Einleitung und Gang der Untersuchung
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- Berndt Egger
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2 Einleitung und Gang der Untersuchung I. Einleitung Europäische Agenturen erfüllen immer mehr Aufgaben und sind ein Bestandteil des Institutionengefüges der Europäischen Union (EU), der nicht mehr wegzudenken ist. Die ersten beiden Agenturen wurden bereits in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts gegründet. 1 In den 1990er Jahren und nach der Jahrtausendwende setzten dann regelrechte Wellen von Agenturgründungen ein, so dass es mittlerweile 31 dieser Einrichtungen gibt. Sie nehmen ein weites Spektrum von Aufgaben wahr, die sich nicht nur inhaltlich, sondern auch hinsichtlich ihrer Rechtswirkungen unterscheiden. Das Aufgabenspektrum reicht beispielsweise von der Gewährung unionsweiten Markenschutzes über den Schutz der Außengrenzen der EU bis zur Förderung der Berufsbildung. Mit der Tätigkeit der europäischen Agenturen entstanden neue Formen des Verwaltungshandelns der Europäischen Gemeinschaft (EG) und nunmehr EU. Einige Agenturen sind selbst zum Erlass verbindlicher Entscheidungen mit Außenwirkung gegenüber Bürgern oder Unternehmen befugt, fungieren also als Verwaltungsbehörden, die in weitgehender Unabhängigkeit von den Unionsorganen agieren. Andere Agenturen arbeiten direkt mit Behörden der Mitgliedstaaten der EU zusammen, um Einsätze oder Inspektionen durchzuführen. Sie sind eine institutionalisierte Kooperation der Verwaltungen auf EU- und auf nationaler Ebene. Wieder andere Agenturen fungieren als Koordinatoren von Netzwerken, um mitgliedstaatenübergreifend Informationen zu sammeln und eine dauerhafte und strukturierte Beteiligung der Zivilgesellschaft zu ermöglichen. Diese neuen Formen des Verwaltungshandelns sind eine Facette der Ausdifferenzierung der EU und ihrer Vorgängerinnen, deren institutionelle Basis sich durch die Gründung zahlreicher Einrichtungen und Kooperationsformen stetig verbreitert und stabilisiert hat. Neben den europäischen Agenturen sind beispielsweise die Gründung des Wirtschafts- und Sozialausschusses im Jahr 1957, der Europäischen Investitionsbank 1958 und des Ausschusses der Regionen Dies waren das Europäische Zentrum für die Förderung der Berufsbildung und die Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen. 19
3 zu nennen. Diese Einrichtungen sind die Folge einer fortschreitenden wirtschaftlichen und politischen Integration, die mit der Zusammenarbeit in der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl begann und im Lauf der Jahrzehnte immer mehr Politikbereiche erreichte. Auch die europäischen Agenturen mit ihrem weiten Tätigkeitsspektrum zeugen von der fortschreitenden Integration und der Ausweitung der Aufgaben der EU. Die Agenturen und die Praxis der Agenturgründungen sind mittlerweile wachsender Kritik ausgesetzt. Die Kritik zielt sowohl auf die Legitimation und Kontrolle der Agenturen als auch auf ihre Effizienz und Transparenz. Zur Rechtsunsicherheit bezüglich der Agenturen und damit zur Kritik trägt bei, dass die Agenturen trotz ihrer zum Teil fast vierzigjährigen Bestehensdauer in den Verträgen kaum erwähnt werden. Von Agentur zu Agentur wurden teilweise unterschiedliche Rechtsgrundlagen mit unterschiedlichen Verfahren herangezogen, die sich auf die Beteiligung der Unionsorgane am Rechtsetzungsverfahren sowie auf die Organisation und den Aufgabenbereich der jeweiligen Agentur auswirken. Bemühungen, das Agenturwesen auf eine einheitliche Rechtsgrundlage zu stellen und auf diese Weise Rechtssicherheit zu schaffen, blieben bislang erfolglos. Eine weitere Ursache der Kritik ist, dass die europäischen Agenturen sich aufgrund ihres Zwecks und ihrer Aufgaben in einem Spannungsfeld befinden: Sollen sie einerseits fachlich unabhängig und frei von politischer Einflussnahme agieren, um den Unionsorganen Expertise zur Verfügung zu stellen, 2 so kann ihre Tätigkeit andererseits aufgrund mittelbarer oder unmittelbarer Außenwirkung durchaus Steuerung und Kontrolle erfordern. Aufgrund dieses Spannungsverhältnisses bestehen unterschiedliche Erwartungen und Anforderungen an die Agenturen, die teilweise nur schwer miteinander in Einklang zu bringen sind. Diese Arbeit analysiert das Spannungsfeld, in dem sich die Agenturen befinden: Die Rechtsstellung der Agenturen und ihre Einbettung in das Institutionengefüge der EU werden untersucht, um Aufschluss über die Unabhängigkeit, Legitimation und Kontrolle der Agenturen zu erhalten. So können eventuelle Schwächen des Agenturwesens in seiner gegenwärtigen Form herausgearbeitet und darauf aufbauend Lösungsansätze und Verbesserungsvorschläge entwickelt werden. Denn angesichts der stetigen Neugründungen 3 und des breiten Tätigkeitsspektrums der Agenturen verlangt die Frage, wie die Rechtsverhältnisse der Agenturen ausgestaltet sein sollten, nach einer Antwort. 2 So z. B. die Europäische Kommission, Europäisches Regieren. Ein Weißbuch, 2001, S Die bislang letzten Agenturen wurden in den Jahren 2009 und 2010 gegründet. 20
4 II. Gang der Untersuchung Ausgangspunkt der Arbeit sind eine Eingrenzung derjenigen Institutionen, die den Untersuchungsgegenstand bilden (Kapitel A.), und eine Bestimmung des Begriffs Unabhängigkeit (Kapitel B.). Es folgen eine kurze Darstellung der Entwicklung des europäischen Agenturwesens sowie eine Bestandsaufnahme und Entwicklung einer Typologie der gegenwärtig bestehenden Agenturen (Kapitel C.). Die Typologie orientiert sich an den Aufgaben, Funktionen und Befugnissen der Agenturen und dient dazu, vergleichbare Agenturen zu gruppieren und einen Rahmen für ihre Analyse zu erhalten. Um die Einordnung der Agenturen in das europäische Institutionengefüge zu ermöglichen, wird anschließend der rechtliche Rahmen der Agenturen untersucht (Kapitel D.). Hierbei sind drei Fragen bedeutsam: Ist die Gründung derartiger, in den Primärverträgen (weitestgehend) nicht vorgesehener Einrichtungen grundsätzlich zulässig? Wenn ja, auf welcher Rechtsgrundlage kann dies geschehen? Und schließlich: Inwieweit ist die Übertragung von Befugnissen auf Agenturen zulässig? Hierbei wird ein besonderes Augenmerk auf die einschlägige Rechtsprechung des EuGH gelegt. Nachfolgend wird die rechtliche Stellung, Unabhängigkeit und Legitimation der Agenturen untersucht. Einleitend wird zu diesem Zweck der Frage nachgegangen, inwieweit eine unabhängige Stellung der Agenturen erforderlich ist (Kapitel E.). Für diese Beurteilung sind insbesondere die mit der Gründung von Agenturen verfolgten Ziele und die ihnen übertragenen Aufgaben von Bedeutung. Anschließend werden die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Tätigkeit der Agenturen und die Rückkopplung an das Europäische Parlament, die Europäische Kommission sowie die Mitgliedstaaten untersucht (Kapitel F.). Diese Analyse ist die Grundlage der weiteren Untersuchung. Denn neben der Frage nach der Unabhängigkeit der Agenturen ist auch die Frage zu beantworten, inwieweit die Agenturen der Legitimation und Kontrolle bedürfen. Zunächst ist zu klären, inwieweit eine Legitimation der Agenturen erforderlich ist (Kapitel G.I.), dann werden Konzepte hergeleitet, wie Legitimation generiert werden kann (Kapitel G.II.). Anhand dieser Konzepte und aufbauend auf der Analyse in Kapitel E. wird die Legitimation der europäischen Agenturen untersucht und einer Bewertung unterzogen (Kapitel G.III. und IV.). Als eine Besonderheit, die sich den erarbeiteten Legitimationskonzepten nicht eindeutig zuordnen lässt, wird im Anschluss die Partizipation der Akteure untersucht, die weder einem der Unionsorgane noch den Mitgliedstaaten angehören (Kapitel G.V.). Um die Möglichkeiten der Kontrolle europäischer Agenturen umfassend beurteilen zu können, wird im Anschluss an die Legitimation der Agenturen ihre Einbettung in das Rechtsschutzsystem des Vertrags über die Arbeitsweise der 21
5 Europäischen Union (AEUV) untersucht. Es erfolgt nicht nur eine Analyse der Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Handlungen von Agenturen, sondern auch ein kurzer Überblick über die Rechtsschutzmöglichkeiten für Agenturen (Kapitel H.I. und II.). Aufbauend auf den Analyseergebnissen der Kapitel E. bis H. werden Vorschläge entwickelt, wie die rechtlichen Regelungen für europäische Agenturen verbessert werden könnten (Kapitel I.). Ziel der Verbesserungsvorschläge ist es, sowohl die Unabhängigkeit der Agenturen zu stärken als auch ihre Rückkopplung an demokratisch legitimierte Entscheidungsträger zu intensivieren. Die Ergebnisse der Untersuchung werden in Thesen zusammengefasst (Kapitel J.) und die Arbeit schließt mit einem Fazit und einem Ausblick auf die weitere Entwicklung des europäischen Agenturwesens (Kapitel K.). 22
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