Michael Buckland Vom Mikrofilm zur Wissensmaschine Emanuel Goldberg zwischen Medientechnik und Politik
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- Margarethe Brodbeck
- vor 8 Jahren
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1 Michael Buckland Vom Mikrofilm zur Wissensmaschine Emanuel Goldberg zwischen Medientechnik und Politik Biografie Aus dem Englischen von Gernot Rieder Bauhaus-Universität Weimar Forschung Visuelle Kultur, Band 1 herausgegeben von Frank Hartmann
2 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Buckland, Michael: Vom Mikrofilm zur Wissensmaschine. Emanuel Goldberg zwischen Medientechnik und Politik. Biografie. Berlin : AVINUS Verl., 2010 ISBN Englischer Originaltitel: Emanuel Goldberg and His Knowledge Machine. Information, Invention, and Political Forces Westport, Connecticut / London : Libraries Unlimited, 2006 Umschlag: Auf Mikrofilm gebannte Dokumente mit den dazugehörigen Indexcodes. (Abbildung aus dem Inhalt) Umschlaggestaltung: Linda Stanke Satz und Layout: Linda Stanke Redaktion: Frank Hartmann AVINUS Verlag, Berlin 2010 Gustav-Adolf-Str Berlin Alle Rechte vorbehalten.
3 Inhalt Vorwort des Herausgebers 7 Vorwort 9 1 Ursprünge 13 2 Universitätsstudium 21 3 Berlin 35 4 Sophie Posniak 47 5 Grafische Künste 55 6 Der Goldberg-Keil 75 7 Der große Krieg 97 8 Ica und die Kinamo Die Goldberg-Bedingung Mikrataufnahmen Zeiss Ikon und die Contax Television Der Kongress Die Statistische Maschine Ludwig, Killinger und Mutschmann Paris Palästina Militärischer Bedarf Der Microfilm Rapid Selector Finale Nach Goldberg Goldberg in Retrospektive 343 Appendix: Goldbergs Laborerzeugnisse 355 Bibliografie Emanuel Goldberg 357 Zitierte Literatur 369
4
5 22 Goldberg in Retrospektive Hoffnung, Erinnerungen oder Reminiszenzen aufzuschreiben, habe ich nicht. Meine Lebenserfahrungen haben mich gelehrt, dass es immer anders kommt, als man aufgrund der Vergangenheit annehmen möchte. Emanuel Goldberg, 1955 Goldberg mochte es, sich selbst als gelernten Chemiker, berufenen Physiker und geborenen Mechaniker zu beschreiben. Seine Angestellten erzählen von seinen vielen Fähigkeiten, die das Bearbeiten von Holz und Metall, das Schleifen von Linsen, verschiedene Verfahren der Fotogravur und das Schneiden von Diamanten umfassten. 1 So sagte etwa Benno Erteshik: Er war ohne Zweifel der beste Handwerker, den ich jemals getroffen habe, und weiter, Er war ein ausgezeichneter Dreher und beherrschte jede andere Fertigkeit, die gerade gebraucht wurde. Shmuel Neumann merkte an, dass Goldberg die einzigartige Fähigkeit hatte, Wissenschaftler und Ingenieur zugleich zu sein, der überdies auch noch zwei rechte Hände besaß. Und diese zwei rechten Hände waren mit außergewöhnlich geschickten Fingern versehen. Er schaffte es, eine Contax-Kamera ohne den Gebrauch einer Pinzette zusammenzubauen. In den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts herrschte großes Interesse für die Möglichkeit, durch den Einsatz wissenschaftlicher Verfahren die Effizienz zu erhöhen ein Ansatz, der als Scientific Management von F. W. Taylor und den Gilbreths populär gemacht worden war. Goldberg teilte deren Interesse, den Aufwand bei der Erfüllung repetitiver Tätigkeiten zu vermindern. Er mochte es, sich als der faulste Mensch auf Erden 1 Die folgenden Zitate entstammen ab 1994 geführten Gesprächen mit den genannten Personen. Weitere Quellen sind Korrespondenzen in GP. 343
6 zu bezeichnen: Man könnte sagen, dass ich so faul bin, dass ich anfangs dazu bereit bin, entsetzlich viel Arbeit zu investieren, um mir in der Folge ein bisschen Arbeitsaufwand zu ersparen. Für die Arbeit an seinen Blendschutz-Vorrichtungen mussten Holzstücke geschliffen werden. Er versammelte die Belegschaft um die Schleifmaschine und bot jedem 10 Pfund, der die Bearbeitungszeit zu halbieren vermochte. Danach zeigte er ihnen eine Technik, die es erlaubte, zwei Holzstücke zugleich zu schleifen. Er war wie Gilbreth, bemerkte Moshe Arad und bezog sich dabei auf Lillian und Frank Gilbreth, die auf dem Gebiet der Zeit- und Bewegungs studien Pionierarbeit geleistet und dabei Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung aufgezeigt hatten. Goldbergs Interesse für Effizienz reflektiert sich ferner in seiner Begeisterung für die Miniaturisierung, wie sie etwa im Falle der Kinamo-Kamera klar ersichtlich wird. Er genoss es auch, Radioapparate umzubauen und zu modifizieren, um sie kompakter zu machen. Allerdings ging es bei Goldberg um mehr als nur um das schlichte Streben nach mehr Effizienz. Goldberg teilte die Leidenschaft für verbesserte Gestaltung von Gebrauchsgegenständen, wie sie in Deutschland durch den Werkbund und das Bauhaus verkörpert wurde. Er war sowohl Designer als auch Erfinder. Gute Gestaltung für praktische Zwecke erfordert ein Verständnis für die Beziehung zwischen Mensch und Maschine. Es ist bezeichnend, dass Goldberg, als er der Universität Leipzig gegenüber seine Dankbarkeit für die Erneuerung seines Doktorats ausdrückte, in seiner Rede nicht nur Wilhelm Ostwald rühmte, sondern auch Wilhelm Wundt erwähnte, der die Physiologie der Wahrnehmung und die Beziehung zwischen den physischen Sinnen und der Psyche erforschte. Goldberg selbst hatte Artikel über die visuelle Wahrnehmung des Menschen publiziert. Im Rahmen seiner Untersuchungen des Moiré-Effekts hatte er die unterschiedlichen Auswirkungen der verschiedenen Farben bemerkt und begonnen, durch Experimente die Differenz zwischen ästhetisch ansprechenden und wissenschaftlich optimalen Tonwertabstufungen zu ergründen. Sowohl die Kinamo-Filmkamera als auch die Contax-Kamera sind außerdem gute Beispiele für eine ergonomische Produktgestaltung. In einem Brief an seinen Enkel Brett schrieb er: Reine Mathematik hat mich nie so gereizt, wie die Physik und besonders die physikalischen Gesetze, denen der menschliche Körper unterliegt, es konnten. In einem anderen Brief schrieb er: Ich habe den Einsatz des Computers als Ersatz für die Gehirnfunktion stets als einen der wichtigsten Fortschritte der kommenden Jahre angesehen. Goldberg verfügte in vielen verschiedenen Fachbereichen über ein gro- 344
7 ßes Allgemeinwissen, darunter beispielsweise Geologie und Zoologie. Er wusste einfach alles, sagte einer seiner Angestellten. Es kann demnach davon ausgegangen werden, dass er über ein gutes Gedächtnis verfügte, auch wenn er gerne das Gegenteil behauptete. Des Öfteren sagte er, dass er Schwierigkeiten habe, sich Dinge einzuprägen, wie etwa die irregulären Verben einer fremden Sprache: Ich habe sehr spät mit dem Sprechen angefangen und die Grammatik war stets eine Tortur. Er überwand diese Schwäche, indem er anfing, sich verstärkt auf seine Intuition und seinen Verstand zu verlassen und so die Fähigkeit entwickelte, Dinge, die er sich nicht merken konnte, sich durch logisches Denken zu erarbeiten. Er schrieb: Schon als Kind hatte ich ein schlechtes Gedächtnis, aber ich half mir durch logisches Denken. Er wurde des Denkens nie müde. Selbst wenn er nicht in der Werkstatt war, beschäftigte er sich mit Entwürfen und etwaigen Verbesserungen. Goldbergs Begabung für Entwicklung neuer Produktkonzepte lässt sich anhand seiner Arbeitsweise, die im Grunde heuristisch und experimentell war, beobachten. Er ging von einem Bedürfnis oder einem vagen Konzept aus und begann dann, an einem ersten Modell zu arbeiten. Gleichermaßen konnte es vorkommen, dass er zunächst eine andere Person mit der Konstruktion einer ersten Vorlage beauftragte und erst später selbst in den Entstehungsprozess eingriff. Erwies sich der Ansatz als brauchbar und das Modell als betriebsfähig, so begann er damit, die Konstruktion schrittweise zu verbessern. Sein handwerkliches Geschick in der Werkstatt ermöglichte ihm das. Shmuel Neummann dazu: Hierin war er in diesem Land im Bereich der Optik einzigartig. Es gab Professoren, die Physik unterrichteten, jedoch gab es keinen, der seine Einfälle auf eine Drechselbank legen und innerhalb von ein oder zwei Tagen in die Tat umsetzten konnte. Er hingegen konnte das, vielleicht nicht immer gleich ein vollständiges Gerät, aber genug, um zu beweisen, dass seine Idee funktionieren würde. Der Traum der Moderne ging über das Streben nach Normen, Effizienz und gutem Design hinaus und schloss die Suche nach verlässlichen Methoden der Informationsgewinnung. Goldberg scheint die Auffassung vertreten zu haben, dass in einer absehbaren Zukunft die Menge an aufgezeichnetem Wissen so stark anwachsen werde, dass es beinahe unmöglich sein würde, damit umzugehen. Diese Herausforderung war der Antrieb für seine Arbeit 345
8 an fortschrittlichen Technologien zur Informationsgewinnung (information retrieval). Er sagte: Ich merke mir keine Formeln, aber ich weiß, wo ich sie finden kann. An Herbert schrieb er einmal: Schnelle Informationen und Problemlösungsansätze waren für mich stets von großem Interesse. Aber ich sehe das Wort Information in einem wesentlich weiteren Sinne, als es der normale Wissenschaftler tut. Goldbergs Leidenschaft für Technik und sein Interesse an der Handhabung von Wissen trafen sich in seiner Begeisterung für Informationstechnologien. Ein ehemaliger Angestellter erinnert sich, dass Goldberg einmal einen optischen Computer voraussagte: Er sagte: Obwohl Computer heute noch mit Elektrizität arbeiten, so ist das doch viel zu langsam. In der Zukunft werden sie mit Licht operieren müssen. Er erklärte uns, wie feinfühlig Computer in Zukunft sein werden. Das war bereits um 1950 und er sagte: Stellen Sie sich einen Raum vor, und ich habe eine Buchseite und bewege sie, wodurch sich auch die Lichtverhältnisse in diesem Raum verändern. Das kann berechnet werden und in der Zukunft werden wir in der Lage sein, es zu berechnen. Goldberg der Lehrer Goldberg war in allem, was er tat, ein Lehrer. Es lag in seinem Wesen, Schüler zu haben und ihnen Sachverhalte zu erklären. Im hohen Alter schrieb er einmal: Von all den verschiedenen Aspekten in meinem Leben habe ich das Unterrichten anderer stets als am befriedigendsten wahrgenommen. Er hatte eine Begabung für das Erklären schwieriger Sachverhalte. Ein früherer Lehrling weiß zu berichten: Aber was zuallererst so verblüffend an ihm war, war seine Art, Dinge zu erklären. Er war ein Genie. Normalerweise wissen Genies nicht, wie man unterrichtet, da sie selbst alles sehr schnell lernen. Er aber hatte eine Begabung dazu. Er erklärte alles so einfach wie möglich. Die Ausstellungsstücke, die er in Leipzig entwickelt hatte, brachten ihm Beifall ein. Sein ganzes Leben lang hörte er nicht auf, Lehr materialien zu sammeln. Goldbergs pragmatische Vorgehensweise bei der Lösung von Problemen beeinflusste seine Lehrtätigkeit in dreierlei Weise: Erstens resultierte seine Begabung, klare Erklärungen geben zu können, aus dem Umstand, dass er sich selbst zuvor durch alle Probleme hindurchgearbeitet 346
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