Zeitliche Entwicklung von Bildungsunterschieden im Rauchverhalten von Jugendlichen in Deutschland: Ergebnisse aus vier bevölkerungsweiten Studien
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- Reinhardt Förstner
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1 Zeitliche Entwicklung von Bildungsunterschieden im Rauchverhalten von Jugendlichen in Deutschland: Ergebnisse aus vier bevölkerungsweiten Studien Benjamin Kuntz 1, Julia Waldhauer 1, Irene Moor 2, Katharina Rathmann 3, Matthias Richter 2, Boris Orth 4, Daniela Piontek 5, Ludwig Kraus 5,6, Johannes Zeiher 1, Thomas Lampert 1 1 Robert Koch-Institut Berlin, 2 IMS Universität Halle-Wittenberg, 3 Fakultät Rehabilitationswissenschaften TU Dortmund, 4 BZgA Köln, 5 IFT München, 6 SoRAD Stockholm 1
2 COI-Deklaration 2
3 Ergebnisse zum Nachlesen...erscheinen in der Januarausgabe des Bundesgesundheitsblatts. 3
4 Hintergrund Reduktion des Tabakkonsums in der Bevölkerung und Nichtraucherschutz primäre Handlungsfelder der Gesundheits- und Suchtpolitik Kinder und Jugendliche sind wichtigste Zielgruppe für Tabakprävention/ Nichtraucherschutz In den letzten Jahren: zahlreiche Maßnahmen, um v.a. Kinder und Jugendliche vor den gesundheitlichen Gefahren des Rauchens und Passivrauchens zu schützen mehrstufige Tabaksteuererhöhungen > Preisanstieg bei Zigaretten etc. Nichtraucherschutzgesetze des Bundes und der Länder: weitreichende Rauchverbote in öffentlichen Gebäude und Verkehrsmitteln, Schulen, Gaststätten, Diskotheken etc. Änderung 10 Jugendschutzgesetz: Anhebung der Altersgrenze für den Erwerb und den Konsum von Tabakprodukten in der Öffentlichkeit von 16 auf 18 Jahre Ausweitung bevölkerungs- und settingbezogener Programme und Kampagnen Sozialepidemiologische Studien: höhere Rauchprävalenzen und stärkere Passivrauchbelastung in sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen 4
5 Fragestellungen 1. Wie hat sich der Tabakkonsum bei Jugendlichen insgesamt entwickelt (seit Beginn der 2000er Jahre)? 2. Wie hat sich das Ausmaß von Bildungsunterschieden im Tabakkonsum bei Jugendlichen entwickelt? 5
6 Datengrundlage (I) 6
7 Datengrundlage (II) 1. Repräsentativerhebungen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) Datenhalter: BZgA, Köln Teilnehmerzahl: ca Methode: Telefoninterviews Alter: Jahre, getrennte Darstellung für Jugendliche (12-17 Jahre) und junge Erwachsene (18-25 Jahre) Erhebungsturnus: regelmäßig seit 1973; zuletzt 2015 (bundesweit) 2. Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS) Datenhalter: Robert Koch-Institut (RKI), Berlin Teilnehmerzahl: (KiGGS-Basiserhebung), (KiGGS Welle 1) Methode: schriftliche Befragung (KiGGS-Basis), Telefoninterviews (KiGGS Welle 1) Alter: 0-17 Jahre (Fragen zum Substanzkonsum an Jugendliche ab 11 Jahren) Erhebungsturnus: KiGGS-Basiserhebung ( ), KiGGS Welle 1 ( ), KiGGS Welle 2 ( ) (bundesweit) 7
8 Datengrundlage (III) 3. Studie Health Behaviour in School-aged Children (HBSC) Datenhalter: von der WHO geförderte internationale Vergleichsstudie; Studienleitung D: Universität Halle-Wittenberg Teilnehmerzahl: ca Methode: schriftliche Befragung von Schulklassen Alter: Jahre Erhebungsturnus: alle vier Jahre seit 1982; deutsche Beteiligung seit 1993/94 (zunächst nur NRW); 2001/2002 und 2005/2006 haben mehrere Bundesländer (BL) teilgenommen, die in einen für D strukturtypischen Datensatz überführt wurden; 2009/10: alle BL außer Baden-Württemberg; zuletzt 2013/2014 (alle BL) 4. Europäische Schülerstudie zu Alkohol und anderen Drogen (ESPAD) Datenhalter: internationale Vergleichsstudie; Studienleitung D: IFT Institut für Therapieforschung, München Teilnehmerzahl: ca (zuletzt ca ) Methode: schriftliche Befragung von 9. und 10. Schulklassen Alter: hauptsächlich 15 und 16 Jahre Erhebungsturnus: seit 1995 alle vier Jahre; deutsche Beteiligung seit 2003 (fünf Bundesländer); zuletzt 2015 (nur Bayern) 8
9 Indikatoren zum Rauchverhalten Unterschiedliche Operationalisierung in den Studien BZgA: Die Befragten werden um eine Selbsteinschätzung ihres Rauchstatus gebeten ( ständiger Raucher, Gelegenheitsraucher, Nichtraucher ). Personen, die bei der vorherigen Frage angaben, nie geraucht zu haben, werden als Nieraucher gesondert erfasst. Die Raucherquote entspricht dem Anteil derjenigen, die angeben, gegenwärtig Gelegenheitsraucher oder ständiger Raucher zu sein. KiGGS: Die Jugendlichen werden gefragt, wie oft sie zurzeit rauchen ( täglich, mehrmals pro Woche, einmal pro Woche, seltener als einmal pro Woche, gar nicht ). Als aktuelles Rauchen wird dabei unabhängig von der Frequenz jeglicher Tabakkonsum verstanden. Darüber hinaus wird der Anteil täglicher Raucher bestimmt. HBSC: Die Schüler werden gefragt, wie oft sie zurzeit rauchen ( jeden Tag, einmal pro Woche, seltener als einmal pro Woche, nie. Als regelmäßige Raucher gelten alle Jugendlichen, die mindestens einmal pro Woche rauchen. Zusätzlich lässt sich auch hier der Anteil täglicher Raucher bestimmen. ESPAD: Die Schüler werden gefragt, wie viele Zigaretten (Zig.) sie in den letzten 30 Tagen geraucht haben ( keine, weniger als 1 Zig./Woche, weniger als 1 Zig./Tag, 1-5 Zig./Tag, 6-10 Zig./Tag, Zig./Tag, mehr als 20 Zig./Tag ). Diejenigen, die angeben, in den letzten 30 Tagen Zig. geraucht zu haben, werden unabhängig von der Menge als aktuelle Konsumenten betrachtet. Tägliche Raucher = mind. eine Zig./Tag 9
10 Neue Vielfalt an weiterführenden Schulformen Klassische Schulen der Sekundarstufe: Hauptschule, Realschule, Gymnasium Heute zählen die Gesamtschule ebenso dazu wie alle neu geschaffenen Schulformen: Regionalschule (Rheinland-Pfalz, Mecklenburg-Vorpommern), Erweiterte Realschule (Saarland), Realschule plus (Rheinland-Pfalz ab 2009/10), Mittelschule (Bayern), Oberschule (Brandenburg, Bremen, Niedersachsen, Sachsen), Regelschule (Thüringen), Sekundarschule (Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen), Stadtteilschule (Hamburg), Gemeinschaftsschule (Baden-Württemberg), Werkrealschule (Baden-Württemberg). 10
11 Warum ist es sinnvoll nur noch zwischen zwei Bildungsgruppen zu differenzieren? "Angesichts der inzwischen sehr heterogenen Schulformen in Deutschland und zahlreichen integrierten Schularten ist die Darstellung der Bildungsniveaus in den bislang vorherrschenden dreigliedrigen Schularten nicht mehr sinnvoll. Eine eindeutige Differenzierung und Vergleichbarkeit ist nur zwischen dem Gymnasium auf der einen Seite und den unterschiedlichen Bildungsgängen vom Hauptschulabschluss bis zur Mittleren Reife auf der anderen Seite möglich. Demnach umfasst die Bezeichnung Haupt-/Realschule neben klassischen Haupt- und Realschulen auch Gesamtschulen, Werkrealschulen, Regionalschulen etc. Die Bezeichnungen variieren je nach Bundesland deutlich. Jugendliche in Ausbildung werden gemäß ihrem höchsten Bildungsabschluss eingeordnet" (mpfs 2015: 5). 11
12 Bildungsunterschiede quantifizieren Absolut vs. Relativ Um Bildungsunterschiede im Rauchverhalten und deren zeitliche Entwicklung zu quantifizieren, können sowohl absolute Unterschiede (als Prävalenzdifferenz) als auch relative Unterschiede (als Prävalenzverhältnis) betrachtet werden. Prävalenzdifferenz (A-B): Abstand zwischen Gruppe A und B in Prozentpunkten Prävalenzverhältnis (A/B): Faktor, um den die Prävalenz in Gruppe A gegenüber Gruppe B erhöht ist Prävalenzdifferenz Prävalenzverhältnis 2,0 2,0 3,0 12
13 Zeitliche Entwicklung des Anteils jugendlicher Raucher in Deutschland Quellen: BZgA, KiGGS, HBSC, ESPAD (Kuntz et al. 2018) * Statistisch signifikanter Unterschied zum Referenzwert der jeweils aktuellsten Studienwelle 13
14 Zeitliche Entwicklung des Anteils jugendlicher Raucher in Deutschland Quellen: BZgA, KiGGS, HBSC, ESPAD (Kuntz et al. 2018) * Statistisch signifikanter Unterschied zum Referenzwert der jeweils aktuellsten Studienwelle 14
15 Zeitliche Entwicklung des Anteils jugendlicher Raucher in Deutschland Quellen: BZgA, KiGGS, HBSC, ESPAD (Kuntz et al. 2018) * Statistisch signifikanter Unterschied zum Referenzwert der jeweils aktuellsten Studienwelle 15
16 Zeitliche Entwicklung des Anteils jugendlicher Raucher in Deutschland Quellen: BZgA, KiGGS, HBSC, ESPAD (Kuntz et al. 2018) * Statistisch signifikanter Unterschied zum Referenzwert der jeweils aktuellsten Studienwelle 16
17 Zeitliche Entwicklung der Bildungsunterschiede im Rauchverhalten 12- bis 17-jähriger Schüler in der Sek. I Quelle: Repräsentativerhebungen der BZgA (Kuntz et al. 2018) * Statistisch signifikanter Unterschied zum Referenzwert der jeweils aktuellsten Studienwelle Prävalenzdifferenz 5,6 9,5 7,5 7,5 8,8 12,6 7,0 7,5 3,8 4,1 4,3 Prävalenzverhältnis 1,3 1,7 1,5 1,7 2,2 3,9 2,3 2,6 1,6 1,9 2,6 17
18 Zeitliche Entwicklung der Bildungsunterschiede im Rauchverhalten 11- bis 17-jähriger Jugendlicher Quelle: KiGGS-Basiserhebung ( ) und KiGGS Welle 1 ( ) (Kuntz et al. 2018) * Statistisch signifikanter Unterschied zum Referenzwert der jeweils aktuellsten Studienwelle KiGGS-Basis KiGGS Welle 1 KiGGS-Basis KiGGS Welle 1 Prävalenzdifferenz 10,7 6,9 10,6 5,7 Prävalenzverhältnis 1,8 1,9 2,8 4,4 18
19 Zeitliche Entwicklung der Bildungsunterschiede im regelmäßigen Tabakkonsum 15-jähriger Jugendlicher Quelle: HBSC-Studie (Kuntz et al. 2018) Prävalenzdifferenz 18,3 10,8 14,4 11,8 Prävalenzverhältnis 1,9 1,8 3,1 3,1 * Statistisch signifikanter Unterschied zum Referenzwert der jeweils aktuellsten Studienwelle 19
20 Zeitliche Entwicklung der Bildungsunterschiede im täglichen Tabakkonsum 15-jähriger Jugendlicher Quelle: HBSC-Studie (Kuntz et al. 2018) Prävalenzdifferenz 19,3 11,8 11,4 9,5 Prävalenzverhältnis 2,3 2,6 3,9 4,8 * Statistisch signifikanter Unterschied zum Referenzwert der jeweils aktuellsten Studienwelle 20
21 Zeitliche Entwicklung der Bildungsunterschiede im Rauchverhalten 15- bis 16-jähriger Jugendlicher Quelle: ESPAD-Studie Bayern 2003, 2007, 2011 und 2015 (Kuntz et al. 2018) Prävalenzdifferenz 19,6 10,5 18,2 17,8 Prävalenzverhältnis 1,6 1,3 1,7 1,9 * Statistisch signifikanter Unterschied zum Referenzwert der jeweils aktuellsten Studienwelle 21
22 Zeitliche Entwicklung der Bildungsunterschiede im tägl. Rauchverhalten 15- bis 16-jähriger Jugendlicher Quelle: ESPAD-Studie Bayern 2003, 2007, 2011 und 2015 (Kuntz et al. 2018) Prävalenzdifferenz 22,9 18,1 23,1 15,3 Prävalenzverhältnis 2,3 2,3 3,3 3,1 * Statistisch signifikanter Unterschied zum Referenzwert der jeweils aktuellsten Studienwelle 22
23 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen Insgesamt ist der Anteil der jugendlichen Raucher in Deutschland seit Beginn der 2000er Jahre deutlich zurückgegangen. Die Rauchprävalenz hat sich in allen Bildungsgruppen substanziell verringert. Während die absoluten Bildungsunterschiede (Prävalenzdifferenz) über die Zeit eher abgenommen haben, haben die relativen Bildungsunterschiede (Prävalenzverhältnis) eher zugenommen. Jugendliche, die ein Gymnasium besuchen, rauchen nach wie vor deutlich seltener als Gleichaltrige an anderen Schulen. Die Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung zielgruppen- und settingspezifischer Interventionen. Tabakprävention in Schulen hat den Vorteil, dass durch die allgemeine Schulpflicht alle Personen eines schulpflichtigen Jahrgangs erreicht werden. Verhältnis- und verhaltenspräventive Maßnahmen sollten ein besonderes Augenmerk auf Haupt-, Real- und Gesamtschulen richten. Frage: Wie lassen sich die Schulformunterschiede erklären und welchen Beitrag hat die verstärkte Tabakkontrollpolitik zu der skizzierten Entwicklung beigetragen? 23
24 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit de Looze M, ter Bogt T, Hublet A et al. (2013) Trends in educational differences in adolescent daily smoking across Europe, Eur J Public Health 23 (5): Kraus L, Piontek D, Seitz N-N et al. (2016) Europäische Schülerstudie zu Alkohol und anderen Drogen 2015 (ESPAD): Befragung von Schülerinnen und Schülern der 9. und 10. Klasse in Bayern. IFT-Berichte Band 188. IFT Institut für Therapieforschung, München Kuntz B, Waldhauer J, Moor I et al. (2018) Zeitliche Entwicklung von Bildungsunterschieden im Rauchverhalten von Jugendlichen in Deutschland. Ergebnisse aus vier bevölkerungsweiten Studien. Bundesgesundheitsblatt 61 (1) (im Druck) Kuntz B, Lampert T (2016) Tabakkonsum und Passivrauchbelastung bei Jugendlichen in Deutschland. Verbreitung, zeitliche Entwicklung und soziale Unterschiede. Deutsches Ärzteblatt International 113 (3): Lampert T, Kuntz B, KiGGS Study Group (2014) Tabak- und Alkoholkonsum bei 11- bis 17-jährigen Jugendlichen. Ergebnisse der KiGGS- Studie Erste Folgebefragung (KiGGS Welle 1). Bundesgesundheitsblatt 57 (7): Moor I, Schumann N, Hoffmann L et al. (2016) Tabak-, Alkohol- und Cannabiskonsum im Jugendalter. In: Bilz L, Sudeck G, Bucksch J et al. (Hrsg) Schule und Gesundheit. Ergebnisse des WHO Jugendgesundheitssurveys "Health Behaviour in School-aged Children". Beltz Juventa, Weinheim und Basel, S Orth B (2016) Die Drogenaffinität Jugendlicher in der Bundesrepublik Deutschland Rauchen, Alkoholkonsum und Konsum illegaler Drogen: aktuelle Verbreitung und Trends. BZgA-Forschungsbericht. BZgA, Köln Richter M, Leppin A (2007) Trends in socio-economic differences in tobacco smoking among German schoolchildren, Eur J Public Health 17 (6): Kontakt Dr. Benjamin Kuntz Robert Koch-Institut Abt. für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring FG 28 Soziale Determinanten der Gesundheit b.kuntz@rki.de 24
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