Grenzenlos lernen. Wissen aus aller Welt nur einen Klick entfernt

Transkript

1 E-LEARNING Grenzenlos lernen Das Internet revolutioniert die Bildungslandschaft. Statt für zehntausende Dollar pro Semester an US-Eliteuniversitäten vor Ort zu studieren, können Lernwillige Onlinekurse renommierter Bildungsstätten wie Harvard oder Stanford ohne Zugangsvoraussetzungen kostenlos digital belegen. Die Massive Open Online Courses, kurz MOOCs, werden nun auch von vielen deutschen Hochschulen angeboten. Unternehmen können vom neuen Lehrangebot vielfach profitieren. Lernwillige können per Laptop überall und jederzeit kostenlos Onlinekurse absolvieren. Wissen aus aller Welt nur einen Klick entfernt Es ist 19:15 Uhr. David Schnitzler klappt seinen Laptop auf und startet per Mausklick die dritte Marketing-Vorlesung. Während der Professor auf dem Monitor vor ihm über SWOT- Analyse und Marketing-Mix redet, macht sich der 33-Jährige Notizen, trinkt einen Schluck Tee und beißt von seinem Käsebrötchen ab. Von Zeit zu Zeit spult er das Lehrvideo zurück und hört sich eine Passage noch einmal an. Der Webdesigner arbeitet tagsüber in einer IT- Agentur in der Hamburger Innenstadt. Für mich sind MOOCs ideal. Tagsüber bin ich im Job, nach Feierabend bilde ich mich zu Hause online weiter. Das Kursangebot ist wirklich hochkarätig und es macht mir extrem viel Spaß, mich mit Leuten aus anderen Ländern auszutauschen, sagt Schnitzler. MOOCs bieten akademische Lehre frei von teuren Gebühren oder formalen Zugangshürden. 1

2 Willkommen im digitalen Hörsaal Wie David Schnitzler lernen mittlerweile hunderttausende Wissbegierige in aller Welt in Massive Open Online Courses. Das Konzept: Kursteilnehmer belegen online themenbezogene Videovorlesungen oder -seminare, die sie jederzeit digital abrufen können. In den Clips vermitteln Professoren den Lehrstoff in der Regel im Frontalunterricht; Diskussion und Austausch finden dann im virtuellen Netzwerk der sozialen Medien statt. Im Gegensatz zu Präsenzveranstaltungen an Universitäten sind MOOCs frei von formalen Zugangsbeschränkungen schulische Vorbildung oder Numerus Clausus spielen keine Rolle. Außerdem fallen keine Kursgebühren an. Die Teilnehmer benötigen lediglich einen Internetzugang und sollten über Erfahrung im Umgang mit den sozialen Netzwerken sowie ein gewisses Maß an Selbstdisziplin verfügen. Im MOOC wird digitaler Frontalunterricht mit Diskussion und Austausch im virtuellen Netzwerk kombiniert. MOOCs versus klassisches E-Learning Ein MOOC folgt in der Regel einem festen Vorlesungsplan mit wöchentlich wechselnden Inhaltsschwerpunkten. Die Kursteilnehmer können zwar individuell entscheiden, an welchem Tag und zu welcher Uhrzeit sie das Lernmaterial bearbeiten. Wie in einer Präsenzhochschule auch, müssen sie ein Modul aber innerhalb einer vordefinierten Bearbeitungszeit abschließen und feste Abgabetermine für Hausaufgaben und Projektarbeiten einhalten. Dieser verbindliche Rahmen unterscheidet MOOCs wesentlich von den meisten anderen E-Learning-Angeboten. Die vom Inder Salman Khan gegründete, nicht-kommerzielle Lernplattform Khan Academy gilt als Wegbereiter des gegenwärtigen MOOC-Booms. Genau genommen ist seine Organisation mit mittlerweile mehr als Lehrfilmen aus den Bereichen Mathematik, Geschichte, Wirtschaft und Naturwissenschaften jedoch selbst kein MOOC-Anbieter. Unsere Kurse sind nicht auf einen bestimmten Zeitraum angelegt und es gibt auch keine festen Kursleiter, erklärt Andy Petsch, Repräsentant der Khan Academy in Deutschland. Ein weiterer Unterschied zu klassischen E-Learning-Angeboten ist das gemeinsame Lernen in den sozialen Medien: MOOC-Teilnehmer können Fragen zum Lehrstoff virtuell vernetzt miteinander diskutieren und gestellte Aufgaben gemeinsam lösen sei es in einer extra für den MOOC erstellten Facebook-Gruppe oder bei Twitter. So entsteht rund um jeden Kurs eine virtuelle Wissenswelt mit verschiedenen Perspektiven und Standpunkten. 2

3 Ein paar Mausklicks genügen, um sich zu einem MOOC anzumelden. Ein junges Phänomen Die ersten MOOCs wurden 2008 in Kanada entwickelt, die erfolgreichsten Plattformen stammen aus den USA. Im Frühjahr 2012 startete sowohl die von der Harvard University und dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) gegründete Plattform edx, als auch das von Professoren der Eliteuniversität Stanford initiierte Unternehmen Coursera. Zu den Vorreitern in Europa zählt das Hasso-Plattner-Institut in Potsdam, das seit Herbst 2012 auf seiner Plattform openhpi Kurse zu Informationstechnologie-Themen anbietet. Auch deutsche Hochschulen haben selbstentwickelte MOOCs im Portfolio, wie zum Beispiel die Ludwig-Maximilians-Universität München oder die Fachhochschule Potsdam. Die im brandenburgischen Bernau ansässige Organisation iversity ist die bis dato jüngste und gleichzeitig erfolgreichste MOOC-Plattform Europas. Co-Geschäftsführer Hannes Klöpper beschreibt die Leitidee von iversity: Wir wollen die universitäre Bildung demokratisieren und für alle zugänglich machen. Die Lernplattform ist seit Mitte Oktober 2013 online und konnte nach eigenen Angaben sofort mehr als Einschreibungen verbuchen, ohne dass überhaupt ein Kurs gestartet war. Drei Monate später zählt iversity schon rund Nutzer, die sich in Kurse über Webentwicklung, Design 101 oder Internationale Agrarwissenschaft eingeschrieben haben. Dabei fungiert iversity als MOOC- Plattform für Universitäten und Fachhochschulen, die auf iversity.org die von ihnen entwickelten Kurse online stellen können. Bislang ist The Future of Storytelling mit allein Anmeldungen das mit Abstand beliebteste Kursthema. MIT-Professor Anant Agarwal (li.) berät einen Mitarbeiter der Lernplattform edx bei der Entwicklung eines Kursangebotes. 3

4 MOOCs im Studium anrechnen lassen Studierende können bei iversity in einigen Online-Kursen im Rahmen des European Credit Transfer Systems (ECTS) Leistungspunkte sammeln, die dem Studium universitätsübergreifend angerechnet werden. So vergibt zum Beispiel die Fachhochschule Lübeck Leistungspunkte für den iversity Online-Kurs Grundlagen des Marketing. Die Teilnehmer erhalten drei Monate lang jede Woche eine neue Videovorlesung. Der vermittelte Lehrstoff wird in einem digitalen Quiz abgefragt, zudem müssen zwei Fallstudien und eine Projektaufgabe bearbeitet werden. Um volle 5 ECTS-Punkte angerechnet zu bekommen, muss ergänzend eine kostenpflichtige Präsenzprüfung an der FH Lübeck abgelegt werden. Bei Bestehen der Prüfung stellt die Fachhochschule Lübeck ein 5 ECTS-Äquivalent aus, das als Qualifikationsnachweis innerhalb des Studiums offiziell anerkannt wird. Laut iversity nehmen derzeit mehr als Kursteilnehmer im Alter von 18 bis 71 Jahren am Marketing- MOOC teil; von ihnen gaben mehr als zwei Drittel nach den beiden ersten Lerneinheiten an, sämtliche Prüfungen des Kurses absolvieren zu wollen. Beim MOOC-Anbieter iversity haben sich innerhalb von drei Monaten mehr als Lernwillige angemeldet. Nachteile der digitalen Massenkurse Wie bei den meisten Innovationen, besteht auch am jungen Lernformat MOOC noch Optimierungsbedarf. So produziert die Kursteilnahme eine erhebliche Menge persönlicher Daten, was die Frage der Datensicherheit auf die Agenda rückt. Zudem fehlt es an akzeptierten Methoden für allgemein anerkannte Online-Prüfungen. Wer studienrelevante Leistungspunkte erhalten möchte, muss bislang noch eine Präsenzprüfung ablegen wobei dann doch wieder gewisse Zugangshürden regionaler, finanzieller und zeitlicher Art eine Rolle spielen. Außerdem können die vielfältigen Informations- und Austauschkanäle zu Informationsüberflutung und Orientierungslosigkeit bei den Teilnehmenden führen. Angesichts des gegenwärtigen Booms von MOOC-Plattformen ist es je nach Anbieter empfehlenswert, die Qualität der dargebotenen Didaktik und der Inhaltstiefe zu beachten entsprechende Gütesiegel gibt es bislang nicht. Entsprechend tun sich auch potentielle Arbeitgeber noch schwer damit, Zertifikate über MOOC-Teilnahmen als Qualifikationsnachweise anzuerkennen. In Bewerbungssituationen dürften MOOC- Teilnehmer jedoch in jedem Fall damit punkten, sich freiwillig und selbständig internetgestützt weitergebildet zu haben. 4

5 MOOC-Nachteil: Weil Onlinetests bislang nicht anerkannt werden, müssen Studierende für Leistungspunkte ergänzend Präsenzprüfungen ablegen. MOOCs in der Wirtschaft Unternehmen können von der digital vernetzten Wissensvermittlung durch MOOCs vielfach profitieren. Simon Dückert, Geschäftsführer von Cogneon, einem Beratungsunternehmen für Wissensmanagement mit Sitz in Nürnberg, nennt drei zentrale Benefits: Erstens werden interne Weiterbildungsprozesse skalierbar. Statt wie zuvor mit Präsenzschulungen stets nur eine begrenzte Anzahl von Mitarbeitern erreichen zu können, ist ein MOOC von einer deutlich höheren Zahl von Mitarbeitern nutzbar. Zweitens bieten die MOOCs Mitarbeitern Anreize zur Vernetzung in internen sozialen Netzwerken über Abteilungs- und Ländergrenzen hinweg. Dritter Vorteil ist die Kostensenkung bei der Entwicklung von Seminaren: MOOCs bieten viele Standardthemen frei zugänglich im Internet an. Die aufwändige Konzeption und Durchführung solcher Schulungen im Unternehmen kann entsprechend entfallen. Interessant sind MOOCs zudem für das Recruiting. So können personalsuchende Unternehmen eine MOOC-Plattform gezielt als Kontaktbörse zu Absolventen eines Kurses nutzen die meisten MOOC-Teilnehmer stellen dafür gerne ihre Daten bereit. MOOC-Absolventen gelten als besonders engagiert und erhöhen so ihre Aussicht auf attraktive Jobangebote. MOOCs als Geschäftsmodell Die Kontaktvermittlung zwischen MOOC-Absolventen und personalsuchenden Unternehmen ist eine der Einnahmequellen für die Betreiber von MOOC-Plattformen sie lassen sich diesen Service bezahlen. Viele Universitäten bieten ergänzend zu den kostenlosen MOOCs 5

6 optionale Sonderleistungen gegen Gebühr an, wie zum Beispiel Kurs-Zertifikate, die man sich für das Studium anrechnen lassen oder als Nachweis für Arbeitgeber nutzen kann. Zudem gibt es neuerdings auch kostenpflichtige Services der MOOC-Plattformen, die der Betreuung von Studenten dienen. Das Mentorenprogramm der Plattform Udacity ist hierfür ein Beispiel. Einige Anbieter positionieren sich gezielt als Dienstleister für Unternehmen. Diese können dann Kurse zu Spezialthemen entwickeln lassen, geschulte Online- Moderatoren buchen oder umgekehrt MOOC-Leiter zur Vertiefung eines Themas für Präsenzschulungen im Unternehmen buchen. Cogneon bietet seit September 2013 den MOOC Management 2.0 an: Wir sind der erste MOOC im deutschsprachigen Raum, der sich nicht an den universitären Bereich, sondern gezielt an die Wirtschaft richtet, also Mitarbeiter und Führungskräfte in Unternehmen, sagt Geschäftsführer Simon Dückert. Mitarbeiter aller Hierarchieebenen befassen sich mit den Herausforderungen der Wissensgesellschaft. Laut Dückert geht es bei diesem MOOC weniger um die Vermittlung von Fakten, sondern um Dialog und Vernetzung der Teilnehmenden. Auch Unternehmen nutzen MOOCs, zum Beispiel in der Personalentwicklung. E-Learning in der METRO GROUP Auch viele Unternehmen nutzen heutzutage E-Learning und haben teils auch virtuelle Trainingsakademien, um ihre Mitarbeiter fortzubilden. METRO Cash & Carry beispielsweise bietet den Mitarbeitern im unternehmenseigenen Schulungszentrum House of Training Weiterbildung auf hohem internationalen Niveau. Als Ergänzung zu klassischen Präsenz- Bildungsangeboten gibt es auch E-Learning-Maßnahmen. Diese computergestützten Lernprogramme richten sich speziell an die Mitarbeiter in den Märkten, die zu Themen wie beispielsweise Warenkunde, Fisch oder Produktqualität geschult werden. Das digitale Weiterbildungsprogramm von Real heißt Klick Dich klug" und bietet Online-Kurse zu mehr als 20 verschiedenen, handelsrelevanten Themen. Ob beruflich, akademisch oder persönlich wer in der Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts erfolgreich sein will, muss lebenslang lernen. MOOC-Plattformen unterstützen die Menschen in modernen Industrienationen ebenso wie in Schwellenländern dabei, indem sie Wissen als eine der bedeutendsten Ressourcen der Gegenwart frei zugänglich bereitstellen und vermitteln. Manche Anbieter tun dies aus sozialer Motivation heraus. Anderen geht es nicht zuletzt darum, die lernwilligen Nutzer für ergänzende, kostenpflichtige Serviceangebote zu gewinnen und so Umsatz zu generieren. 6

7 Real-Mitarbeiter können sich in mehr als 20 verschiedenen Kursthemen weiterbilden. 03. Februar 2014 Copyright: METRO AG URL: 7