Erfahrungsbericht - Auslandssemester an der Bilgi Universität in Istanbul

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1 Erfahrungsbericht - Auslandssemester an der Bilgi Universität in Istanbul Im Rahmen meines Studiums der Internationalen Betriebswirtschaftslehre an der Viadrina war ein Auslandssemester vorgeschrieben. Schon recht früh hatte sich der Wunsch von mir entwickelt, nach Istanbul zu gehen. Ich wollte etwas anderes als Europa kennenlernen und dennoch nicht zu weit weg sein. Die Türkei bietet sich in dem Fall an, weil vieles schon allein religionsbedingt völlig anders ist und viel zu entdecken bietet, aber doch immer europäisierter wird. Ich entschied mich für die Bilgi Universität, weil es eine kleine private Einrichtung ist, die relativ zentral gelegen bzw. gut zu erreichen ist. Vorbereitung und Planung Nachdem die Bewerbung im Internationalen Büro abgeschlossen war, machte ich mir zunächst Gedanken über die Finanzierung. Wer Inlandsbafög berechtigt ist, bekommt mit Sicherheit auch Auslandsbafög zugesprochen. Bewerben muss man sich dafür beim Studentenwerk Tübingen-Hohenheim, das ist zuständig für die Türkei. Für die Bewerbung müssen sehr viele Unterlagen eingereicht werden, manche auch erst nachdem man das Studium im Ausland begonnen hat. Die Bilgi Universität war dahingehend sehr kooperativ und hat im Vorfeld schon Dokumente für mich ausgefüllt und per Mail zurückgesandt. Wichtig ist, dass man recht zügig eine Auslandskrankenversicherung abschließt. Dies konnte ich bei meiner normalen gesetzlichen Krankenkasse recht unkompliziert organisieren. Beim Flüge buchen empfehle ich, darauf zu achten, welchen Flughafen man auswählt. Wenn man auf der europäischen Seite wohnen möchte, ist der Atatürk Flughafen sehr viel näher und besser zu erreichen. Der andere Flughafen Sabiha Gökcen liegt auf der anatolischen Seite sehr weit draußen. Es fahren zwar preisgünstig Busse zum Taksim Platz, aber man ist deutlich länger unterwegs. Buddy Programm Die Bilgi Universität hat zudem ein Buddy Programm eingeführt, für welches man sich vorab per Mail einfach registrieren kann. Möchte man das, so bekommt man einen türkischen Studenten+Mailadresse zugewiesen und kann fortan mit ihm Kontakt aufnehmen. Er soll dem Erasmus Student helfen bei der Unterkunftssuche, Zurechtfinden in der Uni und ihn evtl auch vom Flughafen abholen. Auch ich habe mich dafür angemeldet und habe einen türkischen Studenten zugewiesen bekommen. Er bot mir an, mich vom Flughafen abzuholen und auch mit mir nach einem WG-Zimmer zu suchen, während ich in der Zwischenzeit bei ihm wohnen

2 könne. Das Angebot fand ich sehr freundlich und nahm daher an. Leider konnte er mich dann wegen eines Zwischenfalls doch nicht vom Flughafen abholen, sodass ich unglücklicherweise mit dem Taxi fahren musste (was sehr teuer war da ich mir der Entfernung des Flughafens nicht bewusst war). Da ich aber kurzfristig vor meiner Abreise eine Unterkunft gefunden hatte, hatte ich auch nicht die Möglichkeit, auf das Angebot meines Buddys einzugehen. Enttäuschend war allerdings, dass ich nach meiner Ankunft nichts mehr von ihm gehört habe. Im Allgemeinem waren alle anderen Studenten mit denen ich gesprochen habe, eher enttäuscht von ihren buddys. Trotzdem würde ich empfehlen sich anzumelden, weil manche trotzdem gute Erfahrungen gemacht haben und weil es das Ankommen sehr erleichtert, wenn man Unterstützung hat und abgeholt wird. Visum Als Gaststudent muss man in der Türkei ein Visum besitzen. Um ein Studentenvisum sollte man sich frühzeitig kümmern, die Bearbeitung kann bis zu 2 Monaten dauern. Ich ging dafür zum Türkischen Generalkonsulat auf der Heerstraße in Berlin. Wichtig: unbedingt vorher anrufen welche Unterlagen alles gebraucht werden. Ich war mehrmals dort, weil meine Unterlagen nicht vollständig waren und wurde wieder weggeschickt. Das ist deswegen ärgerlich, weil man im Wartebereich 2 Stunden verbringen kann, ehe man aufgerufen wird. Unter anderem ist auch ein polizeiliches Führungszeugnis erforderlich, welches beim Bürgeramt beantragt werden muss. Außerdem kostet das Visum ca. 60 Euro. Unterkunft Bei der Unterkunftsfrage sollte man sich vorher klar werden in welchem Stadtteil man wohnen möchte. Die Uni hat 3 verschiedenen Campusse, die allerdings nicht allzuweit voneinander entfernt sind. Je nachdem auf welchem die Kurse stattfinden, sollte man die Fahrtzeit bedenken. Die Uni bietet einen kostenlosen shuttle service, es fahren also Busse von zentralen Punkten zu allen 3 Campussen. Die meisten Studenten wohnen in den Stadtteilen Beyoglu, Mecidiyeköy oder Besiktas. Diese sind auch recht sicher und abends belebt. Allerdings kann auch die Fahrt zur Uni etwas länger dauern.

3 Ich wollte mir eigentlich erst vor Ort ein Zimmer suchen, um sicher zu sein, dass Heizung/Warmwasser etc. auch funktionieren. Im Vorfeld habe ich trotzdem auf craigslist.com nachgesehen, der gängisten Website für Zimmer/Wohnungen. Gefunden habe ich schlussendlich ein Zimmer durch einen Eintrag in der facebook-gruppe der Erasmus Studenten der Bilgi. Die facebook-gruppe war im Allgemeinen sehr hilfreich, da viele Dinge dort besprochen und Veranstaltungen beworben wurden. Was Mieten für ein WG-Zimmer betrifft, so finde sind diese etwa vergleichbar mit denen in Deutschland. Je zentraler, desto teurer. Ich habe 750 TL (ca 250 ) für ein großes Zimmer in einer schönen Wohnung gezahlt, allerdings in Eyüp, ein sehr konservativer Stadtteil (keine Ausgehgegend) dafür sehr nah an der Uni gelegen (nur 3 min mit dem Bus). Die Mieten liegen zwischen 400 und 900 TL. Abzuraten ist in jedem Fall vom Uni-eigenen Wohnheim. Die Mieten sind völlig überteuert und müssen komplett im Voraus bezahlt werden. Einzelzimmer sind selten und Besuch darf nach 10 Uhr nicht mehr empfangen werden, schon gar keine Männer. Im Allgemeinen sollte man vorab keinesfalls einen Vertrag unterzeichnen oder Geld bezahlen, bevor man die Wohnung nicht gesehen hat. Viele Studenten sind einfach 2 Wochen vor Unibeginn angereist und haben vom Hostel aus Wohnungen besichtigt. Residence Permit Ein eher unangenehmer bürokratischer Termin ist erforderlich mit der Einreise in die Türkei. Spätestens 30 Tage nach Ankunft muss man eine Aufenthaltsgenehmigung bei der Polizeiwache beantragen. Dazu muss online ein Antrag ausgefüllt werden und online auch ein Termin vereinbart werden. Die Universität gibt dazu alle nötigen Infos bei der ersten Veranstaltung bekannt. Wichtig ist: man sollte wirklich so früh wie möglich einen Termin machen. Der Termin den man macht, liegt meist 2-3 Monate voraus. Von diesem Zeitpunkt aus wiederum dauert das Erstellen der residcence permit wieder einen Monat. Die residence permit kostet etwa 180 TL und es werden unter anderem 4 Passfotos benötigt.

4 Telefon Wer sein deutsches Hany behalten möchte und darin quasi nur ein türkische SIM Karte einlegen will, muss dieses Handy beim Steuerbüro registrieren lassen. Das kostet etwa 80 Lira. Sonst wird das Handy gesperrt und kann nicht mehr genutzt werden. Alternative dazu ist, sich in einem Handy-Gebrauchtladen ein türkischen Handy zu kaufen, oder an der Uni türkische Freunde zu fragen ob sie eins übrig haben. Das funktioniert dann ohne Probleme mit einer türkischen SIM Karte. Studium an der Bilgi Die Bilgi Universität ist eine recht neue, private, non-profit Universität. Wie schon erwähnt gibt es 3 verschiedene Campusse. Ich hatte ausschließlich auf dem Santral Campus Unterricht, welches auch der größte und schönste ist. Im Sommer sitzen die Studenten auf der Wiese und im Winter werden die Wege schön geschmückt von den Studenten. Die Unterrichtsräume sind sauber und sehr modern eingerichtet. Es sind viele PCs in den Gängen und außerhalb der Zimmer vorhanden, die man unkompliziert nutzen kann. Eine Mensa gibt es auch, allerdings ist diese im Vergleich zum Imbiss auf der Straße recht teuer. Ich war leider selten dort, da im Unterrichtsplan keine allgemeine Mittagspause vorgesehen ist und ich immer auswärts gegessen habe. Ein Campuseigenes Starbucks ist ebenfalls vorhanden. Auf dem ganzen Unigelände gibt es zudem freies W-Lan, was allerdings nicht in jedem Raum funktioniert. Etwas enttäuschend ist leider die Bibliothek auf dem Santral Campus. Diese ist recht klein und verfügt über wenig Lernmaterialen. Außerdem sind kaum Plätze vorhanden und auch keine Steckdosen für Laptops. Arbeits-und Lernmöglichkeiten sind also nicht wirklich gegeben. Die Registrierung für die Kurse war etwas komplizierter als von zuhause bekannt. So verfügt die Uni über ein online System, in dem sich jeder Student registrieren muss. Die Kurswahl erfolgt in einer bestimmten Woche. Für fachfremde Kurse braucht man eine Zustimmung vom jeweiligen Dozent, man sollte diesen also frühzeitig per Mail kontaktieren, damit er einen freischaltet. Sind die Kurse voll, kann er eventuell noch einen Platz mehr freigeben. In der Woche darauf besucht man seine gewählten Kurse und hat dann noch eine Woche Zeit Kurse fallenzulassen oder hinzuzufügen (add/drop period). Als Tipp sei hier gesagt: lieber von Anfang an mehr Kurse wählen als man machen möchte. Dann kann man sich alle in der ersten Woche ansehen und die besten raussuchen. Ich habe nach der ersten Woche meinen ganzen Plan nocheinmal über den Haufen geworfen und völlig neue Kurse gewählt, das dann aber ohne vorher reingeschnüffelt zu haben.

5 Die Unterrichtssprache an der Bilgi ist Englisch. Alle Dozenten und Mitarbeiter sprechen auch hervorragend englisch, die Studenten allerdings eher schlecht. Daher war es leider auch etwas schwierig mit ihnen in Kontakt zu kommen. Am schnellsten kommt man mit anderen Erasmus-Studenten in Kontakt. Hier sei auch erwähnt, dass überraschendeweise der Großteil aller Erasmusstudenten aus Deutschland kommt. Man hört also auch recht oft deutsch. Die Kursgruppen haben eine angenehmer Größe, max.30 Personen, was ich persönlich sehr gemocht habe. Dadurch nimmt man doch viel mehr mit, beteiligt sich eher am Geschehen und der Dozent kennt einen auch nach einer Weile. Anwesenheit ist meistens Pflicht, das entscheidet der Dozent. Ansonsten sind die Kurse recht interaktiv, es gibt Hausaufgaben, Präsentationen und Gruppenarbeiten. Das erinnerte mich alles etwas mehr an Schule als an Studium. Der Anspruch war für mich nicht zu vergleichen mit meinem Studium, sodass mir das Lernen für die Prüfungen doch eher leicht viel und die Ergebnisse auch entsprechend gut ausfielen. Das Erasmusteam der Bilgi war auch immer sehr zugänglich und verständnisvoll mit jeder Frage oder jedem Zettel der zu unterschreiben war. Zudem gab es ein Voulteer Team, welches in den ersten Wochen des Semesters viel organisiert hat. Angeboten wurden u.a. eine Stadttour, ein gemeinsames Essen, Shisha-Abend, Museumstour etc. Es wurden auch längere Bustouren während der Ferien organisiert für die man sich anmelden konnte. Diese sind sehr zu empfehlen, weil man ein bisschen mehr von der schönen Türkei zu sehen bekommt für vergleichsweise wenig Geld. Ich war mit der Bilgi insgesamt sehr zufrieden und habe mich auf dem Campus und in den Kursen sehr wohl gefühlt. Dass es eine Privatuni ist, merkt man zwar hier und da vor allem an den türkischen Studenten aber trotzdem findet man schnell Anschluss. Alltag/Freizeit Istanbul ist eine wunderschöne Stadt und aus meiner Sicht perfekt für ein Erasmussemester. An Sehenswürdigkeiten hat die Stadt viel zu bieten und auch das Schwarze Meer oder die Prinzeninseln sind nicht weit, wo es sich im Sommer richtig lohnt hinzufahren, um zu baden. Das Leben findet vor allem draußen statt, wo auf der Straße gehandelt wird, wo man in Ruhe isst, Tee trinkt und mit der Fähre fährt. Lernt man die Einheimischen richtig kennen, sind sie sehr hilfsbereit und gastfreundlich. Allerdings sollte man, wenn man noch kein Türkisch kann in jedem Fall einen Kurs belegen. Ich kam mit keinerlei Kenntnissen an und habe mich zuerst sehr hilflos gefühlt, weil ich niemanden verstanden habe und schwerlich kommunizieren konnte. Das Englisch verstanden oder sogar gesprochen wird, ist eher selten, dessen sollte

6 man sich vorher bewusst sein. Auch die Frau hat in der Türkei noch eine andere Rolle als bei uns. Ich hatte weniger Probleme, aber als blonde, große Frau muss man sich in einigen Stadtteilen viele Blicke gefallen lassen. Istanbul bedeutet Großstadt pur, also viel Lärm, überfüllte Straßen, chaotischer Verkehr aber auch viel Kultur, Restaurants, Bars und Clubs. An den Verkehr musste ich mich erst gewöhnen. In der Rushhour kann es einem schon passieren, dass man über das doppelte der Fahrzeit braucht. Außerdem sind alle Verkehrsmittel meist völlig überfüllt. Die Stadt arbeitet daran, das viel zu kleine Metrosystem auszubauen, aber das wird noch eine Weile dauern. Für alle Transportmittel braucht man übrigens ein akbil, eine Guthabenkarte zum Aufladen. Für Studenten gibt es einen günstigen Tarif, mit dem jede Fahrt ca. 1 TL kostet. Die Lebensmittelpreise sind ähnlich günstig wie bei uns, nur dass Obst und Gemüse sehr billig ist, wo hingegen Fleisch, Käse und Alkohol eher teuer sind. Im Allgemeinen kann man aber sehr günstig auf der Straße essen. Kleine Imbisse und Straßenverkäufe bieten viel Auswahl und sind zudem lecker und preiswert. An Nachtleben hat die Stadt viel zu bieten, in der Gegend um den Taksim Platz ist jeden Abend etwas los, auch bis in die späte Nacht. Die Erasmuspartys waren am Anfang gut, wenn man nicht wusste wohin man gehen soll. Später allerdings stellen sich die heimischen Clubs als sehr viel interessanter heraus. Proteste gab es auch während meines Aufenthaltes. Meistens finden diese auf der größten Einkaufsstraße, der Istiklal Caddessi und rund um den Taksimplatz statt. Angekündigt werden sie meistens im Internet oder auch in Zeitungen. Gewöhnlich verlaufen Demos ähnlich friedlich wie bei uns, aber dennoch sollte man sich lieber fernhalten. Wenn Radikale unter den Demonstranten sind, hindert das die Polizei nicht daran, ungehemmt Tränengas und Gummigeschosse einzusetzen gegen alle die sich in der Nähe befinden, auch Passanten. Ich selbst habe nur friedliche Demos erlebt, aber Freunde von mir sind zum Teil in gewalttätige Proteste geraten und haben Wasserwerfer und Tränengas zu spüren bekommen, nur weil die zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Die fünf Monate in Istanbul haben mir sehr viel Spaß gemacht und ich würde jedem empfehlen, ein Auslandssemester hier zu verbringen. Ich habe viele nette Menschen kennengelernt und hatte einen guten Einblick in eine Kultur, die ganz anders ist als die europäische. Ich würde jederzeit wieder die gleiche Wahl treffen, da es eine spannende und intensive Zeit war.