Die Arzthaftung. Prof. Dr. Corinne Widmer Lüchinger Vorlesung SeniorenUni 22./23. Mai Beispiele. Prof. Dr. C. Widmer Lüchinger 1

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1 Die Arzthaftung Prof. Dr. Corinne Widmer Lüchinger Vorlesung SeniorenUni 22./23. Mai 2013 Beispiele Prof. Dr. C. Widmer Lüchinger 1

2 I. Diagnosefehler Fehldiagnosen / verspätete Diagnosen, z.b.: 1. Bei einem Kleinkind wird ein ungefährlicher viraler Infekt diagnostiziert. Die Diagnose stellt sich als falsch heraus; das Kind stirbt. 2. Beim Patienten wird eine bakterielle Meningitis zu spät diagnostiziert; er verliert sein Gehör vollständig. 3 II. Behandlungsfehler Grosse Vielfalt, z.b.: 1. Verwechslungen bei Amputationen, Organentnahmen oder Bluttransfusionen; 2. Verletzung von Nerven bei Operationen; 3. Narkosefehler; 4. Injektionsfehler; 5. Fehler bei der Medikamentierung; 6. Instrumente werden bei einer Operation im Bauchraum vergessen etc. 4 Prof. Dr. C. Widmer Lüchinger 2

3 III. Aufklärungsfehler Fehlerhafte Aufklärung über Risiken oder Kosten, z.b.: 1. Arzt klärt Patientin nicht über das mit einer Rückenoperation verbundene Risiko einer Lähmung auf. Arzt führt den Eingriff korrekt durch. Nachher treten Lähmungserscheinungen auf. 2. Arzt informiert übergewichtige Patientin, dass Kosten einer Magenoperation von der Krankenkasse übernommen werden. Die Auskunft stellt sich nach dem Eingriff als falsch heraus. 5 IV. Eingriffe ohne Einwilligung Operationserweiterungen, Eingriffe gegen Willen, z.b.: 1. Arzt empfiehlt der Patientin Entnahme von Zysten in der Brust. Während der Narkose führt Arzt stattdessen eine vollständige Entfernung des Brustgewebes aus und setzt zwei Prothesen ein. 2. Mann verunfallt schwer und ist bewusstlos; zur Lebensrettung bedarf es einer Bluttransfusion. Gemäss Patientenverfügung lehnt der Mann Bluttransfusionen strikt ab. Die Transfusion wird trotzdem durchgeführt; der Mann überlebt. 6 Prof. Dr. C. Widmer Lüchinger 3

4 Mögliche Rechtsfolgen Überblick 1. Strafrechtliche Folgen (z.b. Körperverletzung) 2. Disziplinarrechtliche Folgen Von einfacher Verwarnung bis zu Berufsausübungsverbot 3. Haftungsrechtliche Folgen Schadenersatz: Ersatz finanzieller Nachteile (z.b. Heilungskosten, Arbeitsunfähigkeit) Genugtuung ( Schmerzensgeld ) 8 Prof. Dr. C. Widmer Lüchinger 4

5 Haftungsgrundlagen I. Rechtsgrundlagen 1. Bundesprivatrecht: Schweizerisches Obligationenrecht (OR) Ärzte mit Privatpraxis oder in der Privatklinik 2. Kantonales öffentliches Recht: 26 Kantone Behandlung im Kantonsspital / Gemeindespital 3. Sonderfall: privatärztliche Tätigkeit von Chefärzten etc. an Kantons- oder Gemeindespitälern 10 Prof. Dr. C. Widmer Lüchinger 5

6 II. Haftungsgrundsätze Was schuldet der Arzt dem Patienten? 1. Der Arzt haftet nicht für den Erfolg der Behandlung 2. Er schuldet nur eine Behandlung gemäss den Regeln der ärztlichen Kunst ( lege artis ) Ein Behandlungsfehler liegt nur vor, wenn der Arzt die Regeln der ärztlichen Kunst verletzt hat. Fall: Bei einem Kleinkind wird ein ungefährlicher viraler Infekt diagnostiziert. Die Diagnose stellt sich als falsch heraus; das Kind stirbt. 11 Haftungsgrundsätze Was schuldet der Arzt dem Patienten? 3. Der Arzt muss den Patienten aufklären über: Befund und möglicher Verlauf Eingriffsaufklärung geplante Therapie und Behandlungsalternativen Risiken des Eingriffs Zweck: Wahrung des Selbstbestimmungsrechts Kostenfolgen 12 Prof. Dr. C. Widmer Lüchinger 6

7 III. Eingriffsaufklärung 1. Ohne Einwilligung des Patienten darf Arzt keinen Eingriff vornehmen Beispiel: Bluttransfusion entgegen dem in der Patientenverfügung erklärten Willen des Patienten 2. Einwilligung ist nur wirksam, wenn Patient korrekt aufgeklärt wurde Beispiel: Arzt klärt Patientin nicht über das mit einer Rückenoperation verbundene Risiko einer Lähmung auf 3. Schranken Was heisst korrekte Aufklärung? 13 Die wichtigsten Fehlerkategorien Prof. Dr. C. Widmer Lüchinger 7

8 I. Behandlungs- und Diagnosefehler Herausforderungen für den Patienten: 1. Patient hat zu beweisen, dass Fehler vorliegt Einsicht in Krankenakte (inkl. OP-Bericht) Gutachten (z.b. vermittelt durch FMH-Gutachterstelle, Patientenstellen) 2. Patient hat zu beweisen, dass Fehler des Arztes für seinen Schaden ursächlich war Fall: Bakterielle Meningitis wird zu spät diagnostiziert; Patient verliert sein Gehör vollständig. 15 II. Aufklärungsfehler (Eingriffsaufklärung) Herausforderungen für den Arzt: 1. Arzt hat zu beweisen, dass er den Patienten über Eingriff aufgeklärt hat 2. Arzt hat zu beweisen, dass Patient eingewilligt hat 3. Rechtsfolgen Fall: Arzt klärt Patientin nicht über das mit einer Rückenoperation verbundene Risiko einer Lähmung auf. Nachher treten Lähmungserscheinungen auf. Ein Behandlungsfehler liegt nicht vor. Günstiger für den Patienten! 16 Prof. Dr. C. Widmer Lüchinger 8

9 Rechtsfolgen Was bekommt der Patient? Überblick 1. Schadenersatz: nur, wenn er einen Schaden im Rechtssinne erlitten hat Fall: Vornahme eines Eingriffes ohne genügende Aufklärung des Patienten; Eingriff ist erfolgreich. Rechtsfolge? 2. Genugtuung: nur, wenn die Schwere der Verletzung es rechtfertigt Schwere Schmerzen; bleibende Entstellungen oder Beeinträchtigung; schwerwiegende Verletzung des Selbstbestimmungsrechts Fall: Arzt rutscht mit Skalpell aus und verursacht eine kleine Schnittwunde. Rechtsfolge? 18 Prof. Dr. C. Widmer Lüchinger 9

10 Danke für Ihre Aufmerksamkeit! 19 Prof. Dr. C. Widmer Lüchinger 10