Verfasserinnen: Carina Brandau, Mona zum Felde, Franziska Maier, Nadine Schäfer (Studierende an der Universität Kassel)

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1 25 Jahre Jahrbuch Stadterneuerung: Bilanz und Ausblick Zusammenfassung - Teil 1 Verfasserinnen: Carina Brandau, Mona zum Felde, Franziska Maier, Nadine Schäfer (Studierende an der Universität Kassel) Alle Beiträge beruhen auf Mitschriften, die redaktionell überarbeitet wurden. Die Gewährleistung, dass jeder Vortrag in seiner Ganzheit erfasst wurde, ist nicht gegeben. Die Einführung zur Tagung 25 Jahre Jahrbuch Stadterneuerung leitet Prof. Dr. Uwe Altrock, Professor im Fachbereich Stadtumbau und Stadterneuerung an der Universität Kassel. Die Begrüßung wird an die Zuhörer gerichtet und der Dank geht an die Mitwirkenden des Jahrbuchs für die gemeinsame Arbeit in den letzten Jahren. Im Mittelpunkt der Tagung sollen das Jubiläum des Jahrbuchbuchs Stadterneuerung und die Perspektiven der Stadterneuerung in der Zukunft stehen. Stadterneuerung sei ein komplexes Instrument auf verschiedenen Ebenen, welches auch eng mit der Städtebauförderung verbunden ist. Mit Blick auf die Zukunft stellt sich die Frage, ob und inwiefern sich das System der Stadterneuerung als leistungsfähig erweist, gegenüber veränderter gesellschaftlicher Herausforderungen. Es benötigt eine Reflexion bezüglich der Richtung und Form der Weiterentwicklung des Systems Stadterneuerung. Themen wie Leistungsfähigkeit, Sinnhaftigkeit der Instrumente, Reichweite von Stabilisierung und Aufwertung, Entwicklung von Stadterneuerung und Städtebauförderung und die Rolle der wissenschaftlichen Reflexion sollen während der Tagung angesprochen werden. Den Anfang der Vorträge bilden Harald Bodenschatz, Harald Kegler und Holger Schmidt, die als Mitbegründer des Jahrbuches gelten. Prof. Dr. Harald Bodenschatz: Anmerkungen zur Vorgeschichte des Jahrbuchs Stadterneuerung Harald Bodenschatz, ehemaliger Professor an der TU Berlin, würdigt und bewundert die kontinuierliche Arbeit der letzten 25 Jahre. Das Jahrbuch diente als Ort, um Praxis kritisch zu reflektieren, um neue und internationale Entwicklungen und deren Veränderung aufzuzeigen und um Spiegel für gesellschaftlicher oder städtebaulicher Konflikte zu sein. In den letzten 25 Jahren hat sich auf dem Feld der Stadterneuerung viel verändert, gerade in der Städtebauförderung wurde immer mehr ausdifferenziert und der Begriff der Stadterneuerung verblasste im Laufe der Zeit. Im weiteren Verlauf von Harald Bodenschatz Vortrag geht er auf Geschichte der Stadterneuerung ein, wie zum Beispiel darauf, dass die Stadterneuerung zu Anfang ein Feld mit rein politischen Entscheidungen war. Stadterneuerung betraf damals das Wohnen und den Wohnungsbau und wurde durch die staatliche Hand gelenkt. Ausgaben für Stadterneuerung wurden jedoch nie in Frage gestellt, wichtig für soziale Aspekte, aber nicht für eine behutsame bauliche Stadterneuerung. Resultierend aus dieser Einstellung gab es in den 1960er Jahren viele Kahlschlagsanierungen. Stadterneuerung als ein wissenschaftliches Feld zu begreifen, begann ab den 1970 bis 1980er Jahren an der Uni in Berlin und schaffte die Grundlage der Stadterneuerung. Zu dieser Zeit gab es zwei große Stadtbestände, die in der Stadterneuerung behandelt wurden, zum einen die vorindustrielle Stadt und 1

2 zum zweiten die Mietskasernenstadt des späten 19. Jahrhunderts. Erneuerungen von Städten oder einzelnen Stadtensembles wurden zu Wallfahrtsorten erschien das Buch: Schluss mit der Zerstörung, veröffentlicht durch die Arbeitsgemeinschaft Stadterneuerung als Ergebnis ihrer Arbeit. Hieraus entstand die Bewegung der behutsamen Stadterneuerung. Die Arbeitsgemeinschaft mischte sich ab 1985 in kommunalpolitische Stadterneuerungspolitik und Praxis durch ihre Beiträge ein. Für Harald Bodenschatz ist die IBA 1987 in Berlin-Kreuzberg ein Symbol und Ausgangspunkt der behutsamen Stadterneuerung. Die Erhaltung von Altbauten löste das Konzept der Flächensanierung ab. Damals erwies sich der Rolle der öffentlichen Hand, beispielsweise Festlegung von 25 Jahren Mietpreisbindungen, noch als nachhaltig. Rückblickend war dies jedoch eine viel zu kurze Dauer. Ab 1991 gab es eine Gründungsinitiative für einen Aufbau eines wissenschaftlichen Schwerpunktes der Stadterneuerung außerhalb der Universitäten. Diese Initiative blieb ein Wunsch, aus ihr entstand dann eine Zusammenführung der wissenschaftlichen Stadterneuerungsinitiativen von Ost und West. Leitende Persönlichkeiten waren hierbei für den Westen Harald Bodenschatz und für den Osten Harald Kegler. Außerdem entstand daraus die Initiative, ein Jahrbuch für die Stadterneuerung zu gründen, mit der ersten Veröffentlichung Die Dauerhaftigkeit des Jahrbuches war damals ungewiss. Die Schlussfolgerung aus diesem Vortrag ist, dass sich Stadterneuerung nicht an die neoliberalen Verhältnisse anpassen, sondern die Städtebauförderprogramme mehr gestärkt und weiter entwickelt werden sollten. Es gilt die Vision für eine Stadt von morgen zu festigen und nicht passiv abzuwarten. Jedoch ist zu überdenken, ob sich die Stadterneuerung noch immer das Versprechen einer besseren Zukunft als Ziel setzen sollte oder ob es sinnvoll wäre, davon Abstand zu nehmen. Die persönliche Perspektive von Harald Bodenschatz sieht eine resiliente Stadterneuerung vor, die sich selbst prüft und revidiert. Darüber hinaus sollten die Produkte radikaler Visionen zurückbaut werden, wie zum Beispiel die Produkte der Vision einer autogerechten Stadt. Eine Neugestaltung des Straßenbildes und des öffentlichen Raumes ist notwendig, um die Innenstadt von morgen besser zu gestalten. Die Zukunft der Stadterneuerung sollte ihren Fokus auf ein integriertes System legen. Er gibt aber auch klar zu verstehen, dass Stadterneuerung eine ständige und altersunabhängige Herausforderung ist. Harald Kegler: Auf dem Weg zum Jahrbuch...die Perspektive Ost Der Blick wird in diesem Vortrag von Harald Kegler, Professor im Fachbereich Stadtumbau und Stadterneuerung an der Universität Kassel, auf den Weg hin zum Jahrbuch gelegt - besonders aus der Sicht Ost. Das Jahr 1990 vereint zwei große Ereignisse, zum einen die deutsche Wiedervereinigung und die Gründung des Jahrbuches Stadterneuerung. Ursprünglich war das Jahrbuch ein West-Produkt, in der Zeit der Wende ist jedoch etwas aus der Zeit der DDR in das Jahrbuch hineingewachsen. Mit den aktuellen Herausgebern ist das Jahrbuch immer weiterentwickelt worden. Es ist ein einzigartiges Archiv einer Auseinandersetzung mit der Stadterneuerung und eine Dokumentation eines Prozesses, der in Ost und West reflektiert und kommentiert wurde. Das Jahrbuch ist die disziplinäre Basis bestandsorientierter Stadtplanung. Dieses Werk ist einzigartig in seiner guten Struktur und dies nicht nur im deutschsprachigen Raum. Wege für die Zukunft werden durch dieses reflektierte Buch gezeichnet. 2

3 Anlässlich einer Wanderausstellung zur behutsamen Stadterneuerung im Mai 1990 fand die erste Versammlung von Ost und West statt, in welcher eine erste Reflexion der Bundesrepublik Deutschland zu Planungskult und Architektur gezeigt wurde verfassten Harald Kegler und Iris Reuther zusammen einen Brief über die Geschichte der DDR, das dortige Vorgehen und die damit einhergehenden Probleme und über die grundlegenden Fragen der Stadterneuerung nach der Wohnungswende, dessen Veröffentlichung in der DDR abgelehnt wurde. Die Empfehlung ging dann an die Redaktion des ersten Jahrbuches Stadterneuerung 1990, diesen Beitrag über die Geschichte der Stadterneuerung in der DDR in die Erstausgabe zu integrieren. Stadterneuerung kann als eine bipolare Geschichte verstanden werden. Eine Auseinandersetzung damit hat in der Wissenschaft, der Lehre und auch der Politik stattgefunden. Dem Bauhaus, als staatliche Institution in der Wissenschaft, war es in der DDR erlaubt, Forschung zu betreiben. Die Geschichte der Stadterneuerung in der DDR wurde in dieser Institution rekonstruiert. Beiträge zum wechselseitigen Verständnis in West und Ost wurden verfasst, was Mitgestaltung im Umgang mit dem Thema Stadterneuerung bedeutet. Der Versuch einer Vernetzung in einem Entwicklungsprozess hat stattgefunden. Nach den 1960er Jahren hatte man eine Zukunftsgewissheit, ein Bild von der Stadt von Morgen, in diesem Fall der autogerechten Stadt. Die Alte Stadt hatte keinen Platz mehr, denn zu dieser Zeit war ein anderes Verständnis von Stadt und Urbanität vorhanden. Das Ende der Pro-Phase, die sich durch Fortschritt und Produktivität erkenntlich macht, war 1975 in Ost und West gleichzeitig zu verzeichnen. Der Beginn der Re-Phase ist ab 1975 erkennbar, da Rekonstruktion, Revitalisierung und urbaner Renaissance von Bedeutung sind. Der Trend ging von da an hin zur Innenstadt, die Konzentration lag auf der alten Stadt. Dies war markant, da die Stadt nach den 1960er Jahren neu gedacht worden war. Das radikale Bekenntnis hin zur alten Stadt beinhaltete dennoch auch den Umgang mit den Zwischenkriegsplattenbauten. Im Osten fand eine wissenschaftliche Annäherung zum Thema Hin zur Stadt statt. Ende der 1970er Jahre war dabei das Ergebnis, dass Methoden, Richtwerte und Beispiele in Veröffentlichungen einen ideellen Anspruch repräsentierten und die alte Stadt gestärkt werden sollte. In den 1980er Jahren fand im Osten eine intensive Auseinandersetzung mit der Stadt der Zukunft statt. Diskutiert wurde dabei, ob Fortschritt oder Bewahrung eine größere Rolle spielt. Der Pfad des Bauplanes bestimmte die Art des Umbaus; im übertragenen Sinne den Umgang mit der Stadt. Die Position in der Theorie und die des Bauplanes widersprachen sich, ein Auseinanderklaffen von Theorie und Praxis war zu verzeichnen. Fortschritt und Bewahrung waren als Spannungsfeld der Stadterneuerung erkennbar. Die Öffentlichkeit erreichte das Thema Stadt, Theorie der Urbanisierung, In Weimar wurden diese theoretischen Ansätze 1988 unter dem Titel Unsere gemeinsame Zukunft zusammengefasst, sie bilden damit die Brücke zur Entstehung des Jahrbuches und beeinflusste die Debatte um die Stadterneuerung. Der Städtebau in der DDR wird aufbereitet und die symbolische Praxis wird durch die soziale Praxis ersetzt. Die Begriffe aus heutiger Sicht auf diese Themen sind Landschaftsurbanismus und Stadtinszenierung. Die letzte Weimarer Akademie trug den Titel Stadterneuerung. Dabei wurde eine Städtebauprognose aufgestellt. 3

4 Eine Verbindung von Ost und West fand im 1. und 2. Internationalen Walter-Gropius-Seminar in Dessau statt. Das erste internationale Seminar beschäftigte sich mit dem Bauen in der Stadt. Das zweite trug den Titel Innenstadterneuerung am Beispiel der Bauhausstadt Dessau konnte das Bauhaus als Institution gesichert werden und eine Verankerung des Bauhauses in aktuelle Diskussionen wurde veranlasst. Vorbereitung auf das Jahrbuch auf Ostseite fand mit einer Ausstellung in Weimar und einem Wochenende in Berlin statt, wobei das Bauhaus integriert wurde. Dies war eine erste Reflexion über die Planungsgeschichte der DDR und der Versuch, sie in eine Gesamtdiskussion einzubringen. Abschließend ist Planungsgeschichte als Teil der Transformationsgeschichte zu verstehen. Eine Stadtvorstellung ist immer eine Transformation von Raum und Gesellschaft. Im Jahr 2016 werden 500 Jahre Utopia gefeiert. Eine Rückbesinnung auf die Utopiegeschichte und eine Reflexion, was wir für unsere Stadt wollen, wird in diesem Zusammenhang vollzogen. Die Auseinandersetzung mit der Stadterneuerung muss eine neue Dimension erfahren, jedoch immer mit Rückbezug auf die Geschichte. Holger Schmidt: Warum die Stadterneuerung in Ostdeutschland ein Erfolgsmodell wurde Die Stadterneuerung in Ostdeutschland war trotz der Defizite in Ostdeutschland, welche sich in einer negativen Entwicklung der Industrie sowie einer schlechten Situation um den Mittelstand wieder schlug, gut aufgestellt und leistete laut Holger Schmidt, Professor im Fachbereich Stadtumbau und Ortserneuerung an der TU Kaiserslautern, einen guten Beitrag. Dabei wurde sich bereits sehr früh stets am Bestand in der DDR orientiert. Das Thema Stadt war jedoch in der DDR nicht relevant, der Fokus lag viel mehr auf dem Wohnungsbau. Trotz des vielen Wohnungsbaus gab es lange Wartelisten für Wohnraum, da die Altbestände im Laufe der Zeit verfallen sind und sich nicht rechtzeitig um deren Sanierung gekümmert wurde. Motiviert durch den Mangel an Wohnraum wurden Planungsstudien durchgeführt, wie in der Innenstadt Wohnraum geschaffen werden kann. Im Rahmen dieser Studie wurden Qualitäten und Potenziale des Bestandes herausgearbeitet und dargestellt, da der Bestand als wichtigster Orientierungspunkt galt. Als Erfolgsmodell wurde die Stadt Bad Langensalza besucht. Sie stellt eine Ausnahme dar, weil sie es geschafft hat, dass in der Innenstadt keine Platte gebaut wurde. Auf Grund der hohen Zahlen von Arbeitslosen nach Werksschließungen, wurde die soziale Stadterneuerung entwickelt, um neben baulichen und infrastrukturellen Fragen auch soziale und finanzielle Thematiken zu behandeln und so einer ganzheitlichen Betrachtung der Planungsaufgabe gerecht zu werden. Für die Geschichte der Planung war die rechtliche Rahmensetzung von großer Bedeutung. Mit dem Gesetz zur Selbstverwaltung, welches im Mai 1990 verabschiedet wurde, bekamen die Städte zum ersten Mal eigene Kompetenzen. Im Oktober desselben Jahres wurde der Vertrag zur Einheit beschlossen, welcher ein einheitliches Recht in Ost und West beinhaltete. Außerdem wurde der dritte Teil zum Thema städtebauliche Sanierungsmaßnahmen im Baugesetz integriert. 4

5 Im Rahmen der Städtebauförderung wurden 1990 sehr schnell städtebauliche Maßnahmen für Ostdeutschland festgesetzt, weshalb viel Geld in diesen Teil des Bundesgebiets floss. Doch nicht allein das Geld war wesentlich für die Veränderung, sondern auch gut ausgebildete Personen im planerischen Bereich. Hier hatten auch Absolventen aus Weimar einen hohen Stellenwert, da die Lehre dort im Ranking der Unis in diesem Fach führend war. Die Verbindung der hohen finanziellen Mittel sowie der Beitrag von Absolventen haben geholfen das Erfolgsmodell Stadterneuerung herbei zu führen. Ein Ausblick auf die Zukunft der Stadterneuerung zeigt verschiedene neue Herausforderungen, welche zu bewältigen sein werden. Wesentliche Punkte sind hierbei die Stadterneuerung unter Schrumpfungsbedingungen, der Umgang mit Leerstand sowie die fehlende Nachfrage an Wohnbestand. Um auf diese neuen Herausforderungen zu reagieren, wird sehr viel Innovationskraft nötig sein. Ob diese Herausforderungen eine lösbare Aufgabe sind bleibt abzuwarten. Diskussion Als Ergänzung zum Vortrag von Harald Bodenschatz und der ostdeutschen Sichtweise, wird aus dem Publikum zur westdeutschen Seite berichtet, dass dort seit 1971 andere Formen der Stadterneuerung stattgefunden haben. Auch wenn die 12 Grundsätze der Stadterneuerung von der anderen Seite nur belächelt wurden, so berief man sich in Westdeutschland trotz allem auf die Tradition der differenzierten Stadterneuerung. Parallel zu diesen Bewegungen wurde jedoch in Westberlin an der Abrisspolitik festgehalten. Harald Bodenschatz stellt daraufhin die Frage in den Raum, ob diese Aufstände und Konflikte nicht etwas seien, das typisch für Berlin ist? Westberlin stellt ein gutes Beispiel dar, aber natürlich seien auch andere Beispiele wichtig und richtig. So sind zum Beispiel Lübeck und Regensburg, die das Thema vorindustrielle Stadt repräsentieren, und die Zechensiedlungen in Nordrhein-Westfalen weitere Beispiele. Die kompakte Stadt, die Berlin verkörpert, wies hingegen einen ganz anderen Bestand auf, mit einer erheblichen Strahlkraft. Die nächste Frage richtet sich an Harald Kegler. Ein Zuschauer möchte wissen, welche Triebkräfte im Osten für den Wandel in den 1970er Jahren verantwortlich waren. Im Westen seien es maßgebend soziale Bewegungen gewesen, aber welche Bewegungen gab es im Osten. Harald Kegler erklärt darauf hin, dass während des Wechsels von den 1960er zu den 1970er Jahren zunächst einmal auf ökonomischer Ebene keine Ressourcen und kein Geld da waren, um neu zu bauen. Eine weitere wichtige Bewegung bezog sich auf das Thema Außendarstellung. Die Relevanz des Tourismus nahm zu, weshalb das Thema Stadt und dessen Stadtbild immer mehr in den Fokus rückte. Während der Anerkennungswelle der DDR im Jahr 1972 kamen immer mehr Touristen, um die Städte zu besuchen. Fassadengestaltung und besonders die Rekonstruktion bekamen einen neuen Stellenwert und wurden Teil der sozialen Stadtkultur. Ergänzend wird hierzu die Frage gestellt, welche Kriterien dazu beigetragen haben, dass das Programm Stadtumbau Ost ein solches Erfolgsmodell wurde. 5

6 Dazu erläutert Holger Schmidt, dass es mehrere Faktoren gab. Die Innenstädte der DDR waren weitgehend leer und verschlissen und hatten keinerlei Funktion mehr. So wurden komplette Abrisspläne entwickelt, da die Wohnungsversorgung nicht mehr gedeckt war. Dieser Pfad hätte auch nach der Wende weiter verfolgt werden können, habe man aber nicht, wie Schmidt erklärt. Man wollte dann den Bestand und die historische Stadt erhalten und etwas für die Menschen tun und wie man anhand des Vergleichs von dem vorigen und neuen Zustand sehen konnte, sei dies sehr erfolgreich gewesen. Daraufhin schiebt Uwe Altrock die Frage ein, ob man sich mit der behutsamen Stadterneuerung von der Abrisspolitik abheben wollte, um zu zeigen, dass man es besser kann. Dem setzt Holger Schmidt entgegen, dass Stadterneuerung keinesfalls wirtschaftliche Überlegenheit zeigen sollte. Die Modifizierung der Stadterneuerung führte in der DDR zu Austausch und Kommunikation, denn die Abrisspläne waren vorhanden und die Flächen waren bereits aufgekauft. Allerdings wurden die Häuser dann an die Eigentümer zurückgegeben und anschließend saniert. So sollte die Identifikation der Bürger mit ihrer Stadt wieder geschaffen und gestärkt werden. Das Instrumentarium, die Finanzmittel und die Kompetenzen der Menschen wurden zusammengebracht und bündelte somit die Kräfte vor Ort. Dieses Vorgehen sei natürlich nicht immer spannungsfrei gewesen, da man nach der Wende verschiedene Schulen zusammenbrachte. Rückblickend seien die ostdeutschen Städte dadurch weitestgehend erhalten geblieben, da die damals vorhandenen autogerechten Pläne nicht realisiert wurden. Die nächsten Fragen richten sich wieder an Harald Kegler und bestehen darin, inwiefern das Jahrbuch auch Einfluss auf die inneruniversitären Strukturen und die Entwicklung der Didaktik hatte. Weimar leistete eine klare Kontrastellung zur Politik, was der Fragensteller als eine starke Leistung bezeichnet. Die Frage ist, inwiefern diese Bewegungen mit den Bewegungen in Berlin zu vergleichen ist, wie sich diese realen Prozesse mit den sozialen Konflikten in den didaktischen Prozessen der Universität widergespiegelt und die damaligen Studenten die spätere Zeit geprägt haben. Harald Kegler berichtet daraufhin, dass sich die Stadt- und Regionalplanung in den 70er Jahren einer Transformation unterzogen hat. Ab etwa 1975 habe man reflektiert, dass es notwendig sei, entsprechende Kompetenzen dem Studiengang zuzuschalten, wie zum Beispiel Soziologie, Landschaftsplanung oder auch Schwerpunkte wie Stadtrekonstruktion und Stadtsoziologie. Laut Harald Kegler fand man das Abbild des Wandels natürlich auch in der Lehre wieder. Diese radikalen Änderungen des Verständnisses, die sich innerhalb von etwa zehn Jahren vollzogen hatten, führten dazu, dass die Lehre gegen Ende der 1970er Jahre auf die neue Situation zugeschnitten worden war. Harald Bodenschatz ergänzt den Beitrag mit seinen Erfahrungen der Lehre der Stadt- und Regionalplanung an der TU Berlin. Hier fand man zunächst eine Planerausbildung in traditioneller Form und traditionellem Inhalt vor. Jedoch zeigen die behandelten Themen, dass Stadterneuerung sich immer mehr als Thema integrierte. Anhand der Projekte, die an der Universität bearbeitet wurden, zeigte sich auch, dass es nicht mehr nur um Prozesse und Strukturen ging, sondern auch das Ergebnis wichtig war. Harald Bodenschatz erläutert, dass sich die Rolle des Planers dahin entwickelt hat, Vorschläge zu machen und in die Diskussion einzubringen, diese debattieren zu lassen und die 6

7 Ergebnisse später komplex zu begründen. Das Thema des Prozesses und des Produktes spielte somit laut Harald Bodenschatz eine immer größer werdende Rolle an der TU Berlin. Eine weitere Frage bezieht sich auf die Entwicklungen in Ost- und Westdeutschland und darauf, ob es sich hierbei um zwei Geschichten handelte, welche dann im Mai 1990 vereint wurden. Den Fragensteller interessiert dabei besonders, inwiefern die Arbeit im anderen Land betrachtet und bewertet wurde. Harald Kegler erzählt aus ostdeutscher Sicht, dass die Entwicklungen im Westen immer präsent waren und auch ein Austausch in schriftlicher Form oder auch durch Literatur schon früher begonnen hatte. Der Osten besaß jedoch ein stärkeres Bild über die westlichen Entwicklungen als anders herum. Dies bestätigt auch Harald Bodenschatz aus westdeutscher Sicht. An der TU Berlin gab es nur wenige Besuche bei Veranstaltungen zu diesem Themenbereich und bis zum Mauerfall auch nur ein Seminar über Stadtentwicklung in Ostdeutschland. Hintergrund war dabei, dass Studenten damals unterrichtet wurden, dass es nicht berufsfördernd sei und sich nicht lohnen würde, sich mit dem Thema auseinander zu setzen. Nach dem Mauerfall jedoch schien plötzlich jeder Experte über den Osten zu sein. Bodenschatz merkt außerdem an, dass die Debatten damals in Westdeutschland viel internationaler geprägt waren als heute. Als weitere Anmerkung aus dem Publikum wird auf die Änderung der Rahmenbedingungen hingewiesen, die sich im Bereich der Städtebauförderung vollzogen haben. So spielen zum Beispiel sozialstrukturelle, ökonomische Aspekte wie auch Partizipation eine zunehmende Rolle. Wenn man nun über diese Änderungen nachdenkt, stellt sich die Frage, wie weitere, neue Entwicklungen angestoßen werden und wie diese ggf. aussehen könnten. Holger Schmidt stellt die Stadterneuerung als einen Prozess dar, der sich immer wieder neu erfinden und auf neue Herausforderungen zeitnah reagieren muss. Aus seiner Sicht repräsentiert das Jahrbuch diese Stärke des Umgangs und hilft diesen weiter zu denken. Er wünsche sich außerdem für die Zukunft, dass die Prozesse, Governance und Eigentumsverhältnisse mehr betrachtet werden sollten. Harald Bodenschatz fordert, dass die Stadterneuerung in der Zukunft auch umstrittenere Themen betrachten sollte, wie die Wohnungsfrage und sozialstrukturelle Entwicklungen. Auch sollte man sich vergewissern, dass Partizipation nicht nur ein reines Instrumentarium sei und von oben gelenkt werden könne. Abschließend merkt Uwe Altrock an, dass es eventuell auch notwendig sei, den Blick zu drehen und sich zu fragen, ob nicht die 1980er Jahre die Ausnahmesituation darstellen. Man sollte überlegen, ob die heutige oder damalige Zeit die unnormale Situation darstelle und was dies für die Zukunft bedeutet. Die abschließende Reaktion von Harald Bodenschatz darauf ist, dass dies genau die richtige Frage sei, gar eine Schlüsselfrage. Die Frage nach der Deutung sei entscheidend war eine schwierige Phase der wohlfahrtschaftlichen Stadterneuerung. Ab 1998 beginnt eine neue Entwicklung. Es sind immer die politischen und sozialen Fragen, die in Bezug auf die Stadterneuerung zählen. Eventuell gab es nie ein Ausnahmezustand, denn die Stadterneuerung sollte auf jede Situation reagieren. Wir gestalten es. 7