Glauben Sie dem Arztzeugnis?
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- Gerhard Weber
- vor 7 Jahren
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1 Glauben Sie dem Arztzeugnis? Dr. Markus Hugentobler Die Beweislast: Die Voraussetzungen für Kündigungsschutz und Lohnfortzahlungspflicht sind durch die Arbeitnehmenden nachzuweisen, d.h. insbesondere - Krankheit, - Arbeitsunfähigkeit sowie - Kausalzusammenhang zwischen Krankheit und Arbeitsunfähigkeit 2 (C) Centre Patronal 1
2 Das Beweismass: Der Beweis der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit gilt nur als erbracht, wenn sie aufgrund der objektiven Gegebenheiten als sicher anzunehmen ist und keine erheblichen Zweifel daran bestehen Vorsicht: In der Praxis wird ein Arztzeugnis oft erst ab dem 3. oder 4. Absenztag verlangt. Das darf dem Arbeitnehmenden nicht erschwerend ausgelegt werden. 3 Behandlungsbedürftigkeit ist nicht Arbeitsunfähigkeit: Eine gesundheitliche Störung ist im Arbeitsrecht erst relevant, wenn sie so intensiv ist, dass sie zu einer Arbeitsunfähigkeit führt. Abgrenzung: Anders als im KVG, wo einer gesundheitlichen Störung nicht nur bei Arbeitsunfähigkeit, sondern auch bei blosser Behandlungsbedürftigkeit Krankheitswert zugemessen wird, genügt diese im Arbeitsrecht nicht. Beispiel: eine HIV positive Person ausserhalb der Intensivtherapie. 4 (C) Centre Patronal 2
3 Arztzeugnis als Indiz: Arztzeugnisse stellen ein nicht unerhebliches Indiz für eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit dar. Ohne Vorliegen besonderer Umstände stellen die Gerichte in der Regel auf die Angaben in ärztlichen Zeugnissen ab. Ihr Beweiswert ist erschüttert, wenn nachweislich Indizien vorliegen, die an der Arbeitsunfähigkeit zweifeln lassen. Beispiel: Nachweisliche Teilnahme an einem Sportwettkampf. 5 Indizien lassen am Beweiswert des Arztzeugnisses zweifeln, wenn 1. ein Arztzeugnis aus bestimmtem Anlass oder für bestimmte Zeiträume, insbesondere nach innerbetrieblichen Differenzen, vor einer unmittelbar drohenden oder für den Zeitraum nach erfolgter Kündigung beigebracht wird; 2. nacheinander Arztzeugnisse von unterschiedlichen Ärzten eingereicht werden ( doc shopping ); 3. ein Arztzeugnis in augenfälligem Widerspruch zu anderen Arztzeugnissen steht; 6 (C) Centre Patronal 3
4 4. das Arztzeugnis eine übermässige Rückdatierung aufweist, d.h. der Beginn der Arbeitsunfähigkeit ohne plausible Begründung auf einen Zeitpunkt von mehr als 3-5 Tagen vor der ersten ärztlichen Konsultation festgelegt wird und damit bloss medizinisch nicht überprüfbare Vermutungen des Arztes enthält; 5. das Arztzeugnis ohne vorgängige Untersuchung ausgestellt wurde und es offensichtlich bloss auf der Wiedergabe oder der Beurteilung der Patientenangaben beruht; 7 6. im Arztzeugnis in Unkenntnis der körperlichen und geistigen Anforderungen der Arbeitstätigkeit eine Arbeitsunfähigkeit attestiert wurde; 7. ein Arztzeugnis entgegen der arbeitsvertraglichen Verpflichtung mit erheblicher Verspätung bzw. für einen weit zurückliegenden Zeitraum beigebracht wird, so dass eine Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit nicht oder kaum mehr möglich ist; 8. die erhebliche Rückdatierung dazu führt, dass eine Arbeitsunfähigkeit schon vor oder im Zeitpunkt der Kündigung oder während der Kündigungsfrist bestanden haben soll; 8 (C) Centre Patronal 4
5 9. bei einem Arztzeugnis des Hausarztes Grund zur Annahme besteht, dass sich dieser aufgrund seiner auftragsrechtlichen Vertrauensstellung gegenüber seinem Patienten von advokatorischen Überlegungen hat leiten lassen, die nicht mehr medizinisch begründet sind (Gefälligkeitszeugnis). 9 Entbindung vom Arztgeheimnis: «Frau/Herr X. hat uns ihre/seine Zustimmung dazu erteilt, die behandelnden Ärzte und andere medizinische Leistungserbringer vom Arztgeheimnis zu entbinden und uns ermächtigt, bei diesen Auskünfte einzuholen und Einsicht in die medizinischen Akten zu nehmen. Wir verweisen dazu auf die beiliegende Kopie der zuständigen Erklärung. Im Hinblick auf eine schlüssige Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit ersuchen wir Sie auf dieser Grundlage zu folgenden Fragen Stellung zu nehmen: ( )» 10 (C) Centre Patronal 5
6 Erlaubte Fragen an den Arzt: Seit wann steht die/der Mitarbeitende in Ihrer Behandlung? Lassen sich die geklagten Beschwerden objektivieren? Hat eine Untersuchung der/des Mitarbeitenden stattgefunden? Wie hat die/der Mitarbeitende ihren/seinen konkreten Arbeitsplatz und die damit verbundenen Anforderungen beschrieben? Inwiefern beeinträchtigen die gesundheitlichen Beschwerden das funktionelle Leistungsvermögen der Mitarbeiterin/des Mitarbeiters? 11 Aus den Antworten auf die Fragen lassen sich insbes. folgende Rückschlüsse auf das (Nicht-) Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit ziehen: ob keine übermässige Rückdatierung (mehr als 3-5 Tage) vorliegt; ob blosse Behandlungsbedürftigkeit oder echte Arbeitsunfähigkeit vorliegt; ob der Arzt seiner Beurteilung nicht nur die geklagten Beschwerden zugrunde gelegt hat; ob der Arzt in Kenntnis der tätigkeitsspezifischen Anforderungen auf die Arbeitsunfähigkeit geschlossen hat; 12 (C) Centre Patronal 6
7 ob der Zeitraum der Behandlung überhaupt eine schlüssige Beurteilung zulässt, insbes. ob die attestierte Arbeitsunfähigkeit ihre Entsprechung im Behandlungszeitraum findet; ob die notwendigen Untersuchungen vorgenommen wurden; ob der Arzt nicht nur die Beeinträchtigung des Wohlbefindens beurteilt, sondern die Intensität der gesundheitlichen Störungen auch gewichtet und der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zugrunde gelegt hat. 13 Vertrauensärztliche Untersuchung: Hat der Arbeitgeber Zweifel an der Richtigkeit eines Arztzeugnisses, kann er verlangen, dass sich der Arbeitnehmer einer vertrauensärztlichen Untersuchung unterzieht. Es ist umstritten, ob der Arbeitgeber dieses Recht in jedem Fall hat oder nur, wenn es vertraglich vorgesehen ist. Daher empfiehlt es sich, das Recht zur Anordnung einer vertrauensärztlichen Untersuchung vertraglich zu vereinbaren. 14 (C) Centre Patronal 7
8 Rahmen und Grenzen vertrauensärztlicher Untersuchung: Auch wenn die Anordnung einer vertrauensärztlichen Untersuchung vertraglich vereinbart ist, darf sie nicht schikanös sein. Das Bundesgericht hat entschieden, dass allein die Aufforderung, sich vertrauensärztlich bei einem Psychiater untersuchen zu lassen, nicht persönlichkeitsverletzend ist (BGE 125 III 70 ff.). Steht aber die Arbeitsfähigkeit gar nicht in Frage oder ist der Beweis der Arbeitsunfähigkeit bereits offensichtlich und unwiderlegbar erbracht, wäre eine solche Untersuchung schikanös und daher unzulässig. 15 Verweigerung vertrauensärztlicher Untersuchung: Die Verweigerung einer zu Recht angeordneten Untersuchung trotz Abmahnung führt zur Einstellung der Lohnfortzahlung. Konkret ist in solchen Fällen zu empfehlen, den Arbeitnehmenden zur Arbeitsaufnahme aufzufordern mit dem Hinweis, dass die Arbeitsunfähigkeit nicht belegt sei, und der Androhung, dass andernfalls die Lohnzahlung eingestellt werde. 16 (C) Centre Patronal 8
9 Dispositiv im Personalreglement Nachweispflicht ab dem 3. Krankheitstag = maximale Rückdatierung Anforderungen / Beweiskraft des Arztzeugnisses Case-Management: Anzeige- und Nachweispflicht bei Veränderungen der Arbeitsunfähigkeit 17 Rechtsprechung: Rückdatiertes Arztzeugnis AUF nach Kündigung, BGer 4A_89/2011: Dem Volkssport, nach erhaltener Kündigung den Arzt aufzusuchen, welcher dann für den ganzen Tag AUF schreibt, womit die Kündigung ungültig sein soll, schiebt BGer 4A_89/2011 vom 27. April 2011 einen Riegel. In diesem französischsprachigen Entscheid verweigerte ein MA die Unterzeichnung des Erhalts des Kündigungsschreibens, ging nachher zum Arzt und liess sich ab besagtem (vollem) Tag krankschreiben. Das BGer akzeptierte die angerufene Sperrfrist nicht, weil der MA an besagtem Tag vor Erhalt der Kündigung ohne Anzeichen gesundheitlicher Beeinträchtigungen normal gearbeitet hatte. 18 (C) Centre Patronal 9
10 Danke für Ihre Aufmerksamkeit Fragen? (C) Centre Patronal 10
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