Die internationale Finanzmarktkrise Was ist zu tun?

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1 Die internationale Finanzmarktkrise Was ist zu tun? Iserlohn, 21. November 2008 Axel Troost

2 Gliederung 1. Wie kam es zur aktuellen Finanzkrise? 2. Folgen der Finanzkrise 3. Der Exportweltmeister in der Finanzkrise: Verwundbar wegen einseitiger Exportorientierung 4. Lehren ziehen: Wie reagiert die Bundesregierung? Was ist statt dessen zu tun? : Folie 2 -

3 1. Wie kam es zur aktuellen Finanzkrise Das Ende einer Krise ist der Anfang der nächsten Platzen der New-Economy-Blase 2001: Anleger orientieren sich von Aktien auf Immobilien um Die schon seit Jahren steigenden Häuserpreise steigen dadurch weiter Steigende Häuserpreise Aufstockung der Hypotheken auf die Häuser noch mehr Konsum auf Pump Folie 3 -

4 Sich selbst erfüllende Prophezeiungen ein typischer Krisenverlauf 1. Glaube an steigende Häuserpreise Häuser werden zu attraktiver Anlageform 2. Das erhöht die Nachfrage nach Häusern Preise der Häuser steigen weiter, der Glauben an steigende Preise wird bestätigt 3. Glaube an steigende Preise wird so hoch, dass Häuser zu 100% auf Kredit gekauft werden Motto: Wer kein Geld für ein Haus hat, kauft einfach drei auf Kredit, verkauft später zwei davon und bezahlt mit den Gewinnen aus dem Verkauf das erste Folie 4 -

5 Wie lief das in der Praxis? Banken geben 100%-Finanzierungen an kaum zahlungsfähige Hauskäufer ( Subprime-Darlehen ), sehr niedrige Zins- und Tilgungszahlungen für die ersten Jahre Wichtige Bedingung: Möglichkeit der Verbriefung = Weiterverkauf der Kredite samt Risiken an den Kapitalmarkt Falls Raten steigen und Käufer zahlungsunfähig werden: Zwangsversteigerung, wegen steigender Hauspreise trotzdem Gewinn für Banken Modell bricht zusammen, wenn die Hauspreise nicht mehr steigen Anleger steigen aus, Preise fallen Sicherheiten werden faul Folie 5 -

6 2. Folgen der Finanzkrise I Riesige Wertverluste bei Banken und Versicherungen Aktuell geschätzte Verluste weltweit über Mrd. US-Dollar Verluste von Versicherungen inzwischen dreimal höher als Schaden durch Hurrikan Katrina Für Versicherungskundinnen und -kunden Prämienerhöhungen und Leistungskürzungen zu erwarten Folie 6 -

7 Folgen der Finanzkrise II Situation bei öffentlichen Banken widersprüchlich Die KfW als traurige Figur: IKB-Pleite, Lehman-Überweisung Landesbanken: schwere Fehler, hohe Verluste Sparkassen kaum betroffen, weil auf regionales Geschäft begrenzt; Erkenntnis: Rückgrat der Finanzierung von KMU in der Krise Bundesregierung, Sparkassen und andere fordern Konsolidierung der Landesbanken = Fusionen ( Horizontale Integration ) EU drängt auf Öffnung des Privatkundengeschäfts der Sparkassen für die Landesbanken ( Vertikale Integration ) und damit auf die Öffnung der Sparkassen für private Investoren Folie 7 -

8 Folgen der Finanzkrise III Welle von Zwangsversteigerungen von Wohnungen und Häusern vor allem in den USA Viele einkommensschwache Haushalte verlieren Wohnung und Ersparnisse Abwärtsdruck auf den US-$ Turbulenzen auf Währungsmärkten, massive Kapitalflucht aus US-Dollar in Euro 1,80 1,60 1,40 1,20 1,00 0,80 0,60 0,40 0,20 0,00 Jan 01 Der Euro zum Dollar 2001 bis November 2008 Jan 02 Jan 03 Jan 04 Jan 05 Jan 06 Jan 07 Jan 08 Folie 8 -

9 Folgen der Finanzkrise IV Kreditklemme Verschärfte Bedingungen der Kreditvergabe an Unternehmen und Konsumenten, da erschwerte Refinanzierung der Banken trotz Rettungspaket und Abschwung Wechselwirkung: Kreditklemme und Abschwung verstärken sich wechselseitig Neue Arbeitslosigkeit Entlassungen innerhalb der Finanzbranche und branchenübergreifend, da die Finanzkrise den Abschwung vertieft Folie 9 -

10 Folgen der Finanzkrise V Neue Machtverhältnisse Immense Konzentrationsprozesse in der Finanzbranche Fondsschließungen Immobilienfonds machen vorübergehend zu, um Mittelabflüsse zu vermeiden Anleger kommen nicht an Geld Kreditkartenpleiten Ausfallquote in den USA hat sich bereits verdoppelt Universität und Studium Schwere Verluste durch eigene spekulative Anlagen (vor allem Harvard) Vernichtung gemeinnützigen Kapitals In Deutschland steigt Zins für Studienkredite der KfW von 5,2 auf 7 Prozent Folie 10 -

11 Droht neue Weltwirtschaftskrise? Derzeit nicht auszuschließen, eher unwahrscheinlich Starker Einbruch, wenn Wirtschafts-Supermacht USA zurückfällt Turbulenzen und große Unsicherheiten, bis weltwirtschaftliche Claims neu abgesteckt sind, z.b. Muss Euro Weltgeldfunktion übernehmen? Wohin will China seine Überschüsse exportieren? Druck auf Arme, Prekarisierte, Erwerbslosen usw. wird zunehmen, da Kapitalseite die Kosten der Krise abzuwälzen versucht Folie 11 -

12 3. Exportweltmeister Deutschland: besonders verwundbar Exportüberschuss bleibt auf hohem Niveau Saldo Waren und Dienstleistungen ,9 174,6 176,0 Milliarden Euro ,5 97,7 85,9 111,0 113,3 126,4 Gemeinschaftsdiagnose Gemeinschaftsdiagnose 20 Prognose 7, Quelle: Statistisches Bundesamt: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung; Gemeinschaftsdiagnose Herbst Folie 12 -

13 Niedrigwachstum 3,5% 3,0% 3,2% Konjunktur in Deutschland Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts 3,0% 2,5% 2,5% Veränderung gegenüber Vorjahr 2,0% 1,5% 1,0% 0,5% 0,0% 2,0% 1,2% 0,0% 1,2% 0,8% 1,9% 1,7% 1,0% Spannweite aktueller Prognosen -0,5% -1,0% -0,2% ,8% Quelle: bis 2007 Statistisches Bundesamt, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, für 2008 und 2009 diverse Prognosen vom Herbst 2008 Folie 13 -

14 Mehr Beschäftigung Aber was für welche? Folie 14 -

15 Wachstum und Verteilung Folie 15 -

16 Absturz der Lohnquote Anteil der Arbeitnehmerentgelte am Volkseinkommen Die Entwicklung der Lohnquote in Deutschland 74% Anteil des Arbeitnehmerentgelts am Volkseinkommen 73% 72% 71% 70% 69% 68% 67% 66% 65% 64% 72,9% 72,2% ,6 % *ab 1991 Gesamtdeutschland Quelle: Statistisches Bundesamt: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung Folie 16 -

17 Am Rand der Rezession Reale Veränderung des Bruttoinlandsprodukts und der Nachfragekomponenten 12,7% Staatskonsum Anlageinvestitionen Export privater Konsum Bruttoinlandsprodukt 7,7% 7,5% 3,0% 1,0% 0,6% 2,5% 4,3% 2,2% 1,8% 4,4% 3,8% 2,0% 2,0% 0,2% 0,4% 0,3% -0,4% -0,4% -1,4% Prognose Gemeinschaftsdiagnose Quelle: Statistisches Bundesamt:Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, Gemeinschaftsdiagnose Oktober 2008 Folie 17 -

18 Konsum abgehängt Folie 18 -

19 Öffentliche Armut Milliardenausfälle durch die Steuerpolitik Finanzwirkungen der Steuerpolitik seit 1998 in den Jahren ,6-2,3-1,2-4,7-3,7-4 Mrd. Bund -14,5-12,7-15,2-17,1-20,6-19,3-13,2-13,9 Länder Gemeinden -11,9-3,1-29 Mrd. -9,9-1,4-24 Mrd. -13,1-2,7-31 Mrd. -16,0-1,6-20,1-19,5-2,3-3,6-20 Mrd. -21 Mrd. -35 Mrd. -1,6-2,6-40 Mrd. -43 Mrd. Quelle: Angaben des Bundesfinanzministeriums, Berechnungen des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung, Stand Sept Folie 19 -

20 Privater Reichtum: Deutsches Geldvermögen Quelle: Statistisches Bundesamt Folie 20 -

21 Weltweite Kapitalschwemme Finanzvermögen: Aktien, Anleihen, sonstige Schuldtitel, Einlagen Quelle: Grefe, Schumann 2008 Folie 21 -

22 4. Lehren ziehen Krise bietet Chancen Auch Verantwortliche aus Finanzelite gestehen Ausmaß der Krise ein ( Ende der Selbstheilungskräfte ) System unregulierter globaler Finanzmärkte wird von noch mehr Menschen abgelehnt Finanzelite und neoliberale Politik ohne überzeugende Antwort auf Krise Eine Chance für die Linke und DIE LINKE: Finanzmärkte müssen restriktiv reguliert werden Gleichzeitig muss der Angebotsdruck aus den Finanzmärkten: Umverteilung! Folie 22 -

23 4.1 Lehren ziehen: Was tut die Bundesregierung? 1. Jahrzehntelang hat sie die Entfesselung der Finanzmärkte vorangetrieben Langes Sündenregister, zuletzt im Juli 2008 Wagniskapitalgesetz mit Steuerprivilegien für Finanzinvestoren 2. Heute: Scheinheiligkeit und Beschönigung Merkel und Steinbrück: Wir waren schon immer für stärkere Regulierung, aber die USA und Großbritannien haben das verhindert Es gibt keinen Anlass das sage ich sehr bewusst, an der Stabilität des deutschen Finanzsystems zu zweifeln. Peer Steinbrück am 16. September 2008 im Bundestag Folie 23 -

24 Rettungspakete der Bundesregierung Rettung der Hypo-Real-Estate/Depfa: Geschäftsmodell: langfristige Kredite durch kurzfristige Schulden refinanzieren, Aufsicht bemängelt das schon im Juli als extrem gefährlich Bundesregierung gewährt Bürgschaft von 35 Mrd. Euro, ohne dem fragwürdigen Geschäft ein Ende zu setzen Finanzmarktstabilisierungsfonds (SOFFIN): Staatlicher Einfluss sehr unverbindlich, keine parlamentarische Mitentscheidung, nur nachträgliche Berichte Bürgschaft von 400 Mrd. Euro für Kredite der Banken untereinander, Bundesregierung rechnet mit Ausfällen von 5%: 20 Mrd. Euro Steuergeld Eigenkapitalhilfe für Banken (und Aufkauf von Schrottpapieren) im Umfang von 80 Mrd. Euro Steuergeld ohne Stimmrechte! Folie 24 -

25 4.2 Was ist statt dessen zu tun? Finanzmarktregulierung I Kurz- und Mittelfristig: Stärkung der Aufsicht Alle Finanzgesellschaften so rigide wie Banken regulieren (z.b. Zweckgesellschaften, Hedge Fonds) Kreditverkäufe begrenzen, Derivate drastisch einschränken Beweislastumkehr: Finanz-TÜV Interessenkonflikte bei Rating-Agenturen beseitigen Öffentliche Banken zurückorientieren auf Finanzierungsaufgaben im öffentlichem Interesse Folie 25 -

26 Finanzmarktregulierung II Kurz- und Mittelfristig (Fortsetzung): Anlagemöglichkeiten von Pensionsfonds in riskante Investments weiter einschränken Haftung von Unternehmensvorständen sowie Aufsichtsund Verwaltungsräten ausweiten Sicherungsfonds für den Finanzsektor einrichten Finanztransaktionsteuer einführen Kapitalverkehr einschränken, Wechselkurse durch Zielzonen stabilisieren Folie 26 -

27 Finanzmarktregulierung III Langfristig: Leitbild offener Kapitalmärkte überwinden Symmetrische Sanktionen für Länder mit Handelsüberschüssen und -defiziten (z.b. nach dem Vorbild von Keynes Clearing Union) Wirtschafts- und finanzpolitische Spielräume zurückgewinnen (z.b. soziales Europa mit hohen einheitlichen Standards, Steuern usw.) Folie 27 -

28 Finanzmarktregulierung IV Öffentliche Banken: Keine Fusionen zwischen Landesbanken Keine Eingriff ins Privatkundengeschäft der Sparkassen Statt dessen: Sparkassen: Gemeinwohlorientierung klar festschreiben, Einstieg in die Privatisierung (z.b. Trägerkapital) abwehren Landesbanken: raus aus dem Finanzmarktgeschäft ( Casino ), stärker rein in die Finanzierung regionaler Wirtschaftsstrukturen ggf. schrumpfen, doch Dezentralität erhalten politische Kontrolle öffentlicher Banken neu erfinden Folie 28 -

29 Konjunkturprogramm der Bundesregierung Viel zu spät und viel zu zaghaft, aber immerhin: Abrücken vom Ziel eines ausgeglichenen Haushalt bis Mrd. Euro zusätzliche Ausgaben in 2009; 7,7 Mrd. Euro in 2010, z.b. zusätzlich 1 Mrd. Euro jährlich für Gebäudesanierung KFZ-Steuerbefreiung für sechs Monate, Verschrottungsprämie Verlängerung Kurzarbeitergeld von 12 auf 18 Monate für 2009 Wie soll dieses Programm zusätzlich 50 Mrd. Investitionen auslösen? Folie 29 -

30 Realwirtschaft stützen Manche Elemente des Programms der Bundesregierung sind gut (z.b. Gebäudesanierung), doch viel zu gering: Wir fordern z.b. 4 Mrd. statt 1 Mrd. Euro pro Jahr für Gebäudesanierung Andere Elemente sind schlecht, nur Mitnahmeeffekte (z.b. KFZ- Steuer) Wir fordern ein sehr viel weitergehendes Konjunkturprogramm: 64 Mrd. Euro in 2009, u.a. 14 Mrd. Euro zur Stärkung der Masseneinkommen: Renten und Hartz-IV-Sätze 50 Mrd. Euro öffentliche Investitionen (Bildung 15 Mrd., Infrastruktur 7,5 Mrd., Energiewende 4 Mrd., Gesundheit 3,5 Mrd.), danach verändert fortgeführt als langfristiges Zukunftsinvestitionsprogramm Folie 30 -

31 Zukunftsinvestitionsprogramm Überblick Jährliche Mehrausgaben von 50 Mrd. für: Bildung (20) Gesundheit (5) Umwelt (15) Kommunale Infrastruktur/ Daseinsvorsorge Öffentlich geförderte Beschäftigung Was fließt zusätzlich in die Staatskasse: Finanztransaktionsteuer: 10 Mrd. Vermögensteuer: 15 Mrd. Erbschaftsteuer: 4 Mrd. Unternehmen- und Gewerbesteuerreform: 25 Mrd. Verbesserung Steuervollzug: 10 Mrd. Selbstfinanzierung: 20 Mrd. Das kommt zusammen: 84 Mrd. Folie 31 -

32 Umverteilung I Löhne erhöhen, Gewinneinkommen zurückdrängen Wachsende Einkommens- und Vermögensungleichheit führt unausweichlich zu Spekulationsblasen Daher: Umverteilung zugunsten der Löhne, Sozialsysteme und öffentliche Investitionen sind die beste Prävention Lohndumping beenden Mindestlohn einführen Niedriglohnsektor schließen Folie 32 -

33 Umverteilung II: Die bisherigen Profiteuere sollen zahlen Steuererhöhungen für Reiche und Superreiche: Unternehmensteuern, Vermögensteuer, Erbschaftsteuer, Finanztransaktionsteuer, Steuerschlupflöcher stopfen, Steueroasen trockenlegen Größenordnungen (in Mrd. Euro) Sie können es sich leisten: Privatvermögen der reichsten 30% der Haushalte: Weit über Mrd. Euro Rettungspaket 785 Geldvermögenszuwachs Privatvermögen TOP 30% Folie 33 -

34 Globale Umverteilung Zur Entmachtung der globalen Finanzmärkte braucht es auch eine globale Umverteilung Entschuldung der überschuldeten Entwicklungsländer Entwicklungsfinanzierung z.b. durch Erlöse internationaler Steuern Folie 34 -