Die Hand des Musikers Zwei Fallberichte aus dem handchirurgischen Alltag 1 D. Buck-Gramcko, Hamburg

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1 8 D. Buck-Gramcko Die Hand des Musikers Zwei Fallberichte Musikermedizin Die Hand des Musikers Zwei Fallberichte aus dem handchirurgischen Alltag 1 D. Buck-Gramcko, Hamburg Zusammenfassung Bericht über die handchirurgische Behandlung zweier Instrumental-Musiker, denen dadurch die Fortsetzung ihrer beruflichen Tätigkeit ermöglicht werden konnte. Ein junger Cellist konnte infolge einer druckempfindlichen Narbe an der Kuppe des linken Zeigefingers nicht mehr korrekt spielen. Die erst nach langen Bedenken des Patienten durchgeführte Behandlung bestand in Narbenexzision und Bildung einer neuen Kuppe durch einen palmaren Dehnungslappen. Ein Geiger büßte durch einen in Fehlstellung von 35 Grad dorsaler Abknickung verheilten Radiusbruch links die für das Erreichen hoher Lagen auf der Geige erforderliche maximale Handgelenkbeugung ein. Diese konnte durch eine Korrekturosteotomie mit Einsetzen eines keilförmigen kortikospongiösen Darmbeinspans und intensive Übungsbehandlung wieder erreicht werden. Die Bedeutung der Mitarbeit des Patienten bei der Erreichung des gewünschten Ergebnisses wird betont. Summary The Musicians Hand. Two Cases Reported from the Hand Clinic Report of the hand surgical treatment in two musicians, which enabled them to continue with their occupation. A young cellist was no longer able to play his instrument due to a painful scar at the pulp of his left index finger. The surgical treatment, performed only after a period of hesitation, consisted in scar excision and reconstruction of a normal pulp by a palmar advancement flap. Following a fracture of the distal radius, healed in 35 degrees dorsal angulation, a violinist was not able to flex his wrist maximally as required for playing in high octaves. This was again possible after a corrective osteotomy with interposition of a corticocancellous bone graft from the iliac crest and an intensive program of postoperative excercises. The important role of the cooperation of the patient, particularly in the rehabilitation is emphasized. Schlüsselwörter Musiker - palmarer Dehnungslappen - Fehlstellung nach distaler Radiusfraktur Keywords Musician - palmar advancement flap - malunion of a distal radius fracture 1 Dieser Beitrag erschien in Handchir Mikrochir Plast Chir 2000; 32: ISSN Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Georg Thieme Verlag Stuttgart - New York

2 Musikphysiologie und Musikermedizin 2002, 9. Jg., Nr. 1 9 In diesem Beitrag soll die chirurgische Behandlung der Hände von zwei Instrumentalmusikern beschrieben werden, die durch Verletzungen in der Ausübung ihrer Tätigkeit stark behindert waren. Durch die dargestellten Behandlungsmaßnahmen und die intensive Mitarbeit der Patienten bei der postoperativen Übungstherapie konnten eine vollständige Beseitigung der Behinderung und die Rückkehr zu uneingeschränkter manueller Tätigkeit erreicht werden. Diese Mitteilung soll auch zeigen, dass der Chirurg sich seiner besonderen Verantwortung in derartig speziellen Fällen bewusst sein muss und die Indikationsstellung zur Art der Behandlung vielleicht anders als bei anderen Patienten stellt, wenn er durch den präoperativ schon notwendigen engen Kontakt zu den Musiker-Patienten die Überzeugung gewonnen hat, dass diese ihren nicht zu gering einzuschätzenden Teil an der Gesamtbehandlung voll übernehmen werden. Kasuistik 1 Gegen Ende seines Studiums musste sich der junge Cellist wegen eines Panaritium subcutaneum an der Kuppe des linken Zeigefingers inzidieren lassen. Durch die Sekundärheilung der Wunde (Abb.1a) entstand an der Aufsetzfläche des Zeigerfingers beim Spielen eine Narbe; Druck auf diesen Bereich löste äußerst unangenehme Parästhesien aus. Ein normales Cello-Spielen war durch diese Schädigung nicht mehr möglich. Bei der ersten Beratung in der Handsprechstunde war der junge Cellist gegenüber Behandlungsvorschlägen sehr skeptisch, zumal er bereits durch mehrere Ärzte in sehr unterschiedlicher Weise beraten worden war. Die empfohlene chirurgische Intervention wurde zunächst abgelehnt in der Hoffnung, durch Abhärtungsmaßnahmen eine Besserung zu erreichen. Diese kam jedoch nicht zustande, so dass er schließlich sehr zögernd seine Operationseinwilligung gab. Die inneren Zweifel des Patienten wurden mir noch einmal nachdrücklich vor Augen geführt, als dieser bei der Morgenvisite am Operationstag trotz Prämedikation angezogen neben seinem Bett stand und das Krankenhaus verlassen wollte. Es gelang jedoch schließlich mit dem mehrfachen Hinweis, dass er sonst sein Studium abbrechen und einen neuen Beruf wählen müsse, seine endgültige Zustimmung zu erhalten. Bei der in Plexusanästhesie und Blutleere ausgeführten Operation wurde der gesamte Narbenbezirk an der Kuppe des linken Zeigefingers ausgeschnitten (Abb. 1b). Von zwei mediolateralen Längsschnitten radial und ulnar am Finger, die bis in die Mitte des Grundgliedes reichten, wurde die gesamte beugeseitige Haut vorsichtig mobilisiert. Dabei wurden sämtliche Nerven- und Gefäßverbindungen zwischen palmarer und dorsaler Haut sorgfältig geschont (Abb. 1c). Der ausgedehnte palmare Hautlappen wurde nach distal vorgeschoben und gegen den Fingernagel vernäht; er deckte jetzt die gesamte Fingerkuppe (Abb. 1d). Die resultierenden Narben lagen außerhalb der Berührungsfläche direkt unter dem Fingernagel beziehungsweise seitlich am Finger. Schon frühzeitig setzte eine Übungsbehandlung ein, so dass die anfänglich bestehende Streckbehinderung schon nach wenigen Wochen ausgeglichen war und volle Beugemöglichkeit bestand (Abb. 1e). Bei einer Nachuntersuchung anderthalb Jahre nach der Operation zeigte sich eine freie Beweglichkeit des linken Zeigefingers; die Narben an den Fingerseiten waren kaum erkennbar (Abb. 2a und b), die Kuppe war völlig narbenfrei und mit normaler Sensibilität versehen. Beim festen Spitzgriff (Abb. 2b) entstanden keinerlei Parästhesien oder Druckschmerzen. Das Cello-Spiel war wieder ohne Einschränkung möglich (Abb. 2c), so dass der ehemalige Patient nach Abschluss seines Studiums eine Anstellung in einem großen Orchester erhalten und ohne Störungen ausführen konnte. Die in den seit der Operation über 15 Jahre aufrechterhaltenen regelmäßigen Kontakte zwischen Arzt und Patient zeigen selbstverständlich zum einen die Dankbarkeit des Patienten, dem die chirurgische Behandlung die Ausübung seines Berufes ermöglichte. Die Darstellung der Kasuistik zeigt aber auch, dass bereits präoperativ ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt bestehen muss und dass es zu den Verpflichtungen des Arztes gehört, den vorgeschlagenen Behandlungsweg auch bei einer lokal sehr eingreifenden Operation gegenüber einem besonders sensiblen und skeptischen Patienten durchzusetzen, wenn man von der Richtigkeit der Indikation überzeugt ist.

3 10 D. Buck-Gramcko Die Hand des Musikers Zwei Fallberichte Abb. 1a bis e: Sekundär heilende Wunde nach lnzision eines subkutanen Panaritiums an der linken Zeigefingerkuppe eines Cellisten (a). Korrektur durch palmaren Dehnungslappen; hier bereits nach Öffnen der Blutleere mit dem ausgeschnittenen, die Narbe tragenden Hautstück (b). Bei der Präparation des palmaren Dehnungslappens wurden sämtliche Gefäß- und Nervenverbindungen zwischen palmarer und dorsaler Fingerseite sorgfältig geschont (c). Am Operationsende deckt der nach distal verschobene palmare Dehnungslappen die gesamte Zeigefingerkuppe; die Narben liegen direkt unter dem Nagel und seitlich am Finger (d). Bereits wenige Monate später ist die volle Beweglichkeit des Fingers wieder hergestellt (e).

4 Musikphysiologie und Musikermedizin 2002, 9. Jg., Nr Kasuistik 2 Abb. 2a bis c: Bei der Nachuntersuchung eineinhalb Jahre postoperativ zeigt sich eine gut konfigurierte und voll belastbare Zeigefingerkuppe; die Narben sind kaum erkennbar (a und b). Beim Cellospielen kann die Zeigefingerkuppe mit der notwendigen Kraft und ohne Beschwerden eingesetzt werden (c). Der 35-jährige Geiger erlitt eine Radiusfraktur an typischer Stelle links, als sein Handgelenk zwischen dem Rahmen und der von einer anderen Person zugeschlagenen Autotür gequetscht wurde, In einer der bekanntesten deutschen unfallchirurgischen Kliniken erfolgten die Reposition sowie eine Ruhigstellung im Oberarmgips für vier Wochen und im Unterarmgips für zwei Wochen. Nach Freigabe wurde die Hand selbsttätigen Bewegungsübungen überlassen, ohne dass eine gezielte intensive krankengymnastische Übungsbehandlung durchgeführt wurde. Obwohl die Beweglichkeit im Handgelenk befriedigend zunahm, fehlte ein Teil der vorher möglichen starken Beugung, die aber für die Ausübung des Berufes als Geiger bei besonders hohen Lagen benötigt wird. Die Ursache für die bleibende Beugebehinderung war die "typische" Fehlstellung, wie sie sich leider sehr häufig nach Radiusfrakturen findet. Das Röntgenbild (Abb. 3a) zeigte eine Verheilung der Radiusfraktur in dorsaler Achsenabknickung von 25 Grad, so dass gegenüber der normalen Position eine Fehlstellung von 35 Grad bestand. Darüber hinaus lag eine leichte Verschiebung nach radial vor.

5 12 D. Buck-Gramcko Die Hand des Musikers Zwei Fallberichte Die Bitte um Korrektur zur Verbesserung der Beugung wurde von dem behandelnden Arzt, einem der damals bekanntesten Unfallchirurgen Deutschlands, mit dem Hinweis abgelehnt, dass das Ergebnis doch eigentlich recht gut sei und dem bei derartigen Frakturen Üblichen entsprechen würde. Bei der Erstvorstellung in unserer Handsprechstunde ein viertel Jahr nach dem Unfall zeigte sich radiologisch die in Abbildung 3a dargestellte Fehlstellung. Klinisch betrug die Beweglichkeit im Handgelenk (rechts ) Grad für die Streckung und Beugung, ( ) Grad für die Radial- und Ulnarduktion und ( ) Grad für Pro- und Supination. Aufgrund der vom Patienten sehr verständlich vorgetragenen Notwendigkeit der Erreichung einer maximalen Beugestellung im linken Handgelenk und des Hinweises, dass er ohne dieselbe nicht die Position als Konzertmeister in einem der größten deutschen Orchester, für die er bereits gewählt worden war, antreten könne, wurde dem Patienten die Korrekturosteotomie vorgeschlagen im Bewusstsein, dass er die postoperative Übungsbehandlung nach Kräften unterstützen würde. Die Korrekturosteotomie am Radius wurde mit Einbringen eines Darmbeinspans in entsprechender Keilform zur Achsenkorrektur und zum Längenausgleich vorgenommen. Die Fixation erfolgte bewusst mit nur zwei Kirschner-Drähten (Abb. 3b), damit nicht später durch einen ausgedehnteren Zugang bei einer Plattenentfernung wiederum eine Unterbrechung der postoperativen Übungsbehandlung notwendig werden müsste. Trotz dieser "Minimal-Osteosynthese" konnte die Unterarmgipsschiene bereits drei Wochen postoperativ entfernt und mit Bewegungsübungen begonnen werden. Es kam zu einer vorübergehenden Schwellung im Handgelenk, dessen Beweglichkeit sich bei der äußerst intensiven Mitarbeit des Patienten ständig besserte. Die Kirschner-Drähte wurden zwei Monate postoperativ in Lokalanästhesie entfernt. Da die Schwellneigung nur langsam abklang und bei bestimmten Streckbewegungen im Handgelenk Schmerzen entstanden, wurden drei Monate postoperativ die Bewegungsübungen für zwei Wochen unterbrochen, dann aber fortgesetzt. Bei den regelmäßig erfolgenden Kontrollen konnten eine ständige weitere Zunahme der Beweglichkeit im Handgelenk und ein Rückgang der Schwellungsneigung festgestellt werden. Abb. 3a bis c: Das Röntgenbild drei Monate nach der Verletzung zeigt die in Fehlstellung verheilte distale Radiusfraktur mit Einstauchung, Radialverschiebung und einer dorsalen Abknickung von insgesamt 35 Grad (a). Vier Wochen nach der Korrekturoperation mit Einfügen eines keilförmigen kortikospongiösen Knochenspans aus dem Darmbein und Kirschner-Drahtfixation ist der Span bereits weitgehend eingeheilt (b). Fünf Jahre postoperativ sind normale Gelenkverhältnisse am distalen Radius vorhanden (c).

6 Musikphysiologie und Musikermedizin 2002, 9. Jg., Nr Eine Nachuntersuchung fünfeinhalb Jahre postoperativ ergab völlige Beschwerdefreiheit des Patienten, der schon wenige Monate postoperativ seine Stellung als Erster Konzertmeister angetreten hatte. Das Handgelenk zeigte keine sichtbare Deformierung mehr; die Narben waren reizlos. Bei frei beweglichen Fingern zeigte sich eine seitengleiche Handgelenkbeweglichkeit von Grad in Streckung und Beugung, Grad in radialer und ulnarer Abduktion und je 90 Grad in Pround Supination (Abb. 4a bis d). Radiologisch konnte ein Ausgleich der präoperativ bestehenden Fehlstellung registriert werden (Abb. 3c). Abb. 4 a bis d: Bei der Nachuntersuchung fünfeinhalb Jahre postoperativ ist die Beweglichkeit des verletzten und operierten linken Handgelenks frei und seitengleich mit rechts durchführbar (Bewegungsmaße siehe Text). Der über das Ergebnis sehr glückliche Patient demonstrierte uns an seiner Geige die durch die Korrekturoperation wieder mögliche maximale Beugung im Handgelenk, die ihm das Erreichen der hohen Lagen beim Geigenspiel ermöglichte (Abb. 5). Der Patient konnte seine berufliche Tätigkeit weiter ausbauen und ist neben dem Spielen in seinem Orchester ein viel beschäftigter Solist geworden, was bei gelegentlichen Zusammentreffen von Arzt und Patient immer wieder festgestellt werden konnte.

7 14 D. Buck-Gramcko Die Hand des Musikers Zwei Fallberichte Beide Kasuistiken zeigen, dass in derartigen Situationen ein besonderes Verständnis des Handchirurgen für die speziellen Probleme des Musiker-Patienten erforderlich ist und die Operationsindikation dementsprechend gestellt werden muss. Nach lokal eingreifenden Operationen kann die erhoffte weitest mögliche Wiederherstellung der körperlichen Funktion nur erreicht werden, wenn der Patient einen vollen und nicht nachlassenden Einsatz bei der postoperativen Übungsbehandlung zeigt, dessen Ziel die Rückkehr in den Beruf ohne Einschränkungen ist. Abb. 5: Beim Geigenspiel kann zur Erreichung besonders hoher Lagen das Handgelenk wieder maximal gebeugt werden. Die Einflussnahme, die das chirurgische Handeln zusammen mit der postoperativen Mitarbeit des Patienten auf die weitere Ausübung des Berufes gehabt hat, geht aus einem Brief der Mutter des Patienten hervor, der für den behandelnden Chirurgen nicht nur die Bestätigung für die Richtigkeit seines Handelns, sondern auch ein ganz besonderer Dank dafür war. Sie schreibt anlässlich des Todes ihres Mannes, des Vaters des Patienten, der selbst ein prominenter Geigenvirtuose war: So waren wir Ihnen dankbar und glücklich, dass Sie unseren Sohn tatsächlich gerettet haben. Wenn ein Geiger ein Geiger ist, ist er nur ein Geiger; jede sonstige Verzierung, Belesenheit oder Vielseitigkeit ist meistens nur oberflächlich. Da sehen Sie, wie sehr Ihre Hilfe notwendig war..." Anschrift des Autors: Prof. Dr. med. Dieter Buck-Gramcko Ehem. Chefarzt Abteilung für Handchirurgie und Plastische Chirurgie Berufsgenossenschaftliches Unfallkrankenhaus Hamburg Am Heesen 14 A Hamburg