Über einige Annahmen im Zusammenhang mit Krankenhauswahlentscheidungen. Oder: Sind Patienten Kunden? Stefan Bär Max-Weber-Institut für Soziologie
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- Petra Geier
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1 Über einige Annahmen im Zusammenhang mit Krankenhauswahlentscheidungen. Oder: Sind Patienten Kunden? Stefan Bär Max-Weber-Institut für Soziologie
2 Patienten sind heute aufgeklärter und informierter, und sind daher eher als bisher zur Artikulation und Realisierung ihrer Ansprüche in der Lage. Sie verhalten sich daher analog zu Kunden, und treffen die Krankenhauswahl-Entscheidung dem entsprechend nach rationaler Abwägung. Zu prüfende Thesen
3
4 1. Wahrnehmung der Situation 2. Informationen und Informationsverhalten 3. Präferenzen, wichtige Faktoren 4. Rolle der Hausärzte, institutionalisierter Weg ins Krankenhaus 5. Erklärungsansatz 6. Schlussfolgerungen, Konsequenzen für die Praxis
5 Die zugrunde liegenden Forschungsprojekte befragte Patienten Bär (2006) Sobhani/Bär (2009) Raum Heidelberg Berlin Diagnosen Krebs diverse
6 1. Zur Wahrnehmung der Situation Berlin Heidelberg unsicher in der Einschätzung 30,9% 32,5% Situation ist ernst 30,9% 55,4% besorgt, aber zuversichtlich 65,5% 73,8%
7 Berlin 4,46 (2,14) HD 5,87 (2,50) Einschätzung des Gesundheitszustands (Mittelwerte, SD)
8 Berlin 2,09 (1,37) SEU : 2,35 (1,82) ; HD 2,41 (1,74) SEU : 3,44 (2,39) Gewünschter/erhoffter Gesundheitszustand nach dem Aufenthalt (Mittelwerte)
9 2. Informiertheit Wichtig weil Entscheidung zwischen Alternativen Hinweis auf Orientierungen Prüfung alltagstheoretischer Annahmen
10 Kenntnisse über das aktuelle Krankenhaus (Angaben in Prozent) Veranstaltungen andere Medien Internet als Mitarbeiter Heidelberg Berlin vom Hören-Sagen als Besucher
11 Kenntnisse über andere Krankenhäuser im Umfeld (Angaben in Prozent) Veranstaltungen andere Medien Internet als Mitarbeiter Heidelberg Berlin vom Hören-Sagen als Besucher als Patient
12 Informationsverhalten Lediglich etwa ein Drittel der Patienten [27% (B) bzw. 33%(HD)] hat sich im Vorfeld um Information über das Krankenhaus bemüht. Bildung: Patienten mit höherem Bildungsniveau versuchen eher als andere sich im Vorfeld zu informieren. Patienten mit höherem Bildungsniveau beziehen im Vergleich deutlich häufiger Wissen über das Krankenhaus, in welchem sie sich aufhalten, über das Internet. Alter: Jüngere (< 42 Jahre) beziehen ihre Kenntnisse eher als ältere Patienten über das Internet, durch Veranstaltungen, aber auch über das Hören-Sagen. Korrelation: Jüngere Patienten haben generell mehr Bildungsjahre als Ältere
13 Die Kenntnisse der Patienten über das Krankenhaus, in dem sie sich aufhalten, generieren sich zum überwiegenden Teil aus Erfahrungen als Besucher oder Angehörige durch Hören-Sagen Ein Fünftel besitzt vor dem Krankenhausaufenthalt überhaupt keine Kenntnisse über das jeweilige Haus. Ein Großteil der Patienten kennt andere Krankenhäuser lediglich als Patient und/oder als Besucher. Das Internet als Informationsquelle hat generell eine sehr geringe Bedeutung.
14 Basis der Entscheidung ist Intransparenz (und Unsicherheit) Weil das Krankenhaus nicht relevant ist in der Lebenswelt von Gesunden, außer wenn im sozialen Kontext jemand ernsthaft krank wird. Daten nicht verfügbar sind (Mortalitäts- und Komplikationsraten) oder schwer erschließbar sind (Qualitätsberichte) Das wird aber nicht generell als ein Mangel wahrgenommen.
15 Die Qual der Wahl? und die Bedeutung der Information 82% (HD) bzw. 80% (B) wären auch bei einer Alternative nicht in ein anderes Haus gegangen 85% (HD) bzw. 77% (B) wären auch mit mehr Informationen nicht in ein anderes Haus gegangen
16 3. Präferenzen werden als präexistent angenommen Abwägungen aufgrund von Präferenzen und dem entsprechenden Informationsverhalten Präferenzen = Bedürfnisse/Wünsche/Hoffnungen? kognitive vs psycho-emotionale Komponenten Erwartungen und Zufriedenheit
17 Bedeutung einzelner Faktoren allgemein Heidelberg Berlin eigene Erfahrungen Athmosphäre Pflege und Betreuung Ausstattung Spezialabteilungen Qualität der medizinischen Leistungen Empfehlung Freunde/Verwandte räumliche Nähe Empfehlung Hausarzt Ruf Chefarzt Ruf des Hauses
18 Bedeutung einzelner Faktoren für die eigene Auswahl eigene Erfahrungen Athmosphäre Pflege und Betreuung Empfehlung Freunde/Verwandte räumliche Nähe Empfehlung Hausarzt Ruf Chefarzt Ruf des Hauses
19 Bedeutung medizinischer Faktoren für die eigene Auswahl positive Behandlungsergebnisse anderer Ausstattung Spezialabteilungen Qualität der medizinischen Leistungen
20 Der Ruf des Hauses als schwierig zu fassende Größe erscheint wichtig, ist aber lediglich für etwa die Hälfte von ausschlaggebender Bedeutung. Die Empfehlung des Hausarztes war ebenso für etwa die Hälfte relevant bei der Auswahl des Krankenhauses. Der Ruf des Chefarztes als Ausweis medizinischer Expertise spielt eine untergeordnete Rolle. Die Qualität der medizinischen Leistungen und technische Ausstattung werden als selbstverständlich vorausgesetzt. Für über 70% spielen die positiven Behandlungsergebnisse als objektiver Parameter medizinischer Qualität keine Rolle für die Auswahlentscheidung.
21 4. Das momentane Krankenhaus ist dasjenige, das vom Hausarzt empfohlen wurde Berlin aber 33% (HD) bzw. 46% (B) meinen, dass der Hausarzt das jeweils beste ja Krankenhaus empfiehlt nein 51% (HD) bzw. 40% (B) sind sich unsicher 16% (HD) Heidelbergbzw. 14% (B) haben tatsächliche Zweifel daran
22
23 Patienten versuchen eine komplexe Entscheidungssituation mit ungewissem Ausgang durch Vereinfachungen zu entschärfen. Delegation Soziales Umfeld Inkrementalismus 5. Erklärungsvorschlag über Vereinfachungsstrategien
24 Vereinfachungsstrategie Patienten, die die Entscheidung an den Arzt delegieren Patienten, die die Vorselektion aus dem sozialen Umfeld übernehmen Patienten, die auf gewohnte Entscheidungsmuster vertrauen Sample Berlin (N=559) 25,9% 17,5% 36,9% 25,0% 37,2% 25,2% keine Strategie nachweisbar 32,2% Entscheidungsstrategien
25 Fazit Jüngere Patienten machen sich tendenziell weniger Sorgen in Bezug auf ihren Gesundheitszustand und orientieren sich bei der Krankenhauswahl eher an gewohnten Entscheidungsmustern. Hierbei informieren sie sich im Vergleich häufiger über das Internet bei insgesamt geringer Nutzung dieses Mediums. Obwohl sie keine/kaum Alternativen recherchieren, trauen sie sich auf dieser Basis zu, den Ruf eines Hauses beurteilen zu können. Die Nutzenerwartungen sind insgesamt eher geringer.
26 Ältere Patienten orientieren sich im Vergleich weniger an der technischen und räumlichen Ausstattung und auch weniger am Ruf der Pflege oder des Chefarztes. Eigene Erfahrungen und auch die Empfehlungen von Bekannten sind weniger bedeutsam! Am ehesten spielt für sie die Empfehlung des Hausarztes eine Rolle für die Krankenhausauswahl. Bei schwerwiegenden Erkrankungen gilt generell: je mehr Sorgen sich die Patienten machen und je unsicherer die Situation gedeutet wird, desto eher neigen sie zur Delegation der Auswahl des Krankenhauses, entweder an den Arzt als Experten oder an das soziale Umfeld. Gleichzeitig sind die Erwartungen an das Krankenhaus höher.
27 Nachdenken über die Grundannahmen zur Patientenrekrutierung/zum Patientenverhalten: Qualität setzt sich durch (Reputation) Marketing (Kunden, Kundenbindung) Informationen (Internet) Rationalität (begrenzte Rationalitätsannahme) Folgen, Konsequenzen I
28 Zu prüfende Maßnahmen: Einweisermanagement Qualitätsaspekte in den Interaktionen wahrnehmbar machen Kommunikations- und Interaktionsfähigkeit der Beschäftigten stärken Besucher und Angehörige als Zielgruppen bedenken (Multiplikatoren für den Ruf) Segmentierung der Maßnahmen (für jede Zielgruppe das Richtige finden) Folgen, Konsequenzen II
29 SOBHANI, BIDJAN UND STEFAN BÄR, (2010): Das Unentscheidbare entscheiden. Eine Studie über das Verhalten von Patienten bei der Krankenhauswahl In: das Krankenhaus, Mai 2010, 102. Jahrgang. S BÄR, STEFAN, (2009): Patientenrekrutierung oder bewusste Auswahl? In: Arzt und Krankenhaus, 03/2009. S BÄR, STEFAN, (2008): Die Qual der Wahl - oder ist doch alles ganz einfach? Anmerkungen zur Erklärung von Krankenhauswahl-Entscheidungen In: das Krankenhaus, Februar 2008, 100. Jahrgang. S BÄR, STEFAN, (2008): Wege ins Krankenhaus, Krankenhauswahl als Rational Choice VDM Verlag, Saarbrücken ISBN: Vielen Dank!
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