Ein Blick zurück aus der Zukunft: Menschenrechte, Maßregelvollzug und die Zivilgesellschaft 2020

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1 Ein Blick zurück aus der Zukunft: Menschenrechte, Maßregelvollzug und die Zivilgesellschaft 2020 Ernst Friedrich Wilhelm Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken

2 Maßregeln der Besserung und Sicherung Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus Unterbringung in der Entziehungsanstalt Unterbringung in der Sicherungsverwahrung Führungsaufsicht Entziehung der Fahrerlaubnis Berufsverbot

3 Maßregeln der Besserung und Sicherung Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus Unterbringung in der Entziehungsanstalt Unterbringung in der Sicherungsverwahrung Führungsaufsicht Entziehung der Fahrerlaubnis Berufsverbot

4 Gesetz zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung anderer Vorschriften vom 8. Juli 2016, in Kraft getreten am 1. August 2016

5 Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus ( 63 StGB in der bis geltenden Fassung) Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit oder der verminderten Schuldfähigkeit begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, das von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist.

6 Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus ( 63 StGB in der ab geltenden Fassung) Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit oder der verminderten Schuldfähigkeit begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat gibt, das von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

7 Voraussetzungen der Anordnung Der Täter weist einen (überdauernden) psychischen Zustand auf, durch den seine Schuldfähigkeit zumindest erheblich vermindert ist. Der Täter hat eine rechtswidrige Tat begangen. Aufgrund seines Zustandes sind von dem Täter weitere erhebliche Taten zu erwarten.

8 Dauer der Unterbringung ( 67d Abs. 2 Satz 1, Abs. 6 Satz 1 StGB) Das Gericht setzt die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, dass der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Stellt das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fest, dass die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre, so erklärt es sie für erledigt.

9 Verfahrensrechtliche Umsetzung ( 67e StGB, 463 Abs. 4 StPO) Zuständig ist die große Strafvollstreckungskammer des Landgerichts, in dessen Bezirk das psychiatrische Krankenhaus liegt. Die Überprüfung der Fortdauer der Unterbringung ist jederzeit möglich, muss aber jeweils spätestens vor Ablauf eines Jahres erfolgen. Einholung eines externen psychiatrischen Gutachtens jeweils nach Ablauf von 5 Jahren (ab nach 3 bzw. 2 Jahren).

10 Übersicht Erledigungserklärung bei Fehleinweisung Wegfall der Voraussetzungen für die Anordnung Verstoß gegen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Bewährungsaussetzung bei günstiger Legalprognose.

11 Übersicht Erledigungserklärung bei Fehleinweisung Wegfall der Voraussetzungen für die Anordnung Verstoß gegen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Bewährungsaussetzung bei günstiger Legalprognose.

12 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Konkretisierung gesetzlich seit in 67d Abs. 6 Sätze 2 und 3 i. V. m. Abs. 3 Satz 1 StGB durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

13 Gesetzliche Konkretisierung Dauert die Unterbringung 6 Jahre, ist die Fortdauer in der Regel nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden. Sind 10 Jahre der Unterbringung vollzogen, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.

14 Verfassungsrechtliche Grundlagen Schuldgrundsatz als Ausprägung des Schutzes der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) Schutz der Freiheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 2, 104 Abs. 1 Satz 1 GG)

15 Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Kollidiert der Freiheitsanspruch der Person mit dem Erfordernis, die Allgemeinheit vor zu erwartenden Rechtsgutverletzungen zu schützen, sind beide Belange gegeneinander abzuwägen. Dabei sind die von dem Täter ausgehenden Gefahren zur Schwere des mit der Maßregel verbundenen Eingriffs ins Verhältnis zu setzen. Das Freiheitsgrundrecht gewinnt mit der Dauer der Unterbringung immer stärkeres Gewicht für die Wertungsentscheidung des Gerichts. Ist eine Besserung ausgeschlossen, nähert sich die Unterbringung dem Vollzug einer nicht angeordneten und qualitativ andersartigen Sicherungsverwahrung an.

16 Folgen dieser Rechtsprechung Allein die Gefährlichkeit eines Untergebrachten rechtfertigt noch nicht die Fortdauer seiner Unterbringung. Je länger die Unterbringung andauert, desto höher muss der Grad seiner Gefährlichkeit sein. Auch ohne Veränderung des psychischen Zustands und der sich daraus ergebenden Gefährlichkeit kann die Entlassung aus dem Maßregelvollzug erforderlich sein. Sind die Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft, steigen die Anforderungen an die Rechtfertigung der Unterbringung.

17 Wo wollen (müssen) wir hin? Behandlung im Maßregelvollzug vor dem Hintergrund einer zeitlichen Befristung Einrichtung von Wohnheimen mit geschultem Personal für entlassene Maßregelvollzugspatienten, auch bei ungünstiger Legalprognose und problematischer Deliktsstruktur ambulante Betreuung durch forensische Ambulanzen in Wohnortnähe niederschwellige ambulante psychiatrische Betreuung, evtl. mit Anbindung an forensische Ambulanz

18 Instrumente der Justiz und der Polizei Führungsaufsicht Bewährungshilfe VISIER.rlp (Vorbeugendes Informationsaustauschsystem zum Schutz vor inhaftierten und entlassenen Rückfalltätern)

19 Gesellschaftliche Problematik Erhöhtes Risiko durch Lockerungen im Umfeld von Maßregelvollzugseinrichtungen Erhöhter Finanzbedarf für Übergangs- und Betreuungseinrichtungen Verschlechterung des Wohnumfeldes durch Zuzug ehemaliger Maßregelvollzugspatienten Erhöhtes Risiko durch entlassene Maßregelvollzugspatienten

20 Alternative? Die Alternative ist nicht mehr Sicherheit durch längeren Maßregelvollzug, sondern weniger Sicherheit durch Entlassung unvorbereiteter Maßregelvollzugspatienten in ein unstrukturiertes Umfeld.

21 Zivilgesellschaft Demokratisches Gemeinwesen Gerechte Gesellschaft (Toleranz, Verantwortung und Vertrauen) Übernahme von Verantwortung durch selbstorganisierte Bürgerinnen und Bürger Gewaltlosigkeit, aber auch Widerspruch gegen Hoheitsanspruch des Staates

22 Dialog mit der Bevölkerung Rechtsprechung Landespolitik Kommunalpolitik Maßregelvollzugseinrichtungen Wohnheime

23 Zurück zum Thema Die Zukunft ist schon da. Die Zivilgesellschaft zeigt sich auch im Maßregelvollzug als humane Gesellschaft. Bereitschaft der Zivilgesellschaft die (negativen) Folgen eines humanen Maßregelvollzugs zu akzeptieren?