SWR2 Tandem - Manuskriptdienst. Wenn Beate Zschäpe am Ende stirbt Die Kunst und der NSU-Mordkomplex. Montag, um 10.

Transkript

1 2 SWR2 Tandem - Manuskriptdienst Wenn Beate Zschäpe am Ende stirbt Die Kunst und der NSU-Mordkomplex Autor: Redaktion: Regie: Thomas Moser Rudolf Linßen Thomas Moser Sendung: Montag, um Uhr in SWR2 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte der Sendungen SWR2 Tandem auf CD können wir Ihnen zum größten Teil anbieten. Bitte wenden Sie sich an den SWR Mitschnittdienst. Die CDs kosten derzeit 12,50 Euro pro Stück. Bestellmöglichkeiten: 07221/ Einfacher und kostenlos können Sie die Sendungen im Internet nachhören und als Podcast abonnieren: SWR2 Tandem können Sie ab sofort auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter oder als Podcast nachhören: Kennen Sie schon das neue Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/ oder swr2.de

2 MANUSKRIPT O-Ton Christiane Mudra Ich hoffe, dass wir uns in diesem Punkt ganz weit von der Realität entfernt haben. Ich hoffe nicht, daß irgendwo in diesem Land Sicherheitsbehörden Leute umbringen. Also das hoffe ich natürlich nicht. Aber Theater soll ja überspitzen, provozieren, polemisch sein. Und deswegen gibt es diese Szene. Die Theaterschaffende Christiane Mudra. O-Ton Beate Maria Wörz Wenn Sie nur eine Frage hätten, die Sie im Kontext NSU in die Öffentlichkeit bringen könnten, welche Frage würden Sie stellen? Das ist komplizierter wahrscheinlich, als es im ersten Moment klingt. Die bildende Künstlerin Beate Maria Wörz. O-Ton Wolfgang Schorlau Es ist der größte Kriminalfall in der deutschen Geschichte. Es hat alle Zutaten zu einem großen Stoff. Wir haben eine Reihe merkwürdiger Morde. Wir haben einen Polizistenmord. Wir haben Geheimdienste in dem Fall. Der Romanautor Wolfgang Schorlau. Drei Künstler. Ihr gemeinsames Thema heißt NSU Nationalsozialistischer Untergrund. Seit über vier Jahren hält die Mordserie dieser Terrorgruppe nun die Öffentlichkeit in Atem. Auch wegen der Verstrickung des Verfassungsschutzes und den Vertuschungen durch Behörden. Die Hintergründe sind ungeklärt, der Skandal zieht immer weitere Kreise. Daran hat die Aussage der Hauptangeklagten Beate Zschäpe vor dem Oberlandesgericht München nichts geändert. Im Gegenteil: Sie hat mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet. Der Skandal findet Eingang in die Kunst: Bücher entstehen, Aktionen, Filme, Theaterstücke. Christiane Mudra, Regisseurin, 37 Jahre alt, hat ein Theaterstück entworfen über Rechtsterrorismus und Geheimdienste. Im Sommer 2015 hat sie es in München in Szene gesetzt. 2

3 Atmo Donnern O-Ton Mudra An Reaktionen erhoffe ich mir einfach, dass es Diskussionen gibt danach, dass Leute vielleicht noch mal die Perspektive wechseln in einigen Bereichen und was nachlesen nach dem Stück, sich damit weiterbeschäftigen. Donner Dass es einen Donner gibt. Lacht Wie wir ihn gerade im Hintergrund haben. Nein nein! Zwei Stunden vor Beginn der Aufführung. Dunkle Wolken am Himmel und ein Donnern. Ein banger Blick, denn: Das Stück spielt im Freien. Doch der Himmel hält, es regnet nicht. O-Ton Mudra Wir hatten Musiker dabei, die mit Instrumenten gespielt haben, die bei Regen z.b. nicht hätten spielen können. Wir haben uns mit öffentlichen Verkehrsmitteln bewegt. Natürlich kann es auch Leute geben, die massiv die Vorstellung stören, das weiß man nie. Aber das war natürlich auch in meinem Kopf, dass so was passieren könnte. Der öffentliche Raum kennt eigene Risiken. - Zwei Felder behandelt das Stück: Das Attentat auf das Oktoberfest in München im September 1980 mit 13 Toten und über 200 Verletzten und die NSU-Verbrechen mit zehn Toten und Dutzenden von Verletzten. Der Titel: Wir waren nie weg ; Untertitel: Ein heimattreuer Western. Startplatz ist die Straße vor dem Laden, wo einer der NSU-Morde verübt wurde, im Juni 2005 an dem Griechen Theodoros Boulgarides. Nicht weit vom münchner Hauptbahnhof entfernt. Es ist die selbe Uhrzeit, etwa 19 Uhr. Feierabendverkehr, Auto um Auto rauscht vorbei. Nur wenige Schritte entfernt eine Bushaltestelle mit Wartenden die Tat geschah mitten in der Öffentlichkeit. 3

4 Atmo-O-Ton Autogehupe Martinshorn Hau doch endlich ab! Hau ab! - Hupen Dann die nächste Verblüffung: Nur etwa 100 Meter entfernt um die Ecke wohnte ein bekannter Neonazi, der mehrmals verurteilt wurde und der aus Ostdeutschland stammt, wie das NSU-Trio Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe. Atmo-O-Ton Hier lebte die WG 2003, die WG des Rechtsterroristen Martin Wiese, Nazigröße. Martinshorn O-Ton Mudra Und zwar ging es darum, die Zuschauer an Tatorte zu bringen, an Versammlungsorte von Neonazis und so die eigene Heimatstadt noch einmal ganz neu zu erfahren. Also festzustellen, dass sich Rechtsterrorismus in der unmittelbaren Nachbarschaft auch abspielt. Deutlich wird schnell: Das Stück verlässt die bekannte amtliche Erzählung. - Der 30- köpfige Tross, Zuschauer, Regisseurin mit Assistenten und auch Schauspieler, zieht weiter. Zunächst ein paar Stationen mit der Straßenbahn. Nächster Schauplatz wird die Theresienwiese sein, Ort des Oktoberfest-Anschlages. Atmo Tram Ortswechsel: Berlin. Hier lebt und arbeitet die Plakatkünstlerin Beate Maria Wörz. Auch sie sucht den öffentlichen Raum. Ihre Kunst braucht eine lange Vorbereitung. Das Thema NSU bewegt die 52-Jährige seit Jahren. Alles fing damit an, dass sie Sitzungen des Untersuchungsausschusses im Bundestag besuchte. Und war da erst mal einfach als ganz normale Bürgerin, um aber zu merken: Ich möchte mit meinen Mitteln etwas dazu machen. Einfach, weil ich es so unglaublich fand, was dort stattfand. Und: Mit der Zeit hat sich dann die Idee, weil einfach immer mehr Fragen eigentlich sich auftaten, statt daß sich irgendwas geklärt hätte, hab ich begonnen, den unterschiedlichen Leuten Fragen zu stellen bzw. eigentlich die eine Frage: Im Kontext NSU, welche Frage würden Sie stellen? 4

5 Eine Frage zu einer Terrorserie. Formuliert von 100 Leuten macht 100 Fragen, von 1000 Leuten 1000 Fragen. Das ist die Idee. Es gibt da so viel Erschütterndes, dass ich einfach fand, ich muss mich dazu verhalten. Ja, ich kann da nicht einfach quasi aus dem Untersuchungsausschuss rausgehen und andere Dinge im Atelier machen. Also ich mache andere Dinge auch im Atelier, aber das ist einfach ein großes Thema, was mich jetzt schon das dritte Jahr begleitet. Sie bekam Antworten zum Beispiel von Clemens Binninger, CDU- Bundestagsabgeordneter, von Silke Ortwein, Funktionärin des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Heilbronn, oder von Yavuz Narin, Rechtsanwalt. O-Ton Clemens Binninger Warum haben wir alle es nicht erkannt? Ich hab die Fahndungsplakate gesehen am Flughafen immer in Stuttgart, warum wir uns nicht mehr damit befasst haben, sondern es einfach so hingenommen haben und nichts hinterfragt haben. O-Ton Silke Ortwein Warum tut sich unsere Demokratie mit der Aufklärung und Transparenz in Sachen NSU so schwer? In der Antwort auf diese Frage steckt wahrscheinlich viel viel mehr, als wir heute zu denken wagen. O-Ton Yavuz Narin Meine Frage lautete: Wann wird Thomas S., ein weiterer Mitbeschuldigter, angeklagt? Dieser Thomas S. war eine V-Person, die unter anderem den NSU-Mitgliedern Sprengstoff lieferte. Kunst, die Realität dokumentiert. In der Summe der Fragen entsteht ein Bild, eine gesellschaftliche Skizze. Grenzen der Aktion hat ihre Erfinderin ausgerechnet bei den Betroffenen gefunden, den Verletzten, den Familienangehörigen der Opfer. Sie halten sich eher zurück und beteiligen sich kaum an der Aktion. Unsichtbare Barrieren. Es gibt auch durchaus eine Hemmung meinerseits als eine weitere Person, sie wieder in diese Thematik hineinzuführen. Das waren einfach ganz ganz traumatische Erfahrungen, die sie gemacht haben. Es ist schon auch ne Scheu meinerseits, also da massiv aufzutreten. Andere Leute haben da vielleicht weniger Schwierigkeiten. 5

6 Doch über allem schwebt das Problem Finanzierung: Beate Maria Wörz arbeitet mit den bekannten zwei mal drei Meter großen Werbewänden. Auf weißem Grund soll in schlichten schwarzen Lettern gedruckt die jeweilige Frage stehen. Das Konzept sieht vor, alle Fragen zeitgleich bundesweit in vielen Städten aufkleben zu lassen. Auf tausenden von Tafeln. Das erfordert eine sechsstellige Summe. Ein paar Sponsoren gibt es: Die Türkische Gemeinde in Deutschland unterstützt die Aktion materiell; eine Druckerei druckt die Plakate etwas günstiger; und die Firma, die bundesweit Reklamewände vermarktet, stellt immer wieder kostenlos Tafeln zur Verfügung. Doch die Hauptsumme fehlt. Und ich stelle Anträge um Anträge und sammle Absagen um Absagen. Das Projekt droht zu scheitern. O-Ton Drexler/Schorlau/UA Ich würde jetzt bitten, dass der Sachverständige Schorlau nach vorne kommt. (Drexler) Ja, mein Name ist Wolfgang Schorlau, ich bin 63 Jahre alt, von Beruf Schriftsteller und die Anschrift stimmt noch. Stuttgart, Landtag von Baden-Württemberg. Vor dem Untersuchungsausschuss zur Aufklärung des Mordes an der Polizistin Michèle Kiesewetter ist der Krimiautor Wolfgang Schorlau geladen als Sachverständiger. O-Ton Schorlau/UA Meine Damen und Herren Abgeordnete, ich freue mich sehr, bei Ihnen geladen zu sein. Der NSU-Komplex ist der größte Kriminalfall in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Ich schreibe derzeit an einem Roman über diesen Komplex und hinter mir liegen zwei Jahre intensivster Recherchen. Ein Künstler vor einem politischen Ausschuss das ist ungewöhnlich. Obendrein noch mitten im Werk. Drei Jahre hat das Landesparlament gebraucht, ehe es sich dem Polizistenmord von Heilbronn annahm, dem rätselhaftesten der gesamten Serie. Die Aufklärung ging bis dahin an den Abgeordneten vorüber. 6

7 O-Ton Schorlau Überraschend war es für mich, weil damit habe ich ja nicht gerechnet, aber es war trotzdem gut. Schorlau begann schon vor längerem, dem Mysterium NSU nachzuspüren. Dieser dunklen Geschichte mit Dutzenden von Tat- und Handlungsorten in der ganzen Bundesrepublik. O-Ton Schorlau Ich war in Kassel an dem Tatort. Ich war in Köln. Damit fing eigentlich alles an, dass ich eingeladen war zu einer Lesung in der kölner Keupstraße, wo ich in dem Friseurladen gelesen hab, in dem diese schreckliche Nagelbombe gezündet wurde. Ich war in Eisenach-Stregda und hab mir den Tatort angesehen, an dem Mundlos und Böhnhardt zu Tode kamen. Ich war im Prozess in München. Aber ich hab dann auch mit einer Reihe von Polizisten in Thüringen gesprochen. An einen Roman, wie zum Beispiel den über das münchner Oktoberfest-Attentat, dachte er da noch nicht. Es dauerte, erzählt er, bis sich die Idee durchsetzte und er bereit war, ein Buch zum Thema NSU zu wagen. O-Ton Schorlau Und aus diesem ziemlich umfangreichen Material tritt einem dann langsam eine Struktur entgegen. Und die zweite Aufgabe besteht dann darin, sozusagen dieses Material zu fiktionalisieren. D.h., dann beginnt die Arbeit, die Entwicklung der Figuren, die Arbeit der Geschichte, des Plots. Und das alles so ineinander zu verweben, dass hinterher etwas Vernünftiges dabei rauskommt. Schorlaus Erzählung weicht von der offiziellen Version der Zwickauer Kleinstzelle ab. In seinem Plot soll ein Privatdetektiv herausfinden, wer Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos erschoss also kein Selbstmord. O-Ton Schorlau Ich bin davon ausgegangen, dass alles, was in dem NSU-Komplex geschehen ist, kein Zufall war, sondern dass hinter allem eine Absicht steckt. Und ich kann diese Absicht fiktional beschreiben. Und so kommt dann vielleicht, wenn das Buch geglückt ist, eine alternative Erzählung raus zu der offiziellen Version. Die offizielle Version, sozusagen niedergeschrieben in der Klageschrift gegen Zschäpe und andere im münchner Prozeß, sind in meinen Augen auch Fiktionen. 7

8 Die Zweifel dokumentieren sich durch insgesamt zehn Untersuchungsausschüsse, die in den letzten vier Jahren in Landtagen und im Bundestag zum Problemfall NSU eingerichtet wurden. O-Ton UA Zweifeln Sie an der Aussage der Polizisten? Oder wie kommen Sie eigentlich so stark mit dem Argument hin, dass es hier mehr als zwei Personen waren? Im Untersuchungsausschuss in Stuttgart wollen einige Abgeordnete nicht so recht glauben, was ihnen der Schriftsteller vorgetragen hat. O-Ton UA Unterstellen Sie eigentlich, dass der Verfassungsschutz gezielt diese rechte Szene versucht hat aufzubauen? Hab ich das richtig so entnommen, wie Sie s dargestellt haben? Ja, das glaub ich. Atmo/Musik Klezmer Zurück nach München: Das Freiluft-Theaterstück ist an der Theresienwiese angekommen, wo bereits die großen Zelte für das in zwei Monaten beginnende Oktoberfest aufgebaut werden. Atmo Martinhörner Die Bombe vom 26. September 1980: Das größte Blutbad der deutschen Nachkriegsgeschichte - wie es beschrieben wird. Der Rechtsextremist Gundolf Köhler galt den Behörden als Alleintäter. Doch bis heute sind die Hintergründe nicht aufgeklärt. Seit Dezember 2014 ermittelt die Bundesanwaltschaft wieder. Atmo-O-Ton Leute, das ist nicht Theater, das ist O-Ton!... - Das Betreiben des Wehrsports an sich ist keine strafbare Handlung 8

9 Die Inszenierung verschwimmt mit der Realität vielleicht das Geheimnis von Originalschauplätzen. Der Festplatz im Herzen Münchens: Für die Regisseurin Christiane Mudra nicht nur ein möglicher, sondern ein notwendiger Spielort. O-Ton Mudra Das war relativ schnell klar. Zum einen wegen der Westernidee, so was kann man auf einer Theaterbühne nur sehr künstlich erzeugen. Und die Theresienwiese hatte ich da die ganze Zeit im Hinterkopf. Und natürlich auch weil München natürlich Tatort von zwei NSU-Morden ist und damit einfach noch einmal eine ganz andere Bühne im Stadtraum eigentlich bildet. Atmo Schüsse Kirchturmuhr schlägt Neben den zahlenden Zuschauern verfolgen vereinzelt Passanten die Inszenierung. Manche gehen eine Strecke mit. O-Ton Passant um Rechtsradikalismus auf jeden Fall mal und wie Sachen in unserer Republik unter den Tisch gekehrt werden. - Wie fanden Sie die Szene? Es hätten viel mehr Menschen mitkriegen können, sollen, müssen. Die ganze Inszenierung ist sehr eindrucksvoll. Deswegen bin ich auch stehen geblieben. Bin ja eigentlich mit dem Hund Gassi. Atmo-O-Ton Musik: Spiel mir das Lied vom Tod und wenn sie nicht gestorben sind Musik - Schritte Es ist ein textstarkes Stück. Christiane Mudra, auch Autorin, arbeitet mit zahlreichen Originalzitaten, die sie im Zschäpe-Prozess oder in Untersuchungsausschüssen notiert hat. Bemerkenswerte Aussagen von Neonazis genauso wie von Beamten oder von Abgeordneten. Wie aus einem aktiven Vulkan werden Woche für Woche neue Fragen und Widersprüche ausgeworfen. Ein wachsender Berg. O-Ton Mudra Also mir geht es überhaupt nicht darum, dass man die Zitate zuordnen kann. Es geht um Strukturen, und es geht um Muster. Und wer genau jetzt etwa dieses einzelne Zitat gebracht hat, das ist mir gar nicht wichtig. 9

10 Atmo/U-Bahn U-Bahn fährt ein - Eine Station, dann umsteigen am Sendlinger Tor. Danke! Türen Mit der U-Bahn geht es schließlich zum Theater I-Camp, der letzten Station des Stückes. Schlussszenen mit einem Rechtsrock hörenden Neonazi auf der einen Seite und einem Verfassungsschutzbeamten auf der anderen. Das Publikum flankiert die Szenerie. Atmo-O-Ton Rechte Musik die Mauer des Schweigens - Lachen - hab ich von den Türken gelernt Am Ende fällt ein Schuss. Eine Frau stürzt zu Boden. Ihr Kopftuch signalisiert: Beate Zschäpe. Wer der Mörder ist, bleibt im Dunkeln. Atmo-O-Ton Strategie der Spannung - Musik O-Ton Mudra Ja, sie stirbt, genau. Diese Idee kam zustande, diese Figur ist ja vorher, also die Schauspielerin, die diese Rolle am Schluss spielt, die spielt vorher alle V-Leute und weiß somit sehr viel und ist eigentlich eine Symbolträgerin dieses Wissens, was eventuell auch gefährlich werden könnte. Das kann ich schwer beschreiben, das spürt man dann so in den Proben, wenn sich Figuren entwickeln, wenn sich Texte entwickeln und zum Leben erwachen, indem sie gespielt werden. Dass man auf einmal merkt, was quasi als Konsequenz jetzt passieren muss. Beate Maria Wörz in Berlin hat einen Teilerfolg errungen. Sie hat es geschafft, einen Probelauf ihrer Aktion zu starten. Zehn Tage lang hängen zwei ihrer Plakate zeitgleich in 20 Städten von Berlin über Köln und Zwickau bis Heilbronn. Atmo S-Bahn-Verkehr Ein S-Bahnsteig in Berlin, wo eine der Plakatwände steht mit der Aufschrift: Man sollte nicht vergessen, daß wir auch Menschen sind. Zwar keine direkte Frage aber der 10

11 Satz stammt von Öczan Yildirim, ein Friseur aus der Keupstraße in Köln, vor dessen Laden im Juni 2004 eine Nagelbombe explodierte, die mehr als 20 Menschen zum Teil schwer verletzte. Einzelne Passanten bleiben stehen: O-Ton Passantin I Ich versteh s nicht so ganz genau. Ich hab ja sofort versucht, das einzuordnen. Daß es nicht nur um den Prozeß geht, sondern um die Menschen dahinter? O-Ton Passantin II Da in diesem NSU-Prozeß, es ging ja um die Ausländerfeindlichkeit, daß man einfach drauf aufmerksam macht, daß wir alle Menschen sind, es ist egal welche Hautfarbe, welche Nationalität, welche Religion, wie auch immer, welcher Kulturkreis. O-Ton Passant Also ich würde sagen, es könnte etwas deutlicher sein. Es fehlt ein bißchen der Pep. Das ist mir zu nüchtern. - Auf jeden Fall finde ich s sehr gut, daß das hier hängt. Reaktionen, die sich auch auf den Plakatwänden selber finden. Handschriftliche Kommentare zum Beispiel: Es war ganz interessant: In München, wo die Plakate also an vielen Stellen sehr zugänglich sind, waren etliche Kommentare, die z.t. Beschimpfungen waren, Beschimpfungen sowohl gegen linkes Pack, als auch Nazischweine, die dann wieder durchgestrichen waren, von jemand anderem wieder ergänzt und dann auf eine sehr bayrische Art: Vertragts euch doch, Leut, dann versucht wurde, gütlich genommen zu werden. Naja. Eine regelrechte Fortschreibung der Aktion, könnte man sagen. Und nebenbei ihre Bestätigung. Selbst Beschimpfungen sind eine Form von Information. Kunst als Medium. Ich glaube, dass gerade diese erste Frage: Warum werden Menschen als Fremde bezeichnet, die hier wohnen, leben, lieben, spielen, arbeiten, lachen - die hat offensichtlich sehr viele Diskussionen ausgelöst: Was ist nun fremd? Wer ist fremd? Wer hat das Recht zu sein, und wer hat das Recht, nicht zu sein? Und jemand schrieb dann auch, dass wir uns wahrscheinlich selber die fremdesten seien. 11

12 Ihr volles Konzept hat Beate Maria Wörz noch nicht realisieren können: Zeitgleich im gesamten Land hunderte von Tafeln mit dutzenden von Fragen zu den zehn ungelösten Morden an Migranten und einer Polizistin. Fragen, wie die von Fritz Burschel, der seit über zwei Jahren den NSU-Prozess in München beobachtet. Die von Thumilan Selvakumaran, einem dunkelhäutigen Lokalreporter. Oder die der Autorin Esther Dischereit: O-Ton Fritz Burschel Meine Frage lautet, warum Behörden und vor allen Dingen Geheimdienst-Vertreter, die Schuld auf sich geladen haben, im gesamten NSU-Komplex nicht zur Verantwortung gezogen werden. O-Ton Thumilan Selvakumaran Wie kann man Polizisten trauen, wenn überzeugte Neonazis aus ihren Reihen nicht aus dem Dienst entfernt werden? O-Ton Esther Dischereit Möchten Sie reden? Diese Frage richtet sich an die Mitarbeiter der Landesverfassungsschutzämter, der polizeilichen Ermittlungsbehörden, des Bundesnachrichtendienstes und anderer Dienste. Die Ideengeberin will eigentlich aber noch weiter gehen. Denn im NSU-Skandal entdeckt sie Kontinuitäten in der deutschen Geschichte. Und die aktuellen Plakate sind für sie Zeugnisse dieser Geschichte, gewissermaßen Artefakte. was diese ganze Verweigerung, dieses ganze Sich-Nicht-Erinnern, die unzähligen Varianten von sich nicht zu erinnern, zusammengestellt sind und auch in Beziehung gebracht werden zu früheren Prozessen in der Geschichte Deutschlands, wo sich auch ganz viel nicht erinnert wurde, bspw. Auschwitzprozess. Ich hab angefangen, mir die Protokolle anzuhören und würde diese andere Ebene gerne noch drunter legen. 12

13 Atmo/Musik Blues-Gitarrist Werner Dannemann Stuttgart, November Das Buch von Wolfgang Schorlau erscheint, Titel: Die Schützende Hand. Denglers achter Fall. Zur Premiere sind annähernd 1000 Leute erschienen, die zwölf Euro Eintritt bezahlen. Der Musiker Werner Dannemann eröffnet den Abend, ehe der Autor zu Wort kommt. Atmo-O-Ton Der Auftrag lautet: Wer erschoss Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt?... Atmo/Musik Musik Dannemann & Schorlau Eineinhalb Stunden dauert die Vorstellung. Am Ende greift Schorlau zur Mundharmonika und begleitet den Gitarristen. O-Ton Schorlau Das ist eine schwierige Frage. Verantwortung ist vielleicht nicht das richtige Wort. Ich meine, es sind Dinge in unserem Land geschehen, die, wenn man sie durchdenkt, wahrscheinlich einen neuen Blick auf das Land werfen, in dem wir leben. Und es ist, glauben Sie mir, nicht der beste. Ein paar Wochen zuvor: In seiner Stuttgarter Wohnung hat sich Schorlau den Fragen des Reporters gestellt. Hat Kunst eine Verantwortung? Er als Künstler? Er selber hat Kenner der Materie immer wieder nach ihrer Theorie gefragt, nach dem möglichen Masterplan, der hinter dem Rätsel mit den drei Buchstaben stecken könnte. Nun wird diese Frage an ihn gerichtet: O-Ton Schorlau Ich glaube, dass die Geheimdienste, die ja überall im NSU-Komplex sozusagen um jede Ecke gucken, dass die Geheimdienste massiv daran arbeiten, die innenpolitische Stimmungslage in diesem Land zu beeinflussen mit geheimdienstlichen Methoden. Z.B., indem sie neonazistische Gruppen stützen, ausrüsten, wie in Thüringen formieren. Den letztlichen großen Masterplan, den hab ich niedergeschrieben nicht gefunden. Ich glaube, den niederzuschreiben ist immer noch die Aufgabe der Fiktion. 13

14 Dann packt er eine Kopie seines Manuskriptes ein und bricht auf. Vor Drucklegung will er es einem Informanten zum Gegenlesen bringen, ob alles so stimmt, wie beschrieben. Drei Künstler und ihre Kunstwerke: Die Theaterregisseurin Christiane Mudra; die Konzeptkünstlerin Beate Maria Wörz; der Schriftsteller Wolfgang Schorlau. O-Ton Mudra Ich möchte, daß die Leute einen kleinen Schockeffekt davontragen, um Aufklärung einzufordern und um demokratische Strukturen wieder einzufordern. Es ist der Staat, in dem wir leben. Und ich finde das ziemlich erschreckend, auch die Rolle des sog. Verfassungsschutzes. Zu dem es übrigens auch eine schöne Frage gibt: Wer schützt unsere Verfassung vor dem Verfassungsschutz? O-Ton Schorlau Seit 1945 rekrutieren alle möglichen Geheimdienste alte und neue Neonazis. Das gilt für amerikanische Geheimdienste, für westdeutsche Geheimdienste, aber es gilt übrigens auch für die Stasi. 14