Trotz Wirtschaftskrise und Arbeitszeitkonto: Der BR und das Mitbestimmungsrecht bei Mehrarbeit nach 87 BetrVG am 6. Januar 2010
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1 IG Metall Informationstagung Trotz Wirtschaftskrise und Arbeitszeitkonto: Der BR und das Mitbestimmungsrecht bei Mehrarbeit nach 87 BetrVG am 6. Januar 2010 Referentin: Larissa Wocken Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht Mönckebergstraße Tel: ,
2 1. Definition Als Mehrarbeit gilt die Überschreitung der gesetzlich zulässigen regelmäßigen Höchstarbeitszeit von acht Stunden am Tag und 48 Stunden in der Woche. Überstunden sind die Arbeitsstunden, die über die für den einzelnen Arbeitnehmer aufgrund des Arbeitsvertrages oder eines Tarifvertrages geltende regelmäßige Arbeitszeit hinausgehen. 2
3 2. Gesetzlicher Rahmen Das Arbeitszeitgesetz (ArbZG), das für alle Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, nicht aber für leitende Angestellte i. S. d. 5 Abs. 3 BetrVG gilt, definiert Arbeitszeit als die Zeit von Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne Pausen, 2 Abs. 1 ArbZG. Die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen darf acht Stunden nicht überschreiten, 3 Abs. 1 ArbZG. Sie kann ohne bestimmten Anlass bis zu 10 Stunden verlängert werden, wenn innerhalb von 6 Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Stunden im Durchschnitt 8 Stunden werktäglich nicht überschritten werden. 3
4 Der gesetzliche Höchstrahmen für die Arbeitszeit beträgt also 6 x 8 Stunden = 48 Stunden x 48 Wochen (52 Jahreswochen minus 4 Wochen gesetzlicher Mindesturlaub). Die Arbeitszeit kann bis zu 60 Stunden wöchentlich erhöht werden, wenn innerhalb der gesetzlichen festgelegten Ausgleichszeiträume von 6 Monaten bzw. 24 Wochen die Arbeitszeit von 8 Stunden werktäglich nicht überschritten wird. Der Betriebsrat hat ein Mitbestimmungsrecht bei der Festlegung 4
5 3. Vergütung der Überstunden/Mehrarbeit Die Regelung der Vergütung der Überstunden/Mehrarbeit erfolgt durch Tarif- bzw. Arbeitsvertrag. Sofern z. B. die Regelungen des Manteltarifvertrages der er Metallindustrie durch beiderseitige Tarifgebundenheit oder einzelvertraglicher Bezugnahme auf das Arbeitsverhältnis angewandt werden, werden Überstunden mit den entsprechenden Zuschlägen vergütet. 5
6 Wenn kein Tarifvertrag auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findet, muss die Vergütungsfrage für Überstunden im Arbeitsvertrag geregelt sein., Bei nicht tarifgebundenen Arbeitsverhältnissen ist somit die Vertragsklausel, wonach mit dem Lohn oder Gehalt sämtliche Überstunden abgegolten sind, bis zu den Grenzen der 612 Abs. 1, 242, 138 BGB zulässig. Von der Vergütungsfrage der Überstunden im Einzelfall ist die Mitbestimmung des Betriebsrates bei Leistung von Überstunden strikt zu trennen. 6
7 4. Mitbestimmung des Betriebsrates Gemäß 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei der vorübergehenden Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit. 7
8 4.1 Schutzzweck der Mitbestimmung Der Schutzzweck der Nr. 3 bei einer Verlängerung der Arbeitszeit ist: Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen vor den physischen und psychischen Belastung zu schützen Gerechte Verteilung der hiermit verbundenen Belastungen und Vorteile auf die einzelnen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen herzustellen, Sicherung der Einzelfallgerechtigkeit ( 315 BGB) z. B. Vereinbarkeit der Überstunden mit dem Ziel, dass Beruf und Familie vereinbar sein müssen. 8
9 4.2 betriebsübliche Verlängerung der Arbeitszeit Das Mitbestimmungsrecht besteht, wenn die betriebsübliche Arbeitszeit verkürzt oder verlängert werden soll. Unter der betriebsüblichen Arbeitszeit ist die regelmäßige betriebliche Arbeitszeit zu verstehen. Dies sind alle Arbeitszeiten, welche die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, ein Teil von ihnen oder auch ein einzelner jeweils individualrechtlich dem Arbeitgeber schulden. 9
10 Beispiele: Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen mit der tariflichen Arbeitszeit von 35 Stunden in der Woche Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen mit der tariflich zulässigen Arbeitszeit von 40 Stunden in der Woche (Quote gemäß MTV) Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in Teilzeit z. B. 20 Stunden in der Woche 10
11 Die jeweils tägliche betriebsübliche Arbeitszeit ist in den meisten Fällen durch eine Betriebsvereinbarung geregelt. Bei Teilzeitarbeitsverhältnissen kann die täglich vereinbarte übliche Arbeitszeit z. B. 4 Stunden betragen. Wenn die jeweilige übliche tägliche bzw. wöchentliche Arbeitszeit vorübergehend verlängert wird, greift das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates gemäß 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG ein. 11
12 4.3 Kollektiver Tatbestand als Voraussetzung der Mitbestimmung Das Mitbestimmungsrecht besteht nur dann, wenn bei Überstunden ein kollektiver Tatbestand gegeben ist, d. h., wenn diese aus betrieblichen Gründen erforderlich werden und Regelungsfragen auftreten, die die kollektiven Interessen der AN betreffen. 12
13 Der kollektive Tatbestand ist nicht gegeben, wenn lediglich individuelle Besonderheiten und Wünsche einzelner Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen betroffen sind. Selbst wenn nur ein Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerin betroffen ist, sind regelmäßige kollektive Interessen, wie Verteilung der Überstunden, Anzahl der Überstunden, Möglichkeit der Neueinstellung gegeben. 13
14 4.4 Freiwilligkeit der Überstunden Das Mitbestimmungsrecht wird nicht dadurch aufgehoben, dass AN die Überstunden freiwillig leisten und der Arbeitgeber die Überstunden duldet. Der Schutzzweck der Mitbestimmung ist auch in diesen Fällen gegeben. 14
15 4.5 Eilfälle/Notfälle Das Mitbestimmungsrecht besteht auch in Eilfällen. Eilfälle können z. B. in folgenden Situationen gegeben sein: kurzfristige Lieferverpflichtung, Verzögerungen aufgrund Personalausfalls, Verzögerungen aufgrund Organisationsfehlern. 15
16 Das Mitbestimmungsrecht ist in diesen Fällen gemäß der Rechtssprechung nicht ausgeschlossen, weil Eilfälle regelmäßig das Ergebnis einer mangelnden betrieblichen Organisation des Arbeitgebers sind. In Notfällen ist das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates dagegen ausgeschlossen. Notfälle liegen nach der Rechtssprechung des Bundesarbeitsgerichts in folgenden Situationen vor: Ausbruch eines Brandes, Auftreten von Überschwemmungen, Explosionsgefahr, Auslieferung verderblicher Ware kurz vor Arbeitsschluss. 16
17 In den Fällen, in denen plötzlich nicht vorausschaubar eine Situation eintrifft, die zur Verhinderung nicht wieder gutzumachender Schäden zu unaufschiebbaren Maßnahmen zwingt, ist das Mitbestimmungsrecht ausgeschlossen. 17
18 4.6 Weitere Einzelfälle Auch in folgenden Einzelfällen besteht das Mitbestimmungsrecht: zusätzliche Arbeit für Teilzeitbeschäftigte, Wegezeiten außerhalb der Arbeitszeit, wenn z. B. der PKW selber geführt wird, Anordnung von Rufbereitschaft 18
19 5. Ausübung der Mitbestimmung Die Mitbestimmung wird durch den Abschluss einer Regelungsabrede (formlose Absprache) oder einer formellen Betriebsvereinbarung ausgeübt. Entscheidend für die Mitbestimmung ist, dass der Betriebsrat vor Durchführung der Maßnahme sein Einverständnis hierzu erteilt. 19
20 Zwar wird dem Mitbestimmungsrecht durch eine formlose Regelungsabrede genügt, durch eine solche kann jedoch nicht, wie durch eine Betriebsvereinbarung abändernd, in arbeitsvertragliche Regelungen eingegriffen werden. Betriebsvereinbarungen wirken unmittelbar und zwingend, sie ändern den einzelnen Arbeitsvertrag, ohne dass die beiden Vertragsparteien, also Arbeitnehmer/Arbeitnehmerin und Arbeitgeber, dies gesondert vereinbaren müssen. 20
21 Mitbestimmung bedeutet, dass der Arbeitgeber, der Überstunden anordnen will, vorher die Zustimmung des Betriebsrates einholen muss. Verweigert der Betriebsrat die Zustimmung, muss der Arbeitgeber die Einigungsstelle anrufen, wenn er an seiner Absicht festhält. Keinesfalls auch nicht in Eilfällen darf er die Überstunden einseitig ohne Zustimmung des Betriebsrates oder den zustimmungsersetzenden Spruch der Einigungsstelle anordnen oder dulden. 21
22 Die Einigungsstelle entscheidet also in den Fällen, in denen sich die Betriebsparteien selber nicht einigen können. Auch der Betriebsrat kann die Einigungsstelle anrufen, also deren Einsetzung gerichtlich beantragen. 22
23 6. Rechtsmittel bei Verletzung des Mitbestimmungsrechts Sofern ein Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht droht, kann mittels einer einstweiligen Verfügung das Mitbestimmungsrecht gesichert werden. Wenn der Arbeitgeber das Mitbestimmungsrecht verletzt hat, kann der Betriebsrat durch einen Unterlassungsantrag, der auf die Zukunft gerichtet ist, weitere Pflichtverletzungen verhindern. Dieser Unterlassungsanspruch ist im allgemeinen Beschlussverfahren geltend zu machen. 23
24 87 BetrVG lautet: (1) Der Betriebsrat hat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, in folgenden Angelegenheiten mitzubestimmen:... Nr. 3 vorübergehende Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit (2) Kommt eine Einigung über eine Angelegenheit nach Abs. 1 nicht zustande, so entscheidet die Einigungsstelle. Der Spruch der Einigungsstelle ersetzt die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. 24
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