Die Auflösung des Bundestages und die. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
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- Willi Hansi Kraus
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1 Bearbeitung: Daniel Surma Rechtsreferendar LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 14. WAHLPERIODE INFORMATION 14/ Mai 2005 Die Auflösung des Bundestages und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Kurz nach Bekanntgabe der ersten Hochrechnungen zur Landtagswahl in Nordrhein- Westfalen am 22. Mai 2005 haben der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering und Bundeskanzler Gerhard Schröder Neuwahlen zum Deutschen Bundestag noch für den Herbst dieses Jahres angekündigt. In einer ersten Reaktion begrüßten alle im Bundestag vertretenen Parteien diesen Vorschlag. Es ist beabsichtigt, dass Bundeskanzler Schröder in den kommenden Wochen - spätestens aber am vor den Bundestag treten und die Vertrauensfrage stellen wird. An dieser Stelle soll daher im Folgenden kurz der Weg zu den geplanten Neuwahlen auf Bundesebene aufgezeigt und näher beleuchtet werden, auch und insbesondere unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr Das Grundgesetz regelt in Artikel 68, unter welchen Voraussetzungen der Bundestag aufgelöst und Neuwahlen angesetzt werden können. Ein Selbstauflösungsrecht des Bundestages ist diesbezüglich im Grundgesetz - anders als zum Beispiel in Art. 35 Abs. 1 Landesverfassung NW, wonach sich der Landtag bei der Zustimmung der Mehrheit seiner gesetzlichen Mitgliederzahl durch Beschluss auflösen kann, - nicht vorgesehen. Die wesentliche Vorschrift für die Bundestagsauflösung ist Art. 68 Abs. 1 GG. Darin heißt es:
2 - 2 - "Findet ein Antrag des Bundeskanzlers, ihm das Vertrauen auszusprechen, nicht die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, so kann der Bundespräsident auf Vorschlag des Bundeskanzlers binnen einundzwanzig Tagen den Bundestag auflösen. Das Recht zur Auflösung erlischt, sobald der Bundestag mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen anderen Bundeskanzler wählt." Von dem Verfahren des Art. 68 GG, also über die Vertrauensfrage Neuwahlen herbeizuführen, ist in der Geschichte der Bundesrepublik bislang zweimal Gebrauch gemacht worden: Als erster Regierungschef stellte Willy Brandt im Jahr 1972 die Vertrauensfrage. Obwohl er kurz zuvor ein konstruktives Misstrauensvotum der Opposition mit dem Kanzlerkandidaten Rainer Barzel überstanden hatte, verfügte Willy Brandt nach einigen Partei- und Fraktionsübertritten im Parlament über eine Mehrheit. Nach der verlorenen Vertrauensfrage und der Auflösung des Bundestages kam es im November 1972 zu Neuwahlen. Im Jahr 1982 war es Helmut Kohl, der nach dem Ausscheiden der FDP aus der sozialliberalen Koalition und dem Wechsel an die Seite der Union durch ein konstruktives Misstrauensvotum zum Bundeskanzler gewählt worden war. Bei der Vertrauensabstimmung im Parlament verlor Helmut Kohl, da sich die Mehrzahl der Unions- und FDP-Abgeordneten der Stimme enthielt. Daraufhin wurde der Bundestag abgelöst und es kam zu Neuwahlen. Einige Abgeordnete hielten dieses Vorgehen für verfassungswidrig und strengten ein Organstreitverfahren gegen den damaligen Bundespräsidenten Carstens vor dem Bundesverfassungsgericht an, welches im Ergebnis erfolglos blieb. Die Vorschrift des Art. 68 Abs. 1 GG zeigt zunächst, dass Neuwahlen nur am Ende eines gestuften Verfahrens möglich sind, an dem drei oberste Verfassungsorgane - nämlich Bundeskanzler, Bundestag und Bundespräsident - beteiligt sind. Andererseits wird deutlich, dass eine zentrale Rolle in diesem mehrstufigen Verfahren dem Bundespräsidenten zukommt. So urteilte auch das Bundesverfassungsgericht in
3 - 3 - seiner Entscheidung am 16. Februar 1983 (nachzulesen in der Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts, 62. Band, Seite 1 f.), dass "die Anordnung der Auflösung oder ihre Ablehnung eine politische Leitentscheidung ist, die dem pflichtgemäßen Ermessen des Bundespräsidenten obliegt". Dass dem Bundespräsidenten insoweit ein Ermessensspielraum eingeräumt ist, folgt bereits aus dem Wortlaut der Norm, wonach der Bundespräsident den Bundestag auflösen kann, ein neu gewählter Bundeskanzler dagegen vom Bundespräsidenten zu ernennen ist (Art. 63 Abs. 2 S. 2 GG). Dabei gilt der Grundsatz, dass es zur Ermessensausübung auf der Rechtsfolgenseite der Norm nur dann kommen kann, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 68 GG vorliegen. Auch das Bundesverfassungsgericht führte daher aus, "dass die formellen und materiellen Tatbestandserfordernisse des Art. 68 GG in verfassungsmäßiger Weise erfüllt sein müssen", bevor das Ermessen des Bundespräsidenten überhaupt eröffnet ist. Auf der Tatbestandsseite müssen zunächst die unmittelbar dem Wortlaut der Vorschrift zu entnehmenden Verfahrensschritte bis zur Auflösungsanordnung vorliegen, d. h. die Verfehlung der absoluten Mehrheit (301 von 601 Stimmen, sog. Kanzlermehrheit) einerseits sowie die Fristwahrung andererseits. Fraglich ist, ob Art. 68 GG "eine offene Verfassungsnorm ist, die der Konkretisierung zugänglich und bedürftig ist". Der Sinn dieser Vorschrift ergebe sich erst aus der in ihr selbst angelegten Systematik, der Stellung im gesamten Verfassungsgefüge und nicht zuletzt dem verfassungsgeschichtlichen Hintergrund, vor dem die Regelung geschaffen wurde. Dabei sei zu berücksichtigen, dass eine zwischen den betroffenen Verfassungsorganen auf Dauer angelegte, stetige Handhabung unerlässlich ist. Bei der vorzunehmenden Auslegung der Vorschrift stellte sich das Problem, ob eine formelle Auflösungslage (d. h. allein die Verweigerung der Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages) oder aber eine materielle Auflösungslage (also eine
4 - 4 - schwere politische Regierungskrise) gegeben sein muss. Dazu haben die Karlsruher Richter folgendes ausgeführt: Schon die Systematik und die Stellung der Norm zeigen, dass allein durch die erforderliche Beteiligung von drei Verfassungsorganen eine vorschnelle Auflösung des Bundestages verhindert werden soll. Die Vorschrift soll dem Bundeskanzler während der laufenden Wahlperiode die Möglichkeit geben, ausreichende parlamentarische Unterstützung zu gewinnen oder zu festigen und somit zur politischen Stabilität im Verhältnis zwischen Bundeskanzler und Bundestag beitragen. Das Ziel politischer Stabilität zieht sich als Konsequenz aus den Lehren der Weimarer Reichsverfassung wie ein roter Faden durch das gesamte Grundgesetz. So gibt es während einer Legislaturperiode nur zwei Wege aus einer schweren Regierungskrise herauszukommen: Der Sturz des Kanzlers bei gleichzeitiger Wahl eines neuen Bundeskanzlers (sog. konstruktives Misstrauensvotum) und die Vertrauensfrage mit den Folgen des Art. 68 GG. Aufgrund dieser hohen Hemmschwellen für die Auflösung eines Bundestages hat das Bundesverfassungsgericht gefordert, dass Art. 68 GG als ungeschriebenes Merkmal "stets eine politische Lage der Instabilität zwischen Bundestag und Bundeskanzler voraussetzt" und letzterer das Verfahren nur anstrengen darf, "wenn es politisch nicht mehr gewährleistet ist, mit den im Bundestag bestehenden Kräfteverhältnissen weiter zu regieren. Die politischen Kräfteverhältnisse im Bundestag müssen seine Handlungsfähigkeit so beeinträchtigen oder lähmen, dass er eine vom stetigen Vertrauen der Mehrheit getragene Politik nicht sinnvoll zu verfolgen vermag". Um den Missbrauch der Vertrauensfrage - und letztlich eine vorzeitige Parlamentsauflösung - zu vermeiden, nannten die Richter in ihrer Entscheidung aus dem Jahr 1983 drei Fallgestaltungen, in denen zukünftig der Tatbestand des Art. 68 GG nicht erfüllt sein soll: Der Kanzler, "dessen ausreichende Mehrheit im Bundestag außer Zweifel steht", versucht, "sich zum geeignet erscheinenden Zeitpunkt die Vertrauensfrage negativ beantworten zu lassen mit dem Ziel, die Auflösung des Bundestages zu betreiben".
5 - 5 - Die Forderung nach Neuwahlen mit der Behauptung, "ein über ein konstruktives Misstrauensvotum neu gewählter Bundeskanzler bedürfe neben seiner verfassungsmäßigen Legalität noch einer durch Neuwahlen vermittelten Legitimität". Der Bundeskanzler beruft sich zur Begründung der Vertrauensfrage lediglich auf "besondere Schwierigkeiten der in der laufenden Wahlperiode sich stellenden Aufgaben". Weiterhin vertraten die Richter die Auffassung, dass der übereinstimmende Wille aller im Bundestag vertretenen Parteien zu Neuwahlen zu gelangen, an dieser Stelle der Prüfung des Art. 68 GG keine Rolle spielt. Was schließlich die Anforderungen an die Ermessensausübung des Bundespräsidenten auf der Rechtsfolgenseite betrifft, machte dass Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung deutlich, dass der Bundeskanzler eine relativ weite Einschätzungs- und Beurteilungskompetenz im Hinblick auf die politischen Gestaltungsmöglichkeiten und die politischen Kräfteverhältnisse habe - wie es bei politischen Entscheidungen der Regierung von weit reichender Bedeutung üblich sei. Diese Auffassung könne der Bundespräsident bei der von ihm zu treffenden politischen Leitentscheidung nicht durch seine eigene Beurteilung der politischen Gegebenheiten ersetzen. Bei der Prüfung, ob der Antrag und der Vorschlag des Bundeskanzlers nach Art 68 GG mit der Verfassung vereinbar sei, hat der Bundespräsident folglich die vom Bundeskanzler gefällte Beurteilung zu beachten. Gleichwohl könne an dieser Stelle die Einmütigkeit der im Bundestag vertretenen Parteien, zu Neuwahlen zu gelangen, dem Bundespräsidenten einen zusätzlichen Hinweis geben, "dass eine Auflösung des Bundestages zu einem Ergebnis führen werde, das dem Anliegen des Art. 68 GG näher komme als eine ablehnende Entscheidung".
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