9 Industrieimmobilien
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- Kora Bergmann
- vor 8 Jahren
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2 Kapitel 9 Massanzug mit Ecken und Kanten Seit rund zehn Jahren herrscht im Schweizer Immobilienmarkt ein «Anlagenotstand». Insbesondere für institutionelle Investoren bieten sich weit weniger Anlagemöglichkeiten, als gewünscht werden. Nicht nur im Primärmarkt, das heisst bei Projektentwicklungen, sondern auch im Sekundärmarkt, sprich beim Kauf von Bestandesliegenschaften, übersteigen die finanziellen Mittel das Volumen der gebotenen Möglichkeiten. Auf der Suche nach Alternativen stellt sich deshalb die Frage, ob sich Industriebauten für Investitionen eignen würden. Weil sich die meisten institutionellen Investoren auch in den Segmenten der Mehrfamilienhäuser und Geschäftsliegenschaften engagieren, böte sich damit auch ein echtes thematisches Diversifikationspotenzial. Industrieflächen dominant im Schweizer Gebäudepark Ein Blick auf den Gebäudepark Schweiz offenbart Erstaunliches: Industriell und gewerblich genutzte Nutzflächen machen rund ein Drittel des kommerziell genutzten Flächenbestands von insgesamt 468 Millionen Quadratmetern Bruttogeschossfläche aus. Diese Substanz steht im Kontrast zur Tatsache, dass im sekundären Sektor Industrie und Gewerbe «nur» rund 29 Prozent aller Beschäftigten angestellt sind, und gerade einmal 19 Prozent des Totals sind in der eigentlichen verarbeitenden Industrie tätig. Ein weiterer Gegensatz besteht bei den Marktwerten: Obwohl die kumulierten Industrie- und Gewerbeflächen den Bestand aller Büroflächen um das Dreifache übersteigen, bewegen sich die indikativen Marktwerte in den gleichen Sphären von je über 200 Milliarden Franken. Frühere Standortfaktoren noch heute prägend Verstärkt werden die Auffälligkeiten durch die Betrachtung der Gebäudestandorte. Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Verfügbarkeit von Energie damals noch ausschliesslich Wasserenergie der primäre Standortfaktor für industrielle Tätigkeiten. Etliche noch heute präsente Industriekomplexe befinden sich deshalb in unmittelbarer Nähe von Flussläufen. Es erstaunt also nicht, dass sich auf der Schweizer Karte nach wie vor industrielle Ballungsgebiete mit einem erkennbaren Branchenfokus ausmachen lassen. Während sich im Schweizer Mittel rund 4 Industriebeschäftigte pro Hektare lokalisieren lassen, steigt dieser Wert in einzelnen Zentren auf über 155 Vollzeitäquivalente an. Industrielle Tätigkeiten und der Bedarf an Liegenschaften sind zwar flächendeckend vorhanden, deren Bedeutung an der kommunalen oder regionalen Wirtschaftsstruktur nimmt aber mit zunehmendem Urbanisierungsgrad ab. Zwei zentrale Erkenntnisse lassen sich aus den Beobachtungen gewinnen: Erstens sind industriell-gewerblich geprägte Tätigkeiten deutlich flächenintensiver als Dienstleistungsaktivitäten. Die Wertschöpfung pro Quadratmeter fällt im zweiten Sektor weit geringer aus als im Dienstleistungssektor, was zu einer tieferen Zahlungsbereitschaft für Mieten führt. Zweitens ist der heutige kommerzielle Gebäudepark von der Schweizer Wirtschaftsgeschichte der vergangenen 150 Jahre geprägt. Die Immobilien wurden nicht dem wirtschaftlichen Strukturwandel angepasst. Oder anders gesagt: Die Lebensdauer der Gebäude ist länger als der zeitliche Horizont wirtschaftlicher Tätigkeiten. Dies führt mancherorts zu den bereits im «Immo-Monitoring» 2009 (Band 1) thematisierten Industriebrachen. Immobilie oder Maschine sind oft von beachtlicher baulicher Komplexität. Das hängt vor allem mit den zahlreichen statischen, technischen sowie reinheits- und sicherheitsbedingten Anforderungen zusammen. Bereits diese Tatsache kann die Suche nach einem passenden Grundstück zur grossen Herausforderung werden lassen. Zu berücksichtigen sind dabei auch die vielfältigen Emissionen Produktionslärm, Staubpartikel, Rauch oder Geruchsbelästigungen, welche die Eigentümer und Nutzer von angrenzenden Grundstücken als Beeinträchtigung empfinden. Der Grad der Emissionen ist mitentscheidend bei der Frage, ob die betreffenden industriellen Bauten mit einzelnen Standorten vereinbar sind; je höher der Emissionsgrad, desto geringer die Kompatibilität. Investitionsvolumen auf hohem Niveau Selbst wenn der Strukturwandel der Schweizer Wirtschaft fortgeschritten ist und auf Industrieflächen teilweise hohe Emissionen produziert werden, sind sie auch in Zukunft nicht aus dem Gebäudepark wegzudenken, denn es besteht hier nach wie vor ein hoher Bedarf. Dies zeigt sich im Neu- und Umbauvolumen: Während sich Investitionen in neue Büroflächen bei rund 1.5 Milliarden Franken pro Jahr bewegen, liegen diejenigen für neue Industrie- und Gewerbeflächen (inklusive Logistik) bei gut 1.9 Milliarden Franken. Bereitgestellt wird das beachtliche Investitionsvolumen fast ausschliesslich von Industrieunternehmen selbst unter anderem mit Hilfe von Bankkrediten. Der Anteil, den klassische institutionelle Investoren wie Versicherungen, Pensionskassen oder Immobilienfonds daran haben, fällt weiterhin marginal aus. Betriebsimmobilien also Gebäude, bei denen Nutzer und Eigentümer identisch sind stellen demnach den Regelfall dar. 90 Immo-Monitoring 2012 I 1
3 Kapitel Bruttogeschossflächen in Quadratmetern (2009) 9.2 Anteil der verarbeitenden Industrie am Schweizer BIP 20.0% 19.5% 19.0% 18.5% Industrie/Lager/Gewerbe Infrastruktur Landwirtschaft Büro Verkauf Gastgewerbe Quelle: Wüest & Partner 18.0% 17.5% Verteilung der verarbeitenden Industrie auf die Gemeindetypen (Standortkoeffizient, Schweiz = 1.0; 2008) 9.4 Neu- und Umbauinvestitionen (in Mrd. CHF) Industrielle Gemeinden Mittelzentren: Innerer Agglomerationsgürtel Pendlergemeinden ausserhalb Agglomerationen Kleinzentren Agrarische Gemeinden Mittelzentren: Äusserer Agglomerationsgürtel Grosszentren: Äusserer Agglomerationsgürtel Grosszentren: Innerer Agglomerationsgürtel Mittelzentren Reiche Gemeinden Grosszentren Tourismusgemeinden Industrie/Lager: Büro: Neubau Neubau Umbau Umbau Immo-Monitoring 2012 I 1 91
4 Kapitel 9 Brachliegendes Potenzial für «Institutionelle»? Neben den Industrieunternehmen mit eigenen Betriebsimmobilien den sogenannten Corporate Real Estates existieren drei weitere Gruppen, die im Segment der als Eigentümer auftreten. Ehemalige Industrieunternehmen: Wenn Unternehmen des zweiten Sektors ihre Aktivitäten aufgeben, ändern oder ins Ausland verlagern, ihre Liegenschaften aber weiter halten, mutieren sie zu Immobilieninvestoren. Es bieten sich ihnen dann drei Stossrichtungen an: Devestition, Projektentwicklung oder Konversion der Industriebrachen. Davor besteht die Option, die obsoleten Liegenschaften zwischenzunutzen. Die Stärke dieser «neuen» Investoren liegt in ihrer Erfahrung mit Industrieliegenschaften. Gefahren können aber von der räumlichen Konzentration der Gebäude ausgehen, womit ein latentes Klumpenrisiko besteht. Sale-and-Lease-Back-Immobilieninvestoren: In der Schweiz sind Transaktionen im Rahmen von Sale-and-Lease-Back- Geschäften oftmals bei Nachfolgeregelungen oder Unternehmensverkäufen zu beobachten. Attraktiv sind in diesem Fall etablierte, vollständig vermietete Bestandesliegenschaften im industriellen Umfeld. Als entscheidend gelten dabei die Bonität des Industrieunternehmens und die Ausgestaltung der Mietverträge. Die Motive der Industrieunternehmen sind indes bilanzieller oder liquiditätsbezogener Art. Kooperative Immobilieninvestoren: Diese Gruppe zeichnet sich dadurch aus, dass die Entwicklung, Realisierung und Betreibung von Industrieliegenschaften vom zukünftigen Nutzer und vom Investor gemeinsam durchgeführt werden. Dieser Ansatz verspricht dann einen hohen Nutzen, wenn beide Seiten ihr spezifisches Know-how einbringen können. Immobilienaffinen Investoren bieten sich in diesem Umfeld mittel- bis langfristig interessante Investitionsmöglichkeiten, da weiterhin industrielle Bauten nachgefragt werden. Die Herausforderung besteht in der Verbindung der Welten von Investor und Nutzer. Massanzug mit «Handicaps» Dass sich klassische institutionelle Anleger anders als die oben genannten Eigentümergruppen mit Investitionen zurückhalten, hat unterschiedliche Ursachen. Erklärungsansätze lassen sich in den folgenden Aspekten finden: Spezifisch limitierende Anlagerichtlinien: Die Mehrheit der institutionellen Schweizer Investoren ist bewusst nicht im Segment der Industrieliegenschaften präsent. Anlagerichtlinien schliessen Engagements entweder grundsätzlich aus, oder sie sind mit beschränkenden Auflagen verbunden. Je umfangreicher die Regulierungen sind beispielsweise bei kotierten Immobilienfonds oder Versicherungen, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit von Investitionen in Industrieliegenschaften. Dies, obwohl im Rahmen der geltenden Gesetzgebung durchaus Raum für entsprechende Anlagen möglich wären. Management von komplexen Schnittstellen: Anders als Büroflächen weisen Industriebauten oft eine baulich enge Verflechtung zwischen der Gebäudehülle, dem Innenausbau, den Produktionsanlagen sowie der Haustechnik auf. Für einen klassischen Immobilieninvestor sind grosse Anstrengungen nötig, um nicht nur die betriebswirtschaftlichen, sondern auch die technischen Aspekte zu verstehen. Umgekehrt haben Industrieunternehmen spezifische Ansprüche, um einen flexiblen Betrieb zu ermöglichen. Die Planungs- und Bauphase, aber auch die Betriebsphase erfordern deshalb eine sorgfältige Koordination und Kommunikation unter den Akteuren. Geringes Synergiepotenzial: Die Ansprüche an die industriellen Gebäude sind nicht nur sehr spezifisch, sie unterscheiden sich auch von Unternehmen zu Unternehmen. Der Immobilieninvestor benötigt bei jedem Objekt und jeder Projektentwicklung Kenntnisse über die spezifische Branche. Umgekehrt stellt sich für die Industrieunternehmung die Frage, welche Vorteile aus einer Mietkonstellation resultieren könnten. Im Vordergrund steht eine Gesamtbetrachtung aller Investitionen während der Betriebsphase. Ein wesentliches Argument für die Investition kann dabei die anderweitige Verwendung von Eigenkapital im eigenen Kerngeschäft sein. Erhöhtes Standort- und Liegenschaftsrisiko: Für die Entwicklung neuer Industrieliegenschaften kommen oftmals nur periphere Standorte in Frage. Die Kombination eines solchen Standorts mit einer auf den Leib geschneiderten Immobilie birgt schwierig zu bemessende Risiken bei einer allfälligen Weitervermietung einerseits und einem möglichen Verkauf andererseits. Die Risikoprämien fallen erwartungsgemäss relativ hoch aus, was die finanzielle Attraktivität aus Sicht des industriellen Mieters schmälert beziehungsweise uninteressant macht. Mobilisierung des Potenzials steht vor der Tür Es gibt Möglichkeiten, um die Defizite der bezüglich ihrer Anlagetauglichkeit zu kompensieren: Ähnlich wie die Sportstadien sollen künftig vermehrt auch Tramoder Bahndepots mit einer sogenannten Mantelnutzung 92 Immo-Monitoring 2012 I 1
5 Kapitel Industrielle Verarbeitung: Gebiete in der Schweiz mit mindestens 250 Beschäftigten pro Hektare (2008) Beschäftigte/ha Beschäftigte/ha 750 und mehr Beschäftigte/ha Kartengrundlage: BFS GEOSTAT/swisstopo konzipiert werden. Der «Mantel» beherbergt Nutzungen, die hohe Renditen versprechen, womit de facto eine Quersubventionierung stattfindet. Dieser Ansatz könnte bei Industrieflächen bestens angewendet werden: eine geschickte Kombination mehrerer Nutzungen, die nicht unbedingt im physischen Sinn für den Immobilieninvestor als ein Konglomerat, als etwas Zusammengehörendes zu betrachten ist. Weil Industrieunternehmen immer mehr konventionelle Büroflächen benötigen, könnte dieser Ansatz durchaus an Interesse gewinnen; die Rentabilitätsrechnung des Immobilieninvestors dürfte sich damit klar verbessern. Die Herausforderungen im Zusammenhang mit den Emissionen liessen sich vor allem durch den technischen Fortschritt reduzieren. Die abgelaufene Dekade zeigte die Offenheit der institutionellen Investoren in der Schweiz gegenüber Innovationen und neuen Produkten. Klassische Betreiberliegenschaften wie Seniorenresidenzen, Freizeitanlagen, Hotels oder Logistikzentren sind seit geraumer Zeit in ihren Portfolios zu finden. Es dürfte somit nur eine Frage der Zeit sein, bis sich auch in nennenswerter Zahl in den Händen von institutionellen Investoren befinden. Offen bleibt, ob es sich dabei zukünftig «lediglich» um ein Nischen engagement handeln wird. 9.6 Emissionen und Kompatibilität Industrie Mässig störendes Gewerbe Logistik Emissionen oder spezifische Anforderungen Labor Stilles Gewerbe Kompatibilität Hightechproduktion Büroarbeitsplatz Gewerbe mit Publikumsverkehr Je weniger Emissionen, desto eher sind verschiedene Nutzungen kombinierbar. Je weniger spezifisch die Anforderungen an das Gewerbe (z. B. Sicherheitsdispositiv), desto einfacher ist die Immobilie durch Dritte betreibbar. Quelle: Wüest & Partner Immo-Monitoring 2012 I 1 93
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