Lernstörungen: Störung des Schriftspracherwerbs. Irène Baeriswyl-Rouiller

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1 Lernstörungen: Störung des Schriftspracherwerbs Irène Baeriswyl-Rouiller

2 Arten von Lernstörungen Bereichsspezifisch partiell Allgemein generell Eher Vorübergehend (passager) Eher Überdauernd (persistierend) Lernrückstände in Einzelfächern L-R-S / SSES Dylexie/Dysortographie Legasthenie Dyskalkulie Schulschwierigkeiten Lernschwäche Lernbehinderung Lernbeeinträchtigung Geistige Behinderung Lauth et al. 2004, 13 Irène Baeriswyl-Rouiller 3

3 Ausschlusskriterien: n Neurologische Störung (Agraphie, Alexie) n Keine ausreichende Unterrichtung der Sprache n Geistige Behinderung n Periphere Hör- oder Sehbehinderung In: Lauth et al. S 47 Irène Baeriswyl-Rouiller 4

4 Häufigkeit und Geschlechtsverteilung n Häufigkeit variiert von 8-15% je nach Diagnosekriterien (Heubrock & Petermann,2000) n Jungen sind tendenziell häufiger betroffen als Mädchen (Verhältnis 3:1) n Bei ca. 20% der betroffenen Kinder tritt ebenfalls eine Dyskalkulie auf. Irène Baeriswyl-Rouiller 5

5 Dyslexie (Shaywitz, 52, 2004) Sprachsystem Lesen Gespräch Syntax Semantik Stufe der Morpheme Verstehen Bedeutung erfassen Phonologie Stufe der Phoneme Dekodieren Irène Baeriswyl-Rouiller 6

6 Prozess zum Leseverständnis 1. Visueller Gesamteindruck 2. Das Lesbare 3. Die Buchstaben 4. Grapheme 7. Bedeutung und Sprechwort 5. Phoneme 6. Wortgestalt 8. Überprüfung Irène Baeriswyl-Rouiller 7

7 Symptomatik beim Lesen n Schwierigkeiten Phoneme korrekt zu benennen und sie zu einem schriftlichen Zeichen zu zu ordnen. Wörter zu dekodieren. Mit dem Lesetempo. n Auslassen und verdrehen von Wortteilen und Wörtern. n Ersetzen von Wörtern durch ein in der Bedeutung ähnliches Wort. n Unfähigkeit Gelesenes zu verstehen und wiederzugeben Zusammenhänge zu erkennen Nonsens Wörter zu lesen Irène Baeriswyl-Rouiller 8

8 Phonologische Informationsverarbeitung Partner und Gruppenarbeit n Die phonologische Bewusstheit: à Erkennen des lautlichen Aufbaus der Sprache à Einfluss auf die phonologische Informationsverarbeitung einer Fremdsprach. Stellen Sie die Phoneme der gewählten Sprache zusammen Suchen Sie Übungen, mit welchen Sie die phonologische Bewusstheit, phonologische Informationsverarbeitung verbessern können. Stellen Sie mindestens 3 unterschiedliche Übungen zur phonologischen Bewusstheit zusammen (-> cf. Lewkowicz 1980) n Bilden Sie 4er-Gruppen. Tauschen Sie aus und führen Sie die verschiedenen Übungen in der Gruppe durch. 9 Irène Baeriswyl-Rouiller

9 Beteiligte Hirngebiete beim Lesen In: Werth, R. ( 2009) Gehirn und Geist. Irène Baeriswyl-Rouiller 10

10 Funktion im ZNS bei guten Lesern und Dyslexie Gute Leser Mit Dyslexie Personen mit LRS verwenden Kompensationssysteme beim Lesen Shaywitz, S. 84, Irène Baeriswyl-Rouiller 11

11 Leseförderung ist Training des Gehirns Elementare Lesekompetenzen Aufbau von Leseroutine Leseverständnis Blicktraining Zeichenwahrnehmung Wortteile erfassen Verknüpfen Sinnzusammenhänge zwischen Textteilen Leseverständlichkeit Lesetempo Lesegenauigkeit Lesefluss Leseausdruck Textsicherung Texterarbeitung Zusammenfassung Reflexion Dekodieren Automatisieren Tägliches Training Sinn konstruieren Komplexe Spracherfassung Aus: i-mail. Magazin der ilz 2/2007. Schwerpunktthema Lesen Irène Baeriswyl-Rouiller 12

12 Lesetraining führt zu Kompensation im ZNS bei Personen mit Dyslexie Effizientes Lesetraining führt zu Reparaturmechanismen im ZNS Shaywitz, S. 86, Irène Baeriswyl-Rouiller 13

13 Frust statt Lust Lesestörungen machen den betroffenen Kindern zu schaffen Irène Baeriswyl-Rouiller 14

14 RECHTSCHREIBEN KEIN PROBLEM ODER GLÜCKSSACHE? Irène Baeriswyl-Rouiller 15

15 Ursachenannahmen n Genetische Disposition n Störungen der zentralen auditiven Verarbeitung von sprachlichen und nicht sprachlichen Reizen. Phonologie-Defizithypothese Neurobiologische Untersuchungen n Störung der zentralen visuellen Verarbeitung n Störung des auditiven Gedächtnisses und des Lernens. Irène Baeriswyl-Rouiller 16

16 Lautierendes Schreiben Irène Baeriswyl-Rouiller 17

17 Symptomatik beim Rechtschreiben n Fehler beim mündlichen Buchstabieren. n Schwierigkeiten beim: Schreiben von Buchstaben, Wörtern und Sätzen. Erkennen von Wortgrenzen. Erkennen der Sprachstruktur, bzw. der Einheiten der Sprache. (Phonem, Morphem, Wortstamm, Präfix, Suffix, Wort, Satz). n Hohe Fehlerzahl bei ungeübten Diktaten. n Hohe Fehlerzahl beim Abschreiben von Texten. Irène Baeriswyl-Rouiller 18

18 Sekundärprobleme n Niedriges Selbstwertgefühl n Negatives Selbstbild n Probleme der Motivation n Geringe Frustrationstoleranz n Pessimistische Zukunftserwartung Irène Baeriswyl-Rouiller 19

19 Ungünstige Prognose bei SSES n Schulerfolg ist, trotz vergleichbar guter Intelligenz, deutlich schlechter n Einfluss auf berufliche Chancen n Verhaltensauffälligkeiten sind häufig vorhanden n Vermehrt Versagensängste, die sie auf andere Fächer generalisieren n Wirkt sich auf das Selbstbild aus Irène Baeriswyl-Rouiller 20

20 Erkennen - Diagnose n Früherkennung ist wichtig n Durch Kenntnis der Störung ist die Früherfassung eher möglich. n Präventive Massnahmen wichtig. n Diagnostischer Prozess ist eine Interdisziplinäre Aufgabe Irène Baeriswyl-Rouiller 21

21 Erwerb der Rechtschreibkompetenz Entwicklungskonzept * Vermittlungskonzept** Präliteral-symbolische Stufe Logographemische Stufe Alphabetische Stufe Phonologische Bewusstheit Phonologie Orthographische Stufe Orthographische Bewusstheit Morphologie, Syntax Morphematische Strategie Integrativ-automatische Stufe * K.B. Günther * K. Leemann Ambroz Irène Baeriswyl-Rouiller 22

22 Logographemische Strategie: Vorschule Einsicht, dass Buchstaben spezielle Zeichen sind, die sich von Bildern unterscheiden. Kinder lernen die Laute kennen und können sie sich in der Reihenfolge merken. Kritzelschrift oder willkürliche Buchstabenfolgen Beginn der phonologischen Bewusstheit In: Topsch W.: (20005) Grundkompetenz Schriftspracherwerb. Weinheim Beltz. Irène Baeriswyl-Rouiller 23

23 Alphabetische Stufe: Schulbeginn Kinder lernen die Buchstaben kennen und verbinden sie mit der Lautstruktur. Lieber Weihnachtsmann ich möchte... Schriftband ohne Lücken und Wechsel der Schreibrichtung In: Topsch W.: (20005) Grundkompetenz Schriftspracherwerb. Weinheim Beltz. 24

24 Alphabetische Stufe / phonemische Strategie: Schulbeginn 1. Klasse Milch Clown Eis Baby Buch Jeans Irène Baeriswyl-Rouiller 25

25 Alphabetische Stufe: Schüler in der Mitte der 2. Klasse Maman prend la passoir pour passer la soupe. maman prene la pasoire pour paser la soupe La Suisse et un très beau pays la suiss et un trè bon pai Maman met les sandalettes Maman mè le cendalète Irène Baeriswyl-Rouiller 26

26 Orthographische Stufe: Schulalter Kinder kennen die Gesetzmässigkeiten der Rechtschreibung (Regelwissen) Ø Beginn der orthographischen Bewusstheit (Morphologie, Syntax) Irène Baeriswyl-Rouiller 27

27 Orthographische Stufe 1. OS Schüler mit einer Dyslexie Irène Baeriswyl-Rouiller 28

28 Diagnostik in der Schule n Ziel ist es, gezielte individuelle Hilfestellungen geben zu können. n Im Vordergrund steht die qualitative Beurteilung der individuellen Leistung des einzelnen Kindes: Beurteilung der Lesefähigkeit in der Schule Beurteilung der Rechtschreibfähigkeit in der Schule Irène Baeriswyl-Rouiller 29

29 Verarbeitungsaufgabe: Rechtschreibung Fehleranalyse (Partnerarbeit) Für die Diagnose der Rechtschreibschwierigkeiten sind qualitative Fehleranalysen notwendig. Nehmen Sie die Fehleranalyseschemata zur Hand. Aufgabe: Nehmen Sie das korrigierte Diktat zur Hand. Bestimmen Sie aufgrund der qualitativen Fehleranalyse. Auf welcher Stufe sind die Fehler einzuordnen? Analysieren Sie die Häufigkeit der Fehlerkategorien, die dieses Kind gemacht hat. Wo würden Sie bei der Hilfestellung beginnen. Skizzieren Sie einen möglichen Aufbau individueller Hilfestellungen für dieses Kind. Zeit: 15 Minuten Kurzinformation und Skizze Irène Baeriswyl-Rouiller 30

30 Nachteilsausgleich Wird immer da angewendet bei SUS: - mit speziellen Schwierigkeiten - Teilleistungsstörungen Ausgleich des Nachteils, die sie aufgrund der LRS haben Irène Baeriswyl-Rouiller 31

31 Checklisten Checkliste: Praktische Ratschläge für Hilfestellungen Merkblatt: der Berufsschulen zur Unterstützung der Jugendlichen mit LRS Irène Baeriswyl-Rouiller 32

32 Literaturangabe n n n n n Lauth, G., Grunke, M., Brunstein, J. (2004) Intervention bei Lernstörungen, Göttingen: Hogrefe Klicpera, C.; Gasteiger-Klicpera, B. (1995). Psychologie der Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten. Beltz Verlagsunion. Leeman Ambroz, K. (2000). Grundbausteine der Rechtschreibung. Zug: Klett und Balmer. Landmann, M.; Schmitz, B. (Hrsg) (2007). Selbstregulation erfolgreich fördern. Praxisnahes Trainingsprogramm für effektives Lernen. Kohlhammer. Schaywitz, S. (2004). Overcoming Dyslexia. New York: Alfred A. Knopf n Thomé, G. Lese- Rechtschreibschwierigkeiten (LRS) und Legasthenie. Beltz. n Walter, J.; Wember, F. Hrsg. (2007). Sonderpädagogik des Lernens. Band 2. Handbuch der Heilpädagogik. Hogrefe. Irène Baeriswyl-Rouiller 33

33 Phoneme - Morpheme n Phoneme sind die kleinste Einheit von Sprache, die ein Wort von einem anderen unterscheidet. n Morpheme sind die kleinsten bedeutungshaltigen Einheiten der Sprache. Sie erschliessen die Bedeutung und sind wichtige Einheiten im semantischen Prozess. Irène Baeriswyl-Rouiller 34

34 Lesetest LGVT 6-12 (für Klassen 6-12) n Verfahren zur Erfassung des Leseverständnisses und der Lesegeschwindigkeit Einzel- oder Gruppentest Durchführungszeit: zirka 10 Minuten Normen: Prozentrangwerte und T-Werte Normierungsstichprobe: an 2390 Schülern Objektivität: gut Reliabilität: Zuverlässigkeit ist gut Validität: Gültigkeit Irène Baeriswyl-Rouiller 35

35 Grundlagen der Schriftsprachentwicklung Komponenten phonologischer Informationsverarbeitung Phonologische Bewusstheit Phonologische Rekodierung im lexikalischen Zugriff Phonetische Rekodierung im Arbeitsgedächtnis Mögliche Erfassungsmethoden Zuordnungen, Reimaufgaben, Phonemsegmentierung, Silbenklatschen, Laut- Wortzuordnungen Schnelles Benennen von Wörtern, Farben, Objekten, Lesen von Pseudowörtern Artikulationsgeschwindigkeit, Gedächtnisspanne für Bilder, Gedächtnisspanne für Wörter In: Walter J., Wember F. Hrsg: (2007). Sonderpädagogik des Lernens. S. 479 Irène Baeriswyl-Rouiller 36

36 Dekodierungsschwäche umgeben von Stärken Wortschatz Vorstellungen + Konzeptbildung Wortidentifikation Kritisches Denken Dekodieren Allgemeines Wissen Schlussfolgerndes Denken Problemlösen Irène Baeriswyl-Rouiller 37

37 Erschwerende Faktoren n Verständnis der Phonem Graphem Korrespondenz, das heisst das Erkennen des Zusammenhangs zwischen dem Laut und den Zeichen (au, eu, ng, ei, sch, etc.) n Das bewusste Wahrnehmen der Differenzierung der Laute (bp, dt, gk,ng etc. oder die Bestimmung der Vokallänge. n Reduzierte Aufmerksamkeits- und Gedächtnisleis-tungen Irène Baeriswyl-Rouiller 38

38 Phoneme - Morpheme n n Phoneme sind die kleinste Einheit von Sprache, die ein Wort von einem anderen unterscheidet. M / A / L / au / eu / ei / st / sch etc. Morpheme sind die kleinsten bedeutungshaltigen Einheiten der Sprache. Sie erschliessen die Bedeutung und sind wichtige Einheiten im semantischen Prozess. Fall / ball / mast / klag/ Irène Baeriswyl-Rouiller 39

39 Arbeitsauftrag Lesen Gruppe: 4 Personen n n n n Lesen Sie die verschiedenen Texte betreffend Leseunterricht durch. Skizzieren Sie ein Konzept für ein tägliches Lesetraining Wie könnte das Konzept aussehen? Wie würden Sie das organisieren? Sinnverstehendes Lesen ist sehr wichtig in der OS. Lesen Sie den Text von Jürgen Walter über sinnverstehendes Lesen durch und entwickeln Sie ein Training und Strategien zur Förderung. Wie würden Sie den Aufbau des sinnverstehenden Lesens unterstützen? Automatisieren ist ein wichtiger Bestandteil der Leseförderung Skizzieren Sie, wie Sie dieses Automatisieren fördern und aufbauen würden. Die Schüler sollte auch zu Hause lesen. Wie können Sie das als Lehrer fördern? Wie würden Sie sie die Motivation steigern? Wie würden Sie die Eltern miteinbeziehen? Zeit: 40 Minuten vorbereiten und schriftlichen Plan den Kollegen abgeben 5-7 Minuten das Irène Baeriswyl-Rouiller 40

40 Arbeitsauftrag Lesen n Lesen Sie die beiden Artikel Was ist guter Leseunterricht und das Lesen trainieren. n Skizzieren Sie in Partnerarbeit ein Konzept zur Verbesserung der Lesekompetenz. Wie könnten Sie ein Lesetraining organisieren? Denken Sie an den Lesefluss und das Leseverständnis. Denken Sie beim Konzept auch an die Arbeit und das Lesetraining zu Hause. Wie könnten Sie den Schüler motivieren? Der Einbezug der Eltern ist ein wichtiger Faktor. Wie würden Sie die Eltern miteinbeziehen? 41 Irène Baeriswyl-Rouiller

41 Verarbeitungsaufgabe: Aufsatzunterricht Partnerarbeit Schauen Sie den Aufsatz des Viertklässlers und den Kommentar der Lehrerin an. n Aufgabe: Wie könnte man diesem Schüler helfen, Texte in Zukunft besser zu entwerfen? Skizzieren Sie mögliche individuelle Hilfestellungen für dieses Kind. n Was denken Sie über den Kommentar der Lehrerin? Wie hilfreich ist der Kommentar? Was für Emotionen können da hochkommen?. Zeit: 40 Minuten Kurzinformation der Skizze von 5 Minuten Irène Baeriswyl-Rouiller 42

42 Auswirkung des Lesetrainings Lesezeit pro Tag von guten und schlechten Lesern Shaywitz, S. 107, 2004 Irène Baeriswyl-Rouiller 43

43 Fördermassnahmen n Behandlung auf verschiedenen Ebenen mit dem Ziel Schriftsprache systematisch zu verbessern. n Orientierung an folgenden Aspekten: Form der Störung Lesen +/ Rechtschreiben Schweregrad Stand der Schriftsprachentwicklung Alter des Kindes/Jugendlichen Soziales Umfeld Schulisches Umfeld Irène Baeriswyl-Rouiller 44