Vorwort der Übersetzer
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- Berndt Bergmann
- vor 8 Jahren
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1 Vorwort der Übersetzer 11 Vorwort der Übersetzer Die Auswirkungen substanzbezogener Störungen auf die Gesundheit von Angehörigen wurden in den letzten Jahren, insbesondere in Studien aus dem angloamerikanischen Sprachraum, eindrücklich belegt. So konnte empirisch nachgewiesen werden, dass Angehörige mit extrem belastenden Lebenssituationen und negativen Folgen des Trinkens konfrontiert werden, ohne in der Regel über angemessene Bewältigungsstrategien zu verfügen. Als Folge dieser permanenten Stresssituation entwickeln viele Angehörige eigene Symptome und Störungen. Die Datenlage in Deutschland ist demgegenüber bislang gering und beschränkt sich oftmals ausschließlich auf (Ehe-) Partner von behandelten Alkoholabhängigen (oder Eltern von behandelten Drogenabhängigen), während die Situation weiterer Personen aus dem engen sozialen Umfeld nicht untersucht wurde. Erschwerend kommt hinzu, dass das Suchthilfesystem nur einen Bruchteil der Betroffenen erreicht. Dies gilt sowohl für die Abhängigen selbst als auch in einem noch größeren Ausmaß für Angehörige von Suchtkranken. Es liegen bislang kaum Angaben zum Ausmaß des Problems und den damit assoziierten gesundheitlichen Beeinträchtigungen bei Angehörigen unbehandelter Abhängiger vor. Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen schätzt, dass in Deutschland 5 7 Millionen Angehörige von Alkoholabhängigen mitbetroffen sind, wobei keine solide Datenbasis für eine solche Schätzung vorliegt. Auf dem deutschen Buchmarkt finden sich zum Thema»Angehörige von Alkoholkranken«derzeit schwerpunktmäßig populärwissenschaftliche Beiträge; wissenschaftlich fundierte Publikationen sind bislang eher die Ausnahme. Die vorhandene Literatur basiert dabei in den meisten Fällen auf dem Konzept der»co-abhängigkeit«, nach welchem Personen in der Umgebung des Suchtkranken ein bedeutsamer, oftmals unbewusst ablaufender Einfluss auf die Entstehung, Verstärkung und Aufrechterhaltung der Suchtentwicklung zugeschrieben wird. Entsprechend einer pathologisierenden Betrachtungsweise wurde von Vertretern des Konzeptes bereits vorgeschlagen, Co-Abhängigkeit als eine spezielle Persönlichkeitsstörung zu betrachten, ohne dass sich hierfür eine empirische Basis finden ließe. Die bei Angehörigen von Suchtkranken gefundenen klinisch relevanten Beeinträchtigungen betreffen die gesamte Breite dysfunktionaler Symptome und beinhalten größtenteils stressbedingte Erkran-
2 12 Vorwort der Übersetzer kungen wie Depressionen, Ängste und somatoforme Störungen. Lediglich eine kleine Gruppe von Angehörigen weist Persönlichkeitsstörungen im Sinne der abhängigen oder selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung auf. Erschwerend kommt hinzu, dass das Konzept der Co-Abhängigkeit oftmals reichlich undifferenziert verwendet wird, um den Menschen im Umfeld von Abhängigen eine (Mit)schuld an der Entwicklung der Krankheit zuzuschreiben. Derzeit muss unklar bleiben, in welchem Ausmaß die daraus resultierende Stigmatisierung von Angehörigen Suchtmittelabhängiger zu einer vergrößerten Hemmschwelle gegenüber der Kontaktaufnahme mit dem Behandlungssystem beiträgt. Weiterhin ergibt sich aus solchen pathologisierenden Konzepten meist eine a priori festgelegte Definition sinnvoller Behandlungs- und Beratungsziele. Derzeit wird Angehörigen von behandlungsunwilligen Menschen mit Alkoholproblemen oftmals lediglich die Trennung angeraten. Diejenigen, die diesen Schritt nicht gehen wollen oder können, finden nur schwer Unterstützung. Nach dem Co-Abhängigkeitsmodell besteht die Notwendigkeit,»Hilfe durch Nicht- Hilfe«zu praktizieren, d. h. die Verantwortung für das Trinken und die damit verbundenen Schwierigkeiten vollständig dem Abhängigen zu überlassen. Der Wunsch nach einer aktiven Beeinflussung des Abhängigen wird demgegenüber selbst als Symptom der Co-Abhängigkeit angesehen. Allerdings: Selbst wenn diesen Angehörigen eine Stärkung eigenständiger Aktivitäten und eine bessere Abgrenzung gegenüber dem Trinkverhalten gelingt, bleibt doch eine chronisch stressbehaftete Situation bestehen und damit die Gefahr weiterer psychischer und gesundheitlicher Beeinträchtigungen. Zusätzlich ignoriert das Modell die unter Umständen sehr realen Bedrohungen, die sich aus alkoholbezogenen Schwierigkeiten ergeben können (z. B. massive finanzielle Probleme bei einer Kündigung). Auch empirisch kann die Annahme, dass eine Beeinflussung der Abhängigkeitsentwicklung durch Angehörige nicht möglich ist, nicht aufrechterhalten werden. Befragt man behandelte Alkoholabhängige nach ihren primären Gründen, eine Behandlung anzutreten, so werden Partnerschaftskonflikte (und insbesondere Scheidungsdrohungen) verhältnismäßig oft genannt. Bevölkerungsstudien konnten zudem zeigen, dass sozialer Druck eine bedeutsame Größe für die Inanspruchnahme therapeutischer Hilfen darstellt. Außerhalb des Behandlungssystems gelingt es Angehörigen offensichtlich immer wieder, einen direkten Einfluss auf die Inanspruchnahme professioneller Hilfen durch Suchtkranke auszuüben.
3 Vorwort der Übersetzer 13 Auf der Suche nach Konzepten, welche die in der deutschen Versorgungsstruktur bislang brachliegende Ressource der Angehörigen aufzugreifen in der Lage waren, stießen wir vor einigen Jahren auf den CRAFT-Ansatz. Die Nutzung bewährter verhaltenstherapeutischer Konzepte aus einem stärker systemisch geprägten Blickwinkel erschien uns vor dem Hintergrund der eigenen klinischen Erfahrung unmittelbar einleuchtend, und die empirischen Wirksamkeitsnachweise legten eindrücklich nahe, dass hier ein brauchbares Interventionskonzept für eine bislang unterversorgte Gruppe von Menschen mit zumeist hohem Leidensdruck vorlag. So begannen wir mit der Übersetzung des Therapeutenmanuals in der Hoffnung, den Ansatz damit einem größeren (Fach-) Publikum zugänglich machen zu können. Die Übersetzung war dabei mit einigen Tücken gekennzeichnet: Die Bezeichnung des Programms»Community Reinforcement Approach and Family Training«haben wir für den deutschen Sprachgebrauch in das»community Reinforcement Ansatz basierte Familientraining«übersetzt. Der Begriff Community Reinforcement ließ sich aufgrund der deutlich breiter gefassten Bedeutung des Community-Begriffs gegenüber einer Begrifflichkeit wie»gemeindenah«nicht ohne Verlust an Aussagekräftigkeit ins Deutsche übertragen. Wir haben uns deshalb entschlossen, den Begriff im Original zu belassen. Begrifflichkeiten wie»substance abusers«haben wir durch Substanzabhängige, Alkoholabhängige und Drogenabhängige ersetzt. Für diese eher unglücklichen Bezeichnungen mussten wir uns zugunsten einer besseren Lesbarkeit entscheiden, um politisch korrektere aber gleichzeitig lange Wortreihen wie z. B. Menschen mit einer Alkoholabhängigkeit zu vermeiden. Die Begrifflichkeit folgt dabei jedoch nicht den einschlägigen diagnostischen Manualen, wie dem ICD-10 oder DSM-IV, sondern umfasst allgemein Menschen mit substanzbezogenen Problemen. Im englischen Original benutzen die Autoren häufig den Begriff»Loved One«für die Substanzabhängigen, um den starken emotionalen Bezug der Angehörigen zu den Substanzabhängigen sowie die Grundatmosphäre von CRAFT hervorzuheben. Leider fehlte allen Übersetzungsversuchen dieses Begriffes jegliche Glaubwürdigkeit im deutschen Sprachgebrauch, sodass wir auf eine wörtliche Übersetzung mit ähnlicher emotionaler Bedeutung besser verzichteten. Ebenfalls zugunsten besserer Lesbarkeit haben wir Differenzierungen zwischen männlichen und weiblichen Personenbezeichnungen in der Regel unterlassen. Es sind natürlich immer auch z. B. die Therapeutinnen und die Klientinnen eingeschlossen.
4 14 Vorwort der Übersetzer Die Dialoge im Buch wurden behutsam dem deutschen Sprachgebrauch angeglichen, ebenso die Verweise auf Hilfemöglichkeiten bei Gewalt. Bei der Auswahl der Fragebögen haben wir darauf geachtet, dass sie entweder deutsche validierte Versionen der von den Autoren vorgeschlagenen Instrumente sind oder diesen inhaltlich nahe kommen. Besonders freut uns, dass es uns durch finanzielle Förderung seit Anfang 2008 ermöglicht wurde, die Wirksamkeit des CRAFT-Ansatzes in einer kontrollierten Studie zu überprüfen und damit auch Erfahrungen in der praktischen Durchführung des Ansatzes zu gewinnen. Wir danken hierfür besonders den Spitzenverbände der Gesetzlichen Krankenkassen und dem Verband der Privaten Krankenkassen e.v. für die Unterstützung im Rahmen des Förderschwerpunktes zur»versorgungsnahen Forschung Chronische Krankheiten und Patientenorientierung«, einer gemeinsamen Förderinitiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, der Deutschen Rentenversicherung, der Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen und des Verbands der privaten Krankenversicherung e.v. Dr. Gallus Bischof, Dipl. Psych., Universität zu Lübeck, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Jennis Freyer-Adam, Dipl. Psych., Ernst-Moritz-Arndt Universität Greifswald, Institut für Epidemiologie und Sozialmedizin
5 Vorwort der Autoren für die deutsche Version 15 Vorwort der Autoren für die deutsche Version Es ist eine traurige Tatsache, dass in der ganzen Welt Familienan - gehörige mit substanzabhängigen Menschen zusammenleben, die sich vehement dagegen wehren, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Bis vor kurzem gab es für verzweifelte Familienangehörige nur die Möglichkeit, sich an konfrontative Hilfsprogramme wie die Johnson Intervention in den Vereinigten Staaten zu wenden oder dem Vorschlag der Al-Anon zu folgen, sich»liebevoll«von dem Alkohol- oder Drogenabhängigen»zu trennen«. Aus mehreren Gründen waren die Familienangehörigen mit diesen Optionen nicht zufrieden. Das Community Reinforcement Ansatz basierte Familien-Training (CRAFT) ist ein relativ neues kognitiv-behaviorales Programm. Verschiedenste Studien haben gezeigt, dass CRAFT durch die Zusammenarbeit mit Familienangehörigen behandlungsunwillige Substanzabhängige erfolgreich in Behandlung bringt. CRAFT hat sowohl die Johnson Intervention als auch Al-Anon bezüglich der Inanspruchnahme von Behandlung bei weitem übertroffen. Dieser Erfolg wurde sowohl für Alkoholabhängige als auch für verschiedenste Drogenabhängige nachgewiesen. Durch die Teilnahme am CRAFT-Training haben die Familienangehörigen (z. B. Partner, Eltern, Geschwister, erwachsene Kinder) von Substanzabhängigen, diese in 64 86% der Fälle erfolgreich zum Behandlungseintritt motiviert. CRAFT ist ein Ableger vom CRA (Community Reinforcement Ansatz), ein seit den 1970er Jahren in den USA bekanntes evidenz - basiertes Behandlungsprogramm für die Alkohol- und Drogenabhängigen selbst. Schon früh haben CRA-Therapeuten und CRA-Forscher erkannt, dass die Familienangehörigen von Substanzabhängigen eine bedeutende Rolle dabei spielen können, die behandlungsunwilligen Menschen dazu zu bringen, einer Behandlung zuzustimmen, wenn die Angehörigen richtig trainiert werden. Daraufhin hat Dr. Robert J. Meyers CRAFT als Methode entwickelt, um Familienangehörigen Fertigkeiten zu vermitteln, die ihnen dabei helfen können, die ihnen nahestehende Person zu einer Behandlung zu motivieren. Zu diesen Fertigkeiten gehört es zu lernen, sich anders gegenüber dieser Person zu verhalten, sodass nüchternes Verhalten ganz deutlich belohnt und der Alkohol- oder Drogenkonsum konsequent abgeschwächt wird. Als Bestandteil des Trainings lernen die Famili-
6 16 Vorwort der Autoren für die deutsche Version enangehörigen positive Kommunikation und angemessene Problemlösestrategien anzuwenden. Ein wichtiges Ziel des CRAFT-Verfahrens ist es, den nicht-abhängigen Familienangehörigen zu helfen, ihre psychologischen Probleme und ihr Leiden zu reduzieren, unabhängig davon, ob die Substanzabhängigen Behandlung in Anspruch nehmen oder nicht. Daher werden die Familienangehörigen im Rahmen von CRAFT gebeten, ihre eigenen Bedürfnisse und Lebensziele zu explorieren. In klinischen Studien hat sich bei CRAFT-trainierten Angehörigen in der Regel eine bemerkenswerte Abnahme von Depression, Angst, Ärger und physischen Problemen gezeigt. Aktuell wird CRAFT in den Vereinigten Staaten, Kanada, Finnland, Deutschland, Korea, Schweden, den Niederlanden und in Großbritannien angewandt. Die Übersetzung des Buches»Motivating Substance Abusers to Enter Treatment: Working with Family Members«in die deutsche Sprache macht dieses evidenzbasierte Behandlungsprogramm für Psychologen, Ärzte, Therapeuten, Suchtberater, Sozialarbeiter und Fallarbeiter im deutschsprachigen Raum zugänglich. Sie werden nun besser in der Lage sein, diesen Lösungsansatz anzuwenden, der die Unterstützung besorgter Familienangehöriger nutzt, um das Abhängigkeitsproblem zu adressieren. Das Engagement vorausdenkender Psychologen wie Dr. Gallus Bischof und Dr. Jennis Freyer-Adam, CRAFT als Bestandteil eines umfassenden Behandlungssystems einzubeziehen, ist äußerst lobenswert. Ihre Bemühungen sind ein Zeugnis ihres fortschrittlichen Denkens und ihrer Hingabe an die Menschen, denen sie dienen. Wir danken ihnen für diese Übersetzung unseres CRAFT-Buches und sind überzeugt, dass es einen wichtigen Beitrag für die Substanzbehandlung in den deutschsprachigen Ländern leisten wird. Prof. Dr. Jane Ellen Smith, Direktorin des Department of Psychology, University of New Mexico und Albuquerque, NM USA Dr. Robert J. Meyers, Wissenschaftlicher Privatdozent im Ruhestand
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