Aktuelle Rechtsprechung. Dr. Esko Horn Arbeitsgericht Hamburg

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1 Aktuelle Rechtsprechung Dr. Esko Horn Arbeitsgericht Hamburg

2 BAG, Beschluss vom 22. Januar AS 6/13 Beschlussfassung des Betriebsrates Sachverhalt Der 1. Senat fragte bei 7. Senat an, ob an der bisherigen Rechtsprechung festgehalten werden soll. Welche Rechtsprechung?

3 BR-Beschluss ordnungsgemäße Ladung Beschlussfassung Einberufungskompetenz/ Zahl der Sitzungen Ladung Tagesordnung Zu ladende Personen 3

4 ordnungsgemäße Ladung Einberufung der Sitzung/Zahl der Sitzungen Nach Konstituierung durch BR-Vorsitzende Nach pflichtgemäßen Ermessen Wenn ¼ der BR-Mitglieder es beantragen Wenn der AG es beantragt Ladung BR-Vorsitzende hat die Mitglieder des Betriebsrates zu laden Bei turnusmäßigen Sitzungen ist Ladung (nicht aber TO!!) entbehrlich Ladungsfrist: So lange, dass man sich auf die Themen vorbereiten kann. (meist 3 Tage) Zeitpunkt und Ort (in der Regel während der Arbeitszeit) 4

5 ordnungsgemäße Ladung Tagesordnung TO muss so deutlich sein, dass sich die BR-Mitglieder hinreichend auf die Sitzung vorbereiten können. Änderung der TO ist möglich, wenn sich die Mitglieder hinreichend vorbereiten können (in der Sitzung daher (- )) Aber: Bei einstimmiger (alle BR- Mitglieder müssen da sein) TO- Änderung in der Sitzung kann Mangel geheilt werden o.k. o.k. Neue Rspr. 5

6 BAG, Beschluss vom 22. Januar AS 6/13 Beschlussfassung des Betriebsrates 1. Früher sagte das BAG, dass BR-Mitglieder durch die TO abwägen können, ob sie zur BR-Sitzung kommen. Zudem sollten sie sonst auf Mitglieder außerhalb der Sitzung Einfluss nehmen können. 2. BAG jetzt: - BR-Mitglied ist entweder verhindert, oder nicht. Eine Verhinderung nach Bedeutung der TO gibt es nicht. - Wenn verhindert, ist Ersatzmitglied vollwertig und kann daher auch einer Änderung der TO zustimmen.

7 BAG, Urteil vom 20. Juni AZR 805/11 Bestimmtheit einer Kündigung Sachverhalt: - AG kündigte Arbeitsverhältnis zum nächstmöglichen Termin - Danach folgten Ausführungen zu den gesetzlichen Kündigungsfristen - AN hielt Kündigung für unbestimmt, da nicht deutlich war, zu welchem Datum das AV enden sollte 7

8 BAG, Urteil vom 20. Juni AZR 805/11 Unwirksamkeit einer Kündigung bei Nichtnennung eines Enddatums? Ist Kündigung hinreichend bestimmt? BAG ja, wenn Frist unschwer zu ermitteln Frist bekannt oder genannt Benennung der gesetzlichen/tariflichen Regeln Berechnungsumstände bekannt Insb. Betriebszugehörigkeit (ggf. Problem bei 613a BGB) 8

9 BAG, Beschluss vom 10. Juli ABR 91/11 Einsatz von Leiharbeitnehmern Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats Sachverhalt AG will LeihAN einstellen, ohne zeitliche Begrenzung, beantragt bei BR Zustimmung nach 99 I 1 BetrVG und 14 III 1 AÜG BR verweigert gemäß 99 II Nr. 1 BetrVG; Begründung: Einstellung verstoße gegen das Gesetz, 1 I 2 AÜG: Die Überlassung von AN an Entleiher erfolgt vorübergehend. Ist die Zustimmung zu ersetzen?

10 BAG, Beschluss vom 10. Juli ABR 91/11 Einsatz von Leiharbeitnehmern Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats Ist Einstellung Gesetzesverstoß, 99 II Nr. 2? 1. BAG: 1 I 2 AÜG ist grds. Verbotsgesetz isv. 99 II Nr. 2 BetrVG (a.a.: lediglich unverbindlicher Programmsatz ) Zweck: a) Schutz des LeihAN vor dauerhaftem Auseinanderfallen von AG und Inh. des Weisungsrechts b) Verhindert dauerhafte Aufspaltung der Belegschaft des Entleiherbetriebs in eine Stamm- und eine entliehene Belegschaft

11 BAG, Beschluss vom 10. Juli ABR 91/11 Einsatz von Leiharbeitnehmern Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats 2. Hier: Einstellung vorübergehend? BAG: nein, da zeitlich völlig unbegrenzt beabsichtigt Folgeprobleme: a) Welche Dauer ist nicht mehr vorübergehend? Orientierung an 14 II 1 TzBfG: 2 Jahre? b) Worauf ist abzustellen: Dauer des Einsatzes des konkreten LeihAN oder Dauer der Stellenbesetzung?

12 BAG, Urteil vom 5. März AZR 417/12 Altersgrenzen in Betriebsvereinbarungen Sachverhalt AN wurde 1980 auf unbestimmte Zeit eingestellt Im Betrieb gibt es seit 1976 eine freiwillige BV; danach endet das Arbeitsverhältnis mit Erreichen des 65. Lebensjahres AN hält Altersgrenze in der BV für eine unzulässige Altersdiskriminierung zudem Günstigkeitssprinzip gem. Arbeitsvertrag

13 BAG, Urteil vom 5. März AZR 417/12 Altersgrenzen in Betriebsvereinbarungen 1. Darf Beendigung in BV geregelt werden? BAG: Grds. haben Betriebspartner umfassende Kompetenz zur Regelung materieller und formeller Arbeitsbedingungen ( 77 III 1, 2 BetrVG) 2. Verstoß gg. 75 I, II 1 BetrVG? Pflicht zur Wahrung der Berufsfreiheit, Art. 12 GG?

14 BAG, Urteil vom 5. März AZR 417/12 Altersgrenzen in Betriebsvereinbarungen BAG: Beendigung bei Übergang in Rentenbezug kann auch Befristung isv. 14 I TzBfG sachlich rechtfertigen; daher hier i.o., weil Kläger mit Vollendung des 65. Lebensjahres die Regelaltersgrenze erreicht. 3. Verstoß gegen Günstigkeitsprinzip? BAG: nein; ArbVertrag nicht so auszulegen, daß ArbVerhältnis auf Lebenszeit; ArbVertrag ist betriebsvereinbarungsoffen 4. Altersgrenze = Altersdiskriminierung? BAG: nein: legitimes Ziel isv. 10 S. 2 Nr. 5 AGG.

15 BAG, Urteil vom 20. Juni AZR 280/12 Vertragliche Ausschlussklausel Haftung für Vorsatz Sachverhalt AN hat ArbV mit Ausschlussklausel: Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis [ ], verfallen, wenn sie nicht innerhalb von drei Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben AV endete am Aug Klage auf Schmerzensgeld wegen mobbings.

16 BAG, Urteil vom 20. Juni AZR 280/12 Vertragliche Ausschlussklausel Haftung für Vorsatz Anspruch verfallen? 1. LAG: Anspruch verfallen. Aber 202 I BGB: Verjährung kann bei Vorsatz nicht im Voraus durch Rechtsgeschäft erleichtert werden ; und 276 III BGB: Vorsatzhaftung kann dem Schuldner nicht im Voraus erlassen werden.

17 BAG, Urteil vom 20. Juni AZR 280/12 Vertragliche Ausschlussklausel Ausschluss der Haftung für Vorsatz 2. BAG Klausel ist als AGB auszulegen: I BGB erfasst auch Ausschlussfristen Klausel wäre ivm. 134 BGB unwirksam. - Aber davon auszugehen, dass die Parteien keine Klausel unter Verstoß gg. das Gesetz wollten. - Wenn Klausel in einem außergewöhnl., nicht für regelungsbedürftig gehaltenen Fall gg. Gesetz verstößt, führt dies nicht zur Unwirksamkeit. 3. Aber Unklarheitenregel, 305c II BGB? BAG: kein Raum für Zweifelsregelung, da nach Auslegung kein Zweifel verbleibt.

18 BAG, Urteil vom 29. August AZR 809/12 Betriebsbedingte Kündigung freier Arbeitsplatz im Ausland Sachverhalt AG hat seinen Sitz und einen Betrieb in NRW 2011: AG beschließt, gesamte Produktion nach Tschechien zu verlagern, in NRW nur noch Verwaltung und kfm. Tätigkeiten Alle Produktionsmitarbeiter in NRW erhalten eine Beendigungskündigung Klägerin: Vorrang der Änderungskündigung mit Angebot der Tätigkeit in Tschechien!

19 BAG, Urteil vom 29. August AZR 809/12 Betriebsbedingte Kündigung freier Arbeitsplatz im Ausland Kündigung sozial ungerechtfertigt, weil Änderungskündigung milderes Mittel? 1. ultima-ratio-grundsatz (BAG v AZR 500/06): Vorrang der Änderungskündigung WB-Möglichkeit zu geänd. Bed. in Tschechien 2. aber: Muss AG ArbPlatz im Ausland anbieten? BAG: Anwendbarkeit des 1 KSchG richtet sich nach 23 I KSchG. Deutsches Gesetz Deutscher Anwendungsbereich

20 BAG, Urteil vom 19. Dezember AZR 190/12 Wartezeitkündigung wegen symptomloser HIV-Infektion Behinderung Sachverhalt Kläger wurde als Chem.-Techn. Assistent für Tätigkeit im Reinraum eingestellt AG stellt intravenös zu verabreichendes Medikament zur Krebsbehandlung her Nach Einstellung erfährt AG von der HIV- Infektion des Klägers Betriebsarzt hat Bedenken gegen Beschäftigung AG kündigt Kläger: Diskriminierung wg. Behinderung

21 BAG, Urteil vom 19. Dezember AZR 190/12 Wartezeitkündigung wegen symptomloser HIV-Infektion Behinderung Kündigung unwirksam? 1. allg. Kündigungsschutz gilt nicht ( 1 I KSchG) 2. unwirksam wg. Benachteiligung, 3 I AGG? a) Symptomlose HIV-Infektion als Behinderung? wenn körperliche Funktion, geistige Fähigkeit BAG: oder seelische Gesundheit eines Menschen langfristig eingeschränkt ist und dadurch Teilhabe an der Gesellschaft, wozu auch die Teilhabe am Berufsleben gehört, beeinträchtigt sein kann BAG: hier (+)

22 BAG, Urteil vom 19. Dezember AZR 190/12 Wartezeitkündigung wegen symptomloser HIV-Infektion Behinderung b) Kündigung unwirksam? Ist sie diskriminierend? BAG: ja, wenn AG durch angemessene Vorkehrungen den Einsatz des AN trotz seiner Behinderung ermöglichen kann dies ist vom LAG aufzuklären. Aber: Was ist eigentlich mit 2 IV AGG? Für Kündigungen gelten ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz 2 IV AGG regelt nur die Abgrenzung zu dem KSchG, dieses ist hier aber nicht einschlägig

23 BAG, Urteil vom 14. Mai AZR 844/11 Verzicht des Arbeitnehmers auf Urlaubsabgeltung Sachverhalt AN war seit 2006 arbeitsunfähig krank; ArbGeber kündigte zu Ende Juni 2009 Im Kündigungsschutzprozess schlossen die Parteien im Juni 2010 einen Vergleich: Abfindung für Beendigung, Damit sind alle Ansprüche der Parteien erledigt. Im Juli verlangt AN 10 T Urlaubsabgeltung AN: Abgeltungsanspruch unverzichtbar

24 BAG, Urteil vom 14. Mai AZR 844/11 Verzicht des Arbeitnehmers auf Urlaubsabgeltung 1. Anspruch auf Urlaubsabgeltung, 7 IV BUrlG? Voraussetzungen grds. erfüllt; aber: steht Erledigungsklausel im Vergleich dem Anspruch entgegen? I 3 BUrlG: Im übrigen kann von den Bestimmungen dieses Gesetzes nicht zuungunsten des AN abgewichen werden. AN: Daher Verzicht im Vergleich unwirksam. a) BAG bisher ( ): AN kann über gesetzl. Url.- und Abgeltungs-Anspruch nicht durch Rechtsgeschäft verfügen, da Anspruch unabdingbar, 13 I 1 BUrlG.

25 BAG, Urteil vom 14. Mai AZR 844/11 Verzicht des Arbeitnehmers auf Urlaubsabgeltung b) BAG jetzt: Daran wird nicht festgehalten; Voraussetzung: Erledigungsvereinbarung kommt nach Beendigung des AV zustande Grund: 13 I 1 BUrlG dient dem AN-Schutz; AN soll im AV nicht zum Verzicht auf gesetzl. Url. oder Abgeltung verleitet werden können Nach Ende des AV: reiner Geldanspruch; unterfällt Ausschlussfristen; verzichtbar wie allgemein

26 BAG, Urteil vom 10. April AZR 122/12 Darlegungs- und Beweislast bei Überstunden Sachverhalt AN kündigte zu Ende Feb und klagte anschl. auf Zahlung von Vergütung für 498 Überstunden aus 2010 AN: AG hat die Überstunden angeordnet, zumindest geduldet AG: bestreitet, dass Überstunden überhaupt geleistet, und, dass sie angeordnet waren AN beruft sich auf Excel-Liste des AG mit Arbeitszeiten Diese hatte AG aber aus Aufzeichnungen des AN übernommen

27 BAG, Urteil vom 10. April AZR 122/12 Darlegungs- und Beweislast bei Überstunden Anspruch nach 611 I BGB? 1. Überstunden geleistet? AN legt auf 100 Seiten Tag für Tag ArbZeit dar. LAG: nicht hinr. substantiiert; es ist nötig, dass AN vorträgt, was er jeweils konkret gearbeitet hat. BAG: nein; dies ist ggf. Frage der Glaubwürdigkeit. 2. Aber: kann dahinstehen, denn: Gibt es eine Vereinbarung über Leistung der Überstunden? a) ausdrücklich (-); aber b) durch schlüssiges Verhalten?

28 BAG, Urteil vom 10. April AZR 122/12 Darlegungs- und Beweislast bei Überstunden BAG: AN muss darlegen, dass Überstunden - angeordnet (wer auf welche Weise wieviele?), - gebilligt (wer hat wann auf welche Weise nachträgl. Einverständnis zu erkennen gegeben?) - geduldet (in Kenntnis hingenommen und nicht unterbunden; von welchen wann geleisteten Überstunden hat AG auf welche Weise wann Kenntnis erlangt? Ist es im Anschluss zu einer weiteren Überstunden gekommen?) wurden, - oder zur Erledigung der geschuldeten Arbeit notwendig waren

29 Außerdem: BAG, Urteil vom 10. April AZR 122/12 Darlegungs- und Beweislast bei Überstunden - Allein die Anwesenheit des AN am Arbeitsort begründet keine Vermutung für Notwendigkeit der Überstunden; - wenn es eine flexibel gehandhabte Monatsarbeitszeit gibt: AN muss darlegen, dass er einzelne Überstunden nicht innerhalb der MonatsArbZ ausgleichen konnte.

30 BAG, Urteil vom 10. April AZR 122/12 Darlegungs- und Beweislast bei Überstunden Hier: Billigung? BAG: mögl., wenn AG oder ein für ihn handelnder Vorgesetzter des AN durch Abzeichnen sein Einverständnis ausdrückt. BAG: Dafür ist nicht ausr., dass AG die vom AN gefertigten Arbeitszeitaufzeichnungen widerspruchslos entgegennimmt. Ergebnis: kein Anspruch des Klägers.

31 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!