Beitrag: Steuerhinterziehen leicht gemacht Wenn der Staat wegschaut

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1 Manuskript Beitrag: Steuerhinterziehen leicht gemacht Wenn der Staat wegschaut Sendung vom 30. April 2019 von Andreas Halbach und Ulrich Stoll Anmoderation: Steuerpflichtige mit einem Einkommen von mehr als Euro werden immer seltener vom Finanzamt geprüft. Auch die Steuermehreinnahmen durch solche Prüfungen sind zurückgegangen. Das brachte kürzlich eine exklusive ZDF- Recherche an den Tag. Wie bitte? Verzichtet der Fiskus freiwillig auf Einnahmen? Ja, meint eine ehemalige Staatsanwältin, die es wissen muss. Sie ermittelte gegen reiche Deutsche, die ihr Vermögen in der Schweiz versteckt hatten. CDs mit den Kontodaten, die das Land Nordrhein-Westfalen gekauft hatte, verrieten die Steuersünder. Und der Fahndungsdruck brachte der Staatskasse Milliarden ein. Brachte, Vergangenheitsform! Denn das war einmal. Andreas Halbach und Ulrich Stoll haben mit der Frau gesprochen, die einst erfolgreich Schwarzgeld aufspürte und trotzdem von ihrem Posten abgezogen wurde. Text: Margrit Lichtinghagen, ehemalige Staatsanwältin für Steuerstrafsachen. Sie war die erfolgreichste Jägerin reicher Steuerhinterzieher und brachte der Staatskasse Milliarden Euro ein. Geld, das in Steueroasen versteckt war. Köln, 14. Februar Die damalige Staatsanwältin führt Postchef Klaus Zumwinkel vor laufenden Kameras ab. Zumwinkel wird wegen Steuerhinterziehung von einer Million Euro verhaftet. Das ZDF hatte damals einen Tipp bekommen. Die Bilder der Verhaftung zeigten Wirkung. Man wurde natürlich auf der Straße angesprochen von Bürgern, die plötzlich sagten: Gut, dass mal einer dazwischen geht und auch mal die Großen fängt. Klaus Zumwinkel kam vor Gericht. Margrit Lichtinghagens Anklage führte dazu, dass der Manager zu zwei Jahren auf

2 Bewährung und einer Geldstrafe von einer Million Euro verurteilt wurde. Der Fall Zumwinkel kam durch den Ankauf von Steuer-CDs ins Rollen. Ein Angestellter einer Liechtensteiner Bank hatte die Kontodaten von Steuerhinterziehern kopiert und deutschen Steuerfahndern die Daten-CD verkauft. Die Daten ermöglichten Durchsuchungen - nicht nur bei Zumwinkel. Allein die Durchsuchungsmaßnahmen haben natürlich viele Bürger aufgeschreckt, die dann sich überlegt haben, machen wir eine Selbstanzeige oder nicht, die sich mit ihren Anwälten beraten haben, die Selbstanzeigen gemacht haben. Wir haben konsequent durchsucht. Wir haben diese Verfahren in Bochum gehalten und haben sie natürlich in sehr kurzer Zeit auch abarbeiten können, weil wir ein sehr, sehr gutes Team an der Seite hatten. Nach dem spektakulären Fall Zumwinkel zeigten sich bundesweit Steuerhinterzieher selbst an. Es ist ein deutlicher Fahndungsdruck entstanden. Einer der Steuerhinterzieher sagte mal, jedes Mal, wenn es morgens schellte, hatte er Angst gehabt, dass die Steuerfahndung und die Kripo vor seiner Tür stehen, ja. Norbert Walter-Borjans, ehemaliger Finanzminister in Nordrhein- Westfalen. Er hält Vorträge über Steuergerechtigkeit, hat ein Buch geschrieben. Als Finanzminister habe er seinen Steuerfahndern den Rücken freigehalten, sie ermuntert zum Ankauf der Steuer-CDs. O-Ton Norbert Walter-Borjans, SPD, ehemaliger Finanzminister Nordrhein- Am Ende meiner Amtszeit verantworte ich den Ankauf von elf Datenträgern, die haben 19 Millionen Euro gekostet und haben zu einem Rückfluss von Steuer, von hinterzogenen Steuern und Bußgeldern von Banken geführt, in einer Größenordnung von über sieben Milliarden, 7,2 Milliarden Euro. Milliardeneinnahmen für den Staat, weil Whistleblower aus Banken sich an Finanzbehörden und Staatsanwälte wenden konnten. Sie sind ernst genommen und belohnt wurden. O-Ton Norbert Walter-Borjans, SPD, ehemaliger Finanzminister Nordrhein- Der Datenlieferant, der auspacken will, der Informationen aus der Szene mitteilen will, der will natürlich auch am Ende nicht am Pranger stehen, sondern der möchte auch seine Haut

3 retten und möchte gerne eine vertrauenswürdige Umgebung. Düsseldorf, 14. Mai CDU und FDP gewinnen die Wahl in Nordrhein-Westfalen. Die schwarz-gelbe Koalition kauft seitdem keine Steuer-Daten mehr an, weil sie Whistleblowern eher skeptisch gegenüberstehe, wie es heißt. O-Ton Ralf Witzel, FDP, MdL: Klar ist, wir befinden uns hier in einem Bereich, der sensibel ist, weil natürlich Datendiebe in aller Regel ja nicht Daten bei der Finanzverwaltung auf den Tisch legen und sagen: Ich habe das hehre Interesse, dass hier Gerechtigkeit geschieht. Sondern da gibt es Personenkreise oder Einzelpersonen, die haben ein Interesse, dafür ein paar Millionen Euro in der Regel zu bekommen. Manfred Lehmann, Deutsche Steuer-Gewerkschaft. Dass CDU und FDP beim Ankauf von Steuerdaten so zurückhaltend sind, schade letztendlich dem Steuerzahler. O-Ton Manfred Lehmann, Deutsche Steuer-Gewerkschaft Nordrhein- Nach Auffassung der Steuergewerkschaft gibt es keinen juristischen Graubereich beim Thema Ankauf von Informationen. Das ist vom Verfassungsgericht, das ist sogar vom Europäischen Gerichtshof geklärt, und vor dem Hintergrund bewegen wir uns auf sicherstem Boden. Und im Übrigen haben wir mit der langjährigen Praxis siebeneinhalb Milliarden Euro für Deutschland reingeholt und ich glaube, auch das beweist, dass solche Methoden wirtschaftlich und juristisch sauber sind. Für die Ex-Staatsanwältin steht fest: Es fehle heute der Wille, Druck auf reiche Steuerhinterzieher auszuüben. Das schrecke auch Whistleblower ab. Das ist ein Signal für andere, die ebenfalls möglicherweise Informationen haben, diese entweder gar nicht oder mit äußerster Vorsicht an die Finanzbehörden heranzutragen. Es werden keine Durchsuchungsmaßnahmen mehr durchgeführt, wie wir es gemacht haben, bundesweit, über die natürlich auch berichtet wurde, und viele entscheiden sich dann lieber fürs Geld und gegen die Steuer. Die Zahlen der Selbstanzeigen zeigen das: In den Regierungsjahren von Rot-Grün stiegen die Selbstanzeigen von Steuersündern immer dann, wenn der Ankauf von Steuer-CDs und Durchsuchungen bekannt wurden. Die Spitze: Selbstanzeigen eine Gesetzesänderung: Selbstanzeiger kommen nicht

4 mehr so einfach straffrei davon. Die Folge: Die Zahlen gehen zurück. Doch erst nachdem Schwarz-Gelb keine CDs mehr ankauft, geht es runter auf Rekordtief nur noch 217 Selbstanzeigen. Die beiden Ermittler, die über Jahre vertraute Ansprechpartner für Whistleblower in der Wuppertaler Steuerfahndung waren, fühlten sich unter der schwarz-gelben NRW-Regierung plötzlich kalt gestellt. Sie verließen frustriert die Behörde und wollen sich heute nicht mehr äußern. O-Ton Manfred Lehmann, Deutsche Steuer-Gewerkschaft Nordrhein- Die Kolleginnen und Kollegen in der Steuerfahndung spüren schon, dass ihnen im Augenblick der Rückenwind etwas fehlt. In der Vergangenheit waren sie die Speerspitze der Steuergerechtigkeit. Jetzt sind sie ein Element von vielen. Da fühlt man sich schon ein wenig hängen gelassen. Steuerfahnder, die sich hängen gelassen fühlen? Wir bitten NRW- Finanzminister Lienenkämper um ein Interview. Der Minister antwortet schriftlich, Zitat: Das Verfahren bei der Prüfung des Ankaufs von Steuer- Datenträgern bleibt unverändert. Gerhard Schick, ehemals grüner Bundestagsabgeordneter, heute Bürgerbewegung Finanzwende : O-Ton Gerhard Schick, Bürgerbewegung Finanzwende: Wenn der Finanzminister sagt, es hat sich nichts geändert, na ja, das Entscheidende hat sich geändert: Es gibt keine politische Strategie mehr, das wirklich zu betreiben. CDU und FDP haben sich immer gegen die Ankäufe von den Steuer- CDs gestellt. Offensichtlich wollen sie eben da niemanden verschrecken in einer Klientel, wo mancher, der öffentlich als Leistungsträger gesehen wird, eigentlich kriminell handelt, indem er Steuern hinterzieht. Klientelpolitik zugunsten Reicher, ein schwerer Vorwurf. Nochmals ein Gesprächsversuch mit dem Finanzminister: Herr Minister, ganz kurz eine Frage, Halbach vom ZDF. Ich bin im Gespräch, wie Sie sehen. Herr Minister, haben sie kurz Zeit für ein Gespräch?

5 Nein, ich hab keine Zeit, weil ich im Gespräch bin, Sie sehen es doch. Sie schwächen in voller Absicht die Steuerfahndung, was sagen Sie zu dem Vorwurf? Ach. Kaufen keine Daten-CD! Ich bitte Sie herzlich, wenn ich im Gespräch bin, das zu akzeptieren. Sie wollen nicht mit uns reden? Ich bin in einem Gespräch und bin höflich zu Abgeordneten- Kollegen. Herr Minister, Steuergerechtigkeit, ist Ihnen das nicht wichtig? Die Verhaftung von Steuerbetrüger Zumwinkel ist elf Jahre her. Der Staatsanwältin wurde ihr Kampf gegen Steuerbetrüger nicht gedankt. Im Gegenteil: 2009 wird sie Opfer einer Intrige. Wo mir sicherlich nicht gedankt wurde, war in meiner eigenen Behörde, wo plötzlich eine anonyme Anzeige erschien. Und aufgrund dieser anonymen Anzeige, die überhaupt keinen Hintergrund hatte, ich sehr unter Druck geriet. Lichtinghagen wurde unterstellt, sie habe die Hochschule ihrer Tochter begünstigt und Bußgelder aus Steuerstrafverfahren dorthin gelenkt. Die Süddeutsche Zeitung spekulierte damals, Zitat: Ihre Tochter, die dort studieren wollte, war zunächst abgelehnt worden, dann wurde sie doch aufgenommen und die Liechtenstein-Fahnderin bedachte die Uni weiter.

6 (Quelle: Süddeutsche Zeitung vom ) Haltlose Vorwürfe, wie sich später herausstellte. Dann kamen Veröffentlichungen in der Presse, die natürlich sehr viel Druck auch auf meine Kinder ausübten. Und ich hatte nachher keine andere Wahl, als diese Behörde zu verlassen. Margrit Lichtinghagen hat ihren Beruf als Staatsanwältin aufgegeben. Heute ist sie Amtsrichterin. Die Jägerin ist weg und reiche Steuerhinterzieher können aufatmen. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.