Worauf ist aus Kindessicht bei Obsorgeentscheidungen zu achten?
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- Heinrich Kneller
- vor 8 Jahren
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1 Judit Barth-Richtarz Worauf ist aus Kindessicht bei Obsorgeentscheidungen zu achten? Fachtagung Das neue Familienrecht 2013
2 1. Wie können förderliche Haltungen bei Eltern erzeugt oder befördert werden, wenn sie nicht von vornherein vorhanden sind? 2. Wie kommen wir von diesen Entwicklungsbedürfnissen der Kinder zu einer für sie förderlichen Obsorgeentscheidung?
3 Wie kommen wir von diesen Entwicklungsbedürfnissen der Kinder zu einer für sie förderlichen Obsorgeentscheidung?
4 Evaluationsstudie zum KindRÄG 2001: Eltern-Kind-Untersuchung: Arbeitsgemeinschaft psychoanalytische Pädagogik (APP): Wissenschaftl. Leitung: Univ.-Doz. Dr. Figdor, operative Leitung: Dr. Judit Barth-Richtarz Zentrale Fragestellungen: 1. Wie wird das Modell der ObE von betroffenen Eltern angenommen? (Ausmaß war völlig unbekannt!) 2. Welche Auswirkungen hat die Beibehaltung der ObE trotz Scheidung auf die Familien - im Vergleich zur ao eines Elternteils?
5 Wichtigste Ergebnisse der Studie (Barth-Richtarz, J. 2012: Gemeinsame Elternschaft nach der Scheidung) 1. Modell der ObE wurde gut angenommen: Etwa drei Jahre nach der gesetzlichen Einführung betrug der Anteil an ObE 53,7% 2. Es zeigten sich bedeutsame Auswirkungen der ObE auf die Entwicklungsbedingungen von Kindern: Bei ObE: intensivere Beziehung des Kinder zum getrennt lebenden Eltern (zeitlich, Erziehungsverantwortung) Kontaktabbruchsrate 10mal niedriger stärkere Beruhigung der Konflikte der Eltern (z.b. weniger Konflikte um Kontakte, haupts. Aufenthalt, Kindes-, Ehegattenunterhalt) > ObE führt (durchschnittlich) zu günstigeren Entwicklungsbedingungen für Kinder
6 These: ObE ist ein gutes Modell für relativ konfliktarme Eltern, die miteinander kooperieren können. Empirische Daten sprechen eine andere Sprache: 54% aller Eltern haben ObE gewählt (keine Sondergruppe)
7 Auswirkungen der Obsorgeform bei Eltern mit niedrigem hohen sehr hohem Konfliktniveau (Quelle: Barth-Richtarz, J. 2012: Gemeinsame Elternschaft nach der Scheidung) Konfliktniveau der Eltern Verbesserung des Beziehungsklimas Ausmaß an Kontakten niedrig (20%) mittel hoch (65%) sehr hoch (15%) kein sign. Unterschied zw. ObE ao 60%+, 15%- sign. stärker bei ObE ObE: 60+, 20%- ao: 50%+, 25%- kein sign. Unterschied zw. ObE ao 45%+, 28%- > Gegen These: ao führe zu Beruhigung kein sign. Unterschied zw. ObE ao sign. mehr bei ObE Kontaktabbruch: ObE: 1%, ao:6% sign. mehr bei ObE Kontaktabbruch: ObE: 1,4%, ao:20%
8 These: ObE ist ein gutes Modell für relativ konfliktarme Eltern, die miteinander kooperieren können. Nein: Auswertungen haben gezeigt, dass gerade bei der großen Gruppe der konflikthaften Eltern (in der Mitte der Verteilung) die Beibehaltung der ObE eher zur Beruhigung der Konflikte führt als die ao. Wie ist dieses Ergebnis zu erklären? Quelle: Barth-Richtarz, J. 2012: Gemeinsame Elternschaft nach der Scheidung
9 Wie lässt sich die deeskalierende Wirkung der ObE erklären? (Quelle: Barth-Richtarz, J. 2012: Gemeinsame Elternschaft nach der Scheidung) ObE verhindert Gefühle der Kränkung, des Verlustes durch Obsorgeentscheidung Symbolische Funktion der ObE verbrieft die Elternschaft/ Verantwortung/ Unersetzlichkeit beider Eltern > normative Funktion führt zu einer gleichmäßigeren Verteilung der Zufriedenheit lindert Ängste v.a. der getrennt lebenden Elternteile
10 ObE nur, wenn beide Eltern wollen? 30 % der hauptbetreuenden und 5% der getrennt lebenden Eltern mit ObE: ObE war nicht ein eigener Wunsch (sondern des Expartners, Vorschlag) Dennoch: Entscheidung wird als richtig beurteilt, eher Beruhigung der elterlichen Konflikte als im Fall der nicht von vornherein gewünschten ao. Von Eltern genannte Gründe für Antrag auf Alleinobsorge: Weil ich mich bisher schon hauptsächlich um die Kinder gekümmert habe. Kaum genannt: schlechter Einfluss des anderen, Gewalt in Beziehung der Eltern, Angst vor Entführung > Bedingungen, bei denen die ObE kontraindiziert wäre) Quelle: Barth-Richtarz, J. 2012: Gemeinsame Elternschaft nach der Scheidung
11 Kann gemeinsame Elternschaft trotz Scheidung verordnet werden? Bis zu einem gewissen Grad: ja Auswertungen haben gezeigt, dass weder ein niedriges Konfliktniveau der Eltern noch ein von beiden Eltern von vornherein bestehender Wunsch nach der Beibehaltung der ObE unabdingbare Voraussetzungen für das Zustandekommen und Gelingen der ObE nach der Scheidung sind Positive Auswirkungen durch ObE auf Entwicklungsbedingungen der Kinder sind bei deutlich mehr Familien zu erwarten als sich freiwillig dafür entscheiden würden (Vgl. Deutschland) Titel der gemeinsamen Obsorge hat eine wichtige normative Funktion > stärkt innere Bestrebungen, die auf das Gemeinsame zielen, erschwert Regression ( Man kann seine Elternschaft nicht ablegen. )
12 Beurteilung der neuen Rechtslage Abrücken vom Grundsatz, dass ein (von vornherein bestehendes) Einvernehmen der Eltern über die Beibehaltung der ObE in jedem Fall eine Grundvoraussetzung für die Beibehaltung der ObE (weil Indikator für Gelingen) ist, ist aus wissenschaftlicher Sicht ein richtiger Schritt. ObE kann von einem Elternteil allein beantragt werden, ob sie dem Kindeswohl entspricht, kann überprüft werden Kooperationsfähigkeit wird nicht von vornherein erwartet, sondern auf (Wiedererlangung) der Kooperationsfähigkeit kann/soll hingewirkt werden (Mittel des 107 AußStrG) Rechtsprechung: Paradigmenwechsel beobachtbar: OGH-Entscheidung: ObE soll (eher) der Regelfall sein, ObE darf nicht dadurch verhindert werden, dass ein Elternteil eine gemeinsame Gesprächsbasis nicht aufkommen lässt (OGH ,6Ob41/13t)
13 Wie können förderliche Haltungen bei Eltern erzeugt oder befördert werden, wenn sie nicht von vornherein vorhanden sind?
14 Beratung von Scheidungseltern Krise der Eltern Erwartungen, Ängste bzgl. Zukunft Wünsche Einstellungen, Haltungen bzgl. der Gestaltung der Elternschaft (förderlich ungünstig) ENTKOPPELUNG der Entscheidungen von zugrunde liegenden emotionalen Motiven: verstehen entlasten reflektieren ABWEHR AUF- KLÄRUNG UNWIRKSAM Gestaltung der Obsorge, Besuchsrecht: weniger Ergebnis rationaler Überlegungen als dass sie wichtige (momentane) emotionale Bedürfnisse erfüllen, die für das seelische Gleichgewicht der Eltern bedeutsam sind Lebenssituation des Kindes
15 Betreuungsmodelle im Rahmen der ObE Modell Nestmodell Wechselmodell (Zwei-Nester- Modell) Erweitertes Wochenendmodell Nest-Ast-Modell Charakteristika Beide Elternteile sind fix in die Alltagsbetreuung des Kindes eingebunden. Sie betreuen das Kind abwechselnd im selben (nämlich im mütterlichen) Haushalt. Beide Elternteile sind fix in die Alltagsbetreuung des Kindes eingebunden. Sie betreuen das Kind abwechselnd in den beiden Haushalten der Eltern. Die Aufenthalte des Kindes beim getrennt lebenden Elternteil sind quantitativ tendenziell weniger als bei den beiden vorangegangenen Modellen und haben eher Freizeit - bzw Besuchscharakter, da sie vorwiegend am Wochenende stattfinden. Neben den fixen Besuchswochenenden sind flexibel gestaltete zusätzliche Kontakte zwischen dem Kind und dem getrennt lebenden Elternteil möglich. Die Kinder bzw Jugendlichen leben bei einem Elternteil, besuchen den anderen aber ganz flexibel und weitgehend autonom. Anzahl der Kinder in Untersuchungsgruppe Zwei Kinder aus zwei Familien Vier Kinder aus vier Familien Acht Kinder aus sieben Familien Acht Kinder aus vier Familien
16 Ergebnis der Tiefeninterviews mit Eltern mit ObE Typisches Entscheidungsmuster: Alltagsentscheidungen (unmittelbar zu treffen, wenig weitreichend): trifft derjenige Elternteil, bei dem sich das Kind gerade aufhält, ohne mit dem anderen Rücksprache zu halten Aufgabenteilungen zwischen den Eltern: inhaltlicher Natur, d.h. dass ein Elternteil jeweils hauptsächlich für bestimmte Aufgaben zuständig ist oder eine organisatorische Aufteilung, die darin besteht, dass ein Elternteil (in jedem untersuchten Fall war es die Mutter, bei der die Kinder ihren hauptsächlichen Aufenthalt hatten) gleichsam die Übersicht über zu erledigende Dinge hat und den anderen Elternteil (den Vater) zur Durchführung heranzieht Weitreichendere oder grundlegende Entscheidungen (Schul- oder Kindergartenauswahl): beide Eltern gemeinsam
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