Zürich, 9. November 2011

Transkript

1 FINMA-Berichte betreffend Lehman Broth. Inc. Konkurs und Credit Suisse Gegenüberstellung der Berichte für den FINMA-Verwaltungsrat und für die Öffentlichkeit Einführung: Die Resultate der Voruntersuchungen im Zusammenhang mit dem Konkurs von Lehman Broth. und den Untersuchungen bei der Credit Suisse und der UBS müssen von den FINMA- Verantwortlichen als hochbrisant und problematisch eingestuft worden sein. Anders lässt sich nicht erklären, dass die FINMA- Verwaltungsräte für ihre Sitzung vom 18. und 19. März 2009 kein Management Summary zum Thema, sondern ein 35 Seiten starkes vertrauliches Dokument erhalten haben. Offenbar erwartete man von dieser Sitzung auch strategische Entscheide. Verantwortlich für den Bericht zuhanden des FINMA-Verwaltungsrats war Franz Stirnimann, Leiter Geschäftsbereich Märkte bei der FINMA. Das Dokument selbst trägt die Überschrift Verwaltungsratsgeschäft und ist somit als hochrangiges Dokument und keinesfalls als vorläufiger Zwischenbericht einzustufen (im folgenden Verwaltungsratsbericht genannt). Ein Jahr später, am 2. März 2010, veröffentlichte die FINMA ihren Schlussbericht Madoff-Betrug und Vertrieb von Lehman-Produkten: Auswirkungen auf das Anlage- und Vermögensberatungsgeschäft (im folgenden Schlussbericht genannt). Schlussbericht und Verwaltungsratsbericht stehen in mehreren, äusserst bedeutenden Punkten in krassem Widerspruch zueinander. Resultate: In ihrem Schlussbericht betreibt die FINMA die Irreführung der schweizerischen Öffentlichkeit zugunsten der beaufsichtigten Credit Suisse, in dem sie nicht korrekt über das Ausmass, die Ursachen und die Auswirkungen des Lehman-Konkurses für die Schweiz informiert. Sie übernimmt insbesondere im Zusammenhang mit den Vorgängen bei der Credit Suisse eine zweifelhafte Rolle, indem sie im Gegensatz zum Verwaltungsratsbericht im Schlussbericht die beaufsichtige Bank vollständig aus der Verantwortung nimmt und so aktiv vor der Geltendmachung von Haftungsansprüchen durch die Geschädigten und Reputationsverlusten schützt. Zudem besteht die begründete Vermutung, dass sich die Aufsichtsbehörde und die beaufsichtigte Bank im Nachgang zur erwähnten FINMA-Verwaltungsratssitzung auf ein Gegengeschäft einigten: Milderer Schlussbericht gegen Erweiterung des Empfängerkreises von Teilrückkaufangeboten. Knapp 4 Wochen nach der erwähnten Sitzung kommunizierte die Credit Suisse in der Öffentlichkeit, dass sie den Empfängerkreis für Teilrückkaufsangebote erweitern werde (anfänglich erhielten nur Kunden mit 50 % Lehman-Anteilen im Depot und weniger als CHF Vermögen ein Teilrückkaufsangebot. Mitte April 2009 wurde der Anteil Lehman-Papiere am Depot auf 20 % gesenkt). Forderungen: Die den Lehman-Konkurs und die Credit Suisse betreffenden Vorgänge bei der FINMA, insbesondere im Nachgang an die Verwaltungsratssitzung vom 18./19. März 2009, sind von einer parlamentarischen Untersuchungskommission zu überprüfen und die Resultate umfassend offenzulegen. Zürich, 9. November

2 Aspekt Ausfallrisikos von Lehman Broth. Vertraulicher Verwaltungsratsbericht, S. 21 Aus den Charts kann gefolgert werden, dass der Markt im März 2008 (rote Pfeile) ein erhöhtes Kreditausfallrisiko für Lehman (im Vergleich mit der US- Peer-Group) ortete. Öffentlicher Schlussbericht, S. 13, S. 17 Dieses Ereignis [d.h. der Konkurs von Lehman] war von vielen Marktteilnehmern für praktisch unmöglich gehalten worden, nicht zuletzt weil die Annahme bestand, die Lehman-Gruppe würde im allerschlimmsten Fall von den andern Akteuren oder aber letztlich vom amerikanischen Staat gestützt. Die Lehman-Gruppe verfügte bis zum Zeitpunkt der Insolvenzerklärung mit einem Kreditrating von A2 (Moodys) über eine gute Bonität die nur geringfügig tiefer eingestuft wurde als jene der Credit Suisse (Moodys Aa2) oder anderer Emittenten. (S. 17, Bericht vom ) Beurteilung Im Schlussbericht stellt die FINMA den Ausfall von Lehman als praktisch unmöglich und damit unvorhersehbar dar. Die völlig andere Einschätzung des Marktes dagegen wird verschwiegen. Die FINMA schwenkt in ihrem Schlussbericht mit dem Verweis auf die gute Bonität und die Unvorhersehbarkeit des Ausfalls auf die Argumentationslinie der Credit Suisse ein: Diese hat ab September 2008 alle Haftungsansprüche ihrer Kunden stets mit diesen Argumenten von sich gewiesen. Mit dieser Darstellung verstösst die FINMA gegen geltendes Recht: Verstoss gegen Art. 5 des Finanzmarktaufsichtsgesetzes (FINMAG), insbesondere unterlassener Schutz der Anlegerinnen und Anleger Verstoss gegen Art. 21 Abs. 1 FIN- MAG durch mangelnde Unabhängigkeit von der Credit Suisse 2

3 Eignung von strukturierten Produkte für Retailkunden, Beurteilung Klumpenrisiko Vertraulicher Verwaltungsratsbericht, S. 4, 11, 16, 21, 35 Die Mehrzahl der untersuchten Institute sahen Kleinanleger bzw. Retailkunden nicht als Zielgruppe für strukturierte Produkte vor. Dies, weil sie diese Kundengruppe generell nicht bedienten oder weil sie strukturierte Produkte für Kleinanleger als nicht geeignete Anlageklasse werteten. (S. 4) Bei kleineren Vermögen ist eine sinnvolle Streuung des Emittentenrisikos mit strukturierten Produkten aufgrund der Minimalzeichnungsvolumen kaum zu realisieren. (S. 11) Öffentlicher Schlussbericht, S. 18 Die FINMA kam weiter zum Schluss, dass kapitalgeschützte strukturierte Produkte an sich für einen Vertrieb an Retailkunden geeignet sind; betreffend Emittentenrisiko sind sie vergleichbar mit Kassenobligationen oder gewöhnlichen Obligationen. (S. 18, Beurteilung Die fundamental andere Beurteilung der Eignung von strukturierten Produkten für Retailkunden im Schlussbericht ist nicht nachvollziehbar. Es entsteht der Eindruck, dass die FINMA auch hier haftungsrechtliche Ansprüche von den exponierten Banken, insbesondere der Credit Suisse abwenden wollte, um nationale und internationale Reputationsschäden zu vermeiden. 3 Es fragt sich deshalb grundsätzlich, ob strukturierte Produkte für Retailkunden geeignete Anlageinstrumente sind. (S. 11) Im Vergleich zu anderen Banken verkaufte die Credit Suisse überdurchschnittlich viele strukturierte Produkte an Retailkunden. Daraus ergeben sich verschiedene Problemstellungen, z. B. im Bereich der Risikoaufklärung oder der Überwachung der Kundenportfolien. Hier und in anderen Bereichen fällt die Credit

4 Suisse im Vergleich zur UBS (aber auch z. B. zur HSBC oder der J.P. Morgan) ab. (S. 16) Es fällt auf, dass die Mehrzahl der untersuchten Institute Retailkunden und Kleinanleger nicht als Kundenzielgruppe für den Verkauf von strukturierten Produkten vorsehen. Bei kleineren Vermögen ist eine sinnvolle Streuung des Emittentenrisikos mit strukturierten Produkten aufgrund der Minimalzeichnungsvolumen schwierig bzw. gar nicht zu realisieren. Je nach Kursverlauf des Basistitels und des Typus des Produkts (z.b. Reverse Convertible) werden bei Verfall des Produkts Titel in Depots von Kleinanlegern eingebucht. Dies kann zu weiteren Klumpenrisiken (u.a. in Bezug auf Währungen und Anlageklassen) führen (vgl. dazu bereits die Ausführungen zu Credit Suisse). (S. 21f) 4 Gewisse strukturierte Produkte sind für Kleinanleger aufgrund fehlender Diversifikationsmöglichkeiten (Minimalzeichnungsvolumen, Emittentenrisiko, Titellieferung bei Convertibles, etc.) unter Umständen nicht geeignet und sollten nicht aktiv empfohlen werden. (S. 35)

5 Optische Ausgestaltung der Credit Suisse Termsheets, White Labelling Vertraulicher Verwaltungsratsbericht FINMA-, S. 11f, 13, 22, 35 Im Gegensatz zur UBS verwendete die Credit Suisse wie im Übrigen die meisten der angefragten Banken vorwiegend Termsheets, die prominent mit dem Label der Credit Suisse versehen waren (sog. White Labelling, vgl. Beilage 1). Dieses Vorgehen entspricht einer weitverbreiteten Praxis, ist aber nicht unproblematisch. Für den nicht sophistizierten Anleger (was auf Retailkunden i.d.r. zutrifft) ist aufgrund des Produktbeschriebs kaum erkennbar, dass es sich um ein Fremdprodukt handelt, er ein Kreditrisiko gegenüber einer Drittbank eingeht und sein eingesetztes Kapital nicht von der vertreibenden Bank garantiert wird. (S. 11) White Labelling der Credit Suisse / Dreiseitiges Termsheet. Für einen unerfahrenen Anleger ist schwer ersichtlich, dass es sich um ein Lehman-Produkt handelt Auf Seite 2 des Termsheets wird nur auf die Produkt- und Marktrisiken hingewiesen Ein Hinweis aufs Emittentenrisiko lässt sich erst im Kleingedruckten (Disclaimer, S. 3/3) ausmachen (Beilage 1 zum FINMA-Bericht vom ) Es stellt sich die Frage, ob Kunden ohne grosse Öffentlicher Schlussbericht, S. 18 Aus Optik des geltenden Rechts ist jedoch die Ausgestaltung der von der Credit Suisse für die Beratungs-/Verkaufsgespräche verwendeten Dokumentationen ( Fact Sheets ) nicht zu beanstanden. Beurteilung Die FINMA beruft sich in ihrem Schlussbericht auf das geltende Recht (ohne allerdings die entsprechenden Gesetzesartikel beizubringen), ohne die relevanten Aspekte aus dem Bundesgesetz über den unlauteren Wettbewerb, insbesondere UWG Art. 5, Absatz 1 (irreführende geschäftliche Handlungen) genauer zu beleuchten. Die FINMA stellt sich entgegen ihrer weitaus differenzierteren Einschätzung im Verwaltungsratsbericht auf den Standpunkt, dass die Credit Suisse Termsheets nicht irreführend gewesen seien, ohne dass die einzelnen Aspekte und die Summe ihrer Wirkung im Detail untersucht oder gewürdigt worden wären. Durch ihre Einschätzung und Berufung auf geltendes Recht erteilt die FINMA den Termsheets der Credit Suisse die Absolution und macht damit zum vornherein sämtliche haftungsrechtlichen Ansprüche aus den Termsheets gegenüber der Credit Suisse zu- 5

6 Geschäftserfahrung vorliegend nicht in guten Treuen davon ausgehen konnten, dass es sich bei den erworbenen Produkten der Lehman um CS-Produkte handelte. Die UBS war sich dieses Problems scheinbar bewusst, denn sie verschickte bei Primärmarktzeichnungen zusammen mit der Emissionsabrechnung in jedem Fall (d.h. auch bei Verwendung von eigenen Termsheets) zusätzlich das finale Termsheet des jeweiligen Emittenten. Dadurch sind Missverständnisse hinsichtlich des Emittentenrisikos von vornherein ausgeschlossen. (S. 11f) Während die UBS in jedem Fall nach der Zeichnung eines strukturierten Produktes im Primärmarkt dem Kunden das finale Termsheet des jeweiligen Emittenten mit der Emissionsabrechnung physisch per Post zustellt, händigt die Credit Suisse diese Dokumentationen (z. B. Termsheets, Prospekt) den Kunden nur auf Anfrage aus. (S. 13) Bei sog. White-Label -Dokumentationen ist sicherzustellen, dass auch ein unerfahrener und fachlich nicht versierter Anleger einfach erkennen kann, dass der Emittent bzw. Garantiegeber nicht identisch mit dem Verkäufer des Produkts ist (Erläuterungen zum Emittentenrisiko im Kleingedruckten reichen nicht aus). (S. 35) nichte. Die FINMA betreibt damit die Beeinflussung der Zivilgerichte. (siehe dazu die Begründungen des Berner Handlungsgerichts im Verfahren Hugo Rey vs. Credit Suisse im August 2010). Damit verstösst die FINMA gegen folgende Gesetze: Verstoss gegen Art. 1 des Börsengesetzes (BEHG) durch unterlassene Sicherstellung der Transparenz für den Anleger Verstoss gegen Art. 21 Abs. 1 FIN- MAG durch mangelnde Unabhängigkeit von der Credit Suisse 6

7 Aufklärung über das Emittentenrisiko in den Termsheet der Credit Suisse Vertraulicher Verwaltungsratsbericht, S. 13. Im Produktbeschrieb (fixierte Bedingungen, Beilage 1) der Credit Suisse findet sich hinsichtlich des Emittentenrisikos nur folgende Bemerkung: Kapitalschutz bei Verfall: 100 % (durch den Emittenten) ; auf Seite 3 im standardisierten Disclaimer wird auf mögliche Kursveränderungen aufgrund von Bonitätsänderungen der Emittenten hingewiesen. (S. 13) Öffentlicher Schlussbericht In allen Dokumenten wies die Credit Suisse auf die Emittentin (zur Lehman-Gruppe gehörend oder eine andere Emittentin) und das Emittentenrisiko hin, allerdings nicht sehr prominent (dies hat sich nach dem Konkurs der Lehman-Gruppe geändert). Beurteilung Die fundamental abweichende Beurteilung der Ersichtlichkeit des Emittenten und des Emittentenrisikos aus den Credit Suisse Termsheets im öffentlichen Schlussbericht ist nicht nachvollziehbar. Es entsteht der Eindruck, dass die FINMA auch hier haftungsrechtliche Ansprüche von den exponierten Banken, insbesondere der Credit Suisse abwenden wollte, um nationale und internationale Reputationsschäden zu vermeiden. 7 Standardisierte Risikoaufklärung bezüglich Emittentenrisiko durch die Credit Suisse Vertraulicher Verwaltungsratsbericht S. 22, 31 Es fragt sich ernsthaft, ob Institute, die zwar die Broschüre der SBVg Besondere Risiken im Effektenhandel verschickten, aber in Kundenberatungsgesprächen mit unerfahrenen Anlegern (Sparer und Kleinanleger) nicht auf Kreditrisiken von strukturierten Produkten hinwiesen, ihren Informationspflichten in genügender Weise nachkamen. Wie bereits unter Ziffer ausgeführt, Öffentlicher Schlussbericht, S. 18 Gleichzeitig hat die Credit Suisse ihre Kunden standardmässig (und im Einklang mit der Praxis der FINMA und der Gerichte) über die besonderen Risiken im Effektenhandel mittels von der Bankiervereinigung erstellten Informationsborschüren informiert. Ausgehend vom Bild des mündigen Anlegers, von dem das Schweizerische Zivilrecht aus- Bemerkungen: Im Schlussbericht sieht die FINMA die Informationspflicht mit dem Aushändigen der SBVg Broschüre Besondere Risiken im Effektenhandel der Schweizerischen Bankiervereinigung (SBVg) als erfüllt. Allerdings verzichtet sich auf die genaue Würdigung der Informationen zum Emittentenrisiko von 100 % kapital-

8 erscheint es problematisch, wenn ein Institut fremde Produkte als kapitalgarantiert vertreibt, aus den Informationsunterlagen aber nur schwer ersichtlich hervorgeht, dass Emittent und Verkäufer nicht identisch sind. (S. 22) Werden allerdings die Produkte, wie vorliegend gesehen, unter dem Label der vertreibenden (nicht der emittierenden) Bank verkauft, so sind hohe Anforderungen an die Klarheit der Aussagen zum Ausfallrisiko (und bei wem dieses besteht) zu stellen. Andernfalls vermag u.e. der Verweis auf die standardisierte Aufklärung nicht zu genügen. (S. 31) geht, ist der Credit Suisse aufgrund des geltenden Rechts auch bezüglich der Ausgestaltung ihrer Verkaufsdokumentationen kein aufsichtsrechtlicher Vorwurf zu machen. geschützten Produkten in der fraglichen Broschüre. Gemäss SBVg-Broschüre, Ausgabe 2001, S. 14 beläuft sich der maximale Verlust beim Kauf eines strukturierten Produkts mit Kapitalschutz auf die Differenz zwischen Kaufpreis und Kapitalschutz. Auch in diesem Punkt folgt die FINMA in ihrem Schlussbericht exakt der Argumentationslinie der Credit Suisse. Diese hat ab September 2008 alle Haftungsansprüche ihrer Kunden mit Verweis auf die standardisierte Risikoaufklärung mittels SBVg- Broschüre abgewiesen. 8 Verstoss gegen Art. 21 Abs. 1 FIN- MAG durch mangelnde Unabhängigkeit von der Credit Suisse