Atelier de la Concurrence Grundlagenpapier
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- Minna Klein
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1 I Atelier de la Concurrence Grundlagenpapier 5 Jahre modernes Kartellrecht Was ist erreicht? Was bleibt zu tun? Aus dem Inhalt Die Kartellgesetzrevision von 2004 Direkte Sanktionen Bonusregelung Vertikalabreden Internationale Entwicklungen Die Revision 2011/12
2 Die Kartellgesetzrevision von 2004: Was ist erreicht? Was bleibt zu tun? Das 2004 modernisierte Kartellrecht ist noch relativ jung. Nach 5 Jahren kann indes eine Zwischenbilanz gezogen werden: Gibt es in der Schweiz heute mehr Wettbewerb und Innovation? Sind die Preise gesunken? Reichen Millionenbussen gegen illegale Preispraktiken aus oder schrecken nur Gefängnisstrafen genügend ab? Drängt sich eine erneute Kartellrechtsrevision auf? 1 Ausgangslage Das erste Kartellgesetz der Schweiz aus dem Jahre 1962 enthielt aus heutiger Sicht betrachtet zahlreiche Mängel: Die wettbewerbsrechtliche Würdigung erfolgte nicht ausschliesslich nach volkswirtschaftlichen Effizienzüberlegungen, swondern auch nach politischen Gesichtspunkten. Die Wettbewerbsbehörde selbst verfügte über keine tauglichen Mittel, eine Wettbewerbspolitik am Markt durchzusetzen. Mit dem Inkrafttreten des neuen Kartellgesetzes im Jahre 1996 sowie der Revision im Jahre 2004 schuf die Schweiz erstmals ein internationalen 2.1 Direkte Sanktionen Die Möglichkeit der Weko, Geldbussen bei einem erstmaligen Verstoss gegen das Kartellgesetz zu verhängen (Art. 49a Abs. 1 KG), war aus internationaler Sicht gesehen überfällig. Die Busse kann bis zu 10% des in den letzten drei Geschäftsjahren erzielten Umsatzes betragen. Diese abstrakte Bussendrohung ist im europäischen Vergleich eher hoch. Demgegenüber hat sich gezeigt, dass die Weko seit 2004 in der Praxis eine eher milde Bussenpraxis pflegt, die sich am tatsächlichen Kartellgewinn orientiert. Standards genügendes Wettbewerbsrecht (2.). Allerdings gehen die internationalen Entwicklungen weiter (3.), welche durchaus eine neuerliche Kartellrechtsrevision beeinflussen könnten (4.). 2 KG-Revision 2004 Die Revision von 2004 ermöglichte der Wettbewerbskommission (Weko), Verstösse gegen das Kartellgesetz direkt zu sanktionieren (2.1). Zudem wurde eine Bonusregelung (2.2) und eine verschärfte Kontrolle von Vertikalabreden (2.3) eingeführt. Angesichts der hohen finanziellen Strafen haben seitdem zahlreiche Unternehmen Compliance-Programme eingeführt. 2.2 Bonusregelung Eine Bonusregelung ist seit mehreren Jahren in den Gesetzen der Nachbarländer und den USA verankert und wird mit Erfolg angewendet. Die Kronzeugenregelung (bzw. das Bonusprogramm) weist folgende Merkmale auf: Werden unzulässige Wettbewerbsbeschrän- 1
3 kungen von einem der beteiligten Unternehmen selbst angezeigt, so kann die Weko von einer Busse absehen oder diese vermindern. Es gilt das Motto: first come, frist served! Nur der erste Anzeiger kann von einer kompletten Strafbefreiung profitieren. Die Schweizer Bonusregelung kennt als eine der wenigen Länder neben den USA auch ein Amnesty+ -Programm: Danach kann auch ein Unternehmen, das nicht die erste Selbstanzeige für das fragliche Kartell ( erstes Kartell ) einreicht, in den Genuss einer erheblichen Straferleichterung kommen (bis zu 80%), wenn es ein weiteres Kartell ( zweites Kartell ) aufdeckt. Im Unterschied zum Bundesrat ging das Parlament einen Schritt weiter und setzte auch Vertikalabreden unter Sanktionsandrohung. Vertikalabreden sind Vereinbarungen zwischen Unternehmen unterschiedlicher Marktstufen. Das Schädlichkeitspotential solcher Abreden, welche den sog. Intrabrand-Wettbewerb tangieren, wird von Ökonomen und Juristen unterschiedlich beurteilt. Im Schweizer Kartellgesetz werden nur zwei Typen faktisch verboten: Preisbindungen zweiter Hand sowie der absolute Gebietsschutz (d.h. die Unterbindung von Parallel- und Direktimporten). Ob und inwieweit die Bonusregelung in der Schweizer Praxis zur Anwendung kommt, ist nicht bekannt. Vermutungsweise gab es in den letzten Jahren im Schnitt ca. zwei Selbstanzeigen pro Jahr. Davon zu unterscheiden ist der Whistleblower, der ausserhalb des Kartells steht und die Weko mit Insider -Informationen über das Kartell versorgt. Dieser Person kann die Weko Anonymität garantieren. 3 Internationale Entwicklungen 2.3 Vertikalabreden Marktabschottende Vertikalabreden werden von einem Teil der Öffentlichkeit und Politik für das Phänomen Hochpreisinsel Schweiz mitverantwortlich gemacht wollte der Bundesrat lediglich horizontale Preis-, Mengen- und Gebietsabreden unter Geldbusse stellen. Horizontale Abreden sind Vereinbarungen zwischen Unternehmen gleicher Marktstufe. Solche Abreden, welche den sog. Interbrand-Wettbewerb tangieren, gelten unter Ökonomen und Juristen unbestrittenermassen als schädlich. Eine Rechtfertigung solcher Abreden dürfte nur in den seltensten Ausnahmefällen möglich sein. 3.1 USA Die wichtigsten Rechtsgrundlagen im US-amerikanischen Kartellrecht sind der Shermann Act, der Clayton Act sowie der Federal Trade Commission Act. Das US-Wettbewerbsrecht weist einige Parallelen zum Schweizer Kartellrecht auf. Das Leniency-Program sieht ähnlich der Bonusregelung im Schweizer Kartellrecht Straffreiheit für eine Unternehmung oder eine Person vor, wenn diese bei der Aufdeckung von illegalen Wettbewerbsbeschränkungen mit der Regierung zusammenarbeitet. Bei (erstmaligen) Verstössen gegen das 2
4 Wettbewerbsrecht können Bussen von bis zu USD verhängt werden. Die Unterschiede des US Wettbewerbsrechts zum schweizerischen KG sind indes nach wie vor beträchtlich, vor allem unter dem Gesichtspunkt der Prävention. Im Gegensatz zum schweizerischen Kartellrecht können in den USA auch einzelne Manager oder Mitarbeitende strafrechtlich verfolgt werden. Das US-Kartellrecht kennt im Gegensatz zum schweizerischen Kartellrecht die Möglichkeit zur Entflechtung von marktbeherrschenden Unternehmen. maximal 10% des im vorausgegangenen Geschäftsjahres erzielten Gesamtumsatzes verhängen. Die EU-Kommission verfügt darüber hinaus über zusätzliche Interventionsmöglichkeiten: Die EU-Kommission kann sog. Zwangsgelder verhängen, um die Durchsetzung der von ihr angeordneten Massnahmen zu erzwingen. Diese können maximal 5% des im vorausgegangenen Geschäftsjahres erzielten durchschnittlichen Tagesumsatzes betragen. Die EU-Kommission kann dies im Unterscheid zum US- und zum Schweizer Recht auch sog. staatliche Beihilfen untersuchen und verbieten. 4 Die Revision 2011/12 Der Bundesrat hat Ende 2011 die Eckwerte einer Kartellgesetzrevision festgelegt und am 22. Februar 2012 die Botschaft verabschiedet sowie dem Parlament zur Genehmigung unterbreitet. 3.2 EU Die massgeblichen Bestimmungen im europäischen Wettbewerbsrecht sind Art. 101 und 102 AEUV sowie die Verordnungen Nr. 1/2003 und 139/2004. Die Übereinstimmung des schweizerischen KG mit dem EU-Wettbewerbsrecht ist grösser als mit dem US-Wettbewerbsrecht: Art. 101 AEUV verbietet gleichermassen die schädlichsten Arten von horizontalen und vertikalen Abreden (EU-System: Verbot mit Legalausnahmen). Bei einem Verstoss gegen Art. 101 ( Wettbewerbsabreden ) oder Art. 102 ( Marktmachtmissbrauch ) AEUV kann die EU-Kommission gemäss Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 Geldbussen in der Höhe von Der Bundesrat will grundsätzlich von einer strafrechtlichen Verfolgung natürlicher Personen bei Kartellverstössen absehen. Aufgrund der Motion Schweiger (Ständerat, FDP, vom 20. Dezember 2007) muss die Regierung dem Parlament (gegen ihren Willen) aufzeigen, wie eine derartige Kriminalisierung erfolgen könnte. Der Bundesrat hält dabei an seiner ablehnenden Haltung fest. Neben einem Teilkartellverbot mit Rechtfertigungsmöglichkeit (Art. 5 KG) soll das schweizerische Kartellrecht unter anderem in folgenden Punkten angepasst werden: 4.1 Fusionskontrolle Die Kriterien, wonach Zusammenschlüsse beurteilt werden, sollen geändert werden. Derzeit kann ein Unternehmenszusammen- 3
5 schluss nur dann verboten werden, wenn dadurch eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt wird, durch die wirksamer Wettbewerb beseitigt werden kann (Art. 9/10 KG). Neu soll dieser Marktbeherrschungstest durch den in der EU und seinen Mitgliedstaaten üblichen SIEC-Test ( Significant Impediment to Effective Competition ) ersetzt werden. Zusammenschlüsse können untersagt oder mit Auflagen und Bedingungen belegt werden, wenn sie zu einer erheblichen Behinderung des Wettbewerbs führen, welche nicht durch Effizienzgewinne kompensiert wird. 4.2 Sanktionsreduktionsgrund Compliance-Programme Wenn eine Unternehmung darlegen kann, dass sie ein wirksames Compliance-Programm zur Verhinderung kartellrechtlicher Verstösse implementiert hat, soll dies mit einer Sanktionsminderung honoriert werden. Anzumerken ist, dass die Wettbewerbsbehörden diesen Vorschlag kritisch beurteilen. Wird ein Compliance-Programm in einem Unternehmen professionell und nachhaltig umgesetzt, ist eine fahrlässige Beteiligung an einem umfassenden Kartell a priori unmöglich. 4.3 Institutionenreform Die Wettbewerbsbehörden sollen grundlegend reorganisiert werden und unter Beachtung von Verfahrensgarantien bei Untersuchungen unzulässiger Wettbewerbsbeschränkungen ähnlich dem Modell der Strafverfolgungsbehörden aufgebaut sein: Aktuell handelt die Weko als Entscheid- und das Sekretariat der Wettbewerbskommission als Untersuchungsbehörde. Neu sollen die beiden Funktionen stärker getrennt werden: (i) Eine rechtlich selbstständige Untersuchungsbehörde soll die Untersuchungen von Wettbewerbsbeschränkungen führen. (ii) Urteilende Instanz bei unzulässigen Wettbewerbsabreden und Marktmachtmissbrauch soll neu eine Kammer für Wettbewerbsrecht am Bundesverwaltungsgericht sein. 5 Zusammenfassung Es lässt sich unschwer erkennen, dass sich das Kartellrecht im Wandel befindet. Mit der Teilrevision von 2004 wurde das Schweizer Kartellrecht demjenigen der EU angenähert: Die direkte Sanktionsmöglichkeit (Bussgelder) wurde eingeführt. Eine Bonusregelung (Kronzeugenregelung) wurde implementiert. Die schädlichsten Vertikalabreden wurden unter Strafdrohung gestellt. Auch die Revisionsbestrebungen 2011/12 zeigen, dass sich das schweizerische Kartellrecht in Einzelpunkten weiter dem EU- bzw. US-Kartellrecht annähert. Dies gilt namentlich für erleichterte Interventionsmöglichkeiten bei der Fusionskontrolle durch Einführung des SIEC- Tests. Quellenverzeichnis Literatur Amstutz Marc/Reinert Mani, Das Kartellgesetz ist kein Mittel gegen den starken Franken, in: Neue Zürcher Zeitung vom 19. Oktober 2011, S. 30. Borer Jürg, Kartellgesetz, 3. Auflage, Zürich Gallmann Robert/Gersbach Andreas, Repetitorium Wettbewerbsrecht, Zürich Heine Günter/Roth Robert, Kartellrechts- 4
6 revision 2010: Rechtsgutachten zu Fragen der Sanktionierung von natürlichen Personen und Unternehmens; Rechtsgutachten im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft, Hemmer Adrian/Zäch Roger, Die Kartellgesetzrevision 2003 jetzt gilt s ernst!, Seminar vom 12. Mai Lehne Jens, in: Amstutz Marc/Reinert Mani (Hrsg.), Basler Kommentar zum Kartellgesetz, Art. 1 KG, Basel Schmidhauser Bruno, in: Homburger Eric/ Schmidhauser Bruno/Hoffet Franz/Ducrey Patrik, Kommentar zum schweizerischen Kartellgesetz, Zürich Weber Rolf H./Vlcek Michael, Kartellrecht: Entwicklungen 2010, Bern Zäch Roger, Schweizerisches Kartellgesetz, 2. Auflage, Bern Zäch Roger (Hrsg.), Schweizerisches Kartellrecht an Wendepunkten?, Zürich/St. Gallen Zurkinden Philipp, Schweizerisches Kartellrecht : das schweizerische Kartellrecht in der Praxis, Bern Zurkinden Philipp, Kurzinformation zum neuen schweizerischen Kartellgesetz, Bern 2004, abrufbar unter: ch/fileadmin/webfolder/themen_positionen/ Neues_Wettbewerbsrecht/Kartellgesetz_ Kurzfassung_d.pdfbesucht am Materialien Botschaft über die Änderung des Kartellgesetzes vom 7. November 2001, BBl November Bericht über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens zur Teilrevision des Kartellgesetzes vom 30. Juni 2010, abrufbar unter: besucht am 15. November Bericht über die Ergebnisse des zweiten Vernehmlassungsverfahrens zur Teilrevision des Kartellgesetzes vom 30. März 2011, abrufbar unter: admin.ch/nsbsubscriber/message/attachments/24869.pdf, besucht am 15. November Evaluationsgruppe Kartellgesetz, Synthesebericht der KG-Evaluation gemäss Art. 59a KG, Bern, 2008, abrufbar unter: evd.admin.ch/themen/00129/00181/01151/ index.html?unterseite=52e7c3aeacba40edc2b74442d918810e&lang=de, besucht am 15. November Daten zu den Sanktionen der Weko, abrufbar unter: dokumentation/00158/index.html?lang=de, besucht am 13. Februar Daten zu Sanktionen des US Department of Justice , abrufbar unter: besucht am 13. Februar Daten zu den Sanktionen der European Commission for Competition, abrufbar unter: overview/index_en.html, Statistics, besucht am 13. Februar 2012 Bundesrat stellt Weichen für Verschärfung des Kartellgesetzes, abrufbar unter: www. evd.admin.ch/aktuell/00120/index.html?lang=de&msg-id=42256, besucht am 15. 5
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