LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. WAHLPERIODE STELLUNGNAHME 16/1735 A01
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1 DER PARITÄTISCHE NRW 1 Postfach Wuppertal Landtag Nordrhein-Westfalen Frau Carina Gödecke Postfach Düsseldorf Per anhoerung@landtag.nrw.de LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. WAHLPERIODE STELLUNGNAHME 16/1735 A01 Landesgeschäftsführer Loher Str Wuppertal Telefon: 0202/ Telefax: 0202/ Mobil: 0172 / hermann.zaum@paritaet-nrw.org Rückfragen: Hermann Zaum Ihr Schreiben vom Sanktionen im ALG 11 Bezug - Anhörung A Sehr geehrte Frau Gödecke, beigefügt erhalten Sie die Stellungnahme des Paritätischen Landesverbandes Nordrhein Westfalen zum Antrag der Fraktion der PIRATEN - Drucksache 16/ Aussetzung der Sanktionen im ALG II Bezug - zur öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales am 23. Mai Für weiteren Erläuterungsbedarf stehen wir gern zur Verfügung. Mvr~;n Grüßen Herman"~t~m Landesgeschäftsführer DEUTSCHER. PARITÄTISCHER WOHLFAHRTSVERBfIND LN~DESVERBAND NORDRHEIN,WESTFALEN E_V -- Loher Straße Wupperlal www,paritaet~nrw_0rg Telefon: 0202 i Tc!efox: 0202! rnail@paritaet-nrw_org Amtsgericht Wupperta! VR Steuer-Nr.: Bal1k für Soz,ialwirtschaft Klo-Nr,: 7: BLZ IBAN: DE üO 1 BIG: BFSWDE33XXX Stiften und Spenden wv.w. gemeins;:! rn ha n dei n. de Seite 1 von 1
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3 I = ber PARITÄTISCHE NORDRHEIN-WESTFALEN Stellungnahme zu Aussetzung der Sanktionen im ALG II Bezug Antrag der Fraktion der PIRATEN Drucksache 16/4162 Öffentliche Anhörung des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales am 23. Mai 2014 Der Paritätische Landesverband NRW e.v. unterstützt den Antrag der Fraktion der PIRATEN und schließt sich der Forderung einer Aussetzung der Sanktionsgesetzgebung nach 31, 32 SGB II, und 39 a SGB XII, mindestens jedoch einer Flexibilisierung der Sanktionszeiträume nach unten hin an. Der Paritätische Landesverband NRW e.v. sieht folgende Aspekte der Sanktionspraxis besonders kritisch: 1. Die Differenzierung beim Umfang der Sanktionen nach dem Alter der Leistungsempfängerin bzw. des Leistungsempfängers 2. Die Gesamthaftung bei Sanktionen innerhalb von Bedarfsgemeinschaften 3. Sanktionen aufgrund von Meldeversäumnissen infolge von Kommunikationsproblemen 4. Missverhältnis von aktiver Arbeitsmarktpolitik und Sanktionspraxis Im Folgenden soll die kritische Haltung gegenüber der derzeitigen Sanktionspraxis näher erläutert werden: Das Zweite Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) regelt die Grundsicherung für Arbeitsuchende und orientiert sich am Grundsatz des Förderns und Forderns. Somit soll einerseits das soziokulturelle Existenzminimum gewährleistet sein. Andererseits ziehen Pflichtverletzungen auch Sanktionen nach sich, die bis zu drei Monate andauern können (seit dem Jahr 2006 kann ihre Dauer nach 31 SGB II auf sechs Wochen verkürzt werden). Im Falle einer Sanktion wird die Grundsicherungsleistung gekürzt oder sogar ganz gestrichen. Eine Sanktion bedeutet somit in der Regel ein zeitlich begrenztes Leben unter dem soziokulturellen Existenzminimum. Beim Umfang der Sanktionen wird nach dem Alter der Leistungsempfängerin bzw. des Leistungsempfängers differenziert. Zu 1: Qualitative Untersuchungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) haben gezeigt, was diese Sanktionspraxis für den Lebensalltag junger Menschen bedeuten kann. Junge Menschen in der Grundsicherung werden bei Pflichtverletzungen schärfer sanktioniert als ältere Menschen. Zudem werden Jüngere (dreimal) häufiger sanktioniert. DEUTSCHER PARITÄTISCHER WOHLFAHRTSVERBAND LANDESVERBAND NORDRHEIN-WESTFALEN E.V. Loher Straße 7 Telefon: Amtsgericht Stiften und Spenden: Wuppertal Telefax: Wuppertal VR mail@paritaet-nrw.org Steuer-Nr.:
4 Daraus folgt, dass es verhältnismäßig schnell zur Streichung sämtlicher Leistungen kommen kann. Dies erhöht die Gefahr von Obdachlosigkeit und reduziertem Krankenversicherungsschutz. Sanktionen können somit gravierende Folgen haben. Häufig reichen deren Auswirkungen über den eigentlichen Sanktionszeitraum hinaus. Der Alltag der Betroffenen und ihrer Angehörigen ist unter Umständen lange Zeit davon geprägt. Sanktionen können existenzielle Ängste, soziale Exklusion und Überforderung verstärken. Dies steht den im SGB II festgelegten Zielen der Aktivierung und der Erwerbsintegration entgegen. Die Unwirksamkeit der Sonderregelungen für Jüngere belegt auch eine Studie von Nivorozhkin und Wolff (2012). Demnach hilft die strikte Sanktionierungspraxis weder kurznoch langfristig, junge Leistungsbezieher schneller in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Langfristig betrachtet (bis zu drei Jahre nach der Sanktionierung) hat das strikte Vorgehen sogar negative Auswirkungen. Langzeitarbeitslosigkeit und eine dauernde Abhängigkeit von staatlichen Transferleistungen werden nicht verhindert, sondern eher noch befördert. Aus Sicht des Paritätischen NRW sollte die Unterscheidung nach dem Alter einer Leistungsempfängerin bzw. eines Leistungsempfängers bei der Sanktionspraxis abgeschafft werden. Zu 2: Besonders problematisch ist zudem die Gesamthaftung bei Sanktionen innerhalb von Bedarfsgemeinschaften. Demnach sind Eltern und Geschwister bei Sanktion eines z.b. 23- Jährigen ebenso mitbetroffen wie Kinder im Falle einer Sanktion des Vaters oder der Mutter. Dadurch wird das Leben der gesamten Familie durch das Fehlverhalten eines Einzelnen stark beeinflusst. Ein Fallbeispiel soll dies verdeutlichen: Die Familie A besteht aus Vater, Mutter, dreizehnjähriger Tochter und einem 23-jährigen Sohn. Der Sohn hat nach dem Hauptschulabschluss mehrere Maßnahmen durchlaufen, ist aber immer noch ohne feste Arbeit und deshalb auch gezwungen, weiter in der Bedarfsgemeinschaft mit seinen Eltern zu wohnen. Zu einem Termin im Jobcenter erscheint er 30 Minuten zu spät und wird daraufhin unmittelbar für drei Monate sanktioniert. Diese Sanktion umfasst auch 25% seines Anteils an den Kosten der Unterkunft (Miete, Heizung usw.). Natürlich muss die Familie weiter die komplette Miete zahlen und die gesamte Wohnung heizen. Mitbetroffen von der Sanktion sind also alle Haushaltsmitglieder. Zu 3: Immer wieder, das zeigen die Erfahrungen des Paritätischen NRW, erfolgen Sanktionen zudem in Folge von Kommunikationsproblemen zwischen Leistungsempfängerinnen bzw. Leistungsempfängern und Jobcentern. Hierzu zwei Beispiele zur Veranschaulichung: Ein alleinstehender 62-jähriger Mann, der seit über 30 Jahren auf Sozialleistungen (früher Sozialhilfe, jetzt Grundsicherung für Arbeitssuchende)angewiesen ist, ist seit vielen Jahren hoch verschuldet. Mit Hilfe einer Schuldnerberatungsstelle konnte er zumindest seine 2
5 Wohnung sichern und mit den Stadtwerken über eine Abtretungserklärung, auch seine Stromschulden regulieren. Nun besteht seine monatliche Regelleistung nur noch aus 251,90 Euro, denn er hat neben den 100 Euro Abtretung für die Stromschulden auch noch für ein Darlehn (10% des Regelsatzes) an das Jobcenter zu zahlen. Leider ist es in dem Mietshaus des Mannes üblich, dass der Briefträger die Post für alle 200 Mieter als Gesamtstapel in den Hausflur wirft, weil ihn dort vor Jahren ein Hund angegriffen hat. So geht oft Post verloren oder kommt verspätet bei den Bewohnern an. So auch eine Einladung zum Jobcenter für den Alleinstehenden. Das Jobcenter reagiert ohne weitere Anhörung des Betroffenen mit einer Sanktion von 30% des Regelsatzes (130 Euro). Nun verbleiben dem Betroffenen noch 121,90 Euro zum Leben und das für die nächsten drei Monate. Die Familie B (Vater, Mutter, 12- und 16-jährige Kinder) ist seit Jahren um eine Arbeitsintegration bemüht. Nach mehreren Schulungsmaßnahmen haben sowohl der Vater als auch die Mutter eine geringfügige Beschäftigung gefunden. Das gemeinsame Einkommen reicht nicht um die gesamte Familie zu versorgen, so dass ergänzende Leistungen nach dem SGB II fällig werden. Nun kommt ein Brief an das ältere Kind mit der Aufforderung beim Jobcenter vorzusprechen. Die Familie ignoriert das Schreiben, weil das Kind noch zur Schule geht. Sie geht von einem Missverständnis aus, versucht beim Jobcenter anzurufen, aber erreicht niemanden. Das Jobcenter verhängt ohne weitere Rücksprache eine Sanktion für das ältere Kind, direkt für drei Monate und mit den bereits beschriebenen Auswirkungen auf die gesamte Familie. Zu 4: Bei der Verhängung von Sanktionen sollte zudem stets das Ziel der Verhältnismäßigkeit und Ausgewogenheit im Fokus stehen. Während in den letzten Jahren die Mittel für aktive Arbeitsmarktpolitik dramatisch gesunken sind (Stichwort Fördern ), ist diese Entwicklung hinsichtlich der verhängten Sanktionen nicht zu beobachten (Stichwort Fordern ). Bei den Betroffenen besteht zudem zuweilen der Eindruck, dass Sanktionen nur mit dem Ziel der Ausgabenreduzierung der jeweiligen Jobcenter verhängt werden. Wuppertal, 14. Mai
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