SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Leben - Manuskriptdienst. Migranten machen Schule Was können Lehrkräfte mit Migrationshintergrund bewirken?

Transkript

1 SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Leben - Manuskriptdienst Migranten machen Schule Was können Lehrkräfte mit Migrationshintergrund bewirken? Autorin: Redaktion: Ulrike Lückermann Petra Mallwitz Sendung: Dienstag, um Uhr in SWR2 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Leben (Montag bis Freitag bis Uhr) sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für 12,50 erhältlich. Bestellmöglichkeiten: 07221/ Kennen Sie schon das neue Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem kostenlosen Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/ oder swr2.de SWR2 Leben können Sie ab sofort auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter oder als Podcast nachhören: 1

2 MANUSKRIPT Atmo: Begrüßung Schulkinder. Guten Morgen. (Klopfen) Frau Erdogan (Klopfen) Das ist eigentlich schon immer da gewesen, Nermin wird Lehrerin. Diese Wünsche, die mein Opa hatte und uns immer wieder gezeigt hat, indem er abends, wenn wir unsere Hausaufgaben fertig hatten, wir sind ne Großfamilie gewesen und waren alle drei Generationen unter einem Dach sozusagen über sehr lange Zeit, und er mit seinem Riesenlexikon vor uns mit seiner Brille Seite für Seite durchstöbert hat, dass er nie aufgehört hat, sich weiterzubilden, auch wenn er keine Schule hier besucht hat oder so. Und so wir eigentlich immer auch von der Verwandtschaft, die noch in der Türkei ist, wissen, dass die in Lehrerberufen tätig sind. Sei es an der Volksschule oder wo auch immer. Aber so diesen richtigen Anstoß gab erst mal der Opa. Atmo: Kinder auf dem Schulhof Schon als Kind will Nermin Erdogan Lehrerin werden. Sie ist 1980 in Esslingen geboren und unterrichtet seit knapp drei Jahren am Schickhardt Gymnasium in Stuttgart Biologie, Sport und Naturphänomene. Ihre Großeltern stammen aus der Nähe von Burdur in West-Anatolien. In den sechziger Jahren kamen sie als Arbeitskräfte nach Esslingen. Der Großvater war als Elektriker im Tiefbauamt der Stadt beschäftigt und engagierte sich im Ausländerausschuss. Die Großmutter war zuhause und kümmerte sich um die Enkelkinder. Nermin Erdogans Eltern waren beide berufstätig. Ihre Mutter arbeitete im Krankenhaus, der Vater in der eigenen Autolackiererei. Eine gute Schulbildung war ihren Eltern wichtig. Die Bedeutung, was das für unsere Familie hat, dass man sogar als Tochter mit türkischen Wurzeln auch noch Sport unterrichtet, schwimmen geht, DLRG- Rettungsschwimmerin ist und sonstige Zusatzqualifikationen hat, dass das nicht üblich ist. Und das zu zeigen, es gibt es. Die Eltern haben nie verlangt, dass sie Kopftuch trägt. Den Koran las Nermin Erdogan auf Türkisch und auf Deutsch. Das war ihr wichtig. Ich bin ein Kind türkischer Eltern. Somit liegt es eigentlich auch auf der Hand, dass ich auch türkisch bin. Ich habe einen Werdegang hingelegt, der so beide Kulturen, beide Erziehungen genießen konnte. Ich bin in einem evangelischen Kindergarten gewesen, ich habe die Feste mitgefeiert. Ich kenn mich in den Festen dieser Kultur gut aus. In der Kultur meiner Eltern auch. Und dieses beides zu vermischen, ist so etwas Schönes, dass der Begriff eigentlich türkische Schwäbin so toll passt. Nermin Erdogan möchte Kindern aus Einwanderer Familien zeigen, dass Erfolg in der Schule und im Beruf möglich ist. Sie selbst fühlte sich in ihrer Schulzeit immer wieder ausgebremst. 2

3 Obwohl sie gute Noten in der Grundschule hatte, bekam sie nur eine Realschulempfehlung. Ihre Klassenlehrerin auf der Realschule entdeckte allerdings das Potential, das in ihr steckt und förderte sie entsprechend. Nermin Erdogan wurde Klassenbeste und wechselte aufs Gymnasium. Einige Lehrer glaubten dort nicht an ihre Fähigkeiten. Wenn ich jetzt noch einmal darüber nachdenke, ist mir insofern einiges noch so im Kopf, dass ich wirklich das Gefühl vermittelt bekommen habe, das packst du nicht. Und das hat sich so verankert bei mir, dass ich eben diesen Lehrern von damals das eben genau zeigen wollte, ich pack das schon. Auch ohne eure Unterstützung. Und habe dann, als ich Abitur gemacht habe, Zimmerfenster von mir - ich muss dazu sagen, dass wir gegenüber dieser Schule gewohnt haben - und habe dann, als ich das Abitur in der Tasche hatte, einen Riesenaufkleber Abi 99 in Gelb, ganz auffällig, an dieses Zimmerfenster geklebt. Und wollt damit eigentlich auch zeigen, dass ich das Abitur beendet hab. Sie schluckt. Noch immer spürt sie den Schmerz, weil ihr als Kind türkischer Eltern nichts zugetraut wurde Nermin Erdogan ist damals 19 Jahre alt - beginnt sie an der Universität Hohenheim Biologie auf Lehramt zu studieren. Sie ist die einzige Studentin türkischer Herkunft und wird lange von ihren Kommilitonen geschnitten. Zwei Jahre später fängt sie ein Sportstudium in Stuttgart an. Zum ersten Mal findet sie Freunde an der Uni. Ohne den Zuspruch ihrer Familie hätte sie ihr Lehramtsstudium vielleicht nicht abgeschlossen. Ich hab diese Unterstützung, den Rückhalt, diese liebevolle Atmosphäre, den Umgang daheim so verinnerlicht, dass mich das so bestärkt hat, weiterzumachen. Weil ich wusste, egal was passiert, meine Großeltern, meine Eltern, meine gesamte Familie steht hinter mir. Die fördern, dass ich was erreiche. Die wollen, dass ich weiterkomme. Und nicht mich einschüchtern lasse oder den Weg aufgebe, den ich mache. Ich hatte drei Jahre lang mit Ängsten zu kämpfen in der Uni, als ich noch im Biologiestudium war. Und ich hab von meinen Eltern zu hören bekommen, Mensch, wenn das so weitergeht, dann soll sie es eben lassen. Das geht an ihre Gesundheit und sonst was. Dass ich halt dort keinen Anschluss bekommen hab, dass ich halt dort alleine auf mich gestellt war. Bis ich dann Gott sei Dank im Sportstudium angenommen wurde und dort das Ganze in ner ganz anderen Form erlebt hab. Und diese schwere Phase hat mich noch mehr gestärkt, weiterzumachen. Nicht aufgeben. Diskriminierung, Ausgrenzung und ein Gefühl des Nicht-dazu-Gehörens spielen in vielen Biographien von Lehrkräften mit Migrationshintergrund eine Rolle. Häufig sind es einschneidende Erlebnisse, die als Motivation für politisches oder soziales Engagement beschrieben werden. Nermin Erdogan gehört während ihrer Schulzeit dem 1. Esslinger Jugendgemeinderat an. Heute engagiert sie sich im Netzwerk Migranten machen Schule. Einem Projekt der Stadt Stuttgart. Die Idee dazu entstand 2006, um mehr Vielfalt ins Lehrerzimmer zu bringen. 56 Prozent der schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen haben einen Migrationshintergrund. Die Lehrer dagegen haben fast alle Deutsche Wurzeln. Martha Aykut ist Stellvertretende Leiterin der Stabsabteilung Integrationspolitik in Stuttgart. 3

4 Martha Aykut: Wir wollen jetzt nicht die einen gegen die anderen ausspielen. Und Lehrer mit Migrationshintergrund sind jetzt nicht per se die besseren Lehrer. Aber uns ist wichtig, wenn ich die Vielfalt in der Bevölkerung habe, dann hätt ich auch gern diese Vielfalt im Lehrerzimmer. In einer Bildungsinstitution, wo die nächste Generation gebildet und erzogen wird. Und ich denke, wenn man diesen positiven Blick sieht und man sagt, wie können wir uns gegenseitig unterstützen? Wie kann ein deutsches Kollegium davon profitieren, dass eine griechische, italienische oder türkische Kollegin dabei ist? Wie kann sie vielleicht Brücken bauen zu Eltern? Wie kann sie helfen in schwierigen Fällen, wenns vielleicht ne Auseinandersetzung gibt mit Schülern oder so? Etwa 70 Lehrkräfte mit Migrationshintergrund unterstützten das Projekt. Zu ihnen gehört Vittorio Lazaridis kam er als zweijähriger nach Deutschland. Seine Mutter ist in Neapel geboren, sein Vater in Thessaloniki. Vittorio Lazaridis leitet seit 2003 eine Förderschule. Vittorio Lazaridis: Und es ist sowohl für die Eltern als auch für die Kinder ein Signal, wenn sie sehen, hoppla, da ist ja jemand der heißt nicht Meier, Müller oder Wagner, der heißt Lazaridis. Das wird von den Eltern und Schülern sehr positiv aufgenommen. Und umgekehrt rede ich oft mal mit meinen Schülern in ihrer Landessprache, wenn es griechische oder italienische Kinder sind. Nen paar Brocken türkisch habe ich mir auch angeeignet. Einmal ein Hallo, ein Guten Morgen in ihrer Landessprache das tut den Kindern gut. Klar kommen Kinder und fragen: Menschenskinder sie sind Ausländer. Sie können doch gar kein Lehrer sein. Das ist für manche Kinder völlig fremd. Oder es kam mal ein Kind und sagte: Ja, ist völlig klar. Du bist Ausländer. Du kannst ja nur Lehrer an einer Sonderschule sein. Auch so etwas kommt. Also das ist für die wirklich etwas Exotisches, was völlig Neues, mit dem sie eigentlich noch gar nicht so konfrontiert wurden so wirklich. Kulturelle Vielfalt im Lehrerzimmer ist in vielen Köpfen noch nicht verankert. Migrationshintergrund wird zudem häufig als Makel und nicht als Chance gesehen. In einer Studie der Freien Universität Berlin gibt jede fünfte Lehrkraft mit Migrationshintergrund an, Diskriminierungen im schulischen Alltag und im eigenen Kollegium erlebt zu haben. Nermin Erdogan wurde im ersten Jahr ihres Referendariats an einem Gymnasium hoch geschätzt. Im zweiten Jahr musste sie entsprechend der Ausbildungsordnung auf eine andere Schule wechseln. Dort spürte sie Kälte und Ablehnung innerhalb des Kollegiums. Das hat dich eigentlich gestärkt. Zieh doch aus allem was Positives. Egal, was es ist. Das ist so eine Grundeinstellung. Es kann nicht alles schlecht gewesen sein. Du hast auch dort durch diese Phase etwas dazugelernt. Wie man Menschen behandeln soll, wie man nicht behandelt werden soll. Wie deine Ideen sind. Du hast darüber nachgedacht, Kräfte geschöpft dadurch. Du hast gesagt, so mache ich das nie. Ich mache das anders. 4

5 Nermin Erdogan ist warmherzig, aufgeschlossen und eine begeisterte Tänzerin. In ihrer Jugend war sie mit ihrer Streetdance-Gruppe sogar Europameisterin. Am Schickhardt Gymnasium leitet sie eine Tanz-AG. Atmo: Tanz-AG, Und los geht s. Musik. Mädchen und Jungen aus der 5. und 6. Klasse laufen in der Turnhalle einige Runden, um sich aufzuwärmen. Dann tanzen sie Hip Hop. Wie nehmen sie eine Lehrerin wahr, die aus einem türkischen Elternhaus stammt? Schülerin: Sie kann ja auch sehr gut deutsch. Sie macht den Unterricht genau wie alle anderen auch. Schülerin: Sie unterrichtet gleich, aber sie lacht irgendwie mehr als die anderen Lehrer im Unterricht. Und sonst ist eigentlich alles gleich. Schüler: Meine Mutter kommt aus ihrer Heimatstadt, also Türkei. Und das hat meine Mutter sehr erfreut. Wenn der Unterricht zu Ende ist, dann spreche ich manchmal mit ihr Türkisch. Wenn ich was nicht kapiert habe dann ja. Schülerin: Es gibt ja das Klischee, dass manche sagen, dass die türkischen Kinder manchmal dümmer sind als wir deutschen. Und Frau Erdogan ist eigentlich das genaue Gegenteil davon. Ihre Eltern sind türkisch. Der Mann von meiner Schwester der ist auch aus der Türkei. Und der arbeitet als Ingenieur, hilft mir bei den Hausaufgaben, wenn er kann. Und dieses Klischee ist eigentlich mit Frau Erdogan aufgehoben. Nermin Erdogan liebt ihren Beruf und genießt jeden Tag, den sie am Schickhardt Gymnasium unterrichten kann. Wenn sie den Klassenraum betritt, sitzen Mädchen und Jungen aus vielen verschiedenen Nationen vor ihr. Schülerin: Also bei der Begrüßung da tun wir immer zuerst Frau Erdogan begrüßen und dann sagt sie aus einem anderen Land Guten Tag. Und dann müssen wir immer erraten, aus welchem Land sie das gesagt hat. Im Fach Naturphänomene wählt Nermin Erdogan an diesem Morgen einen etwas anderen Einstieg. Sie hat Post von der Polizei bekommen. Nur so viel Information hab ich gekriegt. Ihr werdet Teil sein an einem Kriminalfall. 5

6 In einem Schulbuch fand sie eine Kriminalgeschichte, die sie ein bisschen verändert hat. Aus dem deutschen Polizeibeamten wird ein türkischer. Sie gibt ihm den Namen Eschiktasch, denn den Polizisten Eschiktasch gibt es wirklich. Er ist in einem Vorort von Esslingen im Einsatz. Atmo: Aus dem Unterricht Opa Mehmet wurden fünf neugeborene Lämmer gestohlen. Der Dieb hat einen Zettel hinterlassen und fordert Euro. Die Mädchen und Jungen der fünften Klasse sollen sich überlegen, wie die Polizei vorgehen würde und auch deren Methoden ausprobieren. Unter einem Binokular untersuchen sie Fingerabdrücke, Fasern von Kleidungsstücken, Haare und Schriftproben. Das Untersuchungsprotokoll schickt Nermin Erdogan an den Polizeibeamten Eschiktasch. Sie möchte ihn auch in die Schule einladen. Von Hauptkommissar Eschiktasch zu sprechen, ist doch nicht etwas Großes, was man da macht, sondern das ist eine kleine Veränderung, die aber eine Riesenwirkung hat. D.h. ich kann das jedem nur empfehlen, das auszuprobieren. Und dann haben natürlich die Schüler da gleich aufgehorcht. Hoppla, wie, was? Eschiktasch, das ist doch nen türkischer Name. Kennen sie den wirklich? Und da kamen Fragen über Fragen. Ich hätt mir als Schülerin das auch gewünscht, dass mal nen türkischer Name auftaucht in irgend nem Text, den man bearbeitet hat. Oder nen griechischer Name oder nen kroatischer Name, das ist ja ganz egal. Und deshalb ist es so schön, dass ich die Dinge, die ich vermisst habe als Schülerin jetzt selber umsetzen kann. Das tut so gut. Das Schickhardt Gymnasium liegt in der Stuttgarter Innenstadt und ist eine Eliteschule des Sports. 550 Schülerinnen und Schüler wollen dort ihr Abitur machen. Etwa 40 Prozent von ihnen haben einen Migrationshintergrund. Schulleiter Edwin Bartels ist froh, dass inzwischen vier Lehrkräfte nichtdeutscher Herkunft zum Kollegium gehören. Schulleiter Edwin Bartels: Wenn mir diese Schüler was bedeuten, muss mir diese Frage auch wichtig sein. Und so ist eine Stimmung hier im Hause entstanden - und das ist jetzt das Neue - die ganz offen ist, die ganz offen ist und dieser Frage mit Migrationshintergrund, die es an dieser Schule schon seit etlichen Jahren gibt, aber nun jetzt irgendwie mit einem anderen Vorzeichen versehen wird. Also überhaupt nicht negativ, sondern ganz im Gegenteil. Man schätzt die Kinder. Und dann stellt man eben fest, es wäre aber doch ganz gut in ganz besonderen Fällen gut, wenn man mal mit den Eltern sprechen würden. Und dann heißt es, die Eltern können vielleicht nicht so richtig deutsch sprechen. Sie verstehen einen nicht so richtig. Von offizieller Seite kann man ja nen Dolmetscher dafür beantragen, aber das ist alles so sehr distanziert. Und wir wollen diese Distanz abbauen und deswegen machen wir das und stellen fest, dass uns das richtig Spaß macht. 6

7 Die Schule ist ein Beispiel für gutes Miteinander. Nermin Erdogan wird im Kollegium geschätzt und hat für viele Migrantenkinder eine Vorbildfunktion. Dass die sehen, ihr habt eine Lehrerin. Sie ist Türkin. Die fühlen sich noch mehr motiviert. Ich krieg das so als Rückmeldung zurück. Die sagen mir auch, dass ich bei vielen Themen vielleicht eher die Ansprechpartnerin wäre als jemand anderes. Schülerinnen und Schüler, die frühmorgens in einer türkischen, tagsüber in einer deutschen und abends wieder in einer türkischen Welt leben, erhoffen sich von ihr mehr Sensibilität und Einfühlungsvermögen. So wie Yasemin. Sie besucht die dreizehnte Klasse und war vorher auf einem anderen Gymnasium. Nachdem sie von zuhause weggelaufen war, weil sie einen türkischen Jungen heiraten wollte, mit dem ihre Eltern nicht einverstanden waren, wandte sie sich an Nermin Erdogan. Yasemin: Weil sie eben meine Kultur und Religion besser kennt. Dann kann sie mein Problem besser nachvollziehen. Dann fühle ich mich auch besser verstanden. Ich hätte mir gewünscht, dass auf meiner alten Schule auch jemand da gewesen wäre wie Frau Erdogan. Beim Schüleraustausch z.b. konnte ich nicht mitmachen, weil meine Eltern haben gedacht, wenn ich jetzt z.b. nach Frankreich gehe, dass keiner da auf mich aufpasst und dass ich da frei rumlaufe. Und wenn da jetzt nen Lehrer gewesen wäre, nen türkischer oder so, dann hätten meine Eltern eher gesagt, wenn sie jetzt als Lehrer mitgehen, dann darf unsere Tochter auch mit. Und wenn ich jetzt mit ner deutschen Lehrerin sprechen würde, würde sie wahrscheinlich denken, ja, ist ja nicht so schlimm. Ich würd mich von ihr nicht verstanden fühlen, weil die so was nicht erleben. Yasemin möchte Lehrerin werden und wird von Nermin Erdogan in ihrem Berufswunsch bestärkt. Lehrkräfte mit Migrationshintergrund sind in Deutschland jedoch die Ausnahme. Während die Schulklassen sprachlich und kulturell immer vielfältiger werden, hat sich in den Lehrerzimmern wenig verändert. Schätzungen gehen davon aus, dass nur etwa ein bis zwei Prozent der Lehrkräfte einen Migrationshintergrund haben. Nun werden sie als Ressource entdeckt. Ihnen wird sogar eine Schlüsselrolle bei der Integration und dem Lernerfolg von Migrantenkindern zugeschrieben. Während 37 Prozent der deutschen Kinder Abitur machen, sind es bei Kindern aus Migrantenfamilien nur zwölf Prozent. Auch der Anteil derjenigen, der die Schule ohne Abschluss verlässt - in Baden-Württemberg sind das fünf Prozent - ist bei Migrantenkindern deutlich höher, sagt Kultusministerin Marion Schick. Kultusministerin Marion Schick: An diesen fünf Prozent der Schüler haben die ausländischen Jugendlichen einen dreifach so hohen Anteil. Also wir haben hier auch die Phänomene, dass es uns heute noch nicht befriedigend gelingt, junge Menschen mit Migrationshintergrund zum Schulabschluss zu führen und zu höheren Schulabschlüssen zu führen. Denn der Anteil der jungen Menschen mit Migrationshintergrund, die an den Hauptschulen sind, ist ebenfalls deutlich erhöht. 7

8 Auf der anderen Seite sind die Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Baden- Württemberg diejenigen, die die besten Kompetenzen im Bereich Lesen, Schreiben, in Deutsch insgesamt haben. Das hat die jüngste Ländervergleichsstudie im Auftrag der Kultusministerkonferenz ergeben. Wir müssen also daran arbeiten, die Wege an die Realschule und ans Gymnasium breiter zu ebnen für diese Zielgruppe. Eine Studie der Universität Bamberg zeigt, dass Kinder aus Einwandererfamilien sich in kurzer Zeit im Fach Deutsch um eine Note verbesserten, wenn sie von Lehramtsstudenten unterschiedlicher Herkunft Förderunterricht bekamen. Das Stuttgarter Projekt Migranten machen Schule wird nun zum Vorbild für Baden- Württemberg. Kultusministerin Marion Schick: Kultusministerin Marion Schick: Das Projekt Migranten machen Schule soll die Vorbildwirkung von jungen Menschen, die Lehrer sind und Migrationshintergrund haben, ins Land hinaustragen, soll motivieren, soll mobilisieren, soll deutlich machen, dass wir einen besonderen Auftrag haben, junge Menschen mit Migrationshintergrund zu fördern. Wir gehen allerdings nicht den Weg, ein landesweit zentrales Projekt daraus zu machen, sondern wir setzen auf regionale Verbünde. Und das ist uns sehr wichtig in Baden- Württemberg. Die Verantwortung für Integration liegt letztendlich in der Situation vor Ort. Wir müssen als Land Rahmenbedingungen auch in den Schulen schaffen, die unterstützen. Aber die Integration erfolgt immer in einem lokalen Kontext. Ministerin Schick verweist allerdings darauf, dass die Vorbildfunktion nicht zum Druck werden darf. Lehrkräfte, die mit anderen Kulturen und Werten aufgewachsen sind, können nicht allein die Probleme in den Griff bekommen, mit denen Schule bisher nicht fertig geworden ist. Sie sollten auch nicht nur dort eingesetzt werden, wo besonders viele Migrantenkinder unterrichtet werden und haben nicht automatisch einen besseren Zugang zu Eltern und Kindern nichtdeutscher Herkunft. Atmo: Kinder in der Schule Schule muss sich insgesamt verändern. Deshalb fordern Lehrkräfte mit Migrationshintergrund von ihren deutschen Kollegen mehr interkulturelle Kompetenz. Sie wollen auch nicht darauf beschränkt werden, Experten für alles Fremde zu sein. Cidem Eren-Demirel ist in erster Linie Lehrerin. Cidem Eren-Demirel: Da sprach mich eine Kollegin an und sagte: Warum gehen eigentlich die türkischen Frauen eigentlich nach der Eheschließung immer so auseinander? Ich hab erst nicht verstanden, was sie meint. Sie meinte, dass sie eben zunehmen. Dann ist man dann schon ein bisschen erstaunt. Oder wird man auf irgendetwas angesprochen, was vielleicht nicht direkt mit einem zu tun hat, aber was jetzt allgemein mit türkischen Frauen verbunden wird. Man wird tatsächlich von einigen Menschen - wirklich nicht von vielen, das möchte ich immer wieder unterstreichen - auf seine Herkunft reduziert, will ich sagen. Wirklich so negativ. Weil meine Herkunft kann ja auch viel schöne Seiten haben. Aber so, wie es einem angetragen wird, empfindet man es manchmal als reduzieren. 8

9 Sie kam als kleines Kind nach Deutschland, machte 1979 ihr Abitur und studierte Wirtschaftspädagogik und Deutsch. Aufgrund ihrer Fächerkombination kam sie sofort in den Schuldienst. Mittlerweile hat sie eine Leitungsfunktion inne. Bei der Landtagsabgeordneten der Grünen Renate Rastätter melden sich jedoch Lehrkräfte mit Migrationshintergrund, die nicht in den Schuldienst übernommen werden. Mit der Note zwei, fünf oder 2,6 im Zweiten Staatsexamen haben sie keine Chance. Selbst dann nicht, wenn sie ihre großen Fähigkeiten als Vertretungslehrerin unter Beweis gestellt haben. Renate Rastätter nennt ein Beispiel: Renate Rastätter: Eine hat fünf Jahre als Vertretungslehrerin gearbeitet an verschiedenen Schulen, hat Superzeugnisse bekommen. Aber es zählt immer noch der vorhergehende Abschluss, d.h. an zwei, drei Zehntel scheitert es, dass sie nicht eingestellt wird. Jetzt hat sie sogar Zusatzqualifikationen erworben, d.h. sie hat eine Ausbildung in islamischer Religionspädagogik absolviert und Lehrer mit Zusatzqualifikationen können ja eingestellt werden, wenn sie nicht ganz die Noten erfüllen. Aber auch selbst das hat nicht ausgereicht. Mit dem Ergebnis, dass jetzt in den Familien gesagt wird, ja, jetzt habt ihr studiert, habt alle Anstrengungen auf euch genommen. Jetzt seid ihr arbeitslos. Und ich hab ne Lehre gemacht, bin jetzt in meinem Beruf. Wozu sollen denn die Migrantenkinder Lehrer werden, wenn sie hinterher nicht eingestellt werden? Also das kann sich sozusagen als kontraproduktiv erweisen, wenn man jetzt diese jungen Leute nicht einstellt, sondern sie über Jahre hinweg mit Vertretungslehrplänen beschäftigt, aber dann immer noch sagt, ihr kriegt keine Einstellung. Und deshalb muss die Zusatzqualifikation eine Möglichkeit schaffen, wie die bei der Einstellung berücksichtigt wird. Wieder andere haben ein Lehramtsstudium in ihrem Heimatland abgeschlossen, das in Deutschland nicht anerkannt wird. Die politisch Verantwortlichen haben inzwischen erkannt, dass die Potentiale vieler Zuwanderer nicht genutzt werden und wollen über die Anerkennung ausländischer Abschlüsse nachdenken. Lehrkräfte mit Migrationshintergrund können den Schulalltag bereichern. Sie sind aber kein Allheilmittel. Chancengleicheit lässt sich nur erreichen, wenn sich auch die Qualität der schulischen Bildung verändert. Martha Aykut und Martha Aykut: Es geht nicht nur darum, dass wir mehr Lehrerinnen und Lehrer mit Migrationshintergrund haben, sondern wir müssen uns auch angucken, wie wird Unterricht gestaltet an unseren Schulen. Was können wir verändern, was müssen wir verändern, wenn wir einen so hohen Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund in unseren Klassen haben? Da muss z.b. Deutsch als Zweitsprache verbindlich in die Lehrerausbildung hinein. Da muss man sich vielleicht überlegen, wie kann Unterricht anders gestaltet werden, damit er dieser Vielfalt an Schülern eher gerecht wird. Und ich möchte einfach mit meinem Arbeiten, mit dem, wie ich etwas an die Kinder bringen kann, vermitteln, dass die Schulzeit eine schöne Zeit sein kann. Obwohl ich sie selber nicht in allen Bereichen so erlebt. 9

10 Dass man auch gefördert werden kann, dass man gefördert werden soll und nicht auf der Strecke bleiben soll, das ist mein großes Anliegen. Die Kinder an meiner Schule zu halten, so lange wie es geht und sie zum Abitur zu bringen. 10