Werkstätten für behinderte Menschen als Tendenzbetriebe. Besonderheiten der Mitbestimmung des Betriebsrates. Fachvortrag am 09.
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- Eleonora Gehrig
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1 Werkstätten für behinderte Menschen als Tendenzbetriebe Besonderheiten der Mitbestimmung des Betriebsrates Fachvortrag am 09. März 2012 Sandra Meinke Rechtsanwältin und Fachanwältin für Arbeitsrecht, Barkhoff & Partner GbR, Bochum
2 Definition des Tendenzbetriebs ( 118 Betriebsverfassungsgesetz BetrVG): Auf Unternehmen und Betriebe, die unmittelbar und überwiegend politischen, koalitionspolitischen, konfessionellen, karitativen, erzieherischen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Bestimmungen (...) dienen, finden die Vorschriften dieses Gesetzes keine Anwendung, soweit die Eigenart des Unternehmens oder des Betriebs dem entgegensteht. Die 106 bis 110 sind nicht, die 111 bis 113 nur insoweit anzuwenden, als sie den Ausgleich oder die Milderung wirtschaftlicher Nachteile für die Arbeitnehmer in Folge von Betriebsänderungen regeln.
3 A Voraussetzungen für die Anerkennung als Tendenzbetrieb: I Unternehmen (Rechtsträger der Einrichtung/ juristische Person/ Konzern) und Betrieb (sämtliche Mittel, mit denen Arbeitgeber und Arbeitnehmer den Zweck der Einrichtung verfolgen, beispielsweise Räume, Maschinen, Fahrzeuge etc.). Sowohl das Unternehmen als auch der konkrete Betrieb müssen Tendenzzwecken dienen.
4 II Dient unmittelbar tendenzgeschützten Zwecken Das Unternehmen muss selbst die tendenzgeschützten Zwecke verwirklichen. Unterstützung eines anderen Unternehmens, das Tendenzzwecke verfolgt, reicht nicht aus. Entscheidend: Erarbeiten und Beeinflussen die Arbeitnehmer die Tendenz? III Dient überwiegend tendenzgeschützten Zwecken Quantitativ - numerische Ermittlung erforderlich, ob der Einsatz von Personal und Mitteln zu tendenzgeschützten Zwecken überwiegt, also mehr als 50 % beträgt.
5 IV Tendenzgeschützter Zweck: Karitative Bestimmung Karitas (lat., sinngemäß): uneigennütziges Wohlwollen Der Tendenzzweck muss sich aus der Satzung/dem Gesellschaftsvertrag der Einrichtung ergeben. Setzt - freiwillige (ohne bestehende Gesetzespflicht) und - uneigennützige (ohne Gewinnerzielungsabsicht) Tätigkeit der Einrichtung voraus. Für WfbM gem. 136 SGB IX ist anerkannt, dass sie Tendenzbetrieb ist, wenn die obigen Voraussetzungen sämtlich erfüllt sind (BAG , Az: 1 ABR 35/94).
6 B Folgen der Tendenzeigenschaft: Zwei Formen: Ausschluss der Mitbestimmung des Betriebsrates -> BR muss gar nicht beteiligt werden Einschränkung der Mitbestimmung des Betriebsrates -> BR darf meist nicht mit entscheiden, muss aber informiert werden I Ausschluss der Mitbestimmung des Betriebsrats: Bei wirtschaftlichen Angelegenheiten ( 106 bis 110 BetrVG) - Insbesondere: keine Bildung eines Wirtschaftsausschusses.
7 II Einschränkungen der Mitbestimmungsrechte 1) Wirtschaftliche Angelegenheiten ( BetrVG) Bei Betriebsänderungen ( 111 BetrVG) ist - kein Abschluss eines Interessenausgleichs erforderlich (Einigung über Ob und Wie der Maßnahme), - aber die Herbeiführung eines Sozialplans (Einigung über Ausgleich oder Milderung der wirtschaftlichen Nachteile für die Arbeitnehmer). Ebenso erforderlich: Umfassende Informationen des Betriebsrats über die geplante Betriebsänderung vor deren Durchführung. Bei fehlender Information: Nachteilsausgleichsansprüche der Arbeitnehmer möglich ( 113 Abs. 3 BetrVG).
8 Zusätzliche Voraussetzung der Einschränkung der Mitbestimmung bei sonstigen Angelegenheiten: Einschränkungen der Mitbestimmungsrechte erfolgen nur, wenn eine Maßnahme gegenüber einem Tendenzträger erfolgt und Tendenzbezug hat. Tendenzträger: Arbeitnehmer, der auf die Tendenzverwirklichung maßgeblichen und verantwortlichen Einfluss nehmen kann. Erforderlich ist ein unmittelbarer, eigener maßgeblicher Einfluss auf die Tendenzverwirklichung. Bei karitativen oder erzieherischen Einrichtungen muss im Verhältnis zur Gesamtarbeitszeit der größte Teil der Arbeitszeit tendenzfördernd verwendet werden. Beispiel: Zeitungsredakteur, Orchestermusiker, Privatschullehrer.
9 In der WfbM: a) Gruppenleiter: Kann je nach Ausgestaltung der Tätigkeit Tendenzträger sein. Strenge Anforderungen: Tätigkeit muss auf die Tendenzverwirklichung Einfluss nehmen können; Tendenzverwirklichung muss einen bedeutenden Anteil an der Gesamtarbeitszeit ausmachen; AN muss dabei im Wesentlichen frei über die Aufgabenerledigung entscheiden können (darf also nicht einem umfassenden Weisungsrecht oder Sachzwängen unterliegen); inhaltlich gestaltender Spielraum notwendig, z.b. (Mit-)Entscheidung über Art der Hilfe für die behinderten Beschäftigten; Einbezug des AN in bedeutende planerische, konzeptionelle und administrative Entscheidungen erforderlich. b) Sozialer Dienst/Begleitender Dienst: Wird unterschiedlich bewertet, je nach Inhalt der Tätigkeit; wenn überwiegend verwaltende, hauswirtschaftliche, gesundheitsvorsorgende Tätigkeit: Kein Tendenzträger. Wenn überwiegend tendenzverwirklichende, frei gestaltbare pädagogische/therapeutische Tätigkeit: Tendenzträger möglich.
10 c) Verwaltung: Üblicherweise keine Tendenzträger, da keine frei gestaltbare pädagogische/therapeutische, sondern administrative Tätigkeit. d) Werkstattleitung Ist je nach Einzelfall zu bewerten: Wenn sie an organisatorischer und inhaltlicher Überwachung und Durchführung der Maßnahmen mitwirkt und Konzeptarbeit leistet, kann sie Tendenzträger sein. Wenn sie rein betriebswirtschaftliche Aufgaben erfüllt, ist sie kein Tendenzträger.
11 Tendenzbezug der Maßnahme: Entscheidend ist der Grund für die Durchführung der Maßnahme. Erfolgt die Maßnahme zur Verwirklichung der Tendenz (beispielsweise Änderung der Pädagogik) liegt Tendenzbezug vor. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats entfällt oder ist eingeschränkt. Erfolgt die Maßnahme aus betrieblichen Gründen (z. B. zur Verbesserung des Betriebsablaufs), besteht keine Tendenzbezogenheit. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats besteht in vollem Umfang.
12 Fortsetzung: II Einschränkungen der Mitbestimmungsrechte 2) Organisatorische Vorschriften ( 1-73 BetrVG) sind anwendbar, da sie die Abläufe der BR-Tätigkeit betreffen. Diese sind tendenzneutral und in jedem Unternehmen gleich. Beispiel: Durchführung der Wahl, Zusammensetzung des Betriebsrats, Beschlussfassung, Kostenübernahmeanspruch gegen den Arbeitgeber, Regelungen zu Betriebsversammlungen
13 3) Allgemeine Vorschriften über die Mitbestimmung ( BetrVG) sind generell ohne Einschränkung anwendbar, da sie grundlegende Fragen zur Art der Zusammenarbeit zwischen BR und Arbeitgeber regeln. Diese sind in allen Unternehmen gleich. Beispiel: Regelungen zur Einigungsstelle, zu Betriebsvereinbarungen, allgemeine Aufgaben des Betriebsrats etc. Ausnahme: 75 Abs. 2 BetrVG (Freie Entfaltung der Persönlichkeit der Arbeitnehmer) -> In Tendenzunternehmen dürfen die Tendenzträger sich nicht dem Tendenzzweck zuwider verhalten; die Entfaltung der Persönlichkeit wird daher durch den Tendenzzweck begrenzt.
14 4) Soziale Angelegenheiten ( BetrVG) Regelungen sind grundsätzlich ohne Einschränkungen anwendbar, da es meist um den wertneutralen Arbeitsablauf des Betriebes geht. Beispiel: Gestaltung von Arbeitsplatz und Arbeitsablauf, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit, vorübergehende Verkürzung oder Verlängerung der Arbeitszeit, Aufstellung des Urlaubsplans, Regelungen zur Verhütung von Arbeitsunfällen etc. Ausnahmen sind möglich, beispielsweise bezüglich der Arbeitszeitgestaltung: Beispiel: Einführung von Nachmittagsunterricht in einer Privatschule aus pädagogischen Gründen. Beispiel: Änderung der Arbeitszeit eines pädagogischen Mitarbeiters einer Trainingswohngruppe aus pädagogischen Gründen (Förderung des Selbstständigwerdens der behinderten Menschen) (LAG Hamm , Aktenzeichen 10 TaBV 85/09).
15 5) Personelle Angelegenheiten ( BetrVG) Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats sind häufig eingeschränkt BetrVG: Innerbetriebliche Ausschreibung von Arbeitsplätzen. ->Uneingeschränkt anwendbar Abs. 2, 95 BetrVG: Beurteilungsgrundsätze, Auswahlrichtlinien für Einstellungen, Versetzungen. -> Grundsätzlich eingeschränkte Mitbestimmungsrechte des BR; BR hat keine Mitentscheidungs-, sondern nur Informations- und Anhörungsrechte.
16 - 96, 97 BetrVG: betriebliche Berufsbildung -> Mitbestimmungsrechte bestehen ohne Einschränkung BetrVG: betriebliche Bildungsmaßnahmen -> Soweit Tendenzträger betroffen sind, sind die Mitbestimmungsrechte des BR eingeschränkt. Der Betriebsrat muss angehört werden, kann aber nicht mitentscheiden.
17 - 99 BetrVG: personelle Einzelmaßnahmen a) Einstellungen und Versetzungen: -> Mitbestimmungsrechte des BR sind (bei Tendenzträgern und Tendenzbezug der Maßnahme (dieser wird vermutet)) eingeschränkt. -> BR muss angehört werden. Er hat aber kein Recht zur Verweigerung der Zustimmung. -> Äußert der Betriebsrat Bedenken, muss sich der Arbeitgeber hiermit jedoch auseinandersetzen. Die Entscheidung über die Maßnahme darf daher wohl erst nach Ablauf der Frist für die Stellungnahme des Betriebsrats (eine Woche) erfolgen.
18 b) Ein- und Umgruppierungen: -> Keine Einschränkung der Rechte des Betriebsrats. -> Grund: Zur Ein- oder Umgruppierung ist keine Rechtsgestaltung erforderlich, sondern reine Rechtsanwendung. BR beurteilt daher nur mit, ob die Ein- oder Umgruppierung korrekt nach dem Vergütungssystem erfolgt
19 - 102 BetrVG: Kündigungen -> Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats ist eingeschränkt, wenn die Kündigung gegenüber einem Tendenzträger erfolgt und Tendenzbezug hat. -> Der Betriebsrat muss angehört werden. -> Äußert er Bedenken, muss der Arbeitgeber sich hiermit auseinandersetzen. Er muss die Bedenken jedoch nicht berücksichtigen. -> Dem Betriebsrat steht kein Widerspruchsrecht gegen die Kündigung zu (Ausnahme: Das Arbeitsverhältnis wird nicht aus tendenzbedingten, sondern aus anderen Gründen gekündigt Beispiel: Kündigung, weil der Arbeitnehmer die beschäftigten Menschen mit Behinderung mit beleidigendem Inhalt anschreit: Tendenzbezug besteht, weil pädagogisch angemessenes Verhalten missachtet wird. Kündigung, weil der Arbeitnehmer Kollegen mit beleidigendem Inhalt anschreit: Tendenzbezug besteht nicht, weil solches Verhalten von dem karitativen Zweck der WfbM unabhängig ist).
20 - 103 BetrVG: Kündigung eines Betriebsratsmitglieds -> Die Betriebsratsrechte sind eingeschränkt. -> Der Betriebsrat muss angehört werden. -> Es ist aber keine Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung erforderlich, wenn ein Tendenzträger aus tendenzbedingten Gründen gekündigt wird (BAG , Aktenzeichen 2 ABR 48/02).
21 Zum Gebrauch dieser Informationen Die obigen Informationen wurde erstellt als unverbindliches Vortragsskript. Das Arbeitsrecht ändert sich jedoch schnell. Es ist deswegen nicht ausgeschlossen, dass Teile der Informationen bereits bald überarbeitungsbedürftig werden, wenn sich Gesetze oder Rechtsprechung ändern. Die Informationen sind geeignet als Orientierungshilfe und als erste Grundlage für allgemeine Vorkehrungen in Personalangelegenheiten. Sie ersetzen jedoch keine Rechtsberatung im Einzelfall. Sie sind nicht so detailliert, wie eine Rechtsberatung in einer konkreten Angelegenheit dies erfordert, und lassen Einzelheiten durchaus weg. Es ist daher möglich, dass eine Rechtsberatung im Einzelfall zu einem anderen Ergebnis gelangt als es nach den obigen Informationen zu erwarten wäre. Denn jeder Einzelfall ist individuell einzuschätzen und zu behandeln.
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