Kurzum: Bist Du Herr oder Sklave in Deinem Start-up?
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- Moritz Stieber
- vor 8 Jahren
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1 Leseprobe aus Wir sind das Kapital Innovation von unten... Herr oder Sklave? Kramer und Schwarzinger beschreiben bestimmte Charaktermerkmale. Werfen wir im Folgenden einen Blick auf Arbeitsformen und neue Abhängigkeiten und stellen die Frage, ob es neben den positiven, emanzipatorischen Aspekten auch rundweg negative Entwicklungen im Bereich des Entrepreneurship gibt. Kurzum: Bist Du Herr oder Sklave in Deinem Start-up?»Get shit done«kann man bei Warner Yard lesen, einem Coworking Space in London. Und ein anderes Schild sagt:»wasting two out of seven days is not an option.«überhaupt wird der ganze Raum von einer Uhr dominiert, welche die Zeit bis zur nächsten Präsentation vor Augen führt.»that clock is basically your life«, sagt Laurence Aderemi, der CEO von Moni, einem Dienstleistungsunternehmen, das es leicht machen soll, Geld ins Ausland zu schicken. Er saß ursprünglich genau vor dieser Uhr, aber hat sich woanders hingesetzt, als die Uhr ihm nachts in einem Albtraum erschien. 51 Was es für diese Art von Gründern besonders stressig macht, ist der Umstand, dass sie emotional eigentlich ständig in einer Achterbahn unterwegs sind. Meistens ist die laufende Finanzierung das Problem, wenn sich die Gründer von Finanzinvestoren abhängig gemacht haben. Es ist immer nur so viel Geld da, dass die laufenden Ausgaben bestritten werden können. Um die Ausgaben niedrig zu halten und sicherzustellen, dass die Angestellten bezahlt werden, nehmen 51 Vgl. Economist vom , S. 7.
2 sie so wenig wie möglich Geld selbst aus dem Unternehmen und leben finanziell auf so niedrigem Niveau wie nur irgend möglich. Viele Gründer führen praktisch kein Leben außerhalb ihres Unternehmens und betrachten das Unternehmen quasi als ihre Familie. Das führt zu traumatischen Umständen, wenn ein vertrauter Angestellter oder, schlimmer noch, ein Mitgründer das Unternehmen verlässt.»it s like getting divorced«, sagt Daan Weddepohl, Chief Executive von Peerby, einem Dienstleistungsunternehmen in Amsterdam, das hilft, sich Sachen von Nachbarn auszuleihen den Rasenmäher oder eine Eismaschine zum Beispiel, und das innerhalb einer halben Stunde. 52 Wer so arbeitet, dem bleibt wenig für ein Leben jenseits seiner Arbeit. Das könnte der Grund sein, warum nur etwa zehn Prozent der Gründer Frauen sind, für die solche Arbeitsbedingungen offenbar recht unattraktiv sind. Allerdings: Verwechseln wir nicht die Regeln in manchen Teilen der sogenannten Techie-Szene mit dem, was Entrepreneurship für uns sein kann. Wenn ich höre, dass viele Gründer in einer Tretmühle arbeiten, greife ich mich an den Kopf. Warum sich das antun? Freiwillig. Was ursprünglich wie ein Befreiungsschlag aussah nämlich sich aus den Zwängen vorgegebener abhängiger Arbeit zu lösen, gibt inzwischen Anlass zu einer ganz anderen Art der Interpretation.»Entrepreneurs are the new labour«, deutet Venkatesh Rao (von Ribbonfarm, einer Beratungsgesellschaft) dieses Phänomen. Nicht nur leben diese Art von Gründern in einer erheblichen Unsicherheit und unter großer Belastung, sie sind auch die neue Form dessen, was in der Industriegeschichte Proletariat hieß. Rao zieht einen Vergleich zwischen den heutigen Entrepreneuren und den aus der Handwerkstradition kommenden Stahlarbeitern des späten 19. Jahrhunderts. Als sich die Fertigung immer mehr industrialisierte, so erklärt er, seien das Wissen und die handwerklichen Fähigkeiten jener Stahlarbeiter immer unwichtiger geworden, und sie wurden so 52 Vgl. Economist vom , S. 10.
3 der Nukleus der neuen Arbeiterklasse. Heute, so behauptet Rao, würde etwas Ähnliches mit den Gründern passieren. Das Wissen und die Voraussetzung, ein Start-up in Gang zu bringen, seien in der Welt des Internets immer mehr standardisiert. Und das hätte die Machtverhältnisse zwischen Investoren und Entrepreneuren verschoben. Die Investoren hätten gewonnen. Der Umgang mit der Entrepreneursklasse sähe heute immer stärker aus wie der Umgang zwischen Management und Beschäftigten. 53»Getting up to speed«die Gründung beschleunigen ist ein weiteres Thema in diesem Zusammenhang. Bei Internetgründungen ist Geschwindigkeit in der Tat wichtig. Das ist der Punkt, an dem die sogenannten Akzelleratoren einsetzen. Sie verkürzen die Anlaufzeit, eröffnen den Zugang zu ihren Netzwerken und geben dem Gründungsteam eine Art Gütesiegel, dass ihr Konzept tatsächlich etwas taugt. Dafür haben sich diese Institutionen rigorose Auswahlverfahren ausgedacht. Nur ein Bruchteil der Bewerber hat eine Chance, aufgenommen zu werden. Die Akzelleratoren sind oft auch die Ersten, die den von ihnen geförderten Teams eine Finanzierung zur Verfügung stellen. Befürworter dieser Einrichtungen sagen, sie seien die neuen Business Schools.»I d rather get US-Dollar and be a case study than pay US-Dollar to read case studies«, sagt Dave McClure, der Gründer von 500 Startups, einem Akzellerator im Silicon Valley. 54 Eigentlich ein guter Satz, der mir gefällt. Allerdings wird auch scharfe Kritik an solchen Verfahren laut. Zyniker sagen, es sei eigentlich eine Form intensiver Prüfung mit der Absicht, die besten Teams ausfindig zu machen und eine Beteiligung einzugehen, bevor die Konkurrenz aufmerksam wird.»you know what I m tired of? Rich guys launching startup accelerators so they can rip off new startup founders«, sagt Ryan Carson, ein britischer Entrepreneur, in seinem Blog Vgl. Economist vom , S Ebd., S. 5. Case studies sind ein typischer Teil der Ausbildung in vielen amerikanischen Business Schools. 55 Ebd., S. 8.
4 Schließlich das Scheitern. Trotz aller gegenseitigen Beteuerungen ist das Aus für eine Gründung für den Betroffenen mit dramatischen Begleitumständen verbunden. Am Ende der harten Arbeit, dem völligen Aufgehen im Start-up ohne Privatleben, nach wenig Schlaf, erleben viele das Ende als völlig deprimierend. Manche Beobachter sehen bereits einen Entrepreneurship-Hype. Es seien Bilder wie in einer fortgeschrittenen Aktien-Hausse, die zum Selbstläufer wird, weil immer mehr darüber geschrieben wird und immer mehr Menschen ihr Geld in Aktien investieren. Irgendwann erkennt auch der Dümmste, dass er ja nur sein Geld an die Börse tragen muss, um über Nacht reich zu werden. Die Neuen verstehen meist nicht viel von Wirtschaft, auch nicht von den Unternehmen, die sie kaufen. Sie sehen nur, wie die Kurse jeden Tag steigen. Es scheint kinderleicht. Während erfahrene Anleger die Ampeln von Gelb auf Rot wechseln sehen, kommt es den Anfängern grün vor. Sind wir beim Entrepreneurship mittlerweile in einer solchen Situation? Wahrscheinlich ist es für eine sachgerechte Einschätzung noch zu früh. Allerdings sollten wir vor den hier beschriebenen Erscheinungsformen nicht die Augen verschließen. Alle diejenigen, die wollen, dass das Thema Entrepreneurship die Beachtung erfährt, die es verdient, an Bedeutung gewinnt und in der Gesellschaft akzeptiert wird und zwar auf Dauer, mögen bedenken, dass das Thema zu einem Gewinn für die Gesellschaft werden muss, soll es nicht an Akzeptanz wieder einbüßen. Kann es angehen, dass es nur ein Spiel für besonders Clevere ist, die schneller als andere Chancen erkennen, schnelle Jungs, die egal auf welchem Feld, mit welchem Produkt und einem»hoppla jetzt komm ich«-gehabe sich die niedrig hängenden Kirschen pflücken? Es mag Menschen geben, die das akzeptieren. Im Moment scheint dies sogar die Mehrheit so zu sehen. Das heißt in der Konsequenz, wer nicht die Augen offen habe und auf diesem Feld spiele, sei ökonomisch eben ein Mensch zweiter Klasse. So, als verdiene er es auch nicht anders. Wenn
5 er so dumm sei, seinen Platz in der Gesellschaft als Lehrer, Künstler, Wissenschaftler, Bücherfreund, Theaterbesucher oder Slow-Food-Mensch zu wählen, dann geschähe es ihm recht, wenn er nie zu Geld komme. Ob eine solche Betrachtung gesellschaftlich Bestand haben kann, wage ich zu bezweifeln. Wenn man diesen Bereich auch noch subventioniert, wird Widerstand noch schneller aufkommen. Fragen wir uns lieber, wie wir Entrepreneurship auf eine zukunftsfähige, viel mehr Menschen einladende Grundlage stellen können. Wir sind das Kapital Erkenne den Entrepreneur in Dir Aufbruch in eine intelligentere Ökonomie Autor: Prof. Dr. Günter Faltin 2. Auflage 2015 Copyright 2015 by Murmann Publishers GmbH, Hamburg ISBN
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