methode wird dann angewendet, 3 / 5

4 wenn die Zahl funktionsfähiger Spermien zu gering ist, um mithilfe einer Insemination oder IVF eine Schwangerschaft herbeiführen zu können, oder wenn die Spermien aufgrund morphologischer Veränderungen nicht in der Lage sind, in eine Eizelle einzudringen. Gewinnung von Spermien direkt aus den Hoden (TESE) oder Nebenhoden (MESA): Sind überhaupt keine Samenzellen im Ejakulat des Mannes vorhanden, können oft noch zeugungsfähige Spermien aus den Hoden oder Nebenhoden gewonnen werden. Einfrieren von Eizellen (Kryokonservierung): Als Kryokonservierung wird das Einfrieren und Lagern von Eizellen, Samenzellen oder Embryonen bei tiefen Temperaturen in flüssigem Stickstoff verstanden ( cryo = griechisch für Kälte), um sie zu einem späteren Zeitpunkt in die Gebärmutter einzubringen. Ergänzende Maßnahmen: Ernährungsberatung und alternative medizinische Verfahren, Gewichtsreduktion sowie Stressabbau. Endlich schwanger! Endlich ein eigenes Kind! Für viele Paare bedeutet das die Erfüllung eines Wunsches, von dem sie schon gar nicht mehr geglaubt haben, dass er Wirklichkeit werden könnte.echo sprach mit Babywunschklinik-Chef Michael Zajc über Chancen und Probleme eine Familie zu gründen. ECHO: Wo liegen die ursächlichen Probleme in Sachen Kinderwunsch? Michael Zajc: Die Möglichkeit, miteinander ein Kind zu bekommen, hängt von vielen Parametern ab. Dabei reicht oft eine geringfügige Störung bei einem der beiden Partnern aus und es will ohne Hilfe nicht mehr klappen. Mitunter warten Paare sehr lange auf die ersehnte Schwangerschaft. Diese Zeit kann durch gezielte Maßnahmen in den meisten Fällen verkürzt werden. ECHO: Warum bleiben viele Frauen kinderlos? Zajc: Im Vordergrund stehen Eileiterschädigungen durch Infektionen mit Bakterien oder Chlamydien. In der Lebensphase vor dem Kinderwunsch schützt die Pille vor einer Schwangerschaft, nicht jedoch vor Infektionen. Daher sollten zusätzlich Kondome verwendet werden. Weitere Ursachen sind hormonelle Störungen, hier spielen auch äußere Einflüsse wie Rauchen, Ernährung und Umwelt stark mit. Man sollte sich auch früh genug mit der eigenen Lebensplanung in Sachen Kinder auseinandersetzen. Eines der Probleme ist, dass das Durchschnittsalter bei Erstgeborenen ansteigt. Das hat damit zu tun, dass die Ausbildung und Karrieremöglichkeiten von Frauen heutzutage besser sind. Die große Aufgabe heißt: Nicht Kinder statt Karriere, sondern Kinder und Karriere. Hier ist die Gesellschaft und die Politik gefragt. Das klappt in Frankreich besser, das Land ist besser auf Familien ausgerichtet. 4 / 5

5 ECHO: Wo liegen die Probleme der Männer? Zajc: Die Frequenz der männlichen Probleme ist im Ansteigen. Vorbeugend sollte die Schädigung des Hodengewebes durch Anabolika vermieden werden. Aber auch die Überwärmung der Hodengegend durch Stress, enge Kleidung oder zu langes Sitzen ist ein Problem. Starkes Radfahren über zwei bis drei Stunden mehrmals die Woche ist der Zeugungsfähigkeit ebenfalls abträglich und Rauchen sowieso. ECHO: Mit welchen Methoden können Sie am besten wirken? Zajc: Mit den passenden! Dazu braucht es eine genaue Diagnostik. Die Effektivität der einzelnen Behandlungen steigert sich natürlich mit dem Aufwand. Aber nicht immer ist es notwendig, alle Register zu ziehen. Die Methode, welche der Natur am nächsten kommt, ist im Regelfall für die Patientin am besten verträglich und auch die wirtschaftlichste. ECHO: Haben betroffene Paar noch eine Hemmschwelle in ein Kinderwunschinstitut zu kommen? Zajc: Die Akzeptanz der medizinischen Unterstützung für Fortpflanzungsmedizin ist mittlerweile in der breiten Bevölkerung sehr gut. ECHO: Wann sollte man an professionelle Beratung denken? Zajc: Die Keimzellen der Frau sind seit der Geburt angelegt und werden verbraucht. Bei Männern werden Keimzellen immer wieder neu gebildet. Deshalb empfehle ich Paaren unter 35 nach einem Jahr zur Beratung zu gehen. Bei älteren Paaren bereits nach sechs Monaten. Jedes Jahr des Zuwartens bedeutet einen Chancenverlust. Leider schätzen viele Leute ihren Körper falsch ein. Denn die eigene Befindlichkeit, das Gefühl, sich mit Anfang 40 noch wie 35 zu fühlen, täuscht. Der Körper verändert sich trotzdem. Der Eierstock hat sich in Fähig keit und Potenz verändert. Der Körper bleibt nicht stehen. Das äußere Erscheinungsbild eines Menschen kann dagegen leichter aufrechterhalten werden als das innere. Wer mit diesem Thema reif umgeht, bringt das unter einen Hut und setzt sich früh genug damit auseinander und lässt sich rechtzeitig beraten. ECHO: Wie viele Paare nehmen die Beratungsmöglichkeiten an? Zajc: 15 Prozent der Paare sind gegen ihren Willen kinderlos. Von diesen 15 Prozent entscheiden sich nur 20 Prozent für Beratung und Behandlung. Interview: Christoph Archet 5 / 5