grenzgänge zwischen invalidenstraße und nordbahnhof tour 3

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1 grenzgänge zwischen invalidenstraße und nordbahnhof tour 3 matthias hoffmann berlin 2001

2 Mit der S-Bahn fahrt ihr bis S-Bahnhof Lehrter Stadtbahnhof und folgt den Hinweisschildern Richtung Invalidenstraße. Den Bahnhof verlassend wendet ihr euch nach rechts und lauft die Invalidenstraße vor bis zur Sandkrugbrücke. (Auf eurem Weg befindet sich zu eurer Linken der Hamburger Bahnhof, ein ehemaliger Bahnhof, der jetzt Museum für moderne Kunst ist. Bei Dunkelheit wird er neonblau beleuchtet, was ziemlich klasse aussieht.) Die Sandkrugbrücke war bis 1989 Grenzübergangsstelle. Damals sah es hier so aus: Auf der gegenüberliegenden Seite der Brücke erfahrt ihr an einer Glasinfosäule interessante Details über die Berliner Mauer. b. Wie viele Menschen sind nach Angaben der Berliner Polizei bei Fluchtversuchen an der Berliner Mauer ums Leben gekommen? Achtet einmal auf den weißen Strich, der über die Sandkrugbrücke verläuft. Der Berlin- Spandauer-Schifffahrtskanal bildete die so genannte Berliner Sektorengrenze die Grenze zwischen dem britischen und dem sowjetischen Sektor. Während ihr die Brücke auf der linken Straßenseite überquert, betrachtet das Mosaik, das den Bürgersteig bildet, einmal genauer. c. An einem kleinen Metallschild am Brückengeländer erfahrt ihr, was es damit auf sich hat. Foto 1: Invalidenstraße Als Ost-Berliner musstet ihr bis zum Rentenalter warten, um eine Besuchsgenehmigung für den Westteil Berlins zu erhalten. Oder aber ein West-Verwandter lud zu einer besonderen Familienfeier (z. B. runder Geburtstag, Hochzeit oder so) ein, dann durftet ihr die DDR besuchsweise verlassen. Als West-Berliner durftet ihr natürlich jederzeit nach Ost-Berlin reisen. Voraussetzung war allerdings die recht umständliche Beantragung eines so genannten Passierscheins, das euch berechtigte, an der Grenze ein eintägiges Besuchsvisum zu erhalten. Auf der rechten Seite der Brücke befindet sich ein kleiner Gedenkstein an Günter Litfin. Er war der erste Mensch, der am bei einem Fluchtversuch ermordet wurde. a. Wie alt ist Günter Litfin geworden? Direkt hinter der Sandkrugbrücke wendet ihr euch nach links und geht durch das gusseiserne Tor. Das große alte Gebäude rechts von euch war zu DDR-Zeiten das Regierungskrankenhaus der DDR und beherbergt jetzt das Bundeswirtschaftsministerium. Etwas über den Mauerverlauf und den Kanal erfahrt ihr an einer Infotafel nach etwa 150 m auf der rechten Promenadenseite. Bevor ihr gegen die weiße Betonwand lauft, biegt ihr nach rechts und nach wenigen Schritten wieder nach links. Ihr befindet euch jetzt auf dem Invalidenfriedhof. Er ist einer der bedeutendsten preußischen Friedhöfe und wurde 1748 nach den beiden Schlesischen Kriegen als Begräbnisstätte für das angrenzende Invalidenhaus 2 matthias hoffmann berlin 2001

3 angelegt. Auf dem Invalidenfriedhof liegen bekannte Personen, die in Diensten der preußischen Armee standen. Sie legen Zeugnis ab von der militärischen Geschichte Deutschlands. euch mal um und vergleicht die jetzige Situation mit diesem Foto (an dieser Stelle bestand die Mauer nicht aus Betonelementen sondern aus einem Metallzaun). d. Lauft zum Grab von Gerhard Johann David von Scharnhorst (das mit dem Löwen auf dem Grabstein) und schaut, was er genau war. Bis 1989 verlief der Grenzstreifen direkt über den Friedhof. Viele Gräber mussten umgebettet werden, da sie den Grenzsicherungsanlagen im Wege lagen. Als Mahnmal sind Teile der ehemaligen Hinterlandmauer stehen gelassen worden. Die Hinterlandmauer bildete den nach Ost-Berlin gerichteten Abschluss des Grenzstreifens. Der original erhaltene Asphaltweg über den Friedhof diente den Kübeltrabis der Grenzsoldaten zu Kontrollfahrten. Er wurde Kolonnenweg genannt. Einige weitere Schritte auf dem Friedhof führen euch zu drei Infotafeln vor einem erhaltenen Stück der Hinterlandmauer. Hier könnt ihr sehr eindrücklich sehen, wie der Verlauf der Mauer war, erfahrt auf einer Zeichnung etwas über den pionier- und signaltechnischen Ausbau der Staatsgrenze zu Berlin-West und bekommt Hintergrundinformationen zum Tod von Günter Litfin, dessen Gedenkstein ihr schon gesehen habt. Euer Weg führt euch die Promenade immer geradeaus. Die neuen Wohnhäuser auf der rechten Seite sind alle erst nach dem politischen Umbruch in der DDR, der so genannten Wende, entstanden. Foto 2: Sellerbrücke / Kieler Straße Ihr folgt dem kleinen Flüsschen rechts durch die Grünanlage und überquert es nach einigen Metern an einem Wehr erneut. Der Asphaltweg, den ihr nun entlang lauft, diente der West-Berliner Polizei und der Militärpolizei der (in diesem Fall französischen) Alliierten zu Kontrollfahrten entlang der Berliner Mauer. Jetzt wird er nicht mehr genutzt und wächst langsam zu. Ihr folgt dem Weg (er macht nach einigen Metern einen rechtwinkligen Linksknick) bis ihr zur Chausseestraße gelangt. Dort wendet ihr euch nach rechts und bleibt auf der rechten Straßenseite der Chausseestraße. An der nächsten Kreuzung verlief die Mauer aus der Boyenstraße kommend - rechtwinklig und folgte dem Verlauf der Chausseestraße: Rechts hinter den Häusern könnt ihr einen original erhaltenen und jetzt unter Denkmalschutz stehenden ehemaligen Wachturm entdecken. Er diente der Beobachtung des Grenzstreifens hier im Kieler Eck. Ihr folgt der Promenade entlang der begrünten Uferbefestigung (auf der in den Sommermonaten viele Anwohner/-innen Sonne tanken ) und überquert die Sellerbrücke. Dreht Foto 3: Chausseestraße / Boyenstraße grenzgänge zwischen invalidenstraße und nordbahnhof 3

4 Achtet beim Überqueren der Boyenstraße auf die doppelte Reihe Kopfsteinpflaster im Asphalt der Straße bzw. im Bürgersteig. e. Was symbolisiert sie? Ihr folgt der Chausseestraße und wechselt die Straßenseite erst, wenn die doppelte Kopfsteinpflasterreihe euren Weg kreuzt. Ihr befindet euch jetzt am ehemaligen Grenzübergang Chausseestraße. Das ist der zweite von sieben innerstädtischen Grenzübergängen, den ihr auf dieser Tour kennen lernt. Der Übergang befand sich im Verlauf der Chausseestraße und sah so aus: Wie schon auf dem Invalidenfriedhof lagen auch hier viele Gräber dem Grenzstreifen im Wege und mussten umgebettet werden. Die eigentlichen Zugänge zu den Friedhöfen lagen hier an der Liesenstraße. Mit dem Mauerbau an dieser Stelle waren diese Zugänge jedoch versperrt. Die Friedhöfe lagen somit im Grenzgebiet und konnten bis Mitte der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts nur von der im Ostteil Berlins liegenden Seite und nur mit einem speziellen Passierschein von Angehörigen besucht werden. Gegenüber der Liesenstraße Nr. 9 befindet sich der Eingang zum Alten Domfriedhof St. Hedwig. Betretet ihn durch das gusseiserne Tor, durchquert den ehemaligen Mauerstreifen und sucht gleich am Beginn der Gräberfelder rechts die Ruhestätte der Familie James Cloppenburg. Hier findet ihr noch ein Stück der alten Hinterlandmauer. Ihr könnt erahnen, mit welcher Brutalität und Pietätlosigkeit die Mauerbauer selbst Friedhöfe zerschnitten. Wie die Mauer über das Friedhofsgelände verlief, zeigt euch dieses Foto: Foto 4: Grenzübergang Chausseestraße Das mehr oder weniger grüne - Brachgelände an der Straße ist der übrig gebliebene Rest des Grenzstreifens. Lauft jetzt bitte in die Liesenstraße. Direkt rechts neben euch verlief hinter den Bäumen und Sträuchern die Mauer. Die rote Backsteinmauer mit den gusseisernen Gittern, die euch nach einigen hundert Metern begleitet, ist kürzlich auf dem ehemaligen Mauerstreifen wieder aufgebaut worden. Sie ist die Grundstücksbegrenzung mehrerer Friedhöfe. Foto 5: Alter Domfriedhof St. Hedwig, Liesenstraße f. Versucht doch einmal in Erfahrung zu bringen, welche bekannten Künstler hier auf einem der Friedhöfe liegen? Zurück auf der Liesenstraße geht es weiter in Richtung der alten Bahnbrücke. Kurz davor entdeckt ihr rechts noch ein Stück alte Mauer. Sie ist stehen geblieben und in der Zwischenzeit heftig von Mauerspechten bearbeitet worden. 4 matthias hoffmann berlin 2001

5 g. Wer oder was sind denn eigentlich die Mauerspechte gewesen? Euer Weg führt euch unter den gewaltigen Bahnbrücken hindurch nach rechts in die Gartenstraße. Hier verkehrten bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges die Fernzüge von und zum Fernbahnhof Nordbahnhof. Er wurde im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt und dann abgerissen. Das Bahnhofsgelände ist jetzt eine riesige brachliegende Fläche. Der Bahnhof ist einer von zahlreichen unterirdischen S-Bahnhöfen, die von den S- Bahnlinien angefahren wurden, die den Süden und den Norden von West-Berlin verbinden. Da der Bahnhof selbst jedoch im Ostteil Berlins lag, hielten die Züge hier nicht. Sie verminderten ihre Geschwindigkeit und fuhren ohne Halt durch. Die Bahnsteige waren abgedunkelt und wurden von Grenzsoldaten bewacht. Die Berliner sprechen von den so genannten Geisterbahnhöfen. Nun ist er jedoch wieder offen und ihr könnt ihn gleich benutzen. Vorher müsst ihr aber erst noch versuchen, diese Stelle am S- Bahnhof Nordbahnhof zu finden: Die Brückenanlagen werden zum großen Teil nicht mehr genutzt und fristen jetzt als monumentales Stahlskelett ihr Dasein. Einen Teil der Brücken nutzt die Berliner S- Bahn. Sie verschwindet unweit von hier im Nord-Süd-Tunnel und erreicht erst wieder hinter dem Anhalter Bahnhof im Süden das Tageslicht. Zu Mauerzeiten ergab sich hier das Kuriosum, dass die S-Bahn den Süden mit dem Norden von West-Berlin verband und dabei über viele Kilometer den Ostteil Berlins unterquerte. Auf eurem Weg zum S-Bahnhof Nordbahnhof, dem Ziel dieses Grenzgangs, folgt ihr der alten roten Backsteinmauer zu eurer Linken. Sie markiert die Grundstücksgrenze des Bahngeländes. Bis 1989 diente sie gleichermaßen als Fundament für die andere Mauer. Gegenüber der Feldstraße könnt ihr einen alten Zugangstunnel zum Bahngelände entdecken, der nach wie vor zugemauert ist. Er wurde verschlossen, da hier ja die Sektorengrenze verlief und wird auch in der heutigen Zeit nicht mehr gebraucht. Nun sind es nur noch wenige Meter bis zum S-Bahnhof Nordbahnhof. Foto 6: Gartenstraße / Bernauer Straße Auf der dem Bahnhofseingang gegenüberliegenden Seite könnt ihr an einigen Ständen auf dem ehemaligen Mauerstreifen Getränke, Essbares oder einige Souvenirs kaufen. So, einige Stunden sind vergangen, seit ihr an der Invalidenstraße gestartet seid. Wir hoffen, ihr habt einen kleinen Eindruck bekommen, von dem was es hieß, mit der Mauer in Berlin zu leben. Wir danken euch ganz herzlich für das Durchhaltevermögen und wünschen euch, dass die Blasen an euren Füßen schnell verheilen ;-) Vom S-Bahnhof Nordbahnhof kommt ihr schnell z. B. zur Friedrichstraße oder zum Potsdamer Platz. grenzgänge zwischen invalidenstraße und nordbahnhof 5

6 Lösungen: a. Günter Litfin wurde 24 Jahre alt ( ). b. Nach Angaben der Berliner Polizei hat es 152 Todesopfer an der Berliner Mauer gegeben. c. Das Mosaik ist ein künstlerisches Zeichen mit dem Titel: Warenzeichen aus Ost und West von Gabriele Basch und erinnert an die sieben innerstädtischen Grenzübergangsstellen. d. Gerhard Johann David von Scharnhorst war General in der preußischen Armee. e. Berliner Mauer f. Unter anderem liegen hier der Schriftsteller Theodor Fontane und der Maler Carl Begas der Ältere. g. Als Mauerspechte werden die Menschen bezeichnet, die - insbesondere im November und Dezember mit Hammer und anderem Werkzeug Mauerstücken als Souvenir aus den Betonelementen herausschlugen. 6 matthias hoffmann berlin 2001