Lippen-, Kiefer- und Gaumenspalten komplexes Behandlungskonzept von der Geburt bis ins Alter
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- Elly Roth
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1 10 KLINIK & PRAXIS Zahn Krone 2/11 Implantatcenter-West: MKG-Chirurg Zahnarzt Zahntechniker Lippen-, Kiefer- und Gaumenspalten komplexes Behandlungskonzept von der Geburt bis ins Alter Das Implantatcenter-West (ICW) ist ein Zusammenschluss von Spezialisten auf dem Gebiet der Implantologie. Zahnärzte, MKG-Chirurgen und Zahntechniker haben sich zusammengefunden, um gemeinsame Fallbesprechungen, interne und externe Fortbildungen sowie wissenschaftliche Arbeiten durchzuführen. Prim. Univ.-Doz. DDr. Oliver Ploder 1, Ass. DDr. Robert Köhnke 1, DDr. Peter Kapeller 2, MSc, ZTM Ronny Hölbl 3, Implantatcenter-West Lippen-, Kiefer- und Gaumenspalten (LKG-Spalten) werden den kraniofazialen Dysplasien zugeordnet und zählen zu den häufigsten angeborenen Fehlbildungen (1:450). Die Ausprägungsformen reichen von einer Mik - roform, der subtotalen Spalte, bis hin zu einer vollständigen Spalte und können die Lippe, den Kiefer, den Hartgaumen und den Weichgaumen in unterschiedlicher Form und Ausprägung betreffen. Die Maximalform ist die beidseitige Lippen-, Kiefer- und Gaumenspalte (Tab. 1). Die Behandlung von Menschen mit einer LKG-Spalte ist umfangreich und ein sich über viele Jahre erstreckender Vorgang, bei dem das Ziel der Behandlung die vollständige anatomische und funktionelle Rehabilitation des Patienten ist. Tab. 1: Formen der Lippen-, Kiefer- und Gaumenspalten Lippenspalte einseitig beidseitig Kieferspalte einseitig beidseitig Hartgaumenspalte einseitig beidseitig Weichgaumenspalte Hebamme Psychologie median Tab. 2: Berufsgruppen bei der Behandlung von LKG-Spalten Ernährung und Umgang Psychologische Unterstützung Logopädie Sprach-, Sprech- und Stimm - entwicklung Kieferorthopädie Ausformen der Zahnbögen Lückenschluss oder -öffnung Okklusionseinstellung Interdisziplinäre Betreuung MKG-Chirurgie Oberkieferentwicklung Spaltbehandlung Trinkplatte Oberkieferdehnplatte Chirurgie In Abhängigkeit von der Ausprägung der Spalte wird diese Fehlbildung von verschiedenen Berufsgruppen (Tab. 2) behandelt. Dies beginnt bei der Geburt mit der Betreuung der Eltern und des Kindes und reicht bis ins hohe Alter bei einer HNO HNO-Status Prophylaxe der Mittelohrbelüftung, Hörprüfung Zahnärztliche Behandlung Kariesprophylaxe Lückenversorgung Mundhygiene, Motivation, konservierende Behandlung Prothetische Versorgung
2 12 KLINIK & PRAXIS Zahn Krone 2/11 Tab. 3: Wiener Behandlungskonzept für LKG-Spalten Lippenspalte Lippenverschluss 3 6 Monate Weichgaumenspalte Velorrhaphie 6. Monat Hartgaumenspalte Palatorrhaphie 3. Jahr Knochendefekt in Kieferspalte Osteoplastik 8 11 Jahre Deformation, Narbenbildung Nase und/oder Oberlippe Oberlippen und/oder Nasenkorrektur Verkürzter Nasensteg Nasenstegverlängerung Velopharynxplastik Mikrognathie der Maxilla Kieferorthopädie und/oder Chirurgie Retrognathie der Maxilla Abb. 1: Einseitige inkomplette Lippenspalte Kieferorthopädie und/oder orthognathe Chirurgie eventuellen zahnärztlichen oder prothetischen Versorgung des Patienten. Für den Behandlungsablauf von LKG- Spalten gibt es unterschiedliche Konzepte. Im Rahmen dieses Artikels wird das sog. Wiener Konzept der Behandlung von LKG-Spalten dargestellt. Nach der Geburt beginnt die Beratung und Einschulung der Eltern für den Behandlungsablauf (Tab. 3). Da die Spaltfehlbildung bei der Nahrungsaufnahme stören kann, ist es wichtig, den Eltern Hilfestellung zu geben, z.b. welcher Sauger verwendet werden kann, welche Körperhaltung am günstigsten ist oder wie das Halten der Flasche durchgeführt werden kann. Im Rahmen der Entwicklung des Kindes hilft die Unterstützung von Logopäden, bei der Sprach-, Sprech- und Stimmentwicklung des Kindes zu begleiten und gegebenenfalls so frühzeitig wie möglich therapeutische Maßnahmen zu setzen. Zu Beginn wird bei einer vollständigen LKG-Spalte eine Abdeckplatte aus Kunststoff angefertigt, damit das Kind ungestört ernährt werden kann. Diese Platte wird bis zum vollständigen Verschluss des Hartgaumens als Dehnplatte umgebaut. Im 3. Lebensmonat (> 5 kg Körpergewicht) erfolgt bei einer durchgehenden LKG-Spalte der Lippenverschluss (Abb. 1). In Tabelle 3 ist der weitere Ablauf bei einer vollständigen LKG-Spalte dargestellt. In Abhängigkeit vom jeweiligen Verlauf sind zusätzlich korrektive Maßnahmen notwendig (z.b. Oberlippen-, Nasenkorrektur, Nasenstegverlängerung oder sprachverbessernde Operationen). Im Rahmen des Wachstums kann es zu einer mehr oder weniger ausgeprägten Retround/oder Mikrognathie des Oberkiefers kommen, die dann in Zusammenarbeit zwischen Kieferorthopädie und MKG- Chirurgie mit einer festsitzenden Behandlung und/oder Umstellungsoperation korrigiert werden kann. Weitere Details sowie die Behandlungszentren in Österreich finden Sie auf der Homepage der Österreichischen Gesellschaft für Lippen- Kiefer-Gaumenspalten und Kraniofaziale Anomalien ( Im Zuge der Gesamtbehandlung ist letztlich eine sinnvolle Kombination zahnärztlicher, kieferorthopädischer und kieferchirurgischer Maßnahmen notwendig. Fallbeispiel Im Rahmen dieses Artikels wird die interdisziplinäre Zusammenarbeit am Beispiel eines männlichen Patienten mit einer einseitigen LKG-Spalte erläutert, der Abb. 2: Ausgangs-Panoramaröntgen Abb. 3: Enorale Situation nach Extraktion
3 Zahn Krone 2/11 im Alter von 50 Jahren in einer zahnärztlichen Ordination mit dem Wunsch nach einer prothetischen Versorgung vorstellig wurde. Im Kindesalter wurden Primäroperationen (Lippenverschluss, Velorrhaphie, Palatorrhaphie) und Sekundäroperationen (zweimal Restlochverschluss) durchgeführt. Aufgrund der vielen Operationen und Behandlungen hatte der Patient aus Angst regelmäßige zahn- Abb. 4: Planungs-CT des Ober- und Unterkiefer ärztliche Kontrollen gemieden. Ein schmerzender Zahn war schließlich Anlass, wieder einen Zahnarzt aufzusuchen und etwas an der insuffizienten prothetischen Situation zu ändern. Nach den ersten Sitzungen beim Zahnarzt (Akutbehandlung, Beratung und Motivationsgespräch) wurden die Behandlungsschritte und der weitere Ablauf besprochen. Im vorliegenden Fallbeispiel werden die Zusammenarbeit im Behandlungsteam und die Umsetzung der Behandlungsabläufe chronologisch dargestellt. Bei der Erstuntersuchung in der zahnärztlichen Ordination zeigte sich klinisch und im Orthopantomogramm (OPG) ein teilbezahnter Ober- und Unterkiefer mit starkem paro - dontalen Abbau (Abb. 2). Weiters klagte der Patient über Schmerzen im linken Unterkiefer (Radizes 36 und 37). Erstuntersuchung des Patienten: Anamnese Zahnstatus/Parodontalstatus Klinischer Befund und Funktionsanalyse Röntgenbilder (OPG/Einzelbilder) Erstellen von Gipsmodellen mit Gesichtsbogen und Bissnahme zur Modellanalyse Nach der Erstuntersuchung wurden in der ersten interdisziplinären Sitzung (MKG-Chirurg, Zahnarzt und Zahntechniker) die Problemliste und der Behandlungsplan erstellt (Tab. 4). Behandlungsablauf: Nach prognostischer Beurteilung der Restbezahnung wurden die Extraktion der Restzähne (Ausnahme: 23, 25, 43, 33) in Narkose sowie eine sofortige Eingliederung einer funktionell und ästhetisch optimal aufgestellten Ober- und Unterkiefertotalprothese durchgeführt (Abb. 3). Die 4
4 14 KLINIK & PRAXIS Zahn Krone 2/11 Tab. 4: Problemliste und Behandlungsplan Problemliste Behandlungsplan Insuffiziente Brückenversorgung OK-Front Abb. 5: OPG nach Implantation, Sinuslift in Regio 26 (oben) und prothetische Versorgung Chronische Parodontitis Radizes 36, 37 Maxilläre Retrognathie Funktionell aktives Restloch am Gaumen Knochendefekt in Kieferspalte Oberkiefer Retrognathie Maxilla Vertikale Atrophie Oberkiefer links Teilbezahnter Oberkiefer Mundhygiene, Motivation Entfernung Patient wünscht keine Korrektur, prothetischer Ausgleich Restlochverschluss Osteoplastik mit Beckenkamm Abnehmbare Implantatversorgung mit Steg Kompensation durch Kunststoff Simultaner Sinuslift Regio 26 Implantation Abb. 6: Labortechnische Arbeit OK (oben) und UK (unten) verbliebenen Zähne wurden zur Verbesserung der Retention der Prothesen bis zur definitiven Versorgung belassen. Als nächster Schritt wurden eine Osteoplastik mit Beckenkammspongiosa sowie ein Restlochverschluss in Narkose durchgeführt. Nach einer Abheilzeit von sieben Monaten wurde ein CT des Gesichtsschädels mit der optimal aufgestellten Prothese durchgeführt. Es wurden je drei Bariumsulfat-Kugeln (D = 1 mm) bukkal und palatinal in die Prothese einpolymerisiert. Nach Einlesen der Abb. 7: Intraorale Aufnahme nach Abschluss der Behandlung Unterkiefer Teilbezahnter Unterkiefer DICOM-Daten der CT-Bilder erfolgte die Planung der Implantatpositionen nach prothetischen Gesichtspunkten (Abb. 4). Mithilfe der provisorischen Teilprothesen im Ober- und Unterkiefer wurden bereits vor der Implantation korrekte ästhetische und funktionelle Verhältnisse mit dem Patienten erarbeitet. Diese bildeten die Grundlage der Planung und erfolgten durch den Chirurgen, Zahnarzt und Zahntechniker in der zweiten interdisziplinären Sitzung. Festsitzende Implantatversorgung Implantation Der implantologische Eingriff wurde in Sedoanalgesie mit Propofol und Ultiva (Remifentanil) durchgeführt. Im Oberkiefer wurden sechs Implantate (Brånemark MK III Groovy 4.0 RP, L = 13 mm) und im Unterkiefer vier Implantate (Brånemark MK III Groovy 3.75 RP, L = 13 mm) mit transgingival gesetzt. Die Primärstabilität lag zwischen 15 und 20 Ncm. Im Oberkiefer wurde in Regio 26 zusätzlich ein simultaner Sinuslift mit 2.0 g BioOss durchgeführt (Abb. 5). Nach einer Einheilzeit von vier Monaten erfolgte beim Implantat 26 die Freilegung. Nach sechs Monaten wurde die technische Arbeit im Oberkiefer durch eine abnehmbare Versorgung durchgeführt. Es handelte sich um einen gefrästen Titansteg mit NobelProcera und vier Preci-Elementen (Abb. 6, oben). Das Tertiärgerüst war mit Kunststoff verblendet. Durch diese Art der Versorgung konnte eine adäquate Lippenunterstützung gewährleistet werden, die mit einer festsitzenden Versorgung nur schwer erreicht hätte werden können. Im Unterkiefer erfolgte die Versorgung festsitzend mit einem gefrästen Titangerüst, das mit Kunststoff verblendet wurde (Abb. 6, unten). Die Arbeit wur-
5 Zahn Krone 2/11 de nach Extraktion der Restbezahnung direkt auf den Implantaten verschraubt (Abb. 7+ 8). Abb. 8: En-face-Ansicht nach Abschluss der Behandlung Zusammenfassung Anhand dieses komplexen Falles wird die optimale Zusammenarbeit eines Behandlungsteams, bestehend aus Kiefer- und Gesichtschirurgen, Zahnarzt und Zahntechniker, dargestellt. Die Komplexität der einzelnen Teilbereiche zeigt das Gewicht der interdisziplinären Fall- und Planungsbesprechung. Alle Beteiligten können von den Erfahrungen und Überlegungen der anderen profitieren und so ihren eigenen Horizont und ihre Kenntnisse erweitern. Dieses Fallbeispiel soll auch anderen Behandlern den Mut geben, in Zusammenarbeit mit Kollegen zu planen und zu behandeln. Durch die vermehrte Spezialisierung in den einzelnen Teilbereichen wird das Vorgehen im Team in Zukunft auch immer mehr an Bedeutung gewinnen. 1 Prim. Univ.-Doz. DDr. Oliver Ploder MKG-Chirurgie, Universitäres Lehrkrankenhaus Feldkirch 1 Ass. DDr. Robert Köhnke, MKG-Chirurgie, Universitäres Lehrkrankenhaus Feldkirch 2 DDr. Peter Kapeller, MSc Zahnarztpraxis Bregenz, 3 ZTM Ronny Hölbl Lauterach Die Autoren sind Mitglieder des Implantatcenters- West,
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