Ökonomische Analyse des Rechts
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- Regina Bruhn
- vor 8 Jahren
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1 Ökonomische Analyse des Rechts Zivilprozess und Rechtsschutzversicherungen
2 Prozesslawine? Die Justiz beklagt eine stetig zunehmende Anzahl von Zivilprozessen, die die Funktionsfähigkeit der Gerichte einschränken. Deutlich zunehmende Warteschlangen Möglicher Grund: Rechtsschutzversicherungen Wovon hängt die Entscheidung zum Prozess ab? Jurisprudenz o Zivilprozess dient der Feststellung und Verwirklichung subjektiver Rechte und errichtet damit eine innerstaatliche Friedensordnung Rosenberg/Schwab, Zivilprozessrecht o Irrationalität Juristische Praktiker Wirtschaftswissenschaften o Rationalität und individuelle Nutzenmaximierung Professor Dr. Michael Adams 2
3 Prozessentscheidung Ein Prozess und dessen Ausgang ist mit positiven oder negativen Nutzen verbunden. Die beteiligten Parteien wählen diejenige Alternative, die ihren Nutzen maximiert. Reiner Verteilungskampf mit hohen Kosten = Anreiz für außergerichtliche Einigung? Professor Dr. Michael Adams 3
4 Entscheidung auf der Klägerseite Kläger denkt, dass er sich durch einen Prozess besser stellen kann als durch einen außergerichtlichen Vergleich Problem: Ergebnis ist nicht mit Sicherheit bekannt. Kläger muss mit Erwartungswerten arbeiten. Im Modell Erwartungswert des Prozesses: E K subjektive Gewinnwahrscheinlichkeit: p K Zahlung des Beklagten an den Kläger, wenn Kläger gewinnt: G gesamte Prozesskosten, also Anwalts- und Gerichtskosten beider Parteien: K Professor Dr. Michael Adams 4
5 Entscheidung auf der Klägerseite Erwartungswert des Klägers oder E K = p K G ( 1 p K ) K E K = p K ( G + K ) - K Zahlenbeispiel: Streitsumme 10000, Prozesskosten 3600 E K = p K ( ) 3600 Bei gegebenem Streitwert und gegebenen Prozesskosten hängt die Entscheidung ausschließlich von der subjektiven Wahrscheinlichkeit ab. Geht der Kläger davon aus, dass er mit Sicherheit gewinnt, ist der Erwartungswert E K = = Der Erwartungswert eines Prozesses ist erst bei einer subjektiven Wahrscheinlichkeit von 1 gleich dem Nennwert des Anspruchs. Professor Dr. Michael Adams 5
6 Entscheidung auf der Klägerseite Der Erwartungswert entspricht der Mindestforderung des Klägers in einem außergerichtlichen Vergleich. E k Erwartungswert des Prozesses aus der Sicht des Klägers Höchstgewinn des Klägers: G Mindestforderung des Klägers 100% p k subjektive Wahrscheinlichkeit des Klägers, den Prozess zu gewinnen Gesamtkosten bei Prozessniederlage: -K Professor Dr. Michael Adams 6
7 Entscheidung auf der Beklagtenseite Der Beklagte hat im Falle eines Prozessgewinns nichts zu zahlen, im Falle einer Prozessniederlage muss er sowohl Anspruch als auch Prozesskosten tragen. Erwartungswert beträgt also analog E B = p B 0 ( 1 p B ) ( G + K ) E B = p B ( G + K ) G K bzw. Zahlenbeispiel: Streitwert 10000, Prozesskosten 3600 Liegt die subjektive Gewinnwahrscheinlichkeit etwa bei 0,8, so gilt E B = p B 0 ( 1 p B ) ( ) = - ( 1 pb ) ( ) E B = - ( 0,2 ) ( ) = Es wird nur zu einer außergerichtlichen Einigung kommen, wenn der Beklagte durch den Prozess schlechter abschneidet. Der Erwartungswert des Beklagten stellt damit sein Höchstangebot in einem außergerichtlichen Vergleich dar. Professor Dr. Michael Adams 7
8 Entscheidung auf der Beklagtenseite Analog zur Kläger-Situation: G + K E b Erwartungswert des Prozesses aus der Sicht des Beklagten Höchstangebot des Beklagten in den außergerichtlichen Verhandlungen 100% p b subjektive Wahrscheinlichkeit des Beklagten, den Prozess zu gewinnen Professor Dr. Michael Adams 8
9 Außergerichtlicher Vergleich Wann kommt es zu einem Vergleich? Die notwendige und hinreichende Bedingung für einen Zivilprozess besteht darin, dass die Mindestforderung des Anspruchstellers (Klägers) das Höchstangebot des Anspruchsgegners (Beklagten) übersteigt. Demnach: E K > E B Beispiel: Beide Parteien setzen ihre Siegeschancen mit 50% an; Streitwert 10000, Prozesskosten 3600 Erwartungswert des Klägers E K = 0,5 ( ) 3600 = 3200 Erwartungswert des Beklagten E B = - ( 0,5 ) ( ) = Professor Dr. Michael Adams 9
10 Außergerichtlicher Vergleich Der Kläger fordert also mindestens 3200, während der Beklagte bereit ist, maximal 6800 zu zahlen. Der Vergleichsbereich umfasst insgesamt Allgemein: Prozess, wenn X = E K + E B > 0 X ist der Erwartungswertunterschied. Professor Dr. Michael Adams 10
11 Wirkung von Prozesskosten Beeinflussen Prozesskosten die Zahl der Verfahren? Prozesskosten haben offensichtlich einen Einfluß auf die Größe des Vergleichsbereichs: X E P ( P K K ( G K E P B B K) K 2) K P B ( P ( G Abgeleitet nach den Kosten ergibt sich d( X dk ) P K P B K P B K) Die Ableitung ist stets kleiner oder gleich Null. G 1) G Steigende Kosten führen also zu einer Verringerung des Abstandes zwischen Forderung und Angebot. 2 K Professor Dr. Michael Adams 11
12 Wirkung von Prozesskosten Beispiel: Subjektive Gewinnwahrscheinlichkeit des Klägers: 0,9 Subjektive Gewinnwahrscheinlichkeit des Beklagten: 0,8 Streitwert: X (0,9 0,8 2) K (0,9 0,8 1) ,3K 7000 Professor Dr. Michael Adams 12
13 Wirkung von Prozesskosten Durch die Festsetzung von Prozesskosten kann der Gesetzgeber festlegen, ob es zu einem Prozess kommt Kein Prozess, wenn X 0 Folglich: X 0,3K K 0,3K Ab Prozesskosten von kommt es bei dieser Situation zu einem Vergleich. Die Prozesskostenregelung legt unmittelbar fest, wie viele Prozesse in einer Gesellschaft geführt werden. Es ist dabei unerheblich, wie sich die Prozesskosten aus Anwalts- und Gerichtskosten zusammensetzen.! 0 Professor Dr. Michael Adams 13
14 Zivilprozess: Deutschland vs. USA Deutschland Richter haben Verantwortung für Beweissammlung, und -ordnung. Richter beobachten und kontrollieren die Anwälte. Richter rufen Zeugen auf und befragen diese. Richter führen die Verhandlung aktiv. Keine Schöffen (nur im Strafgericht) Prozessführung verläuft eher informell. Anzahl der Anhörungen nicht festgelegt Nur relevante Beweise werden vorgelegt. Parteien können während des Prozesses flexibel reagieren, da Beweisaufnahme zu jeder Zeit möglich ist Gericht beruft Sachverständige. Kein Kontakt oder Einflussnahme von Zeugen durch die Parteien außerhalb der Verhandlung Richter sind fest angestellt und unabhängig. Professor Dr. Michael Adams 14
15 Zivilprozess: Deutschland vs. USA USA Anwälte führen die Verhandlung vor den Augen der Jury, die das Urteil spricht. Anwälte legen Beweise vor und rufen Zeugen auf. Richter achten lediglich passiv auf Rechtmäßigkeit des Verfahrens. Prozess besteht aus zwei Phasen: Vorverhandlung (ohne Jury) und Hauptverhandlung. o Vorverhandlung: Vorlage aller Beweismittel. Verhörung von Zeugen. o Hauptverhandlung: Argumentation vor der Jury In der Vorverhandlung werden alle evtl. wichtigen Beweise von den Anwälten gesammelt, auch wenn diese in der Hauptverhandlung nicht benötigt werden. Anwälte entwerfen Prozessstrategie und können gegnerische Partei in der Hauptverhandlung überraschen. Theatralische Szenen, da die Parteien juristische Laien überzeugen müssen. Richter werden gewählt und treiben Wahlkampf. Professor Dr. Michael Adams 15
16 Prozesskostenregeln Europa USA Der Verlierer trägt jeweils die gesamten Prozesskosten. Deutschland: Anwaltsgebühren laut Gebührenordnung. Deutschland: Gerichtsgebühren laut Gebührenordnung Jede Partei trägt stets ihr eigenes Kostenrisiko. Anwaltshonorare sind frei verhandelbar. Typisch: Stundensätze oder Erfolgshonorare. Anreize: Lange Verfahren bei Stundensätzen; hohe Streitsummen bei Erfolgshonorar Im Folgenden Die Summe der Prozesskosten ist stets gleich, bei der amerikanischen Regel wird jedoch stets hälftig geteilt. Professor Dr. Michael Adams 16
17 Beispiel: Prozesskostenregeln Streitwert: Prozesskosten: 3600 Kläger, P=1: Europäische Regel: Amerikanische Regel: 8200 Kläger, P=0,5: Europäische Regel: 3200 Amerikanische Regel: 3200 Beklagter, P=0,8: Europäische Regel: Amerikanische Regel: Beklagter, P=0,5: Europäische Regel: Amerikanische Regel: Professor Dr. Michael Adams 17
18 Prozesskostenregeln Denken beide Parteien, dass sie mit p=0,5 gewinnen, so sind europäische und amerikanische Regel gleich, Mindestforderung 3200, Höchstgebot 6800, Vergleich Nach Durchspielen verschiedener Situationen: amerikanische Prozesskostenregelung führt zu mehr Prozessen mit niedrigen subjektiven Gewinnwahrscheinlichkeiten, europäische Regel führt zu mehr Prozessen mit höheren subjektiven Gewinnwahrscheinlichkeiten Professor Dr. Michael Adams 18
19 Prozesskostenregeln: Klägerseite Europäische Regel Amerikanische Regel Professor Dr. Michael Adams 19
20 Prozesskostenregeln: Beklagtenseite Europäische Regel Amerikanische Regel Professor Dr. Michael Adams 20
21 Rechtsschutzversicherungen Ermöglicht ihren Mitgliedern das kostenlose Führen von Prozessen im versicherten Rechtsgebiet Versicherung trägt sowohl bei Niederlage als auch bei Vergleich die Gerichts-, Rechtsanwalts-, Zeugen- und Sachverständigenkosten Ein- vs. zweiseitige Prozesskostenentlastung Professor Dr. Michael Adams 21
22 Rechtsschutzversicherungen Einseitige Prozesskostenentlastung: Der Kläger kann kostenfrei prozessieren, der Beklagte muss das Kostenrisiko tragen. Forderung des Klägers: E K = p K G ( 1 p K ) 0 = p K G Durch den Wegfall der Kosten steigt der Erwartungswert und damit die Mindestforderung. Der Vergleichsbereich wird dadurch kleiner. Annahme: Vielzahl von Prozessen, kein strategisches Verhalten: Gleichverteilung des Vergleichsbereichs Beispiel Höchstgebot: 5000, Forderung ohne RV: 2700, mit RV: 3000 Professor Dr. Michael Adams 22
23 Rechtsschutzversicherungen Vergleichsbereich verkleinert sich von 2300 auf 2000 Vor RV: 1150 für jeden, danach 1000 für jeden Auf den ersten Blick: Verschlechterung durch RV, aber: Kläger bekommt neben der Aufteilung des Vergleichsbereichs auch Mindestforderung Vor RV: = 3850 Nach RV: = 4000 Eine RV führt bei versicherten Klägern zu einem härteren Auftreten, da sie vom Kostenrisiko befreit sind Niemals negativer Erwartungswert Professor Dr. Michael Adams 23
24 Rechtsschutzversicherungen Nichtversicherte Beklagte müssen Vergleichsbereitschaft zeigen (Kostenrisiko!) Versicherte Kläger können nicht versicherte Beklagte ausbeuten Umverteilung zum Nachteil nicht versicherter Personen Steigende Zahl von Prozessen Professor Dr. Michael Adams 24
25 Rechtsschutzversicherungen Zweiseitige Prozesskostenentlastung: Einseitige Situation ist nicht stabil, nicht versicherte Personen erkennen Drohpotential und werden sich auch versichern Drohung wird mit Gegendrohung beantwortet Professor Dr. Michael Adams 25
26 Rechtsschutzversicherungen: Abfolge Ausgangspunkt: Keine RV, klagende Partei kauft sich Versicherung Versicherte Partei verhärtet Position und kann sich zusätzlichen Gewinn aneignen Unversicherte Partei erkennt, dass eingeschränkte Verhandlungsbereitschaft lohnend geworden ist und kauft RV Keine der Parteien kann nun von dem wertlos gewordenen Drohinstrument befreien, da man sich dann ausbeutbar macht Rüstungswettlauf Geringer Anteil von RV: es gewinnt derjenige, der versichert ist Anteil steigt an: Zahl der Prozesse wird höher Professor Dr. Michael Adams 26
27 Rechtsschutzversicherungen Annahme: Gerichte teilen den Prozessbereich gleich zwischen den Parteien auf Aufteilung ist deshalb stets gleich: Bei Prozess und Vergleich erhalten die Parteien immer 50% Durch die steigenden Gesamtkosten steigen die Prämien der Versicherung Rüstungswettlauf kommt dann zum Stillstand, wenn die Prämien für Neueinsteiger höher sind als der erwartete Ertrag aus der Versicherung Professor Dr. Michael Adams 27
28 Rechtsschutzversicherungen: Ergebnis Der nicht versicherte Teil der Bevölkerung wird ausgebeutet Durch die verringerte Vergleichsbereitschaft kommt es zu einer Prozesslawine Zivilprozesse sind ressourcenverbrauchend, deshalb ist die RV wegen der steigenden Zahl der Zivilprozesse abzulehnen. Professor Dr. Michael Adams 28
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