Stellenwert und Zukunft der dualen Berufsausbildung in Österreich

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1 Pressegespräch, 1. Juni 2010, Berlin Stellenwert und Zukunft der dualen Berufsausbildung in Österreich Statement Prof. Dr. Gerhard Riemer Bereichsleiter Bildung, Innovation und Forschung, Industriellenvereinigung Österreich (A) Es gilt das gesprochene Wort.

2 Deutschland, die Schweiz und Österreich unsere drei Länder im Zentrum Europas haben neben einer gemeinsamen Sprache Vieles gemeinsam: 1. Gute bis hervorragende Positionen im europäischen Innovationsvergleich (European Innovation Score Board), 2. ein hohes Maß an Wohlstand, Beschäftigung und sozialer Sicherheit und 3. erfolgreiche, gut ausgebaute Systeme der Berufsausbildung im dualen System. Das österreichische Bildungswesen weist trotz vieler Parallelen der dualen Systeme in den drei Ländern u. a. zwei wichtige Spezifika auf: - einerseits frühe Bildungsentscheidungen (nach dem 4. Schuljahr im Alter von 10 sowie wiederum mit Jahren), die den weiteren Bildungsweg maßgeblich beeinflussen - sowie andererseits ein umfangreiches Angebot an beruflicher Bildung: die duale Berufsausbildung und die Berufsbildenden mittleren und höheren Schulen (BbmhS). Das breite Angebot an berufsorientierten Bildungswegen in Österreich, sowohl im Rahmen der dualen Berufsausbildung aber auch der BbmhS z. B. der Höheren technischen Lehranstalten oder der Höheren kaufmännischen Schulen (Handelsakademien), die zur Matura und Abschluss mit 19 Jahren führen sind für die Wirtschaft und insbesondere die Industrie ein wichtiges Potenzial von qualifizierten Jugendlichen. Sie haben wesentlich zur Sicherung des qualifizierten Fachkräftenachwuch- 1

3 ses für die Wirtschaft, wie auch zur guten wirtschaftlichen Entwicklung in Zeiten des Aufschwungs beigetragen. Die berufsbildenden höheren Schulen vermitteln einen Qualifikationsmix aus Allgemeinbildung, fachlicher Bildung im technischen bzw. kaufmännischen Bereich und praktischen Bildungsinhalten und sind von den Unternehmen besonders geschätzt. Investitionen in die Zukunft: Bildung, Innovation und Forschung Neben der Bewältigung der Wirtschafts- und Finanzkrise, die oberste Priorität haben muss, gilt es JETZT die Weichen für einen erfolgreichen Aus- und Aufstieg aus der Krise zu stellen. Investitionen in die Zukunft, d. h. in Bildung, Innovation und Forschung, sind dabei ebenso von größter Bedeutung wie die Erhaltung und Sicherung des qualifizierten Fachkräfte-Nachwuchses durch die duale Berufsausbildung. Klar ist: Wir brauchen die besten Köpfe und Hände, um international weiterhin wettbewerbsfähig zu sein. Es bedarf dazu insbesondere auch der qualifizierten Fachkräfte, um Ideen, Wissen und Forschungsergebnisse in Produkte, Verfahren, Systeme umzusetzen und auf den Märkten zu verkaufen. Für Unternehmen, die hohe Ansprüche an Einstiegsqualifikationen der Jugendlichen stellen, aber auch bereit sind in die Berufsbildung viel zu investieren, wird es immer schwieriger, qualifizierte Lehrlinge für die duale Berufsausbildung zu finden. Die immer größer werdenden Bildungslücken verschärfen die Situation. Drei zentrale Themen sind für die berufliche Bildung in Österreich, insbesondere des dualen Systems von Bedeutung: 2

4 1. Angebot und Nachfrage an qualitativ guter und hochwertiger Ausbildung verbessern. Die notwendigen Maßnahmen reichen von der inhaltlichen Anpassung der Berufe an neue Anforderungen, Gestaltung neuer Lehrberufe bei gleichzeitiger Straffung des Lehrberufsangebotes bis zur dringend notwendigen Verbesserung des Images praktischer beruflicher Bildungswege. Darüber hinaus gilt es, Migration als Herausforderung und Chance gleichermaßen aktiv zu nutzen. 2. Attraktivität der Berufsausbildung im dualen System verbessern. Durch Stärkung und Ausbau der Über- und Umstiegsmöglichkeiten aus dem dualen System in den tertiären Sektor soll die Attraktivität der Berufsausbildung verbessert werden, um praktisch orientierte Jugendliche für den Einstieg in die Berufsausbildung zu interessieren und den weiteren Weg in höhere Bildungsstufen zu erleichtern. Dazu gehört selbstverständlich auch ein Angebot an neuen attraktiven Sondermodellen seitens der Industrie. An Übertrittsmodellen von der Berufsausbildung in den tertiären Sektor haben sich bisher 3 Modelle bewährt: - Studienberechtigungsprüfung, die den Zugang zu spezifischen Studien ermöglicht. - Berufsreifeprüfung als vollwertige Matura für ein Hochschulstudium, im Anschluss an die Lehrabschlussprüfung zu absolvieren. 3

5 - Als neues Angebot seit 2008 gibt es die Lehre mit Matura als Weg zur Berufsreifeprüfung mit Vorbereitung bereits während der Lehrjahre und Abschluss frühestens mit dem 19. Lebensjahr und kostenloser Kurse. - Der direkte Zugang zum Fachhochschul-Sektor, der allerdings von Fachhochschulen je nach Anforderungen spezifische Voraussetzungen der Bewerber verlangt (derzeit knapp 1 % der Studenten). Zur Sicherung hochqualifizierten Nachwuchses werden von der österreichischen Industrie mittlerweile neue Sondermodelle angeboten wie etwa: - der Industrietechniker und - das Modell der Kremstaler technische Lehrakademie KTLA, die als erstes österreichisches Modell über die duale Berufsausbildung den Abschluss einer Höheren, technischen Lehranstalt ermöglicht. 3. Berufliche Qualifizierung im Rahmen des Nationalen (NQR) und des Europäischen Qualifikationsrahmens (EQR) anerkennen. Mit einem Ministerratsbeschluss vom Dezember 2009 wurden dafür die Weichen gestellt. In den Qualifikationsebenen sechs bis acht werden der österreichische Hochschulraum gemäß den Bologna-Strukturen abgebildet und außerschulische, berufliche Qualifikationen (Ingenieur, Meister, Wirtschaftstreuhänder) nach einem kriterienbasierten Zuordnungsverfahren zugeordnet. Somit sollte und muss es möglich werden, dass etwa die Qualifikationsebene sechs auch für Absolventen der beruflichen Bildung erreichbar und im EQR entsprechend anerkannt wird (z. B. Anerkennung des Meisters, des HTL-Technikers bzw. Ingenieurs in Stufe sechs). 4