Bewertung der Umweltverträglichkeit chemischer Reaktionen
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- Joachim Rudolph Reuter
- vor 8 Jahren
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1 NP Bewertung der Umweltverträglichkeit chemischer Reaktionen 93 Prozent Ausbeute im Vergleich zu 60 Prozent - der Fall scheint klar zu sein: Will man mittels Friedel-Crafts Acylierung 4-Methoxyacetophenon synthetisieren, dann wird man Aluminiumtrichlorid und nicht Zeolith als Katalysator wählen (Abbildung 1). Trotzdem ist die Zeolith katalysierte Reaktion mit lediglich 60% Ausbeute zu empfehlen. Der Grund besteht darin, dass bei der Untersuchung der Alternativen zur Herstellung von 4-Methoxyacetophenon mit Blick auf Ressourceninanspruchnahme und Umweltverträglichkeit festgestellt werden kann, dass die Synthese mit Zeolith am wenigsten umweltbelastend und sogar kostengünstiger ist. + + AlCl 3 (2 Äquivalente) Zeolith H-Beta 93% + CH 3 CH 60% + CH 3 CH Abb. 1: Welche Reaktion ist "grüner"? Mit einer ganzheitlichen Bewertung erweist sich die Reaktion rechts trotz geringerer Ausbeute als die umweltverträglichere und kostengünstigere. 1
2 NP Diese Untersuchung kann einfach mit der Software EATS (Environmental Assessment Tool for rganic Syntheses) durchgeführt werden. Neuer Blick auf die Chemie Üblicherweise beurteilen Chemiker die Qualität einer Reaktion nach der Ausbeute. Je höher die Ausbeute, umso besser erscheint die Reaktion. Die Ausbeute ist allerdings nur eine Angabe darüber, wie viel Prozent von der theoretisch möglichen Menge des Produkts bezogen auf ein Substrat im allgemeinen das teuerste erhalten werden. Die verwendeten Lösungsmittel, die Hilfsstoffe bei der Reaktion und der Aufarbeitung, die Katalysatoren und deren Folgeprodukte, die Neben- und Koppelprodukte und die Abwässer werden dabei nicht berücksichtigt, obwohl gerade diese die Umwelt nach Durchlaufen der Entsorgungsanlagen (end-of-pipe-technologien) durch Restemissionen belasten können. Wenn die Frage beantwortet werden soll, ob eine Reaktion grün (umweltfreundlich) sei, wird neuerdings häufig die Atomökonomie Molmasse Zielprodukt / Molmasse Substrate als Kennzahl für die Bewertung einer Reaktion benutzt. Allerdings wird damit lediglich die Stöchiometrie einer Reaktion und nicht die reale Reaktion bewertet. Eine ganzheitliche Bewertung muss dagegen Ressourcenverbrauch und Abfallproduktion und die damit verbundene potentielle Umweltbelastung bewerten unter Berücksichtigung aller Stoffe, die bei der realen Reaktion eingesetzt werden, auch wenn sie in keiner chemischen Reaktionsgleichung und Massenbilanz auftauchen. Die Kennzahlen Massenindex S -1 (1) und Umweltfaktor E (2) machen dagegen Ressourcenverbrauch und Abfallproduktion bei chemischen Synthesen sichtbar und erlauben, die entscheidenden Schwachstellen der Synthese zu identifizieren. Massenindex S -1 = Rohstoffe [kg] / Produkt [kg] (1) Umweltfaktor E = Abfall [kg] / Produkt [kg] (2) Der Massenindex gibt Auskunft darüber, wie viel Kilogramm an Rohstoffen für die Synthese von einem Kilogramm an Produkt benötigt werden und zwar aufgeschlüsselt nach Edukten, 2
3 NP Katalysatoren, Lösungsmittel, Hilfsstoffen für die Isolierung und Wasser. Der Umweltfaktor E gibt an, wie viel Abfall alle eingebrachten Stoffe, die nicht Produkt sind, werden als Abfall betrachtet pro Kilogramm Produkt anfällt, aufgeschlüsselt nach Koppelprodukten, Nebenprodukten, Lösungsmitteln, Hilfsstoffen und Abwasser. Die notwendige Auswertung kann leicht mit der Software EATS durchgeführt werden. Abb. 2: Bilanzierung der Friedel-Crafts Acylierung von Anisol mit dem Computerprogramm EATS. Vergleich von unterschiedlichen Syntheseprotokollen entsprechend Abbildung 1: Massenindex S -1, Umweltfaktor E, Umweltindex EI in und Umweltindex EI out der AlCl 3 - und Zeolith-Katalyse (PEI = Potential environmental impact, potenzielle Umweltbelastung). (Schwarz/weiss- Abbildung am Ende des Textes.) Abbildung 2 zeigt die Bilanzierung der beiden Reaktionen. Die AlCl 3 -katalysierte Reaktion benötigt zur Synthese von 1 kg Produkt 24 kg Rohstoffe (ohne Wasser: 12 kg) und produziert 24 kg Abfall (ohne Wasser: 11 kg), während die Zeolith-katalysierte Reaktion lediglich 3 kg Rohstoffe erfordert und entsprechend 2 kg Abfall anfallen. Abbildung 2 zeigt weiter, dass die Aluminiumchlorid-katalysierte Synthese Lösungsmittel und Hilfsstoffe bei der Aufarbeitung benötigt, die bei der Verwendung des heterogenen Zeolith-Katalysators nicht erforderlich werden. Die entscheidenden Schwachstellen der AlCl 3 -katalysierten Reaktion sind ganz offensichtlich: die Verwendung von Lösungsmittel und die aufwändige Aufarbeitung. Ein Vergleich alternativer Synthesewege lediglich auf der Basis der Menge der verbrauchten Rohstoffe und des erzeugten Abfalls ist von Bedeutung, aber ohne Zweifel sehr vereinfacht. ffensichtlich ist auch die Umweltqualität der Rohstoffe und des Abfalls wichtig. Beispielsweise wird Schwefelkohlenstoff als Lösungsmittel die Umwelt in höherem Maße belasten als die gleiche Menge Wasser. Zur Beschreibung dieser unterschiedlichen Umweltqualität der Stoffe wurde der substanzspezifische Belastungsfaktor Q input (3) für die Rohstoffe und Q output 3
4 NP (4) für den Abfall eingeführt. Dabei berücksichtigt Q input die Ressourceninanspruchnahme und den Arbeitsschutz, während Q output Toxizität und Ökotoxizität und nach Bedarf andere Umweltbelastungskategorien berücksichtigt. Mit den Gleichungen (5) und (6) lassen sich nun die Umweltindexes EI in der Rohstoffe und EI out des Abfalls berechnen, die ein Mass für die potenzielle Umweltbelastung durch eine Reaktion darstellen. Diese sind in Abb. 2 ebenfalls dargestellt. p Q k Q, wobei k 1, Q i {Q Ressourceninanspruchnahme ; Q Arbeitsschutz }, 1 i 2; input i 1 i i p i 1 1 Q i 10; 0 k i 1 (3) i q Q k Q, wobei k 1, Q j {Q Humantoxizität (akut) ; Q chronische Toxizität ; Q Ökotoxikologie ; output j 1 j j q j 1 j Q zonbildung ; Q Luftverschmutzung ; Q Akkumulation ; Q Abbaubarkeit ; Q Treibhauseffekt ; Q zonabbau ; Q Eutrophierung ; Q Versauerung }, 1 j 11; 1 Q j 10; 0 k j 1 (4) Die Bestimmung von Q input und Q output wird in der Software EATS automatisch durchgeführt (siehe Abbildung 3) und die Wichtung des Massenindex und Umweltfaktors vorgenommen: EI in Q input S - 1 m Q m in [PEI/kg] Rohstoffe Produkt [kg] m [kg] (5) EI out Q output E n Q n out [PEI/kg] Abfall Produkt [kg] n [kg] (6) Die Segmente Lösungsmittel und Hilfsstoffe der AlCl 3 -katalysierten Synthese in Abbildung 2 werden durch die Bildung der Umweltindizes nach Gl.(5) und (6) vergrössert, wodurch ein Hinweis auf ökologisch problematische Substanzen gegeben wird. In der Tat zeigt sich, dass vor allem die Lösungsmittel Schwefelkohlenstoff und Diethylether durch ihre sicherheitsgefährdenden und toxischen Eigenschaften für die hohe potentielle Umweltbelastung sorgen. Details der gesamten Reaktion können mit Hilfe von EATS genau untersucht und diskutiert werden. 4
5 NP Abb. 3: Detailinformation bzgl. Segment Lösungsmittel der Säule EI out der AlCl 3 - katalysierten Synthese. Abbildung 3 zeigt ein Beispiel einer solchen Detailinformation. Die Masse (3.6 kg Substanz / kg Produkt) wird angezeigt, die mit dem Q output - Wert 7.3 PEI / kg Substanz zum Zahlenwert 26.6 PEI / kg Produkt gewichtet wird. Q berücksichtigt in diesem Fall zu gleichen Teilen Humantoxizität (Q = 5), chronische Toxizität (Q = 10) und Ökotoxizität (Q = 7). Mit EATS steht ein Hilfsmittel zur Verfügung, mit dem jeder Chemiker im Vornherein Aspekte wie Ressourcenverbrauch und Umweltverträglichkeit in die Syntheseplanung einbeziehen kann. Für eine Massenbilanzierung braucht der Anwender von EATS nur die stöchiometrische Gleichung und die Massen der eingesetzten Substanzen einzugeben. Für die Bestimmung der potenziellen Umweltbelastung sind zusätzlich Daten zur Qualität der verwendeten Substanzen einzutragen, insbesondere zum Sicherheitsaspekt, zur Toxizität, Ökotoxizität, Akkumulation und Persistenz. Diese Daten werden in einer automatisierten, transparenten Vorgehensweise in die Bewertung eingebunden. Die Software-interne Reaktionsdatenbank wird mit steigender Nutzung von EATS schnell anwachsen, so dass zu erwarten ist, dass in relativ kurzer Zeit die wichtigsten Standardreaktionen der rganischen Chemie bearbeitet sein werden. Gleiches gilt für die Substanzdatenbank; jedoch soll mittelfristig eine Anbindung an externe Datenbanken erfolgen, um die Konsistenz und Verlässlichkeit gewährleisten zu können. Durch Eingabe der Substanzpreise wird die Bestimmung der in Einzelposten aufgeschlüsselten Gesamtkosten bezogen auf ein Kilogramm hergestellten Produkts auch für komplexe Synthesesequenzen (!) möglich - und das per Knopfdruck. Die Schwachstellenanalyse bezieht sich also nicht nur auf die Umweltverträglichkeit sondern auch auf die Kostentreiber. Durch 5
6 NP die Darstellung des Kostenindex (Cost Index, CI) können diese ausfindig gemacht werden (Abbildung 4). Aufgrund der niedrigeren Ausbeute bei der Zeolith-katalysierten Synthese machen sich höhere Eduktkosten bemerkbar. Dem stehen aber bei der klassischen Durchführung mit Aluminiumchlorid die höheren Kosten für Katalysator und Lösungsmittel gegenüber. Insgesamt wird durch der Synthese mit der geringeren chemischen Ausbeute das Produkt nicht nur umweltverträglicher, sondern auch wesentlich kostengünstiger erhalten. Abb. 4: Bilanzierung der Friedel-Crafts Acylierung von Anisol mit dem Computerprogramm EATS. Vergleich der Synthesen entsprechend Abbildung 1: Cost Index CI der AlCl 3 - und Zeolith-Katalyse. (Schwarz/weiss- Abbildung am Ende des Textes.) Neben der Ausbildung in der Hochschule und Schule soll das Computerprogramm EATS in der Forschung in der Hochschule und in der Entwicklung von Feinchemikalien und Arzneimitteln zum Einsatz kommen. Überlegt sich ein Student, ein forschender Chemiker an der Universität oder ein Forschungsleiter in der Industrie, mit welcher Synthese er ein Zielmolekül herstellen will, dann kann er seine Synthesealternativen schon während der Planungsphase mit EATS auf ihre Umweltverträglichkeit und Rohstoffkosten abschätzen. Dies ist insofern wichtig, da in den frühen Phasen der Entwicklung die Freiheitsgrade und damit ptimierungsmöglichkeiten noch sehr hoch sind, während zu einem späteren Zeitpunkt notwendig werdende Änderungen zu hohen Kosten führen, die man möglicherweise frühzeitig hätte erkennen und vermeiden können. Bereits im Praktikum ist es sinnvoll, sich mit Hilfe dieses Software-Tools mit einer ganzheitlichen Perspektive über die Versuche und mit den substanzspezifischen Eigenschaften der verwendeten Stoffe auseinanderzusetzen schon 6
7 NP bevor die Apparatur überhaupt aufgebaut wird. Welche Versuchsvorschrift (rganikum, Tietze/Eicher, Vogel, Hünig/Märkl/Sauer, rganic Syntheses, NP etc.) ist die ressourcenschonenste und am wenigsten Umwelt belastende? Welche ist diejenige mit der Verwendung und/oder Erzeugung von möglichst unproblematischen Substanzen? Lassen sich ptimierungspotentiale identifizieren? Diese Gesichtspunkte stellen dabei ein neues, die Motivation steigerndes Element bei der Durchführung des Experimentes und bei der Diskussion mit Mitstudenten und Betreuern dar. Literaturhinweise Marco Eissen, Jürgen. Metzger, Environmental Performance Metrics for Daily Use in Synthetic Chemistry, Chem. Eur. J., 2002, 8, B. M. Trost, The atom economy- a search for synthetic efficiency, Science 1991, 251, R. A. Sheldon, Consider the environmental quotient, Chemtech 1994, A. D. Curzons, D. J. C. Constable, D. N. Mortimer, V. L. Cunningham, So you think your process is green, how do you know? Using principles of sustainability to determine what is green- a corporate perspective, Green Chemistry 2001, 3, 1-6. D. J. C. Constable, A. D. Curzons, V. L. Cunningham, Metrics to green chemistry-which are the best?, Green Chemistry, 2002, 4, G. Koller, U. Fischer, K. Hungerbühler, Assessing Safety, Health, and Environmental Impact Early During Process Development, Ind. Eng. Chem. Res.,2000, 37, Download EATS: 7
8 NP Schwarz/weiss-Darstellungen der Abbildungen 2 und 4 für den Ausdruck. Abb. 2: Bilanzierung der Friedel-Crafts Acylierung von Anisol mit dem Computerprogramm EATS. Vergleich von unterschiedlichen Syntheseprotokollen entsprechend Abbildung 1: Massenindex S -1, Umweltfaktor E, Umweltindex EI in und Umweltindex EI out der AlCl 3 - und Zeolith-Katalyse (PEI = Potential environmental impact, potentielle Umweltbelastung). Abb. 4: Bilanzierung der Friedel-Crafts Acylierung von Anisol mit dem Computerprogramm EATS. Vergleich der Synthesen entsprechend Abbildung 1: Cost Index CI der AlCl 3 - und Zeolith-Katalyse. 8
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