Leichtsinn. 45 DUPRET, X., 22. August 2012, Et si nous laissions les banques faire faillite?,
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- Regina Weiß
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1 Leichtsinn Sich verschulden, um den Gewinn zu maximieren! So lautet der Grundsatz zahlreicher europäischer Banken. Denn durch kurzfristige Kreditaufnahme an den Finanzmärkten können die Banken ihre spekulativen Tätigkeiten zu sehr niedrigen Kosten finanzieren. Solange der billige Kredit reichlich fließt, sichert diese Strategie den Banken stete Gewinne aber wehe, der Kreditstrom reißt plötzlich ab Ein Leben auf Pump Vielen Banken sind die Spareinlagen ihrer Kunden nicht genug, um ihr Kredit- und Finanzmarktgeschäft zu finanzieren. Um Privatpersonen und Unternehmen mehr Kredite aufschwatzen oder noch spekulativere Finanzwetten eingehen zu können, schrecken Finanzinstitute auch nicht davor zurück, sich bei anderen Banken (über den Interbankenmarkt*) oder Investoren (über den Geldmarkt* oder Anleihemarkt*) massiv zu verschulden. Ein Großteil dieser Darlehen hat eine sehr kurze Laufzeit, die geliehenen Summen müssen innerhalb einer Frist zurückgezahlt werden, die manchmal weniger als 24 Stunden beträgt! Daher sind die Banken auch dauernd damit beschäftigt, fällig werdende Schulden durch neue Kredite zu ersetzen. Durch den Griff in die Trickkiste der Verschuldung versuchen die Banken, aus ihrem begrenzten Startkapital (Eigenkapital*) den maximalen Gewinn herauszuholen im Wirtschaftsjargon heißt dieser Vorgang Hebelwirkung*. Damit sich das Wirtschaften mit der Brechstange lohnt, müssen die Banken allerdings Finanztransaktionen eingehen, deren Rentabilität (und Risiko) deutlich höher ist als der Zinssatz, den sie für das geliehene Geld zu zahlen haben. 45 Eine solch hochriskante Finanzierungsstrategie verfolgte zum Beispiel die seit Juli 2007 zur Hypo Real Estate (HRE) gehörende Depfa Bank plc. Das Geschäftsmodell der irischen Banktochter beruhte im Wesentlichen darauf, auf den Märkten kurzfristig Geld zu sehr niedrigen Zinssätzen auszuleihen, um es dann langfristig zu höheren Zinsen an den öffentlichen Sektor weiterzuverleihen. Damit verstieß die Depfa gegen die goldene Bankregel, wonach langfristige Ausleihungen auch mit einer langfristigen Mittelaufnahme abgesichert werden müssen. In normalen Zeiten führt das nicht unbedingt zu Problemen. Schwierigkeiten gibt es aber, wenn die kurzfristigen Zinsen abrupt steigen oder plötzlich keine Mittel zur Refinanzierung bereitstehen. Mit dem Konkurs von Lehman Brothers am 15. September 2008 kollabierte das gesamte Finanzsystem, die Risikoprämien auf dem Geldmarkt schossen in die Höhe. Der Rest der Geschichte ist bekannt: Die Depfa bekam am Interbankenmarkt kein Geld mehr, um ausgelaufene Kredite abzulösen und in der Folge musste für die Konzernmutter HRE ein milliardenschweres Rettungspaket geschnürt werden. Ein rechtzeitiger Blick in die Bilanzen hätte diese Überraschung verhindern können: Bereits Ende 2007 wies die Depfa ein Leverage ratio* von 52 auf, ein Jahr später erreichte das Leverage Ratio* der Depfa dann mit 66 seinen Höchststand. Mit anderen Worten: Mit einem Euro Eigenkapital* lieh sich die irische Bank fast 66 Euro! Der missbräuchliche Griff der Banken zur Kreditaufnahme erzeugt also beträchtliche Risiken. Blindheit gegenüber der Katastrophe In Zeiten wirtschaftlichen Aufschwungs können sich die Banken günstig und fast unbegrenzt finanzieren, was viele von ihnen dazu verleitet, risikoreichere Darlehen zu gewähren und riskantere Positionen* auf den Finanzmärkten einzunehmen. Dadurch tragen sie zur Bildung spekulativer Blasen* bei, wie die Beispiele des amerikanischen, irischen und spanischen Immobiliensektors während der 2000er Jahre zeigen. Wenn aber diese Blasen* unvermittelt 45 DUPRET, X., 22. August 2012, Et si nous laissions les banques faire faillite?, 31
2 platzen, geraten als erstes jene Banken in Schwierigkeiten, die am meisten von der kurzfristigen Finanzierung Gebrauch gemacht haben. Ihre Rückzahlungsfähigkeit wird plötzlich in Zweifel gezogen und sie sehen sich mit einer Verschlechterung ihrer Kreditbedingungen auf den Finanzmärkten konfrontiert. Während andere Banken sich weigern, ihnen Geld zu leihen, zögern Investoren (Rentenfonds, Versicherungsgesellschaften, gemeinsame Investmentfonds usw.) keine Sekunde, ihnen den Geldhahn zuzudrehen. In dieser Situation versiegender Refinanzierungsquellen sehen sich die schwächsten Banken gezwungen, einen Notverkauf ihrer Anlagen* zu tätigen, was die Preise dieser Anlagen* plötzlich und stark fallen lässt und weitere Banken in die Finanzierungskrise treibt. Kurzum: Durch eine exzessive und kurzfristige Verschuldung setzen sich zahlreiche Banken großen Gefahren aus, die Wirtschaftswissenschaftler als Liquiditätsrisiken* und Refinanzierungsrisiken* bezeichnen. 32
3 Kennzahlen ,8 40,3 39,4 Leverage Ratio* (2011) 37, ,3 16,2 15,8 15, Deutsche Bank (inkl. Postbank) DZ Bank AG WestLB/Portigon HRE ING Group Stadtsparkasse Düsseldorf Ethikbank/Volksbank Eisenberg Stadtsparkasse Detmold Kreissparkasse Düsseldorf Volksbank Saerbeck Quellen: Eigene Zusammenstellung auf Grundlage der Jahresberichte 2011 von Deutsche Bank, DZ Bank AG, WestLB/Portigon, HRE, ING Group, Ethikbank/Volksbank Eisenberg, Stadtsparkasse Düsseldorf, Kreissparkasse Düsseldorf, Sparkasse Detmold, Volksbank Saerbeck. Entschlüsselung Wie beurteilt man, ob eine Bank gering oder hoch verschuldet ist? Eine Möglichkeit ist die Berechnung des Leverage ratio*: Je höher diese Zahl ist, desto größer ist der Anteil der Schulden an der Finanzierung des Vermögens (Darlehen, Aktien, Obligationen, Derivate usw.) einer Bank. Umgekehrt gilt, je niedriger das Leverage ratio, desto größer ist der Anteil des Eigenkapitals an der Finanzierung des Anlagevermögens. Die Abbildung zeigt, dass sich die von uns verglichenen Banken in zwei Gruppen einteilen lassen: Auf der einen Seite Sparkassen und Genossenschaftsbanken mit einem relativ niedrigen Leverage Ratio von unter 20, auf der anderen Seite Deutsche Bank, DZ Bank, Portigon (ehemals WestLB), HRE und ING Group mit deutlich höheren Leverage Ratios. Die traurige Spitze markiert auch in dieser Kategorie die Deutsche Bank mit beinahe 44: Mit einem Euro Eigenkapital* leiht sich die größte Bank der Bundesrepublik fast 44 Euro. Wenngleich das Leverage Ratio ein Richtwert für den Verschuldungsgrad einer Bank ist, trifft es keine Aussage über die Art der Verschuldung. Bestimmte Finanzierungsquellen sind jedoch langfristiger und stabiler als andere. Dies gilt insbesondere für langfristige Kundeneinlagen oder Schuldverschreibungen. Umgekehrt sichern kurzfristige Schulden* oft keinen stabilen Geldfluss und bergen somit mehr Risiko. Bevor wir unsere Lösungsvorschläge präsentieren, lohnt ein kurzer Blick auf die Passivseite der Bilanzen von HRE und ING. Mit einem Leverage Ratio von 37 bzw. 33 weisen die beiden Banken tatsächlich ein zu geringes Eigenkapital auf, allerdings unterscheiden sich die beiden Institute in der Herkunft ihrer Finanzierungsmittel : während ING Kredite eher langfristig durch Kundeneinlagen finanziert, leiht sich die HRE zur Finanzierung ihrer Ausleihungen und Spekulationsaktivitäten kurzfristig Mittel auf dem Geldmarkt, der von Natur aus instabil ist. Anders ausgedrückt : Die HRE ist einem deutlich größeren Liquiditätsrisiko ausgesetzt als die 33
4 ING. Denn im Fall eines plötzlichen Austrocknens des Interbankenmarktes (Liquiditätskrise) bekommt die HRE viel schneller Refinanzierungsschwierigkeiten als andere Institute. Die HRE ist damit jedoch nicht allein : Aufgrund ihrer Abhängigkeit von kurzfristigen Refinanzierungsmitteln setzen sich auch Deutsche Bank, Hypothekenbank Frankfurt, Portigon/WestLB, Landesbank Baden-Württemberg und DZ-Bank einem höheren Liquiditätsrisiko aus. Die über extrem wenig Kundeneinlagen verfügende KfW steht außerhalb dieses Vergleichs, da sie als staatliche Bank stabil finanziert ist und sie darüber hinaus ihre Kredite durch ausreichend Sicherheiten abdeckt. 34
5 Lösung: Banken entschulden Indem sich die Banken übermäßig über Kredite finanzieren, insbesondere solche mit kurzer Laufzeit, erzeugen sie beträchtliche Systemrisiken. Daher sind Maßnahmen erforderlich, die die Verschuldungsfähigkeit der Banken begrenzen. (1) Instabile Finanzierungsquellen besteuern Eine einfache und zugleich wirksame Maßnahme wurde zuletzt vor allem vom Internationalen Währungsfonds propagiert 46 : Um die Banken dazu zu bringen, langfristige Finanzierungsmittel wie beispielsweise Spareinlagen zu bevorzugen, sollte auf unsichere Finanzierungsquellen wie Rückkaufvereinbarungen* (Repos), kurzfristige Schulden* und ähnliches eine Steuer erhoben werden. (2) Verbindliche Verschuldungsgrenzen festsetzen Eine zweite Maßnahme besteht darin, den Banken eine verbindliche Verschuldungsgrenze* aufzuerlegen. Sofern die Höhe auf ein angemessenes Maß festgesetzt wird, ist dieses Regulierungsinstrument durchaus geeignet, den durch Schulden finanzierten Teil des Anlagevermögens einer Bank (Aktien, Obligationen, Derivate, Darlehen usw.) zu begrenzen. Führt man zum Beispiel für die größten europäischen Banken (wie Deutsche Bank, BNP Paribas, ING oder Société Générale) ein Leverage ratio* von 15 (aktuell: 25 oder größer) ein, so müssten sie den Anteil ihrer durch Schulden finanzierten Anlagen* um mindestens 40 % verringern. Dazu stehen ihnen zwei Möglichkeiten zur Verfügung: Entweder sie erhöhen deutlich das durch Eigenkapital finanzierte Anlagevermögen* (d.h. sie nehmen eine Kapitalerhöhung vor) oder sie reduzieren die Bilanzsumme durch einen raschen Verkauf ihrer Wertpapiere. Gefährlich ist der neueste Trick einiger Banken, eigene Anleihen unter Buchwert zurückzukaufen und durch den Gewinn ihre Kapitalbasis zu stärken. So rechnet ein Sprecher der Commerzbank vor, dass dieser Kunstgriff seiner Bank bis 2017 zusätzlich 1,2 Milliarden Euro einbringen werde. 47 Doch mit diesen taktischen Manövern kitten die Institute nur kurzfristig ihre Kapitalprobleme, für die Zukunft berauben sie sich einer wichtigen Finanzierungsquelle. Tatsächlich führt diese Strategie nur dazu, dass die EZB im Krisenfall noch schneller einspringen muss nachhaltiger wird das Geschäft der Banken dadurch nicht. (3) Qualität der Schulden berücksichtigen Damit die verbindliche Verschuldungsgrenze ihre stabilisierende Wirkung voll entfalten kann, muss sie das Geschäftsmodell des jeweiligen Instituts berücksichtigen. Anstatt alle Banken über einen Kamm zu scheren, sollten für bodenständige, mittelgroße und global systemrelevante Banken unterschiedliche Verschuldungsgrenzen gelten. Um der Vielfalt des europäischen Bankensystems gerecht werden, schlagen wir europäische Grüne die folgenden individuellen Leverage Ratios vor: 1. Bodenständige Banken (hoher Anteil an stabilen Refinanzierungsmitteln und risikoarme Investitionen): Stufenweise Anhebung der Verschuldungsgrenze von 2% (ab 2016) über 2,5% (ab 2019) bis auf 3% (ab 2021). Eine Folgenabschätzung der Kommmission soll außerdem die Auswirkungen des Leverage Ratio für diese Bankenkategorie untersuchen. 2. Mittelgroße Banken: Von 4% (2016) über 5% (2019) bis zu 6% (2021). 3. Global systemrelevante Banken (Institute, deren möglicher Zusammenbruch schlimme Folgen für das Finanzsystem und die Realwirtschaft hätte, insbesondere aufgrund ihrer Größe, ihrer Komplexität und ihrer gegenseitigen Abhängigkeit): Von 5% (2016) über 7% (2019) bis zu 9% (2021). 46 IMF Interim Report for the G20, 16. April 2010, «A Fair and Substantial Contribution by the Financial Sector», imf.org
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