Offshoring und neue Formen der (Wissens-)Arbeitsteilung Handlungsmöglichkeiten für Gewerkschaften und Betriebsräte
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- Florian Heidrich
- vor 8 Jahren
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1 Helga Schwitzer Geschäftsführendes Vorstandsmitglied Rede anlässlich der Konferenz Zeitenwende für Hochqualifizierte Veränderte Koordinaten der Angestelltenarbeit? Offshoring und neue Formen der (Wissens-)Arbeitsteilung Handlungsmöglichkeiten für Gewerkschaften und Betriebsräte 3. Februar 2010, Frankfurt - es gilt das gesprochene Wort -
2 Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, Arbeitsteilung von Wissensarbeit hängt unweigerlich mit Globalisierung zusammen. Globalisierung ist ein Ausgangspunkt für die Internationalisierung von Arbeit und für eine neue Arbeitsteilung in der Wissensarbeit. Gleichzeitig beschleunigt die Internationalisierung von Wissensarbeit die Globalisierung. Diese ist ja tatsächlich ein Prozess mit zwei Seiten. Natürlich profitiert Deutschland als starke Volkswirtschaft von der Globalisierung. Deutschland ist trotz der aktuellen Wirtschaftskrise sehr exportorientiert und war mehrfach Exportweltmeister. Aber wir müssen auch sehen, dass die Menschen Globalisierung auf ganz unterschiedliche Weise erleben, und das eigene Erleben prägt die Einstellung. Als IG Metall erleben wir die Internationalisierung mit ganz unterschiedlichen Vorzeichen. Ein besonders bedrückendes Beispiel ist der komplette Stopp der Handy- Produktion in Deutschland mit einem ersatzlosen Wegfall tausender Arbeitsplätze. Aber auch in den Konzernen der Automobilindustrie versuchen die Unternehmen, die Arbeitnehmer gegeneinander auszuspielen. Und auch das stellen wir fest: Seit langem beschränken sich die Folgen der Globalisierung nicht auf die Verlagerung von Produktionsarbeitsplätzen. In administrativen Bereichen ist eine Zusammenlegung von Buchhaltungs- und Verwaltungsarbeiten in sogenannte Shared Services-Gesellschaften stark fortgeschritten. In Forschungs- und Entwicklungsbereichen wird alleine zur Nutzung des 24-Stunden-Tages und dem Bedürfnis, rund um die Uhr zu entwickeln, international vernetzt gearbeitet. In solchen Entwicklungsnetzwerken geht es vielleicht noch darum, wer die Projektleitung inne hat. Diese globalisierten Arbeitsformen sind in global agierenden Konzernen zu finden, die sich aus Gründen der Gewinnmaximierung oder aus ihrer Sicht zur verbesserten Wettbewerbsfähigkeit global aufstellen. In IT-Unternehmen gibt es neben Nearshoring, das heißt, der Verlagerung in osteuropäische Länder, das Offshoring, meist nach Asien und, weil es neutraler klingt, das Best-Shoring oder auch Best-Sourcing. Betriebsräte werden mit Hitlisten der Firmen sortiert nach Near-, Off- oder Bestshoring-Anteil am Umsatz konfrontiert. Im Produktionsbereich gibt es bereits wieder Rückverlagerungs-Bewegungen, wie die Fraunhofer Gesellschaft analysiert hat. Bezogen auf die Wissensarbeit ist im Moment nur eines klar. Es handelt sich nicht um eine Modeerscheinung. Informationstechnologie als Arbeits- und Kommunikationsmittel forciert die Globalisierung von Wissensarbeit. 2
3 Rückverlagerung im IT- oder F&E-Bereich gibt es höchstens aufgrund von Datenschutzgründen. Viele Kunden wollen nicht, dass ihre sensiblen Daten globalisiert werden. Länder und Kommunen stellen die Anforderung an IT-Dienstleister, dass Daten nur in Deutschland verwaltet und bearbeitet werden dürfen. In der IT-Branche herrschte bis vor fünf Jahren das Bild vor: Wir sind die Vorreiter der Globalisierung, wir sind diejenigen, die Innovationen schaffen und die Zukunft kreativ gestalten. Aber das hat sich in den letzten Jahren verändert. Die Branche wächst zwar immer noch, aber es treten Risse und Brüche auf, die in eine andere Richtung weisen. Die Beschäftigten nehmen die Globalisierung immer mehr als Bedrohung wahr. Denn in den Betrieben erleben sie, dass der Kostendruck immer stärker wird. Die Interessen der Shareholder rücken in den Mittelpunkt und viele fragen sich: Was steht eigentlich im Zentrum des Unternehmens: Die Rendite oder die Qualität der Produkte und Dienstleistungen? Was ist die treibende Kraft in den Unternehmen? Internationale Benchmarks oder die Mitarbeiter, die kreativ Lösungen umsetzen wollen? Die Beschäftigten erleben, dass auch in der IT-Branche, im Maschinenbau, in der Elektroindustrie Jobs abgebaut oder verlagert werden. Und zwar nicht nur in der Produktion. Auch in hochqualifizierten Bereichen. Es sind in der aktuellen Wirtschaftskrise viele Arbeitsplätze von Ingenieuren und im kaufmännischen Mittelbau bedroht. Ich will nur einige Beispiele nennen: Bei Harmann Becker. Bei Heidelberger Druck. Beim Daimler in Sindelfingen werden Diplomanden und Doktoranden nur noch in homöopathischen Dosen übernommen. Bei Nokia Siemens Networks (NSN) stehen Arbeitsplätze auf der Kippe. Bei Siemens IT Solutions and Services (SIS) kämpfen die Kolleginnen und Kollegen gegen die Ausgliederung aus Siemens, weil auch sie ihre Arbeitsplätze bedroht sehen. Bei Opel sind nach wie vor auch Arbeitsplätze in den Angestelltenbereichen gefährdet. Bei Alcatel/Lucent, Avaya, HP/EDS und T-Systems werden Arbeitsplätze von Hochqualifizierten wegfallen. 3
4 Bei den Automobil-Entwicklungsdienstleistern Volke und Bertrandt gibt es eine massive Krise und nach Kurzarbeit Null Entlassungen. Silicon Image schließt seinen Standort in Hannover und entlässt knapp 150 Ingenieure und Ingenieurinnen in die Arbeitslosigkeit. Hier ist allerdings ein differenzierter Blick notwendig: auf der einen Seite sind Unternehmen von der Wirtschaftskrise betroffen, auf der anderen Seite ist es klare Unternehmensstrategie, Arbeitsplätze von Angestellten, IT-Beschäftigten und Ingenieuren in Deutschland abzubauen. Eben um an internationalen Märkten präsent zu sein, das heißt zum Beispiel zu entwickeln, wo produziert wird. Und es geht einfach um höhere Gewinnmargen. Darüber hinaus bauen einige Konzerne IT- und F&E-Arbeitsplätze direkt im Ausland auf, und es handelt sich nicht um eine Verlagerung. Das schafft natürlich bei vielen Unsicherheit. Den jüngsten Großkonflikt hatten wir bei EDS, da HP über 1000 IT-Beschäftigte entlassen wollte. Ein Treiber des Stellenabbaus war das best-shoring. Der Betriebsrat, IG Metall und ver.di haben sich mit den Beschäftigten für die Handlungsoption Streik entschieden. Was heißt das für die Beschäftigten? All das, was bis vor einigen Jahren noch charakteristisch für die Wissensarbeit war, nämlich: Arbeitsplatzsicherheit, Einkommenssicherheit, und der Spaß der Beschäftigten an und die Identifikation mit ihrer Arbeit, all das ist unter Druck geraten. Irgendwie schien doch engineered in Germany ein Arbeitsplatzgarant zu sein, wenn dies immer seltener made in Germany ist. Ich denke, diese Unsicherheit müssen wir ernst nehmen, wenn wir die Globalisierung fair gestalten wollen. Und die Unternehmen müssen das auch ernst nehmen, wenn sie motivierte und kreative Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wollen. Beschäftigte, die innovativ arbeiten. Was sind die Trends der letzten Jahre? Tatsächlich hat sich ja die Wissensarbeit in den letzten Jahren sehr verändert. Es hat so etwas wie ein Industriealisierungsprozess stattgefunden und damit auch eine neue Form der Internationalisierung. 4
5 Digitalisierte IT- Dienstleistungen können standardisiert, modularisiert und internationalisiert werden, wenn man als Arbeitsmittel nichts weiter als einen Computer mit Internet-Anschluss braucht. Sie werden zur Commodity, zur verschiebbaren Ware auf dem internationalen Markt. Das führt zu einem neuen Schub der Internationalisierung in der Branche. Wir stellen fest, dass dieser Prozess leider oft nur unter Kostengesichtspunkten stattfindet und wenig unternehmensstrategisch gesteuert ist. Es geht nicht um langfristige Innovationsstrategien, sondern um kurzfristige Kostensenkungen. Dabei können wir den Unternehmen nur empfehlen, genau hinzusehen, wie man sich strategisch langfristig positioniert, um das Unternehmen und die Beschäftigung auch in Deutschland nachhaltig zu sichern. Dafür kann und muss man das Know-How der Beschäftigten durchaus nutzen. Deutschland hat noch technologischen Nachholbedarf. Die IT-Durchdringung in allen Wirtschaftsbranchen und auch in Privathaushalten ist noch lange nicht ausgeschöpft. Beispiele hierfür sind IT zur Realisierung alternativer Mobilitätskonzepte oder emetric im Energiesektor, um optimalen Energieverbrauch zu berechnen und zu steuern. Nachholbedarf gibt es zum Beispiel auch in der Anwendung von Breitbandtechnologie und der Schaffung notwendiger Strukturen. Das heißt, es gibt immer neue Märkte. Wir als IG Metall fordern Arbeitgeber immer wieder auf, diese zu erschließen und dadurch Beschäftigung von Wissensarbeitern und arbeiterinnen zu sichern. Intelligente Innovation statt kurzfristiger Kostensenkung muss das unternehmerische Handeln leiten. Beschäftigte machen oft die Erfahrung, dass ein Unternehmen internationalisiert wird und sie plötzlich mit Beschäftigten aus anderen Ländern zusammenarbeiten sollen, ohne dass die geeigneten Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden. Wenn dann die Kommunikation mit den indischen Kolleginnen und Kollegen nicht sofort so reibungslos klappt wie vorgesehen, dann treten Probleme auf und das Projekt klappt nicht wie geplant. Das führt zu Frustration, die zum einen gar nicht sein müsste und zum anderen auch nicht im unternehmerischen Sinne sein kann. Wenn sich also die Branche weiter internationalisiert, dann wird sie das nur erfolgreich tun können, wenn sie die Beschäftigten auf diesem Weg mitnimmt. Ich komme nun zum zweiten Teil meines Referats. Ich möchte vier Handlungsebenen benennen. Denn es stellt sich doch die Frage, wie Betriebsräte, Vertrauensleute und 5
6 Gewerkschaften agieren können. Welche Handlungsmöglichkeiten haben wir? Wo müssen wir weiter denken als bisher? Die erste Ebene ist die betriebsverfassungsrechtliche. Im Kern hat ein Betriebsrat bei der Verlagerung von Arbeitsinhalten die gleichen Rechte wie bei der Verlagerung von Produktionsarbeitsplätzen. Mir ist bewusst, dass es sich oft um schleichende Prozesse handelt. Ich will hier auch keine arbeitsrechtliche Schulung nach 37.6 BetrVG durchführen. Außerdem seid ihr wahrscheinlich die Experten, was die Anwendung der rechtlichen Möglichkeiten betrifft. Aber lasst mich dennoch einige Mitbestimmungsrechte nennen. Der Betriebsrat hat Informations- und Beratungsrechte nach 90 BetrVG. Bei allen Schwierigkeiten in der Praxis hat der Arbeitgeber die Pflicht, den Betriebsrat rechtzeitig über seine Planungen zu unterrichten. Dies gilt bei anstehenden Veränderungen der Arbeitsabläufe. Weiterhin hat der Arbeitgeber den Wirtschaftsausschuss nach 106 BetrVG über die wirtschaftlichen Angelegenheiten zu unterrichten. Hierzu gehört auch die Verlegung von Betrieben oder Betriebsteilen und alle Vorgänge und Vorhaben, welche die Interessen der Arbeitnehmer eines Unternehmens wesentlich berühren können. Ziele müssen hier Plausibilitätsprüfungen der Maßnahmen sein und zu hinterfragen, ob die Steuerbarkeit von Prozessen gewährleistet ist. Unsere Erfahrung ist, dass Reibungsverluste, Abstimmungs- und Prozesskosten unterschätzt werden. Als Betriebsänderung nach 111 Betriebsverfassungsgesetz gilt auch die grundlegende Änderung der Betriebsorganisation. Weiterhin bietet die aktuelle, für Gewerkschaften und Beschäftigte positive Rechtsprechung zu Sozialtarifverträgen, neue Möglichkeiten, gegen die Verlagerung eines Betriebsteils mit Streik vorzugehen. Oder wir müssen uns Gedanken über mehr kreative, fantasievolle Aktionen machen, mit denen wir die Beschäftigten mobilisieren. Flashmobs als Protestform sind ebenfalls per Rechtsprechung abgesichert worden. Wichtig ist, die Beschäftigten zu informieren und aus ihrer Ohnmacht und dem Gefühl zu befreien, dass gegen Verlagerung nichts zu machen sei. Dafür müssen Betriebsräte und Vertrauensleute aber auch Handlungsoptionen aufzeigen. Mitbestimmungsrechte bestehen auch bei Offshoring-Konzepten, die auf IT-Systeme aufsetzen. Gerade bei der Verlagerung von Gehaltsabrechnung, Buchhaltung oder 6
7 Reisekostenabrechnung wird wechselseitig auf Personaldaten zugegriffen. Hier hat der Betriebsrat nach 87 1 (6) BetrVG Mitbestimmungsrechte bei der Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen, die Verhalten oder Leistung von Beschäftigten überwachen. Weiterhin bietet 97 BetrVG bei Wegfall bestimmter Tätigkeiten gute Möglichkeiten, notwendige Qualifizierungsmaßnahmen festzulegen. Damit kann durchgesetzt werden, dass Beschäftigte für neue Tätigkeiten qualifiziert werden. Eine Handlungsoption ist der Abschluss von freiwilligen Betriebsvereinbarungen. Wir haben z.b. bei vielen Automobilherstellern und auch im Maschinenbau sogenannte Last-Call Vereinbarungen abgeschlossen. Hier hat der Betriebsrat Mitbestimmungsrechte bei Verlagerung von Produktionskapazitäten über sogenannte make or buy-komitees. Das setzt natürlich einen transparenten Informationsfluss voraus. In Ingenieurbereichen könnten dies Betriebsvereinbarungen zum Umgang mit Werkverträgen und mit Entwicklungsdienstleistern sein. Darin könnten die strategischen Kernkompetenzen definiert und es könnte geregelt werden, dass genau diese im Hause bleiben. Weiterhin könnten Steuerungsgruppen installiert werden, in denen Arbeitgeber und Betriebsrat die Personalentwicklung festlegen und ggf. gemeinsam über die Vergabe an Entwicklungsdienstleister entscheiden. Dann ist der Betriebsrat mit im Boot. Entscheidend ist, dass die Beschäftigten nicht als Kostenfaktoren hin- und her geschoben, sondern mit ihrem spezifischen Know-How ernst genommen werden. Auch international müssen bestimmte Profile für einzelne Standorte entwickelt werden, die auf den jeweiligen Stärken aufbauen. Einige Unternehmen haben das schon begriffen und nutzen ihre Chancen sehr klug. Bei anderen scheint das noch nicht angekommen zu sein. Damit bin ich bei der zweiten Ebene der Wirtschafts- und Strukturpolitik Wir brauchen auch eine strukturpolitische Diskussion, um ein neues Bild vom F & E- und IT- Standort Deutschland zu entwickeln. Wo liegen unsere Stärken? Was können wir dafür tun, diese Stärken auszubauen und die Potenziale der Beschäftigten hier zu nutzen? Da ist auch die Politik in der Verantwortung, aber eben auch die Unternehmen. Und auch die Betriebsräte und die IG Metall. Wir müssen unsere Mitbestimmungsmöglichkeiten besser 7
8 nutzen als bisher. Auch in den Aufsichtsräten, in denen über strategische Ausrichtungen von Unternehmen entschieden wird. Internationalisierung kann eine Chance sein. Aber nur dann, wenn die Beschäftigten wissen, wo die Reise hingeht. Wenn es für sie einen Platz dabei gibt und es zu fairen und verlässlichen Bedingungen passiert. Dafür steht die IG Metall. Und dafür sind wir angewiesen auf wissenschaftliche Expertise, auf Dialog mit den Beschäftigten, auf innovative Unternehmer und auf kluge Strategien um im Konfliktfall die Interessen der Beschäftigten zur Geltung zu bringen. Nur, wenn die Internationalisierung in der Branche die Menschen in den Mittelpunkt stellt, wird sie nachhaltig erfolgreich sein. Denn sie sind die Träger dieser Entwicklung. Es darf nicht dazu kommen, dass die Bereitschaft für Innovationen und Optimierungsprozesse in den Unternehmen durch die Angst vor Job- und Sicherheitsverlust überlagert wird. Wenn die Unternehmen das kreative Potenzial der Beschäftigten nicht für eine nachhaltige Internationalisierung nutzen, stehen viele Arbeitsplätze auf dem Spiel. Gerade für ein ökologisches Wachstum, durch Green Technology, nachhaltige, alternative Verkehrskonzepte, durch die Entwicklung und Produktion neuer Antriebstechnologien brauchen die Unternehmen motivierte und kreative Beschäftigte. Deswegen fordern wir, dass die Politik Gelder für F&E und IT-Infrastruktur und eine gute Ingenieurausbildung an den Hochschulen zur Verfügung stellen muss. Die dritte, unverzichtbare Handlungsebene ist die gewerkschaftliche, internationale Ebene. Die IG Metall ist als Gewerkschaft, international aufgestellt. Genauso wie wir über unser Tarifsystem in Deutschland verhindern, dass die Beschäftigten bei uns gegeneinander ausgespielt werden, versuchen wir dies auch auf internationaler Ebene. Denn der Software- Entwickler in Bangalore hat genauso einen Anspruch auf einen guten Job und ein gutes Leben wie der in Düsseldorf. In anderen Branchen, zum Beispiel in der Automobilindustrie, hat die IG Metall mit dieser Herangehensweise schon gute Erfahrungen gemacht. Unsere Interessenvertretungen internationalisieren sich zunehmend und das zahlt sich aus. Von daher müssen auch bei der Verlagerung von IT- und F&E Arbeitsplätzen klare Spielregeln gelten. Verlagerung darf nur stattfinden, wenn es im Ausland faire 8
9 Arbeitsbedingungen gibt. Das heißt, anständige Einkommen, anständige Arbeitszeiten und das Recht, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Durch die Dumping-Preise, zu denen im Ausland produzierte Produkte, wie z. B. Mobil-Telefone, in Deutschland angeboten werden, entsteht doch ein weiterer Druck auf die hiesigen Arbeitsbedingungen. Auch wenn neue Wissensarbeitsplätze im Ausland entstehen, müssen wir für faire Bedingungen sorgen. Einer Abwärtsspirale, die zulasten aller Beschäftigten geht, müssen wir eine internationale, solidarische Gewerkschaftspolitik entgegensetzen. Hier haben wir gerade in der stark internationalisierten IT-Branche noch viel Handlungsbedarf. Aber ein gutes Beispiel ist die Petition des Europäischen Metallarbeiterbunds und der Euro-Betriebsräte aus der Telekommunikationsbranche. Ziel ist, F & E-Arbeitsplätze in Europa zu halten, aber gleichzeitig fairen Handel zu fördern und keine asymetrischen Marktbedingungen zuzulassen. Weiterhin werden in der Petition Gelder für höhere F&E-Aufwendungen und Aus- und Weiterbildung gefordert. Als vierte Handlungsebene und fast als wichtigste sehe ich die Organisierung von hochqualifizierten Beschäftigten. Ich bin überzeugt: Wenn wir für alle Wissensarbeiter und Wissensarbeiterinnen zu fairen Arbeitsbedingungen kommen wollen, dann geht das nur, wenn wir mit ihnen gemeinsam und solidarisch diese Bedingungen durchsetzen. Da sind wir in einigen Unternehmen auf einem guten Weg. Andreas Boes wird gleich von den manifesten Arbeitnehmern sprechen. Das sind nach seiner Definition die Arbeitnehmer, die verstanden haben, wie sich der Wind gedreht hat und ein selbstbewußtes Selbstverständnis als Arbeitnehmer entwickeln. Wichtiger ist aber, dass sie daraus Handlungsfähigkeit gewinnen. Das kann ich mit Beispielen aus der Praxis untermauern. Der Streik bei EDS, die Teilnahme von Ingenieuren und Ingenieurinnen an Warnstreiks zeigen, dass sich Wissensarbeiter sehr wohl organisieren. Dass sie sich engagieren, um ihre Bedingungen zu verändern. Für die IG Metall sind die Hochqualifizierten eine relevante Beschäftigtengruppe. Lasst mich an dieser Stelle das Bild etwas zurecht rücken, dass Angestellte nichts mit Gewerkschaften am Hut haben. Ihr beweist ja auch das Gegenteil. Es gibt Betriebe, die seit jeher einen hohen Organisationsgrad bei Angestellten haben, weil sie ganz selbstverständlich z.b. auch die kaufmännischen Azubis für die IG Metall werben. In vielen anderen Betrieben konnten wir im Zuge von Krisen oder Tarifauseinandersetzungen Angestellte für die IG Metall gewinnen, weil sie konkret erfahren haben, welchen Schutz und 9
10 Nutzen ihnen die Mitgliedschaft in der IG Metall bieten kann und wie sie mit bestimmen können. In anderen Betrieben und im Rahmen von Hochschulprojekten konnten Studierende erfolgreich für die IG Metall gewonnen werden. Es gibt Betriebe, in denen AT-Angestellte in größerer Zahl in die IG Metall eintreten. Es gibt Betriebe, in denen gute, richtig kommunizierte Betriebsratsarbeit zu einem guten Organisationsergebnis bei Angestellten führt. Es gibt Betriebe, in denen strukturierte, gut vorbereitete Aufnahmegespräche zu Mitgliedererfolgen im indirekten Bereich führen. Wie eben schon gesagt, es gibt Beispiele für die Teilnahme von Angestellten an Tarifaktionen und Protestaktionen bis hin zum Streik. Wir haben gerade letzte Woche eine Tagung durchgeführt, an der 220 Kolleginnen und Kollegen teilgenommen haben. Die ehrenamtlichen Teilnehmer und Teilnehmerinnen kamen fast ausschließlich aus Angestellten- und Ingenieurbereichen. Es ging um einen bestpractice Austausch für die Mitgliedergewinnung in Angestelltenbereichen. Auf unserer Engineering-Konferenz im Juni letzten Jahres standen die Arbeitsbedingungen und der Verlust an Arbeitsinhalten und Arbeitsqualität auf der Agenda. Auch hier haben sich 200 Betriebsräte und Vertrauensleute getroffen. Sie wollen dem Verlust von Kernkompetenzen in ihrem Unternehmen, der Controlling-Wut, frei nach dem Motto Entwickle ich noch oder controlle ich nur? und dem Research by Power Point kollektiv etwas entgegensetzen. Wir haben in den Angestelltenbereichen dennoch viel Arbeit zu leisten, weil die Mitbestimmungskultur in IT-Unternehmen und F&E-Bereichen nicht so entwickelt ist wie in den Produktionsbereichen. Ich möchte daran erinnern, dass der Betriebsratsgründungsboom erst mit dem Crash der New Economy nach 2000 eingesetzt hat. Von daher müssen viele Beschäftigte und Betriebsräte lernen, mitzubestimmen und wir müssen zeigen, wie Mitbestimmung gelebt werden kann. Ich bin überzeugt, dass die Organisierung von Hochqualifizierten eine entscheidende Voraussetzung für Handlungsfähigkeit bei der fairen Gestaltung von internationaler Arbeitsteilung ist. Andererseits ist die Organisierung von Hochqualifizierten auch eine der relevanten Aufgaben von Gewerkschaften, wenn nicht die relevante Aufgabe. Eben weil es 10
11 immer mehr Angestellte und Hochqualifizierte in den Unternehmen gibt und Gewerkschaften an Durchsetzungskraft verlieren, wenn sich diese Beschäftigten nicht bei uns engagieren. Dazu braucht es Angebote und Räume für ihre Themen. Auch das hier und heute ist ein solcher Raum. Ich freue mich auf die Beiträge und wünsche uns spannende Diskussionen! 11
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