Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
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- Elisabeth Richter
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1 Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Institut für Öffentliches Wirtschaftsrecht Lehrstuhl für Öffentliches Recht Univ.-Prof. Dr. Florian Becker, LL.M. Ärger mit der Broschüre - Lösungsskizze 1 Das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht hat Erfolg, wenn es zulässig und soweit es begründet ist. A. Zulässigkeit I. Zuständigkeit des BVerfG (+), das Bundesverfassungsgericht ist nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG für das Organstreitverfahren zuständig. II. Beteiligtenfähigkeit Beim Organstreitverfahren handelt es sich um ein kontradiktorisches Verfahren, sodass die Beteiligtenfähigkeit des Antragstellers und Antragsgegners festgestellt werden muss. 1. N-Partei (Antragsteller) Parteien werden in den Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, 63 BVerfGG nicht ausdrücklich erwähnt. Allerdings handelt es sich bei ihnen um andere Beteiligte i.s.v. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, 13 Nr. 5 BVerfGG, da sie durch das Grundgesetz (Art. 21 GG) mit eigenen Rechten ausgestattet sind und im vorliegenden Fall um dieses Recht streiten. 2. Bundesinnenminister B (Antragsgegner) (+), Als Bundesminister ist B ein Teil des obersten Bundesorgans Bundesregierung i.s.v. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, das u.a. in Art. 65 Satz 2 GG mit eigenen Rechten ausgestattet ist. 1 Sachverhalt und Lösungsskizze orientieren sich an der Fallbearbeitung von Degenhart, Klausurenkurs im Staatsrecht I, S. 58 ff.
2 Univ.-Prof. Dr. Florian Becker, Kiel 2 III. Antragsgegenstand Als Antragsgegenstand kommen jede rechtserhebliche Maßnahme und jedes rechtserhebliche Unterlassen des Antragsgegners in Betracht, 64 Abs. 1 BVerfGG. Gegen die Rechtserheblichkeit könnte sprechen, dass es sich bei der Broschüre nur um informelles Staatshandeln handelt. Regierungsamtliches Informationshandeln kann unabhängig von seiner Rechtsform gleichwohl in die Rechte der Betroffenen eingreifen und ist daher als rechtserheblich zu qualifizieren. IV. Antragsbefugnis (+), es ist nicht ausgeschlossen, dass die N-Partei durch die Veröffentlichung der Broschüren in ihrem Recht auf freie Betätigung und Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 GG verletzt wird. V. Form und Frist Der Antrag ist schriftlich ( 23 Abs. 1 BVerfGG) und begründet ( 64 Abs. 2 BVerfGG) beim Bundesverfassungsgericht einzureichen. Nach 64 Abs. 3 BVerfGG ist der Antrag innerhalb von sechs Monaten zu stellen. Durch das Einreichen des Antrags am wurde die Frist gewahrt. VI. Zwischenergebnis Der Antrag der N-Partei ist zulässig. B. Begründetheit Der Antrag auf das künftige Unterlassen der Veröffentlichung ist begründet, soweit das Veröffentlichen der Broschüre verfassungswidrig ist und die N-Partei dadurch in ihren verfassungsrechtlich geschützten Rechten verletzt wird. Hinweis: Ob eine subjektive Rechtsverletzung erforderlich ist, ist umstritten. Dagegen spricht, dass Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, 67 S. 1 BVerfGG dies anders als z.b. 113 Abs. 1 S. 1 VwGO nicht vorsehen. Neuerdings nimmt das BVerfG die Rechtsverletzung in den Obersatz auf (ohne dies allerdings zu begründen), vgl. BVerfG, NJW 2014, 1156, 1157.
3 Univ.-Prof. Dr. Florian Becker, Kiel 3 I. Äußerungsbefugnis des Bundesministers Eine allgemeine Äußerungsbefugnis für Bundeminister leitet sich aus Art. 65 Satz 2 GG ab (sog. Ressortprinzip ). Die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung ist grundsätzlich verfassungsrechtlich zulässig und geboten. Sie dient der Information über die regierungsamtliche Politik und aktuelle Ereignisse. Dies gilt gerade auch im Hinblick auf extremistische Bestrebungen, denen die Bundesrepublik Deutschland als wehrhafte Demokratie entgegenzutreten hat. (P) Genügt Art. 65 Satz 2 GG dem Gesetzesvorbehalt? o Dagegen könnte sprechen, dass der Wortlaut konkrete Äußerungsbefugnisse gar nicht vorsieht. Vielmehr handelt es sich grundsätzlich um eine Aufgabenzuweisungsnorm. Informelles Staatshandeln in Form von Öffentlichkeitsarbeit kann allerdings zu erheblichen Rechtseinbußen führen (Stichwort: funktionales Äquivalent ), sodass eine Ermächtigungsgrundlage erforderlich ist. o Es ist dabei jedoch zu berücksichtigen, dass staatliche Äußerungen überaus mannigfaltig sind, sodass Äußerungsbefugnisse nur sehr weit und damit höchstens generalklauselartig geregelt werden könnten. Eine (einfachgesetzliche) Generalklausel für staatliche Äußerungsrechte hätte im Vergleich zu Art. 65 Satz 2 GG jedoch keinen besonderen Mehrwert. o Im Ergebnis handelt es sich bei Art. 65 Satz 2 GG um eine ausreichende gesetzliche Grundlage, zumal staatliche Öffentlichkeitsarbeit anderen Schranken unterliegt und keinesfalls grenzenlos ist. Grundsätzlich war B daher befugt, sich über extremistische Bestrebungen zu äußern und dazu eine Broschüre herauszugeben. Hinweis: Auf kommunaler Ebene hat das BVerwG (BVerwGE 159, 327) die Äußerungsbefugnis des Oberbürgermeisters aus der Aufgabenzuweisung der kommunalen Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 GG i.v.m. Art. 54 Lverf SH) abgeleitet.
4 Univ.-Prof. Dr. Florian Becker, Kiel 4 II. Grenzen der Äußerungsbefugnis 1. Formelle Grenzen In formeller Hinsicht müsste der Bundesminister B zuständig sein. Die Verbandskompetenz des Bundes ergibt sich daraus, dass die N-Partei bundesweit tätig ist und damit im gesamten Bundesgebiet Einfluss nimmt. Die Zuständigkeit innerhalb der Bundesregierung (Organkompetenz) ergibt sich daraus, dass es sich um Fragen der inneren Sicherheit handelt, für die B als Bundesinnenminister zuständig ist. 2. Materielle Grenzen a) Betätigungsfreiheit und Chancengleichheit der Parteien, Art. 21 Abs. 1 GG Art. 21 Abs. 1 GG gewährleistet den Parteien das Recht, sich innerhalb des politischen Wettbewerbs zu betätigen und Anhänger zu mobilisieren. Darüber hinaus sichert Art. 21 Abs. 1 GG (teilweise i.v.m. Art. 3 Abs. 1, 38 Abs. 1 Satz 1 GG) das Recht auf Chancengleichheit der Parteien. In dieses Recht wird eingegriffen, wenn Hoheitsträger zugunsten oder zulasten einer Partei handeln. Die Willensbildung findet nämlich vom Volk zu den Staatsorganen statt, Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG. Zwar wird die N-Partei durch die Äußerungen in der Broschüre nicht rechtlich verbindlich an ihrer parteispezifischen Arbeit gehindert. Gleichwohl sind die Broschüren dazu geeignet, den Ruf der N-Partei zu schädigen, zumal einzig die N-Partei in den Broschüren Erwähnung findet. Aus Art. 21 Abs. 1 GG folgt daher für Staatsorgane grundsätzlich die Pflicht zu parteipolitischer Neutralität. Es ist dabei zu beachten, dass B für die Broschüre regierungsamtliche Mittel verwendet hat und nicht etwa als Parteipolitiker oder gar Privater aufgetreten ist. Er unterliegt damit der staatlichen Neutralitätspflicht. aa) Diffamierungsverbot Mit der parteipolitischen Neutralitätspflicht stets unvereinbar sind Aussagen, die sich außerhalb einer sachlichen Auseinandersetzung bewegen und von vornherein nur darauf gerichtet sind, diffamierend zu wirken (sog. Schmähkritik ).
5 Univ.-Prof. Dr. Florian Becker, Kiel 5 Die von B herausgegebenen Broschüren beinhalten allerdings objektive Darstellungen über das Vorgehen der N-Partei. Die Inhalte bewegen sich innerhalb einer sachlichen Debatte, sodass von einer Diffamierung keine Rede sein kann. bb) Allgemeine Neutralitätspflicht Aus der Pflicht zur parteipolitischen Neutralität folgt, dass der Ruf und die Wettbewerbschancen einer Partei nicht willkürlich, d.h. ohne sachlichen Grund, beeinträchtigt werden dürfen. Insbesondere ist die Grenze der Unzulässigkeit überschritten, wenn eine Verdächtigung verfassungswidriger Umtriebe stattfindet, die nicht auf sachlichen Erwägungen beruht, sondern offensichtlich nur der Benachteiligung dient. Die Inhalte der Broschüre werden durch zutreffende Zitate der führenden Parteivertreter untermauert. Des Weiteren werden das Vorgehen und die damit zusammenhängenden Gefahren sachlich beschrieben. Parteien haben sich entsprechend ihrer Aufgabe, an der politischen Willensbildung mitzuwirken, der (sachlichen) öffentlichen Auseinandersetzung zu stellen. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Frage nach der Verfassungswidrigkeit einer Partei bzw. dem Ausschluss der Finanzierung nach Art. 21 Abs. 4 GG nur vom Bundesverfassungsgericht entschieden werden kann. Aussagen über die Frage, ob eine Partei verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, laufen dem sog. Parteienprivileg nicht zuwider, da an sie keine das Privileg konterkarierenden Rechtsfolgen geknüpft sind. Der Begriff der Verfassungsfeindlichkeit ist darüber hinaus kein Rechtsbegriff. B verletzt seine Neutralitätspflicht daher im Ergebnis nicht, wenn er auf verfassungswidrige Ziele einer Partei hinweist, insbesondere wenn dies in Erfüllung der Pflicht der Bundesregierung geschieht, verfassungsfeindliche Bestrebungen zu beobachten. b) Zwischenergebnis Die Veröffentlichung der Broschüren ist daher mit Art. 21 Abs. 1 GG vereinbar.
6 Univ.-Prof. Dr. Florian Becker, Kiel 6 II. Ergebnis Die Veröffentlichung der Broschüren ist mithin von der Äußerungsbefugnis des Bundeinnenministers B umfasst. Die N-Partei ist nicht in ihren verfassungsrechtlich geschützten Rechten verletzt. C. Gesamtergebnis Der Antrag der N-Partei ist zulässig aber unbegründet.
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