okopo, die neue Metropole der Provinz East New Britain, ist heute Vormittag unser Ziel. Hier ist auch der neu gebaute Airport, an dem wir angekommen
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- Timo Diefenbach
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1 K okopo, die neue Metropole der Provinz East New Britain, ist heute Vormittag unser Ziel. Hier ist auch der neu gebaute Airport, an dem wir angekommen sind. Früher, das heißt, bis 1994, war Kokopo nur ein kleines weiteres unbedeutendes Village. Auch wegen des fehlenden Tiefseehafens. Aufgrund seiner Nähe zu Rabaul aber, und vor allem wegen seiner windgeschützten Lage gegen den Vulkan, wurden hier Straßen und Gebäude aus dem Boden gestampft. Herausgekommen ist eine gesichtslose, ausufernde Industrieansiedlung ohne wirklichen Charme. Selbst die nahen Strände laden nicht zum Verweilen ein. Ungepflegt und schmuddelig, strahlen sie eine gewisse Tristesse aus. Kokopo liegt zirka 40 Kilometer von Rabaul entfernt, und es gibt nur eine Straße zwischen diesen beiden größten Städten East New Britains. Diese ist zur Hälfte geteert, die andere Hälfte ist reine Sand- und Staubpiste. Immer wieder unterbrochen von tiefen Senken, die von den Schlammlawinen hangabwärts in Richtung Meer immer tiefer ausgespült werden. Die dicken Trucks, die mit Containern beladen vom Hafen Rabaul in das Zentrum Kokopos ohne Rücksicht auf Verluste heizen, machen die Situation nicht besser. Wie Pflüge auf dem Acker. Überhaupt herrscht hier immer reger Verkehr. 91
2 92 Die Straße selbst kann schon als Village angesehen werden, denn immerhin sind 91 % der Landfläche PNGs Dschungel. Immer wieder säumen kleine, aus Buschwerk gefertigte Unterstände, an denen man Kleinigkeiten für den täglichen Bedarf kaufen kann, den Straßenrand. Menschen kommen und gehen. Große, Kleine, Alte, Junge, Kinder, alleine, aber auch in Grüppchen. Einige liegen im Schatten lang ausgestreckt unter Bäumen, und warten, schauen zu, und warten. You re never alone. Diese Piste gleicht einer Lebensader, die immer wieder von kleinen Blutgerinseln in Form von Hindernissen empfindlich gestört wird. Da fallen schon einmal die Strommasten und ein paar Palmen auf die Straße, die dann wahrscheinlich schon seit Wochen auf halb acht gefährlich schräg über der Fahrbahn hingen. Jeder sieht die Situation kommen. Bereinigt wird diese allerdings erst, wenn»das Kind im Brunnen ist«. Ein geflügeltes Wort in PNG lautet:»if you are lucky«. Damit schwingt unausgesprochen ein»viel Glück«mit, was man sich besonders dann wünscht, wenn es auf Reisen geht. Und ein Ausflug nach Kokopo wird schon als Reise verstanden. Es sind permanent Straßenbautrupps unterwegs, aber deren Arbeit gleicht Don Quijotes Kampf gegen die Windmühlen. Anfangs wundere ich mich, da die entgegen kommenden Fahrzeuge manchmal Schlangenlinien und zickzack fahren. Als ob die Fahrer betrunken sind, bis ich schließlich bemerke, dass auch wir so fahren. Die Schlaglöcher umfahren, die Senken und die Bodenwellen. So ist der Ausflug nach Kokopo immer wieder ein Erlebnis. Nicht, dass wir auf dieses Erlebnis besonders erpicht sind, aber in Kokopo gibt es nun einmal die großen Supermärkte, in denen nicht ständig der eine oder andere Artikel ausverkauft ist wie in Rabaul. Und vor allem, dort gibt es mehrere Banken. Sogar mit Geldautomaten, an denen du mit Visa- und Mastercard
3 Geld holen kannst. Außerdem gibt es dort ein Krankenhaus, das St. Marys- beziehungsweise Vunapope-Hospital. Aber dazu später. Die Einkäufe verlaufen problemlos, und ich bin überrascht über das reichhaltige Sortiment an Lebensmitteln. Fast wie bei uns. Obendrein gespickt mit asiatisch typischen Lebensmitteln wie Ingwer in allen Formen: in verschiedenen Laken eingelegt, granuliert und sonst wie weiterverarbeitet. Es gibt hervorragenden Kaffee, der aus dem Hochland der Hauptinsel kommt. Kurzum, es herrscht kein Mangel. Exotische Dinge wie sämtliche Milchprodukte oder Erdbeermarmelade haben allerdings ihren Preis. Schokolade gibt es überhaupt nicht, die würde einfach davonlaufen. Tja, die Hitze. Im Anschluss an alle Erledigungen kehren wir, auf unserem Rückweg nach Rabaul, in die Beach-Hut Lodge ein und genehmigen uns wieder einmal ein wenig Chinin. Allerdings ohne Gin. Alkoholika sind unverhältnismäßig teuer und für das hiesige Klima auch nicht wirklich empfehlenswert. Zumindest nicht, wenn man noch etwas vorhat an dem Tag. Die Beach-Hut, ein beliebter Treffpunkt der Locals, bietet einen herrlichen Panoramablick auf das Meer, der von Kokosnusspalmen eingerahmt ist. Die Lodge ist umgeben von sattem Grün, den letzten Ausläufern des örtlichen Golf- und Country Clubs. Die Rasenflächen werden gerne von den einheimischen Sippen belagert. Ist ja auch n prima Rasen, und obendrein toller Warteplatz für Reisende. Der Anlegesteg für die Banana Boats liegt direkt vor uns. Das Transportmittel für die Locals, um auf die nächst größere Insel New Ireland zu gelangen. Die Bootstour hinüber zum Hafen Namatanai dauert gute fünf Stunden, und auf den zirka sieben Meter langen Booten wird alles transportiert, was nötig ist. Komplette Betten, Schränke, Satellitenschüsseln, Kisten, Hühner, Schwei- 93
4 94 ne, Obst und Gemüse. Was der Mensch so braucht. Es gibt keinen Fahrplan. Es wird schon ein Boot kommen. Immer nach dem Grundsatz: If you are lucky. Als Dagmar die mit allem Zeugs beladenen Locals am Anlegesteg sieht, wird sie ganz aufgeregt. Erhebt sich aus dem Stuhl, um besser sehen zu können und kriegt plötzlich einen ganz entrückten Blick. Paff! Zeitsprung. Vor zwei Jahren war Dagmar ja schon einmal in PNG. Vier lange Monate ist sie im Land unterwegs gewesen. Oder auf dem Wasser. Genau hier, umgeben von einer ähnlich bepackten Gruppe von Locals, hat sie, zusammen mit ihrem Guide Silas, auf das Banana Boat gewartet. Die Überfahrt nach New Ireland, mit Zwischenstopp auf den Duke s, war schon mehr als abenteuerlich. Zwei handbreit lag das schwer bepackte Boot über dem Wasser und immer wieder musste geschöpft werden. Da fühlt man sich echt ausgeliefert, so mitten auf dem weiten Meer. Wenn ein Sturm aufgekommen wäre, hätten alle ganz schlechte Karten gehabt. Ähnlich abenteuerlich war die anschließende Landreise. Vom Hafen Namatanai, in der Mitte der Insel, bis Kavieng, ganz im Norden, sind es etwa 230 Kilometer. Für die gesamte Strecke haben sie mehrere Tage gebraucht. Dagmar und Silas waren mit Kleinbussen oder LKWs, auf offener Ladefläche zwischen Hühnern und Schweinen, unterwegs. Besonders spannend war die Fahrt mit den Bussen, den PMVs (Public Motor Vehicles). Das sind die in PNG üblichen Sammeltaxen, die für 20 Mitreisende ausgelegt sind, if you are lucky. Gefahren wurde immer bis zur nächsten Tankstelle. Dann wurde Geld gesammelt, um sechs bis neun Liter Benzin zu tanken, und weiter ging die Fahrt bis zur nächsten Tankstelle. Hier wurde wieder getankt, verabschiedeten sich Mitreisende, stiegen neue hinzu und wurde palavert. So etwas zieht sich natürlich hin. Beim dritten oder vierten Stopp wurde Dagmar die ganze Sache zu
5 bunt. Auf eine Tankstellenbesichtigungstour war sie nun wirklich nicht aus. Also schlug sie vor, den Wagen voll zu tanken. Ungläubiges Staunen und unverständnisvolle Blicke waren die Reaktion. So zu fragen, ja so zu denken, kam den Locals überhaupt nicht in den Sinn. Zu sehr ist ihr geografisches Verständnis noch von den Kleinstgrenzen bestimmt, von dem Flickenteppich der unterschiedlichen Clans. Wir»Zivilisierten«nehmen einfach nur weites Land wahr, oder Dschungel und stolze Bergketten, je nachdem. Für die Einheimischen aber besteht dieses Land aus vielen, angrenzenden»hoheitsgebieten«, die oft auch sprachlich und kulturell voneinander getrennt sind. Darüber hinaus ist es eher unüblich, sein eigenes Gebiet zu verlassen. Es sei denn, man beschließt, in der Stadt sein Glück zu versuchen. Fasziniert höre ich Dagmar zu und bekomme Lust, sofort die Sachen zu packen und mit ihr in See zu stechen, einerseits. Andererseits hat mir meine bisherig Zeit in PNG bewusst gemacht, wie sehr ich allein schon den Komfort von fließendem Wasser, kalt oder heiß, je nach Wunsch, zu schätzen weiß. Möglicherweise ein zweifelhafter Komfort, denn mit dem Einzug der Nasszellen in unsere Haushalte, scheint auch die westliche Gesellschaft steriler geworden zu sein. Okay, nicht vielleicht die Schuld der Nasszellen, aber in PNG wird dir auch auf jeden Fall deutlich vor Augen geführt, wie sehr für uns Worte wie»gastfreundschaft«oder»fürsorge«zu sinnentleerten Worthülsen geworden sind. Die Bootsführer der Banana Boats beispielsweise, haben ihren Job nach der Überfahrt keineswegs beendet. Das Boot, mit dem Dagmar unterwegs war, kam erst bei Anbruch der Dunkelheit in New Ireland an. Selbstredend kümmerte sich der Bootsführer um die Passagiere, die noch weiter reisen mussten. Das heißt für eine Nacht waren sie seine Gäste und wurden bei ihm auch verköstigt. Das ist allgemein üblich in PNG. 95
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