Lösungshinweise zur Klausur Arbeitsrecht SS 2015 Sept Prof. Dr. Gert-Albert Lipke
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- Werner August Schmidt
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1 Lösungshinweise zur Klausur Arbeitsrecht SS 2015 Sept Prof. Dr. Gert-Albert Lipke I. 1.) Bevor der Arbeitgeber eine verhaltensbedingte Kündigung fristgerecht oder fristlos schriftlich gegenüber einem Arbeitnehmer aussprechen darf, ist er nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit regelmäßig gehalten den Arbeitnehmer vorab abzumahnen. So bestimmt es auch 314 Abs. 2 BGB bei Kündigungen aus wichtigem Grund. Die Abmahnung ist von der Ermahnung abzugrenzen. Mit der Ermahnung rügt der Arbeitgeber im Rahmen seines Direktionsrechts nach 106 GewO die nicht vertragsgerechte Erfüllung der arbeitsvertraglichen Pflichten. Bei einer Abmahnung beanstandet der Arbeitgeber eine konkret zu beschreibende Vertragspflichtverletzung (zb: Sie sind am Dienstag, den unentschuldigt 12 Minuten zu spät zur Arbeit gekommen= Dokumentationsfunktion) und kündigt für den Wiederholungsfall arbeitsrechtliche Konsequenzen an (zb: Sollten Sie demnächst wieder unentschuldigt zu spät zur Arbeit kommen, müssen Sie mit einer Kündigung rechnen= Warnfunktion). Eine Abmahnung kann mündlich oder (besser zu Beweiszwecken) schriftlich erteilt werden. Sie behält ihre Warnfunktion je nach Gewicht der Arbeitsvertragsverletzung regelmäßig mindestens zwei Jahre. Danach kann sie bei störungsfreiem Arbeitsverhalten in der Vergangenheit keine Wirkung mehr entfalten. Der Arbeitnehmer kann sogar ihre Entfernung aus der Personalakte verlangen. 2.) Befristungen sollen nur ausnahmsweise zulässig sein, da das unbefristete Vollzeitarbeitsverhältnis nach den Vorstellungen des deutschen Gesetzgebers aber auch nach dem Unionsrecht der gewünschte Beschäftigungsstandard bleiben soll, weil nur so eine dauerhafte Existenzsicherung des Arbeitsnehmers und seiner Familie erreicht werden kann. Seit 2001 eröffnet vor allem 14 TzBfG und 21 TzBfG unterschiedliche Möglichkeiten der Befristung von Arbeitsverhältnissen. Grundsätzlich sollen Befristungen von einem Sachgrund getragen werden (offener Katalog des 14 Abs. 1 Satz 2 TzBfG), den der Arbeitgeber im Streitfall darzulegen und zu beweisen hat (zb: vorübergehender betrieblicher Mehrbedarf oder Vertretung). Als Ausnahme davon lässt 14 Abs. 2 TzBfG bis zu zwei Jahren eine sachgrundlose Befristung, innerhalb derer drei nahtlose Verlängerungen gestattet sind. Weitere Ausnahmen gibt es bei Neugründungen von Unternehmen (vier Jahre sachgrundlos; 14 Abs. 2a TzBfG) und bei älteren Arbeitnehmern (Vollendung des 52 Lebensjahres; 14 Abs. 3 TzBfG), die zumindest vier Monate vorher beschäftigungslos waren (fünf Jahre sachgrundlos). 21 BEEG regelt einen besonderen Vertretungsfall im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Kinderbetreuung. Im Wissenschaftsbereich gibt es besondere Vorschriften (WissZeitVG). Mit vorhandenem Sachgrund kann mehrfach befristet werden bis zur Grenze des Rechtsmissbrauchs (Kettenbefristungen!). Sachgrundlos kann ein Arbeitnehmer regelmäßig nur einmal mit ein und demselben Arbeitgeber befristete Arbeitsverträge bis zu zwei Jahren abschließen. Nach neuerer umstrittener Rechtsprechung des BAG vom soll dies im Abstand von drei Jahren wiederholbar sein (7 AZR 716/09). Die Befristung bedarf einer schriftlichen Vereinbarung vor Aufnahme der Tätigkeit, ansonsten entsteht ein unbefristetes Arbeitsverhältnis ( 14 Abs. 4, 16 TzBfG). 3.) Sie müssen binnen drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Kündigungsschutzklage beim örtlich zuständigen Arbeitsgericht erheben, ansonsten ist auch eine sittenwidrige, willkürliche oder sozial ungerechtfertigte Kündigung rechtswirksam 1
2 ( 4, 7 KSchG). Nur in Fällen der Unzumutbarkeit kann in besonderen Fällen eine nachträgliche Zulassung gem 5 KSchG in Betracht kommen. 2 II. Aus den Gründen des Urteils des ArbG Köln vom 12.Februar Ca 4192/13-, die als grobe Orientierung für eine Lösung dienen können:: Die Kündigung vom ist als außerordentliche, fristlose Kündigung wirksam. Denn es liegt im vorliegenden Einzelfall ein wichtiger Grund im Sinne des 626 Abs. 1 BGB vor. Nach 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Eine schwere, regelmäßig schuldhafte Vertragspflichtverletzung kann eine außerordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses aus wichtigem Grund an sich rechtfertigen. Dabei kann ein wichtiger Grund an sich nicht nur in einer erheblichen Verletzung der vertraglichen Hauptleistungspflichten liegen. Auch die erhebliche Verletzung von vertraglichen Nebenpflichten, insbesondere eine Verletzung der vertraglichen Rücksichtnahmepflichten i.s.v. 241 Abs. 2 BGB, die dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks dienen, kann ein wichtiger Grund an sich zur außerordentlichen Kündigung sein. Die vertragliche Rücksichtnahmepflicht verlangt von den Parteien eines Arbeitsverhältnisses, gegenseitig auf die Rechtsgüter und die Interessen der jeweils anderen Vertragspartei Rücksicht zu nehmen. Der Arbeitnehmer hat seine Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebes nach Treu und Glauben billigerweise verlangt werden kann (BAG v AZR 53/05- m.w.n.). Der Kläger hat durch die Ausübung seiner nächtlichen Nebentätigkeit als Discjockey bei gleichzeitigem Alkoholkonsum während der ihm bescheinigten Arbeitsunfähigkeit seine Rücksichtnahmepflicht schwer verletzt. Ein arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer muss sich so verhalten, dass er bald wieder gesund wird und an seinen Arbeitsplatz zurückkehren kann. Er hat alles zu unterlassen, was seine Genesung verzögern könnte. Der erkrankte Arbeitnehmer hat insoweit auf die schützenswerten Interessen des Arbeitgebers, die sich u.a. aus der Verpflichtung zur Entgeltfortzahlung ergeben, Rücksicht zu nehmen. Eine schwerwiegende Verletzung dieser Rücksichtnahmepflicht kann nach der Rechtsprechung des BAG eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund an sich rechtfertigen (BAG a.a.o.). Deshalb kann ein pflichtwidriges Verhalten
3 vorliegen, wenn ein Arbeitnehmer bei bescheinigter Arbeitsunfähigkeit den Heilungserfolg durch gesundheitswidriges Verhalten gefährdet. Damit verstößt er nicht nur gegen eine Leistungspflicht, sondern zerstört insbesondere auch das Vertrauen des Arbeitgebers in seine Redlichkeit. Dies ist nicht nur dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer während der Krankheit nebenher bei einem anderen Arbeitgeber arbeitet, sondern kann auch gegeben sein, wenn er Freizeitaktivitäten nachgeht, die mit der Arbeitsunfähigkeit nur schwer in Einklang zu bringen sind (BAG a.a.o.). Bei der Veranstaltung in der Nacht vom auf den handelte es sich nicht um eine rein private Geburtstagsfeier des Klägers. Eine rein private Geburtstagsfeier ist regelmäßig dadurch gekennzeichnet, dass das "Geburtstagskind" seine Gäste kennt. Bereits dies war nicht der Fall. Vielmehr wurde öffentlich über Internet eine nicht begrenzte oder abgrenzbare Anzahl von bekannten und unbekannten Personen eingeladen. Ebenfalls untypisch ist, dass Getränke bei einer privaten Geburtstagsfeier kostenpflichtig verkauft werden und sich der Gastgeber nicht um seine Gäste kümmert, sondern stundenlang am DJ-Pult arbeitet. Der Kläger hatte nur zufällig am Tag der Nebentätigkeit Geburtstag. Ein Kausalzusammenhang zwischen dem Geburtstag des Klägers und der Veranstaltung ist jedenfalls nicht erkennbar. Die Ausübung einer nächtlichen Nebentätigkeit als Discjockey ist mit der attestierten Arbeitsunfähigkeit nicht in Einklang zu bringen. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass der Kläger als Grund für die Arbeitsunfähigkeit psychische Probleme infolge von "Mobbing" anführt. Denn der Kläger hat keinerlei Umstände geschildert, die ein Mobbing am Arbeitsplatz nur ansatzweise belegen. Auch das von ihm erstmals im Kammertermin vorgelegte ärztliche Attest vom ist vollkommen unergiebig. Soweit der namentlich nicht in Erscheinung tretende Arzt attestiert, dass der Kläger zum Zeitpunkt seiner Arbeitsunfähigkeit nicht zu Bettruhe gezwungen war, ist angesichts des Ausstellungsdatums noch nicht einmal ersichtlich, von welchem Arbeitsunfähigkeitszeitraum der Arzt überhaupt spricht. Auch die Aussage, dass der Kläger unter den Folgen eines ausgeprägten Mobbings an starken psychischen Beeinträchtigungen litt, ist nichtssagend. Weder ist erkennbar, wo das Mobbing stattgefunden hat, noch ist erkennbar, was der Arzt unter Mobbing versteht. Erst recht ist nicht nachvollziehbar, wie der Arzt ohne eigene Wahrnehmung von den Mobbinghandlungen Mobbing positiv bescheinigen kann. Selbst wenn man zu Gunsten des Klägers unterstellt, dass er seine Arbeitsunfähigkeit nicht bewusst vorgetäuscht hat, hat er sich jedenfalls in erheblichem Maße genesungswidrig verhalten. Auch wenn der Kläger in der mündlichen Verhandlung anderer Auffassung war, ist Alkohol nicht die Lösung zur Behandlung psychischer Probleme. Auch wirkt Nachtarbeit psychisch belastend und daher dem Heilungsprozess der vorgegebenen Erkrankung entgegen. Durch sein Verhalten hat der Kläger den Anschein gesetzt, trotz der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit nicht alles zu unterlassen, was einer Genesung abträglich sein könnte. Selbst sein Arzt konnte nicht bescheinigen, dass Nachtarbeit und Alkoholkonsum Teil der Therapie sind. Im vorliegenden Einzelfall war auch eine vorherige Abmahnung entbehrlich. Zwar ist eine Abmahnung bei einem steuerbaren Verhalten grundsätzlich erforderlich. Bei schweren Pflichtverletzungen gilt dies aber nur, wenn der Arbeitnehmer mit vertretbaren Gründen annehmen konnte, sein Verhalten sei nicht vertragswidrig oder 3
4 werde vom Arbeitgeber zumindest nicht als erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Verhalten angesehen. Hiervon konnte der Kläger nicht ausgehen. Kein Arbeitgeber, der erfährt, dass ein bei ihm beschäftigter, arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer während der Arbeitsunfähigkeit einer nächtlichen Nebentätigkeit als Discjockey nachgeht und dabei Alkohol konsumiert, wird dies dulden, solange er zur Entgeltfortzahlung verpflichtet ist. Letztlich geht auch die Interessenabwägung zu Lasten des Klägers aus. Auf Grund der relativ kurzen Betriebszugehörigkeit streitet für ihn lediglich seine Unterhaltsverpflichtung. Aufgrund seines Alters dürfte er jedoch keine größeren Probleme auf dem Arbeitsmarkt haben, zumal er weiterhin seiner Tätigkeit als Discjockey nachgehen kann. Aufgrund der erheblichen Pflichtverletzung überwiegt das Beendigungsinteresse der Beklagten. Die Klageanträge zu 2) und 3) sind ebenfalls unbegründet, da das Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung beendet wurde. Zur zweiten Frage: Der Betriebsrat ist sowohl zur außerordentlichen Kündigung vor deren Ausspruch mit Frist von drei Tagen und zur hilfsweisen ordentlichen Kündigung mit einer Anhörungsfrist von einer Woche anzuhören ( 102 BetrVG). Er kann schweigen, Bedenken äußern, zustimmen oder (im Fall der ordentlichen Kündigung) Widerspruch nach 102 Abs. 3 BetrVG einlegen mit der Folge, dass für den gekündigten Arbeitnehmer ein Weiterbeschäftigungsanspruch nach 102 Abs. 5 BetrVG über die Kündigungsfrist hinaus bis zur rechtskräftigen Gerichtsentscheidung besteht. Näher dazu Skript Teil A Seite 46 und Teil B Seite 20,22. Allgemein zur außerordentlichen Kündigung Skript Teil A Seite 49 f. III. Der lange Jahre von der Rechtsprechung des BAG entwickelte Grundsatz der Tarifeinheit besagt; dass ein Arbeitgeber, der an mehrere Tarifverträge mit unterschiedlichen Gewerkschaften gebunden ist, aus Gründen der Praktikabiltät nur den Tarifvertrag im Betrieb anwenden muss, der mehrheitlich auf die Belegschaft passt (zb:tv Chemie im chemischen Unternehmen, obwohl AG und einige Belegschaftsangehörige auch an Metalltarifvertrag gebunden sind = ein Betrieb ein Tarifvertrag!). Dies ist vom BAG in einer Entscheidung im Jahr 2010 als Verstoß gegen die positive Koaltionsfreiheit der MitgliedSeite 4 von 5 er der Tarifvertragsparteien erkannt worden, deren Tarifvertrag verdrängt wird. Die Vielzahl der Tarifauseinander-setzungen mit kleineren Gewerkschaften in der jüngsten Vergangenheit sowie der dazu geführten Arbeitskämpfe (Lokführer und GdL) haben DGB und BdA veranlasst den Gesetzgeber zum Handeln aufzufordern. Dies hat der Gesetzgeber nun mit Einfügung des 4a TVG getan, wonach bei kollidierenden Tarifverträgen im Betrieb nur die Rechtsnormen des Tarifvertrags anzuwenden sind, an die die Mehrheit der Arbeitnehmer im Betrieb gebunden ist. Die Minderheitsgewerkschaft erhält Verhandlungs- und Nachzeichnungsrechte. Das 4
5 5 Gesetz wird sicherlich noch von den kleinen Gewerkschaften beim BVerfG in Karlsruhe zur Überprüfung nach Art 9 GG vorgelegt werden.
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