4.4. Texttyp, Stiltyp, Stilanalyse

Transkript

1 4.4. Texttyp, Stiltyp, Stilanalyse Begriff Stil (vgl. dazu Fix/Poethe/Yos 1.3.1) Funktionalstilistik (vgl. dazu Fix/Poethe/Yos ) Pragmatische Stilistik (vgl. dazu Fiy/Poethe/Yos )

2 4.4.1 Begriff Stil Umsetzung außersprachlicher Voraussetzungen (Situation, externe Merkmale) in der Textoberfläche (im Text, in der wahrnehmbaren Datenstruktur des Textes) Stil konstituiert sich im Kommunikationsprozess Stil = Gesamtheit der in einem Text verwendeten Stilelemente in ihrem Zusammenwirken WIE, sprachliche Form (Primärinformationen) WAS, Informationen über Beziehung des Senders zum Empfänger und zu verwendeten Zeichen (Sekundärinformation) 2

3 Stiltheorie und Stilpraxis Stiltheorie: theoretische Grundlagen der Stilistik, Stilauffassungen, Klärung des Begriffs Stil Stilpraxis: deskriptive Stilanalyse, präskriptives Vorgehen, Stilkritik 3

4 4.4.2 Funktionalstilistik Korrelativer Zusammenhang zwischen Außersprachlichem (externen Faktoren) und sprachlichen Gebrauchsweisen Funktionalstile: z. B. Stil der Wissenschaft, Stil der Belletristik Angemessenheit, Formulierungsadäquatheit 4

5 Begriffe Stilelement fakultative Varianten der sprachlichen Gestaltung; z.b. Rhythmus, Reim, Tempus, Modus, Wortbildung, Wortart, Wortwahl, Anordnung von Wörtern, Schreibung, Satzzeichen (WIE) Stilfiguren z.b. Hyperbel, Metapher, Antithese (WIE) Stilzug Vermittlungsinstanz zwischen Stilelementen und dem Stilganzen, charakteristisches Zusammenwirken der Stilelemente und ihre Frequenz und Distribution im Text; z.b. relative Kürze relative Breite, Anschaulichkeit, sachlich, folgerichtig, abstrakt konkret usw. (WIE) 5

6 Beispielanalyse Text 1: Ironie Benjamin von Stuckrad-Barre: Soloalbum (Textausschnitt) Aus reinem Interesse, ach Quatsch, aus purer Bosheit erkundige ich mich, wie viele Kuschelrock-Sampler es inzwischen gibt. Die Frau an der Kasse sagt: - Ich glaube 17, aber es kommt bald ein neuer. Ich sage der Frau, daß ich den dann noch abwarte und mich darauf freue, ob denn wieder Phil Collins dabei ist und Rod Stewart. Sie glaubt schon. Ich glaube auch. Vor dem Haushaltswarenladen, der tausend praktische Dinge bereithält, nur gar nichts, was für mich praktisch wäre, plärrt ein festgeketteter Fernseher. Alfred Biolek kocht in seiner Küche, um sein Buch zu verhökern und neuerdings sogar auch Gläser, und zwar Original (also aus der Sendung?). Und die Leute kaufen den Schund in solchen Mengen, daß der Laden sogar einen eigenen Biolek-Tisch eingerichtet hat. Bald werden sie auch Nickelbrillen verkaufen und vielleicht auch Bio-Tonnen oder Bio-Sphären, wer weiß. Jedenfalls steht da dieser Fernseher, und Biolek kocht und kocht, jeden Tag, dauernd, es ist eine endlos-schleife - und blanker Terror.... Und Biolek, das sabbelnde Repetiergewehr, kriegt sich gar nicht ein vor lauter Konsens: - Hach, alles so lecker, köstlich, huhu, ganz heiß,... (S. 53 f. 183 Wörter) 6

7 Indikatoren für Ironie starke Übertreibung (Hyperbel): lauter Konsens, gar nichts, Nickelbrille verkaufen, Biotonne, Bio-Sphäre, eigener Biolek-Tisch (Übertreibung durch Wiederholung von Bio), jeden Tag, dauernd umgangssprachliche Auflockerungen: ach Quatsch, Buch verhökern, endlos-schleife, wer weiß Inkongruenz gegenüber dem Kontext: Textteile passen eigentlich nicht zusammen (kocht, um Buch zu verhökern) saloppe bewertende Formeln: kaufen den Schund, blanker Terror, kriegt sich gar nicht ein Anführungszeichen: tausend praktische Dinge, Original Beschreibung von Banalitäten in gehobenem Stil Wortwiederholungen: kocht und kocht Antithesen: Interesse - Bosheit, praktische Dinge - gar nichts, was für mich praktisch Metaphern: sabbelndes Repetiergewehr, Fernseher plärrt 7

8 Texttyp Von daher definieren wir Texttypen als auf linguistischen Kriterien beruhende Zusammenfassungen von Texten, die quer zu Textsorten in verschiedenen Kommunikationsbereichen verlaufen. Als linguistische Kriterien gelten dabei text interne Merkmale wie Stil (Stiltyp, z.b. ironischer Text), Medium (medialer Typ, z.b. digitaler Text), Textfunktion auf der Basis sprachlicher Indikatoren (Funktionstyp, z.b. Kontakttext), Themenentfaltung/Vertextung (Vertextungstyp, z.b. explikativer Text). Selbstverständlich können auch Typen Untergruppen aufweisen, jedoch sollte das einmal gewählte Basiskriterium beibehalten und nicht mit anderen vermischt werden. (Gansel/Jürgens 2007: 69) 8

9 4.4.3 Pragmatische Stilistik Stil ist absichtsgeleitetes Handeln. Grundlage: Sprechakttheorie Stil liefert Sekundärinformationen über die Situation, ist Selbstdarstellung, dient der Beziehungsgestaltung (WAS) Stilverfahren: a) DURCHFÜHREN (Konventionen folgen) b) ORIGINALISIEREN/UNIKALISIEREN (von Konventionen abweichen) 9

10 Beispielanalyse: Text 2 Lagebericht, grashof, (RAF, info system) die haftverschärfungen wurden hier montagabend sämtlich aufgehoben. Allerdings haben die säue die zeitungen + den spiegel von Montag nicht rausgerückt. Nebenbei kam raus (ein typ verquatschte sich) dass herr graus bloß noch aufn anruf vom bgh wartet klar. [...] die razzien freitagmorgen (4h) waren nur bei grashof/jünschke.bei grundmann kam freitagnachmittag bkh-klaus. Mal wieder mitm stapel schriftstücke unterm arm er hat ihn aber gleich rausgeschmissen. in der rheinpfalz ne wüste story von wegen schon vorher bescheid gewusst + meinungsverschiedenheiten. Daran stimmt soviel dass wir trotz allem immer ganz gut informiert waren: über ablauf, forderungen (allgemein ohne namen im detail), timing. den sturm der bullen/sprengung gegen 24 h hat man einfach deshalb mitkriegen können, weil das areal ringsum draußen von bullenwagen mit funk an + vermutl. schaulustigen bevölkert war. [...] 10

11 Prototypische Stilelemente Graphostilistische Ebene: radikale Kleinschreibung, Unterstreichungen, Versalisierungen, Auszeichnungen, Logogramme + für und, Kennzeichnung rhetorischer Pausenräume durch Interpunktion Morphologisch-phonostilistisch: Klitisierungen, Elisionen Syntaktische Ebene: Einsatz von Ellipsen und Parenthesen, z. T. hochkomplexe hypotaktische Satzkonstruktionen, in Verbindung mit graphostilistischen Mitteln Lexikalische und phraseologische Ebene: lexikostilistischer Crossover 11

12 Stilzüge Reduktion Konzeptionelle Mündlichkeit 12

13 Stilistische Sinnzuschreibungen Inszenierte Oralität Kritik an der herrschenden Sprache Gruppenstil: Abgrenzung, Gruppenbildung 13

14 Literaturhinweise Fix, Ulla/Poethe, Hannelore/Yos, Gabriele (2001): Textlinguistik und Stilistik für Einsteiger (Abschnitt 1.3, 2.5) Fleischer, Wolfgang/Michel, Georg/Starke, Günter (1993): Stilistik der deutschen Gegenwartssprache. Frankfurt a.m. u.a. Gätje, Olaf (2007): Der Gruppenstil der RAF im Info -System. Eine soziostilistische Untersuchung aus systemtheoretischer Perspektive. Hamburg (Dissertation) Gansel, Christina/Jürgens, Frank (2007): Textlinguistik und Textgrammatik. Göttingen (Kapitel 3) Sandig, Barbara (2006): Textstilistik des Deutschen. Berlin 14