Warum evidenzbasierte Medizin? Was hat mein Patient und wie kann ich ihm am besten helfen?
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- Kajetan Kaiser
- vor 8 Jahren
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1 NNT und NNH : evidenzbasierte Bewertung von Studien Warum evidenzbasierte Medizin? Curriculum Entwicklungspsychopharmakologie Laura Weninger, MME Gesetzliche Vorgaben Berufspolitisch 137 e, 137 f, 137 g, 266 SGB V Arztbild 2002 Verpflichtung zur Anwendung der Strategien der evidenzbasierten Medizin ( evidenzbasierte Leitlinien ) im Entschließungsantrag des 105. Deutschen Ärztetages taucht mehrfach der Begriff evidenzbasiert auf Was hat mein Patient und wie kann ich ihm am besten helfen? 1
2 Lernziele Nach den folgenden ca. 45 Minuten werden Sie: das Prinzip der evidenzbasierten Medizin erklären können Studien nach Evidenzstufen einordnen können klinisch relevante Maßzahlen berechnen können die Bedeutung der evidenzbasierten Medizin diskutieren können hoffentlich motiviert sein, die Methoden der evidenzbasierten Medizin noch mehr in Ihren klinischen Alltag zu integrieren Beispiel Letzte Woche: Patient mit ADHS und Marijuana-Konsum Klinische Fragestellung Gibt es da nicht was Pflanzliches? Oder als vierteilige Frage: Ist bei einem Patienten mit ADHS und Cannabiskonsum Atomoxetin/ Methylphenidat besser als Placebo geeignet, um die Symptome der ADHS (und den Cannabiskonsum) zu reduzieren? Dschungel des Wissens > biomedizinische Fachzeitschriften > eine Million wissenschaftlicher Artikel weltweit jährlich 2
3 Wie nun bewerten? Wurde eine explizite klinische Fragestellung bearbeitet? Wurde eine gründliche Literatursuche durchgeführt und diese beschrieben? Wurden nur hochwertige Studien in die Übersichtsarbeit aufgenommen? Wie nun bewerten? Wurde die Datenabstraktion aus den Studien unabhängig durchgeführt? Erscheinen die Daten der einzelnen Studien homogen? Sind die wichtigen Eigenschaften der eingeschlossenen Studien beschrieben? Weitere Evidenz? Erfolgte die Zuordnung der Studienteilnehmer durch Randomisation? Ist die Größe der Studienpopulation repräsentativ? Waren die Gruppen zu Beginn der Studie ähnlich? Wurden Ein- und Ausschlusskriterien beschrieben? Waren die Studienteilnehmer gegenüber der Therapie verblindet? Waren die Ärzte gegenüber der Therapie verblindet? Ausreichendes Follow-Up? Wurden alle Studienteilnehmer von der experimentellen Therapie gleich behandelt? Wurden alle Studienteilnehmer in den Gruppen analysiert, in denen sie randomisiert zugeordnet waren (intention-to-treat)? Wurden die primären/sekundären Endpunkte der Studie definiert? Sind Angaben über Nebenwirkungen bei jeder Therapie beschrieben? 3
4 Anwendung auf den Patienten Übertragbarkeit aus den Studien? Verfügbare Therapie? Kosten? Wie behandle ich meinen Patienten? Hinweise auf SSV Substanzkonsumierende Peer-Group Aufklärungsgespräch über die medikamentösen Möglichkeiten und Besprechung der Wünsche des Patienten bzw. dessen Eltern Medikationsversuch mit Atomoxetin Definition Evidence Based Medicine (Sackett et al, 1997) The conscientious, explicit, and judicious use of current best evidence in making decisions about the care of individual patients. The practice of evidence-based medicine means integrating individual clinical expertise with the best available external evidence from systematic research. Lernziele Das können Sie jetzt: das Prinzip der evidenzbasierten Medizin erklären Studien nach Evidenzstufen einordnen klinisch relevante Maßzahlen berechnen die Bedeutung der evidenzbasierten Medizin diskutieren hoffentlich motiviert sein, die Methoden der evidenzbasierten Medizin noch mehr in Ihren klinischen Alltag zu integrieren Klinische Fragestellung Jugendliche Patientin mit Zwangsstörung, medikamentös anbehandelt, wartet auf Psychotherapieplatz Symptomatik bereits rückläufig Die Patientin möchte nun wissen, ob eine Psychotherapie überhaupt noch notwendig ist? 4
5 Erfolgte die Zuordnung der Studienteilnehmer durch Randomisation? Ist die Größe der Studienpopulation repräsentativ? Waren die Gruppen zu Beginn der Studie ähnlich? Wurden Ein- und Ausschlusskriterien beschrieben? Waren die Studienteilnehmer gegenüber der Therapie verblindet? Waren die Ärzte gegenüber der Therapie verblindet? Ausreichendes Follow-Up? Wurden alle Studienteilnehmer abgesehen von der experimentellen Therapie gleich behandelt? Wurden alle Studienteilnehmer in den Gruppen analysiert, in denen sie randomisiert zugeordnet waren (intention-to-treat)? Wurden die primären/sekundären Endpunkte der Studie definiert? Sind Angaben über Nebenwirkungen bei jeder Therapie beschrieben? NNT (Number needed to treat) Die NNT beschreibt die Zahl der Patienten, die behandelt werden müssen, um ein ungünstiges Ereignis zu vermeiden. Oder anders ausgedrückt Die Zahl, wie viele Patienten für einen zusätzlichen Erfolg behandelt werden müssen. Vorteil: sehr gute, praxisnahe Interpretierbarkeit A What is the intervention (dose &frequency)? Medikation + CBT B What is the intervention for? Zwangsstörung bei Kindern und Jugendlichen 5
6 C What is the successful outcome (when, over what time did it occur)? Reduktion des CY-BOCS-Scores um 30% innerhalb von 12 Wochen D How many had the intervention? 42 Kinder und Jugendliche (7-17 Jahre) E How many had successful outcome with the intervention? 29 in der +CBT-Gruppe F Express as a percentage (100 x E/D) 68,6% in der +CBT-Gruppe G What is the control or comparator? nur Medikation +instructions H How many people had the control? nur Medikation 42 + instructions 40 6
7 I How many had successful outcome with the control? 14 in der +instructions-gruppe 13 in der nur Medikationsgruppe J Express as a percentage (100 x I/H) 34,0% in der +instructions-gruppe 30% in der nur Medikationsgruppe NNT (+CBT vs. +instructions) NNT = 100/F-J= 100/ 68,6-34,0=2,89->3 NNT (+CBT vs. nur Medikation) NNT 100/F-J= 100/ 68,6-30,0 =2,59->3 experimentelle Intervention Wie groß ist der Behandlungserfolg? ja Therapieversagen? nein a 13 (31,4%) b 29 (68,6%) a+b=g=42 (alle Pt experimentell) Standardbehandlung c 29 (70%) d 13 (30%) c+d =h=42 (alle Pt Standard) NNT (+instructions vs. nur Medikation) NNT 100/F-J= 34,0-30,0=25 a+b=e=42 b+d=f=42 (Therapieversager) (Therapieerfolge) i=84 (alle Pt) Control Event Rate (CER): Experimental Event Rate (EER): Wahrscheinlichkeit eines Therapieversagens in der Kontrollgruppe = Anzahl der Therapieversager in der Kontrollgruppe/ Anzahl der Therapien in der Kontrollgruppe c/h= 29/42=0,69=69% Wahrscheinlichkeit eines Therapieversagens in der Gruppe mit experimenteller Behandlung = Anzahl der Therapieversager in der experimentellen Gruppe/ Anzahl der Therapien in der experimentellen Gruppe a/g= 13/42=0,31=31% 7
8 Absolute Risk Reduction (ARR): Reduktion des Risikos eines Therapieversagens der experimentellen Behandlung insgesamt: Relative Risk Reduction (RRR): Reduktion des Risikos eines Therapieversagens der experimentellen Behandlung im Verhältnis zur Kontrollgruppe: CER- EER= 0,69-0,31=0,38=38% ARR/CER= 0,38/0,69=0,55=55% Number Needed to Harm (NNH) Number Needed to Treat (NNT): Anzahl der Patienten, die man mit der experimentellen Therapie behandeln muss, um einen zusätzlichen Behandlungserfolg zu erzielen: 1/ ARR= 1/0,38=2,63=3 Gleiche Berechnung wie NNT nur bezogen auf unerwünschte Wirkungen Wie viele Patienten können behandelt werden bis eine Nebenwirkung auftritt? NNH NNH Medikamentenassoziierte Nebenwirkungen: +CBT-Gruppe=50% +instructions-gruppe=35% nur Medikation-Gruppe=48% ARI (absolute risk increase)= Auftreten des unerwünschten Ereignisses in der experimentellen Gruppe - Auftreten des unerwünschten Ereignisses in der Kontrollgruppe) NNH = 1/ARI x 100 8
9 NNH 50%-48%=2% NNH=1/2=0,5x100=50 -> pro 50 behandelten Patienten erleidet ein zusätzlicher eine medikamentenassoziierte Nebenwirkung Was empfehle ich meiner Patientin? Eine kognitive Verhaltenstherapie lohnt sich auch nach Beginn einer Medikation. ARI=48%-35%=13 NNH=1/13=0,07x100=7 Auf was man bei der NNT achten sollte NNT ist genauso wie jede andere empirische Maßzahl ein Schätzer mit einer mehr oder weniger ausgeprägten Ungenauigkeit ->Konfidenzintervall Mindestvoraussetzung ist ein signifikant-positives Studienergebnis. NNT muss als beschreibende Statistik einer konkreten Studie aufgefasst werden. Sie ist keine fixe Maßzahl eines Therapieverfahrens! (da stark von den konkreten Studienbedingungen abhängig, insbesondere vom Basisrisiko in der Kontrollgruppe) Die fünf Schritte der Evidenzbasierten Medizin 1. Schritt: Stellen von beantwortbaren Fragen 2. Schritt: Suche nach externer Evidenz 3. Schritt: Bewerten der externen Evidenz 4. Schritt: Anwendung auf den Patienten 5. Schritt: Evaluation der eigenen Leistung Die NNT. was man beachten sollte Prof. Dr. Jürgen Windeler, Essen, BDI aktuell Validität randomisiert kontrollierter Studien: Randomisation Repräsentative Studienpopulation/ Ähnlichkeit der Gruppen Ein-/ Ausschlusskriterien Verblindung follow-up gleiche Behandlung beider Gruppen intention-to-treat primärer/sekundärer Endpunkt Nebenwirkungen (sind diese angegeben) Control Event Rate (CER): Experimental Event Rate (EER): Wahrscheinlichkeit eines Therapieversagens in der Kontrollgruppe Wahrscheinlichkeit eines Therapieversagens in der Gruppe mit experimenteller Behandlung Absolute Risk Reduction (ARR): Reduktion des Risikos eines Therapieversagens der experimentellen Behandlung insgesamt: CER- EER Relative Risk Reduction (RRR): Number Needed to Treat (NNT): Reduktion des Risikos eines Therapieversagens der experimentellen Behandlung im Verhältnis zur Kontrollgruppe: ARR/CER Anzahl der Patienten, die man mit der experimentellen Therapie behandeln muss, um einen zusätzlichen Behandlungserfolg zu erzielen: 1/ ARR 9
10 Interessante Internetseiten us.html Lernziele Das können Sie jetzt: das Prinzip der evidenzbasierten Medizin erklären Studien nach Evidenzstufen einordnen klinisch relevante Maßzahlen berechnen die Bedeutung der evidenzbasierten Medizin diskutieren Sie sind motiviert, die Methoden der evidenzbasierten Medizin noch mehr in Ihren klinischen Alltag zu integrieren Evidence Based Medicine- what it is and what it isn t Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Sackett DL, Rosenberg WM, Gray JA, Haynes RB, Richardson WS: Evidence based medicine: what it is and what it isn`t. BMJ 1996;312(7023):71-2. What it is: individuelle klinische Expertise= das Können und die Urteilskraft, die Ärzte durch ihre Erfahrung und klinische Praxis erwerben externe Evidenz= klinisch relevante Forschung Kontakt: laura.weninger@uni-ulm.de Evidence Based Medicine- what it is and what it isn t Evidence Based Medicine- what it is and what it isn t What it isn t: Kochbuchmedizin! Gute Ärzte nutzen sowohl klinische Expertise als auch die beste verfügbare externe Evidenz. What it is: Ärzte, die EBM praktizieren, werden die effektivsten Verfahren identifizieren und anwenden, um die Lebensqualität und -dauer der Patienten zu maximieren. What it isn t: Mittel zur Reduktion der Kosten der Krankenversorgung 10
11 Evidence Based Medicine- what it is and what it isn t What it is: Suche nach der jeweils besten wissenschaftlichen Evidenz zur Beantwortung der klinischen Fragestellung What it isn t: keine Begrenzung auf randomisierte, kontrollierte Studien und Metaanalysen Überprüfung, ob Studien mit einer hohen internen Validität (z.b. Kontrollgruppenstudien) als auch Studien mit einer hohen externen Validität (z.b. Anwendungsbeobachtungen) vorliegen und zu prinzipiell gleichlautenden Ergebnissen führen (Möller&Maier, 2007) 11
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