Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung Ausschuss für Wirtschaft, Mittelstand und Energie Landtag Nordrhein-Westfalen
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- Philipp Breiner
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1 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 14. WAHLPERIODE STELLUNGNAHME 14/3 127 Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung Ausschuss für Wirtschaft, Mittelstand und Energie Landtag Nordrhein-Westfalen Elektromobilität: Landesregierung muss Weichen richtig stellen 27. Januar 2010 Institut für Elektromobilität Prof. Dr.-Ing. Friedbert Pautzke Prof. Dr.-Ing. Wolf Ritschel Prof. Dr.-Ing. Michael Schugt Lennershofstr Bochum Tel: +49 (234) Fax: +49 (234)
2 Block I: technische Fragestellungen 1. Wo liegen die zentralen Probleme für die Entwicklung und Herstellung von Elektroautos und welche Strategien zur Überwindung dieser Probleme werden aktuell verfolgt? Der elektrische Antriebsstrang besteht im wesentlichen aus drei Subsystemen: einem Energiespeicher, komplexen leistungselektronischen Systemen (Traktions-Wechselrichter, Gleichrichter, Ladegerät...) sowie einer oder mehreren elektrischen Maschinen zum Antrieb des Fahrzeugs. Diese drei Subsysteme müssen für den Einsatz im Fahrzeug entwickelt bzw., basierend auf ähnlichen Anwendungsbereichen, weiterentwickelt werden. Die beiden zentralen Herausforderungen bestehen zum einen in den funktionalen Gesichtspunkten sowie unter den besonderen Randbedingungen einer Automotive-Großserienproduktion. Funktionale Herausforderungen sind für alle drei Subsysteme die hohen Anforderungen bzgl. Automotive-Temperaturbereich, Lastwechsel, Vibration, EMV (Elektromagnetische Verträglichkeit), geringer Bauraum sowie der hohe Kostendruck im Wettbewerb zu konventionellen Fahrzeugen. Für den Energiespeicher gilt es, die erforderliche Leistungs- und Energiedichte zu erreichen, um alle Vorteile des elektrifizierten Antriebsstrangs wie Rekuperation (Rückgewinnung von Energie beim Bremsen oder im Schubbetrieb), Boost-Betrieb (kurzzeitige Leistungserhöhung), Downsizing bei akzeptablen Reichweiten des Fahrzeugs und optimalen Verbrauchs- und Emissionswerten zu nutzen. Die Leistungselektronik steht vor der Herausforderung, eine für den im Einsatz im Automobil geeignete Aufbau- und Verbindungstechnik zu finden, geeignete Schaltungsstrukturen zu liefern, Halbleiter (ausgehend von der MOS und IGBT-Technologie) weiter zu entwickeln, minimales Bauvolumen und Gewicht sicherzustellen sowie neue Regelungsalgorithmen für die Traktions-Wechselrichter bereit zu stellen. Bei den elektrischen Maschinen kristallisieren sich Permanent- und hybriderregte Synchronmaschinen als geeignete Antriebe heraus. Vorteil dieses Maschinentyps ist die präzise Regelung mittels Wechselrichter bei moderatem Schaltungsaufwand und die geringen Verluste. Herausforderung bei der Entwicklung der Maschinen sind Anpassungen an die speziellen Anforderungen aus der Automobilindustrie und die Entwicklung von preisgünstigen Radnabenmotoren, die völlig neue Fahrzeugkonzepte ermöglichen. Die zweite zentrale Herausforderung liegt in den Regeln der Automotiven Großserienproduktion begründet: Millionen Stückzahlen müssen unter hohem Kostendruck mit niedrigsten Ausfallraten im ppm-bereich (parts per million) produziert werden. Technisch gesehen ist das aufgrund des beschriebenen Neuigkeitsgrads der Subsysteme schon eine enorme Herausforderung. Betrachtet man dazu den monetären Aufwand, neue Produktionsanlagen zu entwickeln sowie die Aufwendungen für die produktionsbegleitende Qualitätssicherung, kommen hier Milliardeninvestitionen auf die Automobilindustrie zu. Strategien zur Überwindung dieser Problem sind die schrittweise Elektrifizierung des Antriebsstrangs (ein Beispiel liefert BMW mit der Efficient Dynamics-Strategie), hohe Forschungsaufwendungen zur Lösung der technischen Fragestellungen sowie tiefgreifende Kooperationen zur Minimierung des Gesamt-Entwicklungsaufwands funktional gleicher Systeme. Als Beispiel für eine sinnhafte Kooperation ist im Bereich der Batterieproduktion das Joint-Venture zwischen Samsung SDI und Robert Bosch GmbH zu nennen, die in die Gründung des Unternehmens SB LiMotive mündete. Ziel ist, ein Gemeinschaftsunternehmen für Entwicklung, Fertigung und Vertrieb von Lithium-Ionen-Batterie-Systemen in kürzester Zeit unter bezahlbaren Randbedingungen zu gründen. Samsung liefert einen abgesicherten Prozess zur Herstellung von Li- Ion-Zellen, BOSCH liefert das Automotive-Know-how
3 2. Welches Marktsegment Premium, Mittelklasse oder Kleinwagen sollte bei der Entwicklung von Elektroautos vorrangig anvisiert werden? Entgegen der gängigen Praxis bei konventionellen Fahrzeugen, neue Technologien in der Premiumklasse einzuführen, sollten alle Marktsegmente gleichzeitig anvisiert werden. Begründet liegt dies darin, dass die Elektrifizierung des Antriebsstrangs für jedes Marktsegment individuellen Mehrwert und Kundenakzeptanz bringt. In der Ober- und Mittelklasse sind die gewünschten Reichweiten mit der derzeitigen Batterietechnologie nicht zu erreichen. Mehrwert liegt hier in der Schadstoff- und Verbrauchsreduktion ohne Auswirkungen auf Fahrdynamik und Fahrspaß. Ist der Antriebsstrang elektrifiziert, sind die Weichen auf rein elektrisches Fahren bei den zu erwartenden verbesserten Traktionsbatterien gestellt. Kleinwagen sind prädestiniert, elektrifiziert zu werden. Ausgestattet mit einem geeigneten Range- Extender, der wahlweise zur Generierung von elektrischer Energie oder Wärme eingesetzt wird, erreicht man sofort eine hohe Kundenakzeptanz und kann große Teile des Stadtverkehrs elektrifizieren. Der Gesetzgeber kann mit entsprechenden Regelungen wie Innenstadt- Einfahrbeschränkungen diese Akzeptanz sinnvoll fördern. Ein weiterer Grund, alle Marktsegmente gleichrangig anzugehen liegt darin, möglichst schnell auf hohe Absatzzahlen zu kommen, da viele der genannten Entwicklungsaufwendungen für alle Fahrzeugsegmente skalierbar gleich sind. 3. Wie schätzen Sie den Zeithorizont bis zur Marktreife von Elektroautos ein? Die in der Drucksache 14/9422 zitierten Jahre stehen sicher nicht zur Verfügung. Deutschland würde dann gegenüber anderen Nationen an Bedeutung im Automobilbau verlieren. Der Antriebsstrang wird bereits jetzt sukzessive elektrifiziert. BMW hat beispielsweise in 2009 angekündigt, das jedes Modell der Fahrzeugflotte ab 2011 eine elektrische Komponente im Antriebsstrang aufweist. Der Zeithorizont für reine Elektrofahrzeuge muss < 5 Jahre sein. 4. Welche Chancen und Möglichkeiten werden für eine vorgezogene Markteinführung gesehen? Elektromobilität hat sich in China bei Fahrrädern, den Pedelecs, bereits durchgesetzt. Dort wird es keine große Hemmschwelle für Elektro-Pkw geben. Will Deutschland den bisherigen Know-how- Vorsprung im Fahrzeugbau behalten, muss Elektromobilität unmittelbar, eventuell durch sukzessive Elektrifizierung des Antriebesstrangs erfolgen. 5. Welche neuen Chancen sind für die Zulieferindustrie zu erwarten? Die Zulieferindustrie wie auch die OEMs stehen vor historisch großen Chancen. Die Elektrifizierung des Antriebsstrangs wird die Wertschöpfungskette in der Automobilindustrie neu ordnen. Lag das Know-how und die Wertschöpfung der OEMs in der Fahrzeugproduktion und im klassischen Antriebsstrang, das der Tier1-Zulieferer in der Produktion und Zulieferung von Komponenten an die OEMs, ist diese klassische Rollenaufteilung zukünftig obsolet. Ein Elektrofahrzeug und insbesondere ein elektrischer Antriebsstrang lässt sich leichter modular aufbauen. Große Teile der Wertschöpfung eines Elektroautos liegen in den unter Frage 1 beschriebenen Subsystemen (Energiespeicher, Leistungselektronik und Maschine). Es ist nicht zu erwarten, dass diese Wertschöpfung den klassischen Zuliefern überlassen wird. Umgekehrt wird die Hürde für die Zulieferer, ein Elektroauto zu bauen, deutlich abgesenkt. Große Chancen für die Zulieferindustrie und insbesondere für neue, hochspezialisierte Unternehmen ergibt sich durch die thematische Verschiebung im Fahrzeugbau vom klassischen Maschinenbau hin zur Elektrotechnik. Beispielsweise wird die Leistungselektronik zur Schlüsseltechnologie, die hohe Wertschöpfung verspricht. Dies bietet eine historische Chance, sich als neuer Zulieferer zu etablieren
4 Block II: Infrastruktur 6. Werden Elektrofahrzeuge an jeder beliebigen Steckdose aufgeladen oder [...] ist eine Infrastruktur im Sinne von Elektrotankstellen vorzuhalten? Hier müssen beide Möglichkeiten geschaffen werden. Unter den Stichworten vehicle to grid und Kundenakzeptanz bzgl. der Reichweitenproblematik muss ein Elektrofahrzeug zum einen an jeder beliebigen Steckdose mit dem Stromnetz (Grid) verbunden werden können, zum anderen muss auch eine Schnellladung möglich sein. Der Anschluss an jede beliebige Steckdose mit kleiner Leistung nutzt die Vorteile, die Gesamtzahl der Fahrzeugbatterien z.b. als Netzpuffer zu nutzen und somit Spitzenleistungen aus der regenerativen Energiegewinnung zu nutzen. Eine Stromtankstelle mit hoher Leistung dient dazu, ein Elektrofahrzeug während eines kurzen Aufenthalts mit hoher Leistung zu laden, um die Fahrt fortzusetzen. 7. Welche Chancen bieten sich für den ÖPNV? Beim schienengebundenen öffentlichen Verkehr überwiegt seit langem der elektrische Antrieb. Weiterhin zeigen Untersuchungen des Nutzungsverhaltens von Autofahrern, dass die durchschnittliche tägliche PKW Fahrleistung bei ca. 37 km liegt. 90 bis 95 Prozent der Pkw legen Strecken von unter 50 km zurück. Vor dem Hintergrund begrenzter Reichweiten für den rein elektrischen Betrieb nicht schienengebundener Elektrofahrzeuge, bietet sich hier zunächst eine ideale Ergänzung von elektrischem Individualverkehr für den Kurzstreckenbereich und elektrischem öffentlichen Verkehr für Langstreckenbereich. Chancen bietet an dieser Stelle eine intelligente Vernetzung des öffentlichen Verkehrs mit dem Individualverkehr z.b. durch Car-Sharing Angebote, die durch Unternehmen des öffentlichen Verkehrs zur Verfügung gestellt werden und dem Kunden je nach Bedarf die Wahl z.b. zwischen Elektroauto oder Straßenbahn bieten. Block III: politische Weichenstellungen 10. Wie sind mit Blick auf das Ziel einer möglichst schellen Marktreife die politischen Förderparameter im Bund wie im Land zu setzen? Für NRW bietet sich eine vielleicht historische Chance. Die Elektrifizierung des Antriebsstrang wird die Wertschöpfungskette in der Automobilindustrie neu ordnen. Dies wurde in Frage 5 detailliert ausgeführt. Neben dem Bau von Fahrzeugen wird insbesondere die Leistungselektronik zur Schlüsseltechnologie. Die Stärkung der Unternehmen und Hochschulen mit Innovationspotential und Erfahrung in diesem Bereich sollte hohe Wichtung bei den Förderparametern bekommen. Andere Bundesländer sind hier schon gut aufgestellt. Beispielsweise wurde der Verbund Leistungselektronik per Beschluss im November 2009 vom badenwürttembergischen Kabinett ins Leben gerufen. Die Bosch-Gruppe, die Hochschule Reutlingen, die Universität Stuttgart und das Land Baden-Württemberg gründen ein Studien- und Forschungszentrum für Leistungselektronik und liefern eine Blaupause für erfolgreiche Förderpolitik: langfristige Bedarfssicherung von hochqualifizierten Absolventen kombiniert mit der regionalen Kompetenzfestigung in einer Schlüsseltechnologie. Wünschenswert wäre, dass solche Initiativen auch in NRW motiviert werden. Dazu sind klare Weichenstellungen aus der Politik hilfreich
5 11. Wie lässt sich die Förderung der Elektromobilität mit der Weiterentwicklung der Energieversorgung verknüpfen, um so perspektivisch die Grundlage für eine wirklich erneuerbare Mobilität zu schaffen? Unabhängig von der Elektrifizierung der Mobilität muss die Energieversorgung auf erneuerbare Energien umgestellt werden. Dann bietet Elektromobilität die Möglichkeit auch im Individualverkehr zu einer erneuerbaren Mobilität zu kommen. Im öffentlichen Verkehr ist Elektromobilität seit langem Stand der Technik. 12. Wie lässt sich das hohe Innovationspotential kleiner und mittlerer Unternehmen Ziel führend in die Entwicklung und Förderung der Elektromobilität einbinden? Diese Frage ist teilweise durch die Ausführungen in den Fragen 5 und 10 beantwortet. Beispielhaft kann ein Kompetenzzentrum Leistungselektronik in NRW als Keimzelle für neue Unternehmen dienen und die Markteintrittshürden für Produkte und Dienstleistungen insbesondere für KMUs senken
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