Kapitel 1 Einleitung. BACnet der Begriff, die Norm

Größe: px
Ab Seite anzeigen:

Download "Kapitel 1 Einleitung. BACnet der Begriff, die Norm"

Transkript

1 33 Kapitel 1 Einleitung BACnet der Begriff, die Norm (GA-System BACS, GA-Netzwerk BACnet) Die Abkürzung für Gebäudeautomationssystem, GA-System (engl.: BACS, Building Automation and Control System), steht für vernetzte, mikroprozessorbasierte Automationseinrichtungen. Betrachten wir dieses Netzwerk, so ist es ein GA-Netzwerk (engl.: Building Automation and Control Network). Gebäudeautomation unterscheidet sich von Hausautomation (engl.: Home Automation) durch die einbezogenen Anwendungsbereiche. Im Heim kommen eher die folgenden Anwendungen vor: Konsumelektronik (braune Ware, engl.: Consumer Electronics), Haushaltswaren (weiße Ware, engl.: Household Appliances), Sicherheitstechnik (für niedrigere Gefahrenklassen, engl.: Security Systems) und medizinische Dienste (engl.: Health Care), aber natürlich auch die Heizungstechnik. Die Verbindung zur Gebäudeautomation erfolgt normativ über das Bussystem KNX/EIB. Die Experten für die Entwicklung der Weltnorm für die Kommunikation in der Gebäudeautomation haben ihr GA-Netzwerk kurz BACnet genannt (siehe oben). Diese Schreibweise wurde zur allgemein anerkannten Wortmarke der ASHRAE. Die ASHRAE (American Society of Heating, Refrigerating and Air-Conditioning Engineers, Inc.) ist die weltweit aktive amerikanische Ingenieurvereinigung für Technische Gebäudeausrüstung, unter deren Fahne der BACnet-Standard entwickelt wurde. In diesem Buch wird BACnet wie in neutralen Leistungsverzeichnissen an einigen Stellen auch GA-Netzwerk genannt, gemeint ist aber immer das einzige genormte Datenkommunikationsprotokoll für die Gebäudeautomation nach DIN EN ISO Für diese Weltnorm wird häufig der Begriff BACnet-Standard gebraucht, der auch in diesem Buch zur Anwendung kommt. Die Normenreihe ISO umfasst auch die GA-System-Hardware und genormte GA- Funktionen. Letztere werden in diesem Buch VDI-3814-Standard genannt, denn die GA-Funktionen haben mit der Kommunikationsnorm für die Projektspezifikation eine gleichwertige Bedeutung eine Erklärung folgt in Kapitel 2 unter GA-Funktionen. BACnet ist/war seit 1995 nationale Norm in Nordamerika und in Korea sowie eine Vornorm in Europa in Japan wurde das Protokoll für die nationale Einführung in das Japanische (Katakana, Kanji und Hiragana) übersetzt, es gibt eine chinesische und eine koreanische Übersetzung. Die europäischen Produktentwickler wollen lieber mit der Originalfassung arbeiten. (Für Anwender und Beratende Ingenieure gibt es dieses Buch).

2 34 BACnet der Begriff, die Norm Der aktuelle BACnet-Standard (2005) ist noch immer die 1. Version in der 4. Revision (1.4) d. h. dass keine Änderungen, sondern nur aufwärtskompatible Ergänzungen erfolgten. BACnet ist kein Gerät und kein physikalisches System, sondern eine Vorgabe für Produktentwickler in Form einer Norm, welche über 600 Seiten umfasst. Mehr als 100 Seiten umfassen dann noch die Ergänzungen (Addenda) zur Norm. Hinzu kommen nochmals etwa 450 Seiten der Norm für die Überprüfung von Produkten auf Konformität mit der BACnet-Norm. Diese ist bereits als ASHRAE Standard 135.1, Method of Test for Conformance to BACnet, in der weltweiten Umfrage bei ISO eingebracht. Entsprechende Produkte werden seit Beginn 2004 danach getestet und zertifiziert, sie dürfen das BTL-Logo tragen (siehe Kapitel 3). Damit ist die Gewähr gegeben, dass man wahrhaft offene Produkte klar erkennen kann. Die günstigste Methode, den BACnet Standard zu erwerben, ist als ASHRAE-Mitglied ein Download des PDF-Dokuments Nr. D86447 zu US-$ von der ASHRAE- Website unter Standards : ( ashrae/newstore.cgi) Die ASHRAE Original-Ausgabe von 2004 enthält bereits die normative Einbindung von KNX/EIB in BACnet (Kapitel H.5 Using BACnet with EIB/KNX). Im Buchshop der Promotor Verlags- und Förderungsges. mbh gibt es den Original BACnet Standard für 129,00 Euro. Der Buchshop ist erreichbar über: Bild 1-01 Titelseite ANSI/ ASHRAE 135 Weitere Quellen für gedruckte und CD- ROM Exemplare und für die Norm-Ausgaben sind in Kapitel 8 aufgeführt. Beispielsweise bekommt man das identische Dokument als British Standard BS EN ISO , Ausgabe: , für sage und schreibe 424,10 Euro. Natürlich bezeichnen manche Hersteller ihr GA-System, wenn es BACnet-konform entwickelt wurde, auch als BACnet-System. Die Hersteller von Produkten mit BACnet- Fähigkeit aus Kapitel 9 findet man aktuell im Internet unter dem Link: ( index.html) Bis Mitte 2005 haben 169 Firmen und Organisationen aus 18 Ländern eine BACnet-Lieferantenkennung erhalten; eine Voraussetzung, um Produkte an ein genormtes GA-Netzwerk zu koppeln, siehe "Decice- Objekt". Auch diese Liste mit den BACnet- Vendor-IDs (aus Kapitel 9) findet man ständig aktualisiert im Internet unter: ( index.html).

3 BACnet der Begriff, die Norm 35 BACnet unterstützende Dokumente In einer gemeinsamen Arbeitsgruppe von CEN/TC 247 (Komitee für Europäische Normung und CENELEC/TC 205 (Komitee für Elektrotechnische Normung in Europa) wird zum Zeitpunkt der Herausgabe dieses Buches eine Norm erarbeitet, die aus Sicht der elektrischen Sicherheit und der elektromagnetischen Verträglichkeit die Anforderungen sowohl an die Elektrische Systemtechnik für Heim und Gebäude (ESHG) als auch an die Gebäudeautomation (GA) festlegt. Diese Norm gilt nach Herausgabe als Anhang zur GA-Weltnorm DIN EN ISO Damit werden die grundlegenden Anforderungen der EU-Niederspannungsrichtlinie (73/23/EEC) erfüllt. Kurz nach Übernahme des BACnet-Standards als ANSI-Norm hat das NIST (National Institute of Standards and Technology) des U.S. Department of Commerce im Auftrag der U.S. General Services Administration (GSA) eine interne Richtlinie IR 6392 erstellt. Dieses Dokument zeigt auf, was bei der Planung einer interoperablen Gebäudeautomation beachtet werden muss und gibt dazu Empfehlungen. Die BACnet Interest Group Europe e.v. (B.I.G. EU) hat dieses Dokument übersetzt und für Interessierte auf ihrer Webseite zum Download bereitgestellt. Das Dokument heißt VDI-TGA/BIG- EU Leitfaden zur Ausschreibung interoperabler Gebäudeautomation auf Basis von DIN EN ISO Systeme der Gebäudeautomation Datenkommunikationsprotokoll (BACnet). Die Arbeitsgruppe Technik (WG-T) der B.I.G. EU hat nach eingehender Erfahrung mit den ersten heterogenen BACnet-Großprojekten ein Handbuch Implementierung von BACnet-Systemen erstellt. Dieses Handbuch zeigt aus Sicht der Ausführung (Implementierung) Möglichkeiten auf, wie interoperable Systeme mit BACnet konzipiert und auf der Baustelle abgestimmt werden können. Dieses Handbuch ist gleichermaßen für Systemintegratoren, Produktmanager, Entwickler sowie für Service- und Inbetriebnahmespezialisten geeignet. Es steht ebenfalls zum freien Download bereit. Weiterhin hat die WG-T für den Datenaustausch zwischen den beteiligten Firmen ein einheitliches Tabellenkalkulations-Formular geschaffen. Dieses Datenblatt ist für ein Offline Engineering ihrer Datenbasis erforderlich. Unter dem Begriff EDE (Engineering Data Exchange) steht ein Muster- Formularsatz EDE-Templates.zip auf der Website der B.I.G.-Europe ( zur Verfügung. Für Hersteller gibt es von der B.I.G.-Europe weitere Handbücher, z. B. für Conformance Testing and Certification. Die Mitglieder der BACnet Testing Labs (BTL) haben ein vergleichbares Dokument veröffentlicht, die Device Implementation Guidelines für Produkte, die von der BTL getestet und gelistet werden sollen. Ziel dieses Buches Das vorliegende Fachbuch vermittelt dem Leser soweit möglich in deutscher Sprache: wozu Gebäudeautomation mit BACnet nützt, was BACnet ist und kann, wie man es einsetzt, wie man es in einer Ausschreibung beschreibt, wo die Grenzen des Einsatzes sind und wie offen offene interoperable GA- Systeme wirklich sein können. Dabei muss uns immer bewusst bleiben, dass die Mikroelektronik, Computertechnik

4 36 Gebäude/Gebäudeautomation GA und Informatik für den MSR-Anlagenbau wie Hilfsenergien zu betrachten sind, wie die gute alte Pneumatik. Auch da mussten wir nicht wissen, wie ein Kompressor gebaut wird. Das Problem ist nur: Wo sind die Grenzen der Telematik? Telematik ist das Kunstwort aus der Verknüpfung der Telekommunikation mit der Informatik. Für eine Antwort darauf müsste der Blick in die Kristallkugel herhalten. Bevor wir uns mit dem genormten Netzwerk selbst und mit seinen Charakteristiken, Merkmalen, Eigenschaften und Besonderheiten näher befassen, ist es wichtig, die eigentliche Anwendung, die Gebäudeautomation und deren Umfeld zu verstehen. Denn die GA ist an sich kein Selbstzweck, sondern der Odem, mit dem die mechanischen Einrichtungen im Gebäude funktionieren. Die folgenden Abschnitte in diesem Kapitel sollen verdeutlichen, wofür BACnet und Gebäudeautomation dienen. Gebäude Mehr Nutzen bei geringerem Aufwand lautet die Devise der Bauherren. Oder: drastische Senkung der Kosten pro Arbeitsplatz und pro Quadratmeter Produktionsfläche bei vergleichbarer Qualität. Die Anforderungen an Gebäude passen sich dem Wertewandel der Gesellschaft an. Die wichtigsten Ansprüche, die ein modernes Bürogebäude erfüllen muss, sind: Kurze Planungsphase Schnelle u. kostengünstige Realisierung Bau-Qualitätsmanagement Flexibilität in der Nutzung Niedrige Betriebs- und Energiekosten Ökologischer Bau und Betrieb Gewährleistung eines produktiven Wohlbefindens am Arbeitsplatz. Für die Synthese von Funktionsanforderungen, Ästhetik, Ökonomie und Ökologie ist ein zunehmend komplexeres Systemdenken gefordert. Dieses Denken bildet die Grundlage für das vorliegende Buch. Gebäudeautomation GA (engl.: building automation and control) Unter GA versteht man die Einrichtungen, Software und Dienstleistungen für automatische Steuerung und Regelung, Überwachung und Optimierung sowie für Bedienung und Management zum energieeffizienten, wirtschaftlichen und sicheren Betrieb der Technischen Gebäudeausrüstung. Sowohl das (Bau-) Gewerk als auch die Branche werden so genannt. Der Begriff Gebäudeautomation wurde ab ca eingeführt. In der deutschen Fachliteratur finden wir den Begriff in der Broschüre Gebäudeautomation IWG- Empfehlung der Informations- und Werbegemeinschaft Heizungs- und Klimaregelung aus dieser Zeit. Erst 1992 wurde Gebäudeautomation mit der DIN V und mit der DIN 276 Kosten im Hochbau, Kostengruppe 480 (1993) offiziell in der Normung eingeführt. Endgültig definiert wurde der Begriff in der DIN EN ISO :2004. Nach DIN 276 ist Gebäudeautomation die Mess-, Steuer-, Regel- und Leittechnik für alle automatisierbaren Baukonstruktionen, technische Anlagen, Außenanlagen und Ausstattungen. Zu ihr gehören neben den Automations-, Bedien- und Managementeinrichtungen mit Software und Dienstleistungen (GA-Funktionen), die erforderlichen Feldgeräte, Schaltschränke, die Verkabelung der Einrichtungen und die zugehörigen Netze für Informationsübertragung. Auch die Raumautomation gehört dazu. Nicht zur

5 Gebäudeautomation GA/Bauen und Systemintegration 37 GA gehören die Gewerke Informationstechnische Anlagen mit Gefahrenmeldesystemen (Brand, Einbruch), Systeme zur Zutrittskontrolle und Zeiterfassung, Video- Überwachungsanlagen und Personensuchanlagen. Diese technischen Gebäudesysteme können mit der GA über spezielle Schnittstellen gekoppelt sein (DIN EN ISO , 3.30). Ein Gebäudeautomationssystem (GA-System) (engl.: building automation and control system - BACS) ist folglich ein System, bestehend aus allen Produkten und Dienstleistungen für automatische Steuerung mit Logikfunktionen, Regelung, Überwachung, Optimierung, Betrieb sowie für manuelle Eingriffe und Management zum energieeffizienten, wirtschaftlichen und sicheren Gebäudebetrieb. Dabei bedeutet die Verwendung des Wortes Automation nicht, dass sich das System/die Einrichtung nur auf Automation bezieht. Verarbeitung der Daten und Informationen ist ebenso möglich. Für weitere Erklärungen siehe Kapitel 2 Gebäudeautomation. Wenn ein Gebäudeleitsystem, ein Gebäudemanagementsystem oder ein Gebäude-Energiemanagementsystem die Anforderungen der Internationalen Normenreihe DIN EN ISO erfüllt, darf es als ein Gebäudeautomationssystem (GA-System) bezeichnet werden (DIN EN ISO , 3.31). Bauen und Systemintegration Die Wandlung der früheren industriellen Produktionsgesellschaft in eine Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft und der damit verbundene Umbau erschüttert die Routinen und natürlich auch die gewohnten Vorstellungen vom Bauen. Der Bauprozess ist wie auch industrielle Prozesse von einem einzelnen Menschen kaum mehr zu steuern oder zu kontrollieren. Das Versprechen moderner Managementmethoden, zum Beispiel des Projekt- oder Facility Managements, der integralen Planung und der computerunterstützten Planungswerkzeuge liegt darin, die Planungsmethodik und Kommunikation der beteiligten Baufachleute systematisch zu unterstützen. Computerunterstützte Planungswerkzeuge sollen die auseinanderstrebenden Spezialisierungen, die inflationäre Vermehrung von Wissen und Erfahrung reintegrieren. Noch ignorieren viele Architekten die auf der Baustelle als Ingenieurleistung zu erbringende Systemintegration. Sie sind gewohnt, dass die verbauten Produkte eine inhärente Funktionalität besitzen, um die man sich im Detail nicht mehr kümmern muss. Diese Denkweise ist bei den mit digitaler Technik durchsetzten Produkten und Systemen obsolet geworden. Doch noch ist vornehmlich der Architekt zuständig für die Integration aller Komponenten in sein Gesamtwerk, zumindest wird er nach Honorarordnung dafür entlohnt (HOAI 15 Abs. 3). Ansonsten besteht für die erforderliche funktionale Koordination aller beteiligten Gewerke kein geregelter Honorarbereich. In der täglichen Baupraxis erleben wir, dass die traditionelle Vorgehensweise jedes Gewerk baut seine Technik funktional unabhängig von anderen zu schwerfällig, synergielos und teurer als nötig ist. Visionäre Bauherren, Unternehmungen und Manager haben erkannt, dass heute ein in funktionalen Zusammenhängen denkender Integrationsplaner (oft neben dem Architekten) erforderlich wird. Hinzu kommt eine unterschwellige Distanz zu allem, was nach Standard, nach Gewöhnlichem, nach dem, was alle machen,

6 38 Bauen und Systemintegration aussieht das liegt in der Natur der kreativen Architekten. Doch damit generieren sie ein neues Problem: Die komplexen Zusammenhänge der heute eingesetzten technischen Gebäudesysteme und Anlagen sind ohne Normen und Standardmethoden nicht mehr beherrschbar, ein sinnvolles Zusammenwirken wird durch genormte Schnittstellen erst möglich. Anders als bei konventionellen Bauteilen ist die Information oder die Steuerungsroutine nicht mehr über den gesamten Nutzungszyklus untrennbar mit dem Bauteil verbunden. Sie kann theoretisch beliebig oft manipuliert und aktualisiert werden. Bei fehlerhaftem Informationsaustausch droht größerer Energieverbrauch, reduzierte Nutzbarkeit oder bei Totalausfall sogar die Evakuierung des Gebäudes. Beispiel: Bei einer interaktiven Fassade (Bild 1-02) handelt es sich um einen komplexen Verbund von industriell gefertigten Produkten, ein «aktives Bausystem». Die Systemkomponenten stehen nicht nur ästhetisch und formal, sondern vielmehr mechanisch, elektrisch, elektronisch und damit funktionell miteinander in Beziehung. Sie sind über die Automationstechnik miteinander vernetzt. Diese bewegt die Komponenten zeitlich koordiniert und richtet sie aus. Ihr «aktives Verhalten» und somit ihre Funktionalität ist Teil der digitalen Gebäudeautomation. Automation bedingt Information über die Betriebsbedingungen, welche die Sensorik liefert. Bild 1-02 Effiziente Gebäudetechnik (Dr. Oesterle, DS-Plan, Stuttgart, Dr. Koenigsdorf, FH Biberach)