Persönlichkeitsstörung und Sucht
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- Johannes Feld
- vor 8 Jahren
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1 Persönlichkeitsstörung und Sucht Eine bedeutsame Komorbidität Dipl.-Psych. Stefanie Kiszkenow Institut für Suchttherapie am IPP Bochum
2 Definition Persönlichkeitsstörungen ein überdauerndes Muster von Erleben und Verhalten, dass merklich von den Erwartungen der Umgebung abweicht in mind. 2 Bereichen wie Kognition, Affektivität, Gestaltung von Beziehungen und Impulskontrolle das Muster ist unflexibel, tiefgreifend und stabil es schafft Leiden oder Beeinträchtigung zeigt sich schon ab dem frühem Erwachsenenalter DSM-IV (Saß, Wittchen, Zaudig & Houben, 2003)
3 NÄHE-STÖRUNGEN Histrionisch Narzisstisch Selbstunsicher (ängstlich) Dependent (abhängig) DISTANZ-STÖRUNGEN Zwanghaft Passiv-Aggressiv Paranoid Schizoid Bei den hypriden Störungen wird eine deutlich stärkere neurologische/biologische Komponente angenommen als bei den reinen Nähe/Distanz- Persönlichkeitsstörungen HYBRIDE-STÖRUNGEN Antisozial (dissozial) Borderline Alternative zur Cluster-Einteilung der Persönlichkeitsstörungen (nach Sachse)
4 Gibt es Suchtpersönlichkeiten? Die Suche nach der Suchtpersönlichkeit ist lang und kontrovers Die Prävalenzrate von Persönlichkeitsstörungen ist bei Personen mit Substanzmissbrauch oder -Abhängigkeit mind. drei mal höher als im Bevölkerungsmittel (Verheul et al., 1998) Auch wenn dies noch nichts über Kausalität aussagt, scheint das Zusammentreffen von PS und Sucht nicht zufällig zu sein Gängige Kausalitätsmodelle gehen entweder von einer primären Substanzstörung, von einer primären Persönlichkeitsstörung oder von einem Modell gemeinsamer Faktoren aus
5 Modell der primären Substanzstörung Sieht eine pathologische Persönlichkeit als sekundäre und bei rechtzeitiger Abstinenz teilweise reversible Folge des Konsums an Vermittelnde Faktoren können soziales Lernen (ungünstige Peers), Intoxikations- und Entzugssymptome (Wahrnehmungs- und Verhaltensstörungen) sowie neurobiologische Veränderungen sein Die Befundlage stützt das Modell der primären Substanzstörung bislang nicht (Nace, 1990, Morgenstern et al. 1997, Bernstein et al., 1998) Starker und andauernder Konsum psychotroper Substanzen ruft zweifelsohne Veränderungen in der Interaktion hervor Per Definition aber keine echte Persönlichkeitsstörung
6 Modelle der primären Persönlichkeitsstörung Danach begünstigen pathologische Persönlichkeitskonfigurationen den Wunsch nach regelmäßigen Substanzkonsum und fördern die Abhängigkeitsentwicklung
7 1. Modell der Verhaltensenthemmung Persönlichkeitsbedingte Verhaltensenthemmung: weniger Selbstbeschränkung oder Schadensvermeidung, höhere Impulsivität Antisoziale Alkoholiker neigen zu früherem und heftigerem Beginn des Konsums (Cadoret et al., 1984; Liskow et al., 1990) Impulsivität, Unangepasstheit und Aggressivität korrelieren bei Männern positiv mit Sucht (Tarter, 1988; Schuckit et al., 1994) Die Studien konzentrierten sich bislang vor allem auf die antisoziale PS sowie die Borderline PS Aber : Diagnostisch bedingte Gefahr der systematische Überschätzung der Komorbidität (Gerstley et al., 1990)
8 Verhaltensenthemmung Sozialisationsdefizit Substanzabhängigkeit Biologische Faktoren z.b. Seotoninmangel Dürfte wenn dann am ehesten für die antisoziale Persönlichkeitsstörung und die Borderline-Persönlichkeitsstörung zutreffen Modell der Verhaltensenthemmung
9 2. Modell der Belohnungssensitivität Sagt voraus, dass Personen, die von ihren Persönlichkeitsfaktoren her nach Belohnung und neuartigen Reizen suchen und hoch ausgeprägte Extraversion und Geselligkeit zeigen zum Substanzenmissbrauch neigen Hier steht zunächst die verstärkende, euphorisierende Wirkung der Substanz im Vordergrund (positiver Affekt) Weniger intensiv untersucht als die zuvor geschriebenen Mechanismen, aber es liegen bestätigende Langzeitstudien vor (z.b. Masse & Tremblay, 1997; Wills et al.; 1998, Schuckit et al., 1994)
10 Übermäßiger, belohnender Substanzkonsum Belohnungssensitivität Extraversion Sensibilisierungsprozess Substanzabhängigkeit Dopaminerge/ opioiderge Hyperreaktivität Dürfte am ehesten für die histrionische und die narzisstische Persönlichkeitsstörung zutreffen (hoch handlungsorientiert). Modell der Belohnungssensitivität
11 3. Modell der Stress- und Angstreduktion Besagt, dass Personen mit ausgeprägter Stressreaktivität und Angstsensitivität (Persönlichkeitsmerkmal Neurotizismus) verletzlicher auf kritische Lebensereignisse reagieren Resultierendes hohes Level an Angst, Stress und Stimmungslabilität bildet das Motiv für Substanzkonsum (= Selbstmedikationsversuch) Dieser Mechanismus ist gut belegt (auch für Frauen) und passt zur vergleichsweise späten Entstehung der Sucht (Moggi, 2007) Personen mit Persönlichkeitsstörung erleben aufgrund ungünstiger Selbst- und Beziehungsschemata in Interaktion fortlaufend Kränkungen, Angst, Unverständnis und Stress (Sachse, 2001)
12 Kritische Lebensereignisse und soziale Interaktionen hohe Stressreaktivität Stimmungslabilität Angst ( hoher A-) Substanzkonsum als Selbstmedikation GABAerge/ Glutamaterge Dysregulation Dürfte am ehesten für die vermeidend-selbstunsichere, abhängige, zwanghafte, paranoide, schizotype Persönlichkeitsstörung, Borderline sowie den erfolglosen Narzissmus nach Sachse zutreffen. Modell der Stressreaktivität und Selbstmedikation
13 Störungen der Affektregulation als Grundlage für Persönlichkeitsstörungen und Sucht Persönlichkeitsstörungen hängen häufig mit ungünstigen Affekt- Konstellationen zusammen, die schlecht regulieren können Verbindung zur Sucht: Konsum wird zur Regulation der Affekte eingesetzt Konsum kann effektiv hohen negativen Affekt senken ( Angstminderung ), niedrigen positiven Affekt steigern ( mutig und handlungsorientiert werden ) oder zu hohen positiven Affekt senken ( runter kommen ) Durch Toleranzentwicklung und physiologische Schädigung hängen die Betroffenen aber langfristig in den ungünstigen Affektextremen fest siehe dazu Kuhl (2001), Schlebusch, Kuhl, Breil & Püschel (2006), Braun (2010), Schlebusch & Kiszkenow (2011)
14 Erste Schlussfolgerungen Die Zusammenhänge sind komplex und Versuche der Vereinfachungen auf nur ein oder zwei Suchtpersönlichkeiten nicht angebracht Aus unterschiedlichen Persönlichkeitsstrukturen ergeben sich auch unterschiedliche Konsummotive und Vorlieben für unterschiedliche Substanzen je nach Affektlage z.b. Alkohol oder Cannabis zur Runterregulation negativen Affekts oder Amphetamine zur Hochregulation positiven Affekts Persönlichkeitsaspekte sollten in Suchtbehandlungen beachtet werden! Da Persönlichkeitsstörungen Beziehungsstörungen sind, sind auch Interaktionsmotive in der Suchtentwicklung und der Behandlung von zentraler Bedeutung
15 Modell der Doppelten Handlungsregulation (Sachse, 1997) Die reinen Persönlichkeitsstörungen sind im Kern Beziehungsstörungen Ungünstige Annahmen über Beziehungen (Schemata), ungünstige Interaktionsziele und ungünstige Gestaltung von Beziehungen z.b. bei paranoider Persönlichkeit die Annahme Andere wollen mich schädigen oberstes Ziel Schütze dich präventiv! Interaktion geprägt von Drohgebärden und einem toughen Image (Spielebene) Durch Kontrolle der Interaktion und unauthentisches Verhalten versucht die Person, ihre wichtigsten Motive doch noch zu befriedigen Persönlichkeitsstörungen sind ein verstehbarer aber ungünstiger Bewältigungsversuch mit langfristig hohen Kosten
16 Vorüberlegungen histrionische Persönlichkeit Das Motiv nach interaktioneller Wichtigkeit ist relevant d.h. Wunsch im Leben anderer Menschen eine zentrale Rolle zu spielen oder zumindest ein anhaltend hohes Maß an Aufmerksamkeit bekommen Interaktionspartner erleben die Person häufig als dramatisierend und eher oberflächlich im Affekt ( dem Effekt verpflichtet ) Wie bei allen Persönlichkeitsstörungen: bei kompetenter Umsetzung wirkt das Verhalten kurzfristig anziehend und erzielt den erwünschten Effekt, erzeugt langfristig aber hohe Kosten, Irritaion oder Ärger beim Gegenüber Anhaltend hoher, schlecht regulierbarer A (diskrepanzsensibel sein) und hoher A+ (hoch handlungsorientierte Exekutive)
17 Konsummotive bei histrionischer Persönlichkeit Konsum um den positiven Affekt (noch weiter) zu heben in Gesellschaft unterhaltsam, dramatisch sein: Partystimmung herstellen Konsum alleine als anschließende Entspannungshilfe angesichts des hohen Aktivitätsniveaus Bewältigung von Eifersucht und interpersonellen Konflikten (z.b. wenn man sich nicht ausreichend gesehen fühlt) Auch direkte Manipulationsstrategie denkbar: Aufmerksamkeit durch Konsum oder dessen Folgen auf sich ziehen
18 Vorüberlegungen narzisstische Persönlichkeit Doppeltes Selbstkonzept: Ich bin ein Versager. vs. Ich bin besser als andere Motiv nach Anerkennung als Person oder zumindest anhaltend Bewunderung, Lob, Respekt und Sonderrechte bekommen Interaktionspartner erleben die Person häufig als prahlend, leistungsorientiert und ggf. abwertend anderen gegenüber Illusionäres Kontrollerleben ( Ich habe alles im Griff! ) erschwert Einräumen des problematischen Konsummusters, da zunächst unvereinbar mit dem überhöht positivem Selbstkonzept
19 Konsummotive bei narzisstischer Persönlichkeit Bei eher erfolgreichen Narzissten (hoher A+): Belohnungstrinken nach getaner Arbeit und besonderen Erfolgen Konsum zur Leistungssteigerung/-aufrechterhaltung Konsum zur Entspannung oder Einschlafhilfe nach Leistungsexzessen Bei eher erfolglosen oder gescheiterten Narzissten (niedriger A+): Bewältigung von erlebten Kränkungen (wenn Anerkennung ausbleibt) Konsum als Wegträumhilfe in Phantasien des Ruhms und Erfolgs Bewältigung von Misserfolgen Selbstmedikation zur Angstreduktion bei Versagensängsten
20 Vorüberlegungen dependente Persönlichkeit Starke Motive nach Verlässlichkeit und Solidarität anhaltende Angst, real verlassen zu werden, alleine nicht klar zu kommen Interaktionspartner erleben die Person häufig als übermäßig anhänglich, klebend und vordergründig unterwürfig/anspruchslos Kurzfristig kann das überstarke Anpassen für den Interaktionspartner anziehend sein, langfristig verprellt es eher Anhaltend hoher A+ (diskrepanzsensibel, Stand der Beziehung ängstlich beobachten) und niedriger A - (nicht ins Handeln kommen)
21 Konsummotive bei dependenter Persönlichkeit Konsum zur Bewältigung der zwischenmenschlichen Ängste (Verlassensangst, Einsamkeitsgefühle) Reaktion auf überfordernde interaktionelle Krisen Selbstmedikation bei häufigen Befindlichkeitsstörungen (z.b. komorbide Schlaf- und Angststörungen, somatoforme oder psychosomatische Beschwerden) Dem Partner durch Konsum demonstrieren, wie hilflos und angewiesen man ist Ggf. Anpassung an einen konsumierenden Partner (dependence á deux)
22 Vorüberlegungen selbstunsichere Persönlichkeit Starkes Motiv nach Anerkennung, Wichtigkeit, Solidarität Starken Selbstzweifeln und Unzulänglichkeitsgefühle Angst vor Abwertung, Blamage oder Demütigung Affektkonstelation: hoher A (ängstlich, diskrepanzsensibel) und niedriger A+ (lageorientiert, schüchtern gehemmt) Interaktionspartner reagieren auf die Unsicherheit anfangs häufig mit Schonung, Hilfeleistung und Sympathie, langfristig eher mit Ablehnung
23 Konsummotive bei selbstunsichere Persönlichkeit Konsum zur Anspannungsreduktion und Angstmilderung Bewältigung angstbesetztersozialer Situationen = Sicherheitsverhalten ähnlich der sozialen Phobie ( sich an der Flasche festhalten ) Konsum um mutiger oder lockerer zu werden ( nüchtern bin ich schüchtern ) Durch Konsum sozial dazugehören und in Gruppen integriert sein Auch demonstrativer Konsum als Solidarisierungs- oder Schonungs-Appell
24 Vorüberlegungen paranoide Persönlichkeit Starkes Motiv nach Autonomie, Grenzen/Territorium, Solidarität und meist auch Anerkennung Anhaltende Befürchtungen getäuscht unf geschädigt werden zu können Versuche, sich präventiv zu schützen durch Abschreckung und Einschüchterungsversuche Meist halten die Personen das Gegenüber dadurch tatsächlich effektiv auf Distanz, zahlen aber einen hohen Preis dafür hoher A - ( ständige Arlarmbereitschaft ) und eher hoher A+ (vorschnell Handlungen ausführen )
25 Konsummotive bei paranoider Persönlichkeit Versuch der Angst- und Anspannungsbewältigung bei anhaltend hoher Alarmbereitschaft ( Ich muss mich jederzeit in Acht nehmen! ) Konsum zur Entspannung wenn man alleine und sicher ist Bewältigung von realen Isolations- und Einsamkeitsgefühlen ( Mein einziger Freund ist die Flasche, sonst brauche ich niemanden. ) Ekzessiver Konsum zur Unterstreichung eines gefährlichen, toughen Außenimages im Sinne einer Abschreckungsfassade
26 Vorüberlegungen passiv-aggressive Persönlichkeit Starkes Motiv nach Grenzen, Autonomie und Anerkennung Massive Reaktanz angemessenen Forderungen gegenüber. Passive Sabottage wenn das Gegenüber mächtiger als man selbst erscheint (Verzögerungstaktiken, Auflaufen lassen ) Aktive und offen feindselige Reaktionen bei schwächerem Gegenüber Vermutlich hoher A und wechselnder A+ Interaktionspartner reagieren meist sehr verärgert wenn die passiven Taktiken durchschaubar werden (hohes Konfliktpotential)
27 Konsummotive bei passiv-aggressiver Persönlichkeit Konsum als Reaktion auf empfundene Kränkungen und Zumutungen Bewältigung von Ärger und Ohnmachtsgefühlen mächtigen Gegnern gegenüber Konsum zur Wiederherstellung oder Demonstration von Autonomie ( Jetzt erst recht, ich mache was ich will. ) Auch Konsum zum Schwelgen in Phantasien der Macht und Kompetenz
28 Vorüberlegungen zwanghafte Persönlichkeit Starkes Motiv nach Autonomie und Solidarität, meist auch Anerkennung, und Wichtigkeit Kompensation durch starres Festhalten an Regel, Norm-Übererfüllung und Details, Vermeidung von Spontanität Zwanghafte Personen haben intern ein massiv hohes Stresslevel, das Außenstehende nicht nachvollziehen können Leistungsfähigkeit und reales Vorankommen werden dadurch gemindert Die Personen erscheinen sehr eigentümlich, starrsinnig und sind meist wenig beliebt Hoher A -, niedriger A +
29 Konsummotive bei zwanghafter Persönlichkeit Konsum als Reaktion auf Kränkung und Enttäuschung (z.b. wenn niemand sonst die eigenen Regeln beachtet) Entspannungshilfe angesichts der ständigen Anstrengung, dem eigenem Perfektionismus gerecht zu werden Angst- und Anspannungsreduktion Runterregualtion diffuser, unangenehmer Emotionen bei extrem schlechten Selbstzugang
30 Vorüberlegungen schizoide Persönlichkeit Starkes Motiv nach Anerkennung, Wichtigkeit, Verlässlichkeit, Solidarität Diese zwischenmenschlichen Bedürfnisse sind aber fast völlig ausgeblendet ( Beziehungen lohnen sich nicht. ) man glaubt keine Beziehungen zu brauchen und zieht sich scheinbar selbstgewollt massiv auf sich selbst zurück Einsiedlermentalität und starke Defizite der sozialen Kompetenz In Interaktionen völlig überfordert
31 Konsummotive bei schizoider Persönlichkeit Massiver Konsum aufgrund fehlenden Vergleichsstandards und fehlenden sozialen Korrekturen Bewältigung diffuser Einsamkeitsgefühle Reaktion auf Kränkungen, soziale Überforderungen und Unzulänglichbkeitsgefühle Runterregualtion diffuser, unangenehmer Emotionen bei extrem schlechten Selbstzugang
32 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Weiterführende Literatur und Informationen zu unserem Weiterbildungsangebot Sozialtherapie/ Suchttherapie :
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