BKMF-Umfrage Diagnoseverzögerung bei seltenen Erkrankungen am Beispiel Kleinwuchs

Größe: px
Ab Seite anzeigen:

Download "BKMF-Umfrage Diagnoseverzögerung bei seltenen Erkrankungen am Beispiel Kleinwuchs"

Transkript

1 BKMF-Umfrage Diagnoseverzögerung bei seltenen Erkrankungen am Beispiel Kleinwuchs Hintergründe Der Bundesverband Kleinwüchsige Menschen und ihre Familien e.v. hat im Juli/August 2011 eine Umfrage unter seinen Mitgliedern zum Thema Diagnoseverzögerung durchgeführt. Ziel dieser Umfrage war es, Diagnosewege, -modalitäten und die Dauer bis zu ihrer endgültigen Erstellung, ausgehend vom Symptom Kleinwuchs, zu eruieren. Dabei wurde ein besonderer Fokus auf mögliche Optimierungen dieses Prozesses aus Sicht der Betroffenen gelegt. Eine Kurzauswertung der Ergebnisse stellt der BKMF hiermit der NAMSE-Arbeitsgruppe Diagnose für ihre weitere Arbeit zur Verfügung. Über der BKMF Der Bundesverband Kleinwüchsige Menschen und ihre Familien e.v. ist eine im Jahre 1988 gegründete Organisation der gesundheitlichen Selbsthilfe, die die Interessen von Menschen mit Kleinwuchs und ihren Familien vertritt. Von den über Mitgliedern sind in etwa 1000 vom Kleinwuchs betroffen. Ursächlich dafür sind über 70 verschiedene Krankheitsbilder, von denen ein Großteil zu den so genannten Skelettdysplasien zählt, genetisch bedingten Störungen des Knorpel- und/oder Knochenwachstums. Fragebögen Die Umfrage wurde mithilfe des Softwareprogramms easy-feedback der Firma Dialog Webdesign als online-umfrage erstellt. Als Grundlage wurde ein Fragebogen der europäischen Patientenorganisation für seltene Erkrankungen (EURORDIS) mit deren Genehmigung verwendet 1. Dieser wurde an die Besonderheiten von Betroffenen mit Kleinwuchs angepasst. Der Link zur Umfrage wurde an alle Mitglieder(familien) des BKMF, die eine -Adresse in der Mitglieder-Datenbank hinterlegt hatten (insgesamt 460), verschickt. Es beteiligten sich im Zeitraum von Mitte Juli bis Ende August Betroffene bzw. Angehörige an der Umfrage, entsprechend einer Rücklaufquote von 29%. 1 Diese Befragung wurde zwischen 2003 und 2006 unter Betroffenen mit 8 verschiedenen seltenen Erkrankungen in 16 verschiedenen europäischen Ländern durchgeführt.(eurordis: The Voice of Patients, Boulogne Billancourt, 2009, elektronische Version erhältlich unter 1

2 Ergebnisse Teilnehmer Ein Großteil der Fragebögen (nämlich 82%) wurde dabei von Eltern ausgefüllt, 16% von den Betroffenen selbst, 2% von anderen Personen aus dem Umfeld des Betroffenen. 78% waren Kinder und Jugendliche bis 20 Jahre, wobei ein Großteil (nämlich 29%) der Altersgruppe der jährigen zuzuordnen war, 14% der Gruppe der Grundschulkinder (7-10 Jahre), 20 % den Kindergartenkindern (4-6 Jahre) und 15% den 1-3-Jährigen. Von den Erwachsenen ab 20 Jahren waren wiederum die meisten in der Gruppe der 19 bis 30-Jährigen anzutreffen (13 Betroffene entsprechend 10% der Befragten), nur 2 Befragte waren über 60 Jahre alt. Diese Altersstruktur erklärt sich aus den Ursprüngen des Vereins, der vor 23 Jahren als Elterninitiative gegründet wurde und somit zurzeit nur wenige betroffene Mitglieder über 30 Jahre zu verzeichnen hat. Die Geschlechterverteilung der Betroffenen war mit 48% Mädchen/Frauen gegenüber 52% Jungen/Männern nahezu ausgeglichen. Eine Abfrage des beruflichen Status der Betroffenen bzw. ihrer Eltern zum Zeitpunkt der Diagnose ergab 40% einfache Angestellte, 22% mittlere oder leitende Angestellte, 11% Beamte, 5% Handwerker bzw. Kaufleute, 8% freischaffende Berufe, 5% Arbeiter, 1% Arbeitslose, 9% sonstige. Diese Verteilung ist nicht repräsentativ für die deutsche Allgemeinbevölkerung, entspricht aber in etwa der sozialen Zusammensetzung des BKMF als einer Organisation der gesundheitlichen Selbsthilfe. Auch die Verteilung zwischen alten (ca. 5/6) und neuen (ca. 1/6) Bundesländern war nicht repräsentativ, reflektiert aber den immer noch relativ geringen Selbsthilfe-Organisationsanteil innerhal der Bevölkerung der neuen Bundesländer. Diagnose 74% der Befragten gaben eine Skelettdysplasie als Ursache für den Kleinwuchs an. Bei diesen Betroffenen liegt ein mehr oder weniger disproportionierter Kleinwuchs vor, d.h. das Verhältnis von Extremitätenlänge zu Rumpflänge ist verschoben. 12% der Betroffenen gaben Wachstumshormonmangel oder SGA (Small for Gestational Age) als Ursache an, die zu den proportionierten Kleinwuchsformen zählen, 7% sonstige Kleinwuchsformen. Bei 9 Betroffenen (7%) lag noch keine endgültige Diagnose zum Zeitpunkt der Erhebung vor. Bei den meisten Skelettdysplasien kann der Kleinwuchs schon bei der Geburt diagnostiziert werden (häufig auch schon im pränatalen Ultraschall ca. ab der 20. Woche). Ausnahmen sind die Hypochondroplasie und die Pseudoachondroplasie (in unserer Umfrage insgesamt vertreten mit 7,5%). Beim Wachstumshormonmangel kann der Kleinwuchs in der Regel noch nicht bei Geburt festgestellt werden, bei SGA gehört die unterdurchschnittliche Größe bzw. das unterdurchschnittlich Gewicht bei Geburt zur Definition, die Diagnose (die zusätzlich noch ein fehlendes Aufholwachstum beinhaltet) kann jedoch frühestens erst nach 2 Jahren gestellt werden. Insgesamt hätte demnach bei allen anderen Diagnosen (mindestens 72% der Befragten) der Kleinwuchs idealerweise prä- oder perinatal festgestellt werden können. In der Umfrage wurde dies bei 64% der Befragten angegeben. In 24% der Fälle waren es die Eltern, denen der Kleinwuchs zuerst aufgefallen ist, wobei in der Frage nicht differenziert wird, in welchem Alter dies war (ob perinatal oder später). 2

3 64% der Befragten gaben an, dass mit dem Symptom Kleinwuchs auch andere Symptome assoziiert waren, wobei der disproportionierte Körperbau in 71% (entsprechend 45% aller Befragten) angegeben wurde. Ausgehend vom Symptom Kleinwuchs wurde bei 63% der Befragten die zugrundeliegende Diagnose sofort oder innerhalb von 3 Monaten gestellt, bei weiteren 13% bis zum Ablauf von einem Jahr. Bei 6% dauerte die Diagnosestellung allerdings 5 Jahre und länger, bei 7% war sie zum Zeitpunkt der Umfrage noch gar nicht gestellt. Wege zur Diagnose 34% der Betroffenen wurden sofort an einen Facharzt überwiesen, 18% an eine außeruniversitäre Spezialambulanz, 53% an eine universitäre Spezialambulanz. 8% der Betroffenen wurden erst nach mehr als einem Jahr an einen Facharzt überwiesen, bei 11% erfolgte die Überweisung an eine außeruniversitäre Spezialambulanz, bei 24% an eine universitäre Spezialambulanz zu einem späteren Zeitpunkt. Dabei waren der Patient bzw. seine Angehörigen in 39% der Fälle die treibende Kraft, gefolgt vom behandelnden Kinder- bzw. Hausarzt (31%) sowie der Geburtsklinik (26%). Die Mehrzahl der Diagnosen, nämlich 45%, wurde an einer universitären Spezialambulanz gestellt, auf außeruniversitäre Spezialambulanzen sowie niedergelassene Fachärzte entfielen jeweils 16%, auf die Geburtskliniken 21%. In 40% der Fälle waren die Patienten durch ihren betreuenden Kinder- bzw. Hausarzt auf die Einrichtung aufmerksam geworden, die die Diagnose erstellte, in 29% war es ein anderer Arzt, in 11% die Selbsthilfe, in 5% Bekannte, in 2% das Internet. 15% gaben an, die entsprechende Einrichtung durch Eigeninitiative gefunden zu haben. Im Vergleich dazu wurde in der o.g. EURORDIS-Umfrage der Anteil der Eigeninitiative sogar mit 23% angegeben. Zur Erstellung der endgültigen Diagnose mussten die Betroffenen im Durchschnitt etwa 2,5 Ärzte konsultieren, 12% der Betroffenen suchten mehr als 5 Ärzte auf. Im Vergleich mit der o.g. Umfrage von EURORDIS entsprechen diese Ergebnisse europaweit in etwa denjenigen für Betroffene mit Duchenne-Muskeldystrophie und Tuberöser Sklerose: In Deutschland mussten % der Befragten der EURORDIS-Umfrage mehr als 5 Ärzte konsultieren, bevor sie die korrekte Diagnose erhielten. Zur Erstellung der Diagnose mussten 31% der Betroffenen eine Einrichtung in einer anderen Region konsultieren, dabei mussten allerdings nur in wenigen Fällen (10%) Kosten von mehr als 200 selbst getragen werden. 22% der Befragten gaben an, sich eine zweite Meinung eingeholt zu haben. In der EURORDIS- Umfrage gab es diesbezüglich europaweit starke Unterschiede, für Deutschland wurden 20-30% angegeben. In 59% war der körperliche Untersuchungsbefund richtungsweisend für die endgültige Diagnose, bei jeweils 49% der Röntgenbefund bzw. eine genetische Untersuchung, in 16% wurden sonstige Befunde (z.b. endokrinolgische Funktionstests) angegeben Der überwiegende Teil der Betroffenen wurde von einem Arzt (betreuender Kinder-/Hausarzt 16 %, niedergelassener Facharzt 6%, Klinikarzt 44%, Facharzt für Humangenetik 35%) über die Diagnose unterrichtet, in 2% erfolgte dies durch medizinisches Hilfspersonal, in 3% wurde 3

4 der Befund per Post zugesandt. In 46% war die Diagnoseübermittlung mit einer genetischen Beratung verbunden. (Fast alle der in der Befragung angegebenen Ursachen des Kleinwuchses sind genetisch bedingt.) Folgen der Diagnose 54% der Befragten gaben an, aufgrund der Diagnose eine spezifische Therapie eingeleitet zu haben. Am häufigsten wurden dabei therapeutische Verfahren wie Physiotherapie/Ergotherapie/Logopädie mit 78% genannt, in 20% wurden medikamentöse Maßnahmen eingeleitet, in 16% chirurgische Maßnahmen, in 7% eine psychologische oder psychotherapeutische Behandlung begonnen. An sozialen Auswirkungen gaben 30% Erleichterung und Klarheit an, 19% Grundlage für die (weitere) Familienplanung und 37% ein krisenhaftes Erleben an. Des Weiteren wurden in Freitextangaben u.a. genannt: Bessere Möglichkeiten, sich weiter zu informieren, bessere Möglichkeiten, behandelnde Ärzte zu informieren, einfacherer Umgang mit Behörden/Krankenkassen, bessere Möglichkeit, sich mit dem Kleinwuchs auseinanderzusetzen. Optimierung des Diagnoseweges Ein Drittel der Befragten war der Meinung, dass man den Weg zur Diagnose hätte abkürzen oder anders gestalten können. Um dies genauer auszuführen, hatten die Befragten die Möglichkeit, Freitextangaben zu machen: Häufig wurde genannt, dass es die Betroffenen bzw. ihre Eltern als belastend empfinden, wenn die behandelnden Ärzte nicht abgeben wollen (9 Antworten) und sehen hier Optimierungsbedarf. Auch eine bessere Zusammenarbeit der Fachdisziplinen wurde von den Befragten häufiger angemahnt (5 Nennungen). Einige Eltern gaben an, sich von den behandelnden Ärzten nicht ernst genommen gefühlt zu haben (4 Antworten). Ihren Beobachtungen bezüglich des Kleinwuchses und begleitender Symptome wurde oft erst nach längerem Insistieren auf den Grund gegangen. In einer Antwort wurde die bestehende Erstattungspraxis der Krankenkassen für Gentests kritisiert. Da diese nur sequentiell durchgeführt werden dürfen, entstehen für die Betroffenen bzw. Eltern quälend lange Wartezeiten. In vielen Fällen waren die Befragten mit der Art der Diagnoseübermittlung unzufrieden. Eine wenig einfühlsame, häufig sehr abstrakte Herangehensweise der übermittelnden Ärzte wurde des Öfteren beklagt (8 Nennngen). Die Angabe, sich mit der Diagnose alleingelassen gefühlt zu haben, wurde ebenfalls (5 Antworten) genannt. Auch das Fehlen eines Ansprechpartners für die koordinierte Betreuung nach der Diagnosestellung sowie für den Umgang mit Behörden/Krankenkassen wurde angegeben (3 Antworten). Vielen fehlte auch der Hinweis des diagnosestellenden Arztes auf die Angebote der Selbsthilfe (6 Nennungen). In einigen wenigen Fällen gaben die Befragten jedoch auch an, von den übermittelnden Ärzten sehr einfühlsam und kompetent beraten worden zu sein. Dies habe sich positiv auf den weiteren Umgang mit der Erkrankung ausgewirkt. 4

5 Folgen der verzögerten Diagnose 18% der Befragten gaben an, dass sie bei einer früheren Diagnose rechtzeitiger mit einer adäquaten Therapie hätten beginnen können, 32% hätten sich quälende Ungewissheit ersparen können, 3% hätten die Familienplanung anders gestaltet. In einem Fall wurde berichtet, dass bei dem Kind zwei unnötige Operationen an der Halswirbelsäule aufgrund einer Fehldiagnose durchgeführt wurden. Sonstige Bemerkungen In einem Freitextfeld konnten die Befragten sonstige Angaben rund um die Diagnosestellung machen. Eine Bemerkung, die dabei öfter fiel, war, dass Eltern sich durch die Diagnose Kleinwuchs in der Schwangerschaft sehr verunsichert gefühlt haben, insbesondere dadurch, dass man in der Schwangerschaft in den seltensten Fällen die genaue Ursache für den Kleinwuchs herausfinden kann. Einige Eltern gaben auch an, froh zu sein, die Diagnose erst nach der Geburt erhalten zu haben, da diese von ihnen zu diesem Zeitpunkt nicht mehr als so abstrakt und potentiell bedrohlich empfunden wurde. Interpretation Nachfolgend werden einige Gedanken zu den vorliegenden Ergebnissen im Hinblick auf eine Optimierung des Diagnoseweges bei Vorliegen des Symptoms Kleinwuchs diskutiert. Dies geschieht selbstverständlich im Bewusstsein dessen, dass diese Umfrage weder repräsentativ ist noch auf wissenschaftlich validierten Fragebögen basiert: Bei 64% der Betroffenen wurde der Kleinwuchs prä- oder perinatal festgestellt. Aufgrund der angegebenen Diagnosen hätte dies optimalerweise bei mindestens 72% der Betroffenen der Fall sein müssen. Dies ist zwar ein noch akzeptables Ergebnis, in Anbetracht der Tatsache, dass eine einfache, korrekt ausgeführte Messung der Körperlänge zum Ergebnis führt, aber noch nicht optimal. Auch spricht die Tatsache, dass es in 24% der Fälle die Eltern waren, denen der Kleinwuchs zuerst aufgefallen ist, für einen Optimierungsbedarf bei dem Fachpersonal im Bereich der Pädiatrie. 64% der Befragten gaben an, dass mit dem Symptom Kleinwuchs auch andere Symptome assoziiert waren, wobei der disproportionierte Körperbau in 71% (entsprechend 45% aller Befragten) angegeben wurde. Bei 74% der Betroffenen mit Skelettdysplasien (s.o.) ist dies ein unbefriedigendes Ergebnis. Eine genaue Anthropometrie (Vermessung der Körperlängen) bei Feststellung des Symptoms Kleinwuchs wäre zu fordern. In 39% waren der Patient bzw. seine Angehörigen die treibende Kraft für eine Überweisung an einen Spezialisten zur Diagnosefindung, gefolgt vom behandelnden Kinder- bzw. Hausarzt (31%) sowie der Geburtsklinik (26%). Das Engagement der Angehörigen (in den meisten Fällen wohl der Eltern) scheint also ein entscheidender Faktor zu sein, um die Diagnose voranzubringen. 5

6 45% der Diagnosen wurde an einer universitären Spezialambulanz gestellt, auf außeruniversitäre Spezialambulanzen sowie niedergelassene Fachärzte entfielen jeweils 16%, auf die Geburtskliniken 21%. Dieses Ergebnis spricht für die Forderung nach einer früheren Überweisung an Spezialisten, insbesondere im universitären Bereich. Auch wenn es darum geht, eine geeignete Einrichtung zur Diagnosestellung zu finden, kommt der Eigeninitiative der Betroffenen mit immerhin 15% eine Bedeutung zu. Eine zentrale Anlaufstelle, sowohl für Patienten als auch für Professionelle, um geeignete Einrichtungen zu identifizieren und zu empfehlen, wäre im Bereich der seltenen Erkrankungen wünschenswert. Diese Arbeit wird zurzeit z.t. schon von Patientenorganisationen übernommen (in unserer Umfrage sind 11% der Betroffenen aus diese Weise zum Ziel gekommen), dies hängt aber vom Engagement und Budget der einzelnen Organisation ab und ist in keinster Weise flächendeckend. In 59% war der körperliche Untersuchungsbefund richtungsweisend für die endgültige Diagnose, bei jeweils 49% der Röntgenbefund bzw. eine genetische Untersuchung, in 16% wurden sonstige Befunde. Dies unterstreicht die Wichtigkeit einer einfachen klinischen Untersuchung, wobei diese von einem geübten Untersucher durchgeführt werden muss. 5% der Betroffenen wurden nicht von einem Arzt über ihre Diagnose informiert. Aufgrund der Reichweite der Auswirkungen ist dies (auch wenn es sich um einen geringen Prozentsatz handelt) inakzeptabel. In 35% wurde die Diagnose von einem Facharzt für Humangenetik gestellt, weitere 11% wurden an einen solchen überwiesen oder wurden zumindest von einem anderen Arzt genetisch beraten. Die Tatsache, dass insgesamt nur 46% der Betroffenen in Zusammenhang mit der Diagnose genetisch beraten wurden, obwohl fast alle mit Kleinwuchs einhergehenden Diagnosen eine genetische Ursache haben, zeigt Verbesserungsbedarf insbesondere im Bereich der interdisziplinären Zusammenarbeit. Bezüglich der Folgen einer verspäteten Diagnose zeigen sich Übereinstimmungen zur EURORDIS-Untersuchung, wonach in Deutschland die nicht-medizinischen Konsequenzen der Diagnoseverzögerung einen größeren Stellenwert einnehmen als die medizinischen und häufig, insbesondere von Professionellen, unterschätzt werden (In der EURORDIS-Unfrage werden neben der quälenden Ungewissheit auch noch Verstrauensverlust in das Gesundheitswesen, unangepasstes Verhalten der Familienmitglieder und schlechtes Gewissen diesbezüglich nach Diagnosestellung genannt.). Diesen nicht-medizinischen Konsequenzen sollte in der Betreuung der Patienten Rechnung getragen werden. Zusammenfassung In der vorliegenden Befragung des Bundesverband Kleinwüchsige Menschen und ihre Familien wurden 134 Betroffene bzw. ihre Angehörigen bezüglich ihrer Erfahrungen rund um die Diagnosestellung, ausgehend von Symptom Kleinwuchs, befragt. 6

7 Ergebnisse 1. Bei 63% der Befragten wurde die endgültige Diagnose sofort oder innerhalb von 3 Monaten nach Feststellung des Kleinwuchses gestellt, bei 6% dauerte es länger als 5 Jahre bis zur endgültigen Diagnose, 7% hatten zum Zeitpunkt der Befragung noch keine Diagnose. 2. Von den 78% der Betroffenen mit disproportioniertem Kleinwuchs fiel die Disproportionierung nur bei 61% primär auf. 3. Mit 40% waren die Betroffenen bzw. ihre Angehörigen am häufigsten die treibende Kraft für eine Überweisung an einen Spezialisten zur Diagnosefindung. 4. Die Mehrzahl der Diagnosen, nämlich 45% wurde an einer universitären Spezialambulanz gestellt, auf außeruniversitäre Spezialambulanzen sowie niedergelassene Fachärzte entfielen jeweils 16%, auf die Geburtskliniken 21%. 5. In 40% der Fälle waren die Patienten durch ihren betreuenden Kinder- bzw. Hausarzt auf die Einrichtung aufmerksam geworden, die die Diagnose erstellte, in 29% war es ein anderer Arzt, in 11% die Selbsthilfe, in 5% Bekannte, in 2% das Internet. 6. In 59% war der körperliche Untersuchungsbefund richtungsweisend, bei jeweils 49% der Röntgenbefund bzw. eine genetische Untersuchung, in 16% wurden sonstige Befunde (z.b. endokrinolgische Funktionstests) angegeben % der Betroffenen wurden im Zusammenhang mit der Diagnosestellung genetisch beraten. 8. Ein Drittel der Befragten war der Meinung, dass man den Weg zur Diagnose hätte abkürzen oder anders gestalten können % der Befragten gaben an, dass sie bei einer früheren Diagnose rechtzeitiger mit einer adäquaten Therapie hätten beginnen können, 32% hätten sich quälende Ungewissheit ersparen können, 3% hätten die Familienplanung anders gestaltet. 10. Die Art der Diagnoseübermittlung empfinden viele Betroffene bzw. Eltern als unsensibel und wenig informativ, häufig fühlen sie sich alleingelassen. Auf die Angebote der Selbsthilfe wird nicht regelmäßig verwiesen. 11. Auch die koordinierte Betreuung nach Diagnosestellung ist aus Sicht der Betroffene häufig unzureichend. Schlussfolgerungen 1. Die Diagnose Kleinwuchs ist durch eine korrekt durchgeführte Messung der Körpergröße und Vergleich mit alters-/geschlechts- und populationbezogenen Normkurven einfach zu stellen und sollte von Pädiatern und Geburtskliniken sicher beherrscht werden. Bei Messwerten unterhalb der 3. Perzentile sollte eine exakte Anthropometrie zur Feststellung einer evtl. vorliegenden Disproportionierung durchgeführt werden. 7

8 2. Vielfach sind es zurzeit die Eltern, die auf eine weiterführende Diagnostik bei Vorliegen des Symptoms Kleinwuchs drängen. Dabei fühlen sie sich diesbezüglich von den betreuenden Ärzten häufig nicht ernst genommen. Eine verbesserte Aufklärung von Pädiatern, aber auch Geburtskliniken und Hebammen könnte hier zu einer Verkürzung der Diagnosestellung beitragen. 3. Aus Sicht der Betroffenen wäre vielfach eine frühere Überweisung an einen Spezialisten hilfreich, insbesondere kommt hierbei den universitären Einrichtungen eine große Bedeutung zu. Auch eine bessere interdisziplinäre Zusammenarbeit zur Diagnosefindung wird gefordert. 4. Eine zentrale Anlaufstelle, sowohl für Patienten als auch für Professionelle, um geeignete Einrichtungen für die Diagnostik zu identifizieren und zu empfehlen, wäre im Bereich der seltenen Erkrankungen wünschenswert. 5. Bezüglich der Art der Diagnoseübermittlung besteht aus Sicht der Betroffenen dringender Aufklärungs- und Schulungsbedarf der verantwortlichen Ärzte, auf die Angebote der Selbsthilfe sollte regelmäßig verwiesen werden. Außerdem sollte (bei genetisch bedingten Erkrankungen) eine genetische Beratung im Zusammenhang mit der Diagnose angeboten werden. 6. Bezüglich einer koordinierten Patienten-Betreuung nach Diagnosestellung könnten interdisziplinäre Einrichtungen nach dem Modell des 116b Abhilfe schaffen. Dabei sollten auch die nicht-medizinischen Auswirkungen einer (verzögerten) Diagnosestellung Berücksichtigung finden. Dr. Nora Vaupel. BKMF e.v. 8