Gefährdungsbeurteilungen macht Gesundheitsschutz die Unternehmen krank?
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- Karola Schulze
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1 Gefährdungsbeurteilungen macht Gesundheitsschutz die Unternehmen krank? AGV Personalleitertagung 2013 Dr. Ralf Schweer Kontakt: Dr. Ralf Schweer INTERNATIONALES SYMPOSIUM FÜR ARBEIT 2010
2 Agenda Wie kommt das Thema Gefährdungsbeurteilung: Psychische Belastung in die Unternehmen? Rechtliche Grundlagen, Mitbestimmung und Konsequenzen für das betriebliche Handeln Realität in den Unternehmen mit der Gefährdungsbeurteilung: Beispiele Häufige Fragen
3 Wie kommt die Gefährdungsbeurteilung Psychische Belastung in die Unternehmen? IGMETALL/SPD: Regelungslücke Anti-Stress-Verordnung Krankenkassen: Zunahme psychischer Störungen Medien: Burnout/Depression wird als Volkskrankheit inszeniert WirrWarr: Psychische Belastung vs. Beanspruchung Erweiterung des ArbSchG um psychische Belastungen GDA-Ziel: Schutz und Stärkung der Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen Betriebsrat: Mitbestimmung Weiterbildung Betriebsrat Sachverständige
4 Rechtliche Grundlagen, Mitbestimmung und Konsequenzen für das betriebliche Handeln
5 Gefährdungsbeurteilung - warum und wie? Arbeitsschutzgesetz: Beurteilungen der Arbeitsbedingungen müssen durch den Arbeitgeber durchgeführt werden 5 ArbSchG Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. Maßnahmen des Arbeitsschutzes dienen zur Unfallverhütung Verhütung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren Menschengerechten Gestaltung der Arbeit 2 Abs. 1 ArbSchG
6 Gefährdungsbeurteilung was ist zu erheben? Die Gegenstände, die in der Gefährdungsbeurteilung untersucht werden müssen, sind folgende ( 5 Abs. 3 ArbSchG): 1. die Gestaltung und die Einrichtung der Arbeitsstätte und des Arbeitsplatzes, 2. physikalische, chemische und biologische Einwirkungen, 3. die Gestaltung, die Auswahl und den Einsatz von Arbeitsmitteln, insbesondere von Arbeitsstoffen, Maschinen, Geräten und Anlagen sowie den Umgang damit, 4. die Gestaltung von Arbeits- und Fertigungsverfahren, Arbeitsabläufen und Arbeitszeit und deren Zusammenwirken, 5. unzureichende Qualifikation und Unterweisung der Beschäftigten 6. Geplant: Psychische Belastung
7 Leitlinie Gefährdungsbeurteilung der GDA Übersicht der Gefährdungsfaktoren (Anlage 2) Ungenügend gestaltete Arbeitsaufgabe Routineaufgaben, Über-/Unterforderung Ungenügend gestaltete Arbeitsorganisation Hoher Zeitdruck, Wechselnde Arbeitszeiten, Ungenügende Prozessgestaltung Ungenügend gestaltete soziale Beziehungen Konflikte, Ungenügendes Führungsverhalten, fehlende soziale Kontakte Ungenügend gestaltete Arbeitsplatz und umgebungsvariablen Lärm, räumliche Enge etc.
8 Die große Unbekannte: Mitbestimmung 87 Abs. 1, 7 BetrVG (1) Der Betriebsrat hat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, [ ] mitzubestimmen BAG-Urteil von 2004 Gefährdungsbeurteilung sind in der Durchführung (in den Normtexten) nicht abschließend konkretisiert ( es besteht Handlungsspielraum ), daher Mitbestimmung. Der Prozessablauf einer Gefährdungsbeurteilung wird hier geregelt.
9 Was heißt Mitbestimmung jetzt konkret? Streng genommen heißt dies, dass der Arbeitgeber den gesetzlichen Vorschriften aus dem Arbeitsschutzgesetz nicht nachkommen darf, solange der Betriebsrat nicht mitbestimmt hat. Denn Kennzeichen der Mitbestimmung ist, dass der Arbeitgeber nicht einseitig handeln darf. [ ] Ohne konkretisierende Regelung in der Betriebsvereinbarung dürfen weder Gefährdungsbeurteilungen [ ] noch Unterweisung [ ] durchgeführt werden. Gäbert & Maschmann-Schulz, 2008, 44
10 Welche Szenarien sind dadurch denkbar? AG eskalierend AG deeskalierend BR eskalierend Worst Case Oft: Blockadehaltung Oft: Blockadehaltung Best Case BR deeskalierend
11 Was muss klar sein beim Thema Mitbestimmung? Großes Betätigungsfeld für betriebliche Interessensvertretungen (und Gewerkschaften) Gefährdungsbeurteilung = Handlungsfeld/Bühne für Betriebsräte Machtinstrument zur Durchsetzung von Interessen Oft: Verschiebung anderer Konflikte in den Bereich der Gefährdungsbeurteilung
12 Realität in den Unternehmen: Beispiele
13 Beispiel 1 Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie ca Mitarbeiter in Niederlassungen großer Anzahl Hohe Arbeitssicherheitsstandards Starker Betriebsrat mit externen Sachverständigen Einigungsstellenverfahren (in einer Niederlassung: ca. 400 Beschäftigte) Vorgehen der AN-Seite: Proaktives Einbringen eines Regelungsentwurfs Konkretes Wissen um Mitbestimmung Pistole auf Brust -Politik Ziel der AG-Seite: 1. Rasche Beendigung eines Einigungsstellenverfahrens 2. Pragmatisches Verfahren zur Durchführung
14 Beispiel 1 29-seitige BV Umfangreiches Erhebungsverfahren psychischer Belastung Mitarbeiterbefragung (Verfahrensdiskussion) Anschein der Wissenschaftlichkeit Festlegung einer Gemeinsamen Kommission oder Steuerungskreis (für die Maßnahmenfestlegung)
15 Beispiel 1 Fehler: Die Verfahrensdiskussion Oft: Diskussionen in Einigungsstellen werden verfahrensbezogen geführt. Es werden Argumente gesucht, warum das vom BR vorgelegte Verfahren nicht das Richtige ist. Damit wird eine Diskussion eröffnet, die in Einigungsstellen meist dazu führt, dass der AG aufgefordert wird ein eigenes Verfahren auszuwählen und vorzustellen. Das Ende vom Lied : Alternative A: Es wird ein Pilot mit beiden Verfahren unabhängig voneinander versucht Alternative B: Es wird ein drittes Verfahren bemüht, das durch einen parteiübergreifenden Sachverständigen vorgestellt wird. Folge: Sie sind keinen Schritt weiter, haben aber mindestens 2 Einigungsstellentermine benötigt (ca. 20 TSD. Euro)
16 Exkurs Verfahren zur Erfassung psychischer Belastung
17 Was ist eine psychische Belastung? Einwirkung auf den Beschäftigten (durch die Arbeitssituation [=Tätigkeit + Arbeitsplatz] die Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken Normtext ISO Es geht also um die Tätigkeit und den Arbeitsplatz (als Einwirkung) auf die Beschäftigten, nicht um das subjektive Wohlbefinden des Einzelnen. D.h. für den Arbeitgeber, dass er die Arbeitsbedingungen so gestalten muss, dass die Einwirkung durch psychische Belastung keine negativen Folgen mit sich bringt (Schwierigkeit: Grenzwert)
18 Ist eine Mitarbeiterbefragung daher für eine Gefährdungsbeurteilung geeignet? Bei der Gefährdungsbeurteilung geht es um die Beurteilung der Arbeitsbedingungen, die mit objektiven und vor allem bedingungsbezogenen Verfahren durchgeführt werden müssen. Hierzu sollten keine Befragungen eingesetzt werden. Sandrock & Prynda, 2012 Institut für angewandte Arbeitswissenschaft ABER: Was, wenn in einem Unternehmen mit dem Betriebsrat nur eine Einigung zu erzielen ist, wenn zusätzlich oder ausschließlich eine Mitarbeiterbefragung durchgeführt wird? In diesem Fall: alles was Einigung erzielt, ist erst einmal gut!!!
19 Beispiel 1 Mitarbeiterbefragung B3: Der/die Vorgesetzte lässt einen wissen, wie gut man seine Arbeit getan hat. B17: Der/die Vorgesetzte hilft mir bei der Erledigung der Aufgaben. B32: Der/die Vorgesetzte ist daran interessiert, dass es seinen/ihren Mitarbeiter/innen gut geht. B38: Man hat leicht Zugang zum/zur Vorgesetzten B44: Der/die Vorgesetzte schenkt dem, was ich sage, Beachtung.
20 Beispiel 1 Objektives/Bedingungsbezogenes Verfahren Rückmeldung durch Vorgesetzte Die Rückmeldung der Führungskräfte wird als ausreichend angesehen. Die Beschäftigten geben an, dass oben viele Führungskräfte sind, die sich teilweise nicht absprechen. Dies führt zu Unsicherheiten in der Ausführung ( Was ist denn jetzt richtig? ). Handlungsbedarf Verlässlichkeit der Aussagen. Bewertungskriterien (Beispiele): In Zweifelsfällen und bei schwierigen Entscheidungen hat der Beschäftigte keine Gelegenheit, sich mit Kollegen oder Führungskräften zu beraten. Der Beschäftigte erhält zu wenig Informationen zu den Ergebnissen seiner Arbeit. Es gibt keine ausreichenden Rückmeldungen über Arbeitsabläufe und ergebnisse. Gleiche Gefährdungsbeurteilung mit unterschiedlichen Ergebnissen in Hinblick auf die Ableitung von Maßnahmen. Ein bedingungsbezogenes Verfahren führt mit mehr Information zielgenauer zur Maßnahme.
21 Beispiel 1 Ergebnis Insges. 2 Einigungsstellensitzungen 3-seitige BV!!!! Verfahren mit Expertenbeurteilung und Mitarbeiterbefragung Vorteil Einigungsstelle beendet Einigung auf ein Verfahren (Kröte: Mitarbeiterbefragung) Dadurch: Konfliktentschärfung zwischen den Betriebsparteien
22 Beispiel 1 Wie man zur Lösung kam Werden Sie proaktiv! Schieben Sie kein Verfahren in den Vordergrund (das wird i. d. R. abgelehnt), sondern argumentieren Sie prozessorientiert und auf der Grundlage der Rechtsprechung. Das versachlicht und bringt i. d. R. den Einigungsstellenvorsitzenden auf Ihre Seite.
23 Beispiel 2 Die Versicherung ca Mitarbeiter an verschiedenen Standorten Konfliktträchtige Vorgeschichte zwischen Betriebsparteien Ziel: 1. Abwendung eines Einigungsstellenverfahrens 2. Entwicklung, Planung und Durchführung einer konzernweiten Gefährdungsbeurteilung zum Gesundheitsschutz (Abbildung psychischer Aspekte)
24 Beispiel 2 Der Weg zum Ziel Deeskalierender Ansatz: Gemeinsame Arbeitsgruppe AG/BR zur Entwicklung der Gefährdungsbeurteilung Delegation an die Arbeitsgruppe, sich auf gleichartige Tätigkeiten zu einigen Expertenverfahren ist gesetzt, aber bei hoher Mitbestimmung Einbeziehung der AN-Seite in das Untersucherteam
25 Beispiel 2 Vom Untersuchungsgegenstand zur Untersuchungsfrage Untersuchungsfrage/Item
26 Beispiel 2 Ergebnis: Pilothafte Durchführung läuft nach 6 Monaten an Methodentransfer an interne Mitarbeiter durch Qualifizierung gewährleistet Von Beginn an Patenmodell bei der Durchführung (Arbeitsschutzexperten werden in die Pflicht genommen) Rollout 2013 Die Kröte: Bei Auffälligkeiten in der Gefährdungsbeurteilung wird als Maßnahme ein Gesundheitsworkshop durchgeführt.
27 Beispiel 3 Unternehmen der Bankenwirtschaft Ca Beschäftigte Ausschreibung Durchführung Gefährdungsbeurteilung nach ArbSchG Auswahl des Dienstleisters unter Einbeziehung des Betriebsrates Klare Richtung der Arbeitgeberseite Ziel: Konstruktive Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung mit Handlungsoptionen für den Umgang mit psychischen Belastungen Projekt: steht am Anfang
28 Häufige Fragen
29 Auf wen und auf was muss ich achten? ArbSchG ASiG DGUV Vorschrift 2 Arbeitgeber Mitbestimmung Betriebsrat 87,1 Nr. 7 Aufsichtsbehörde n GDA BetrVG
30 Geht Gefährdungsbeurteilung auch niederschwellig? Wenn ein gutes Verhältnis zum Betriebsrat besteht, sind niederschwellige Lösungen denkbar (insbesondere in KMU). z. B. COPSOQ oder KPB oder SALSA oder ABER: Beachten Sie die (gesetzlichen) Anforderungen an die Gefährdungsbeurteilung.
31 Wie bewertet die Aufsichtsbehörde Ihre Gefährdungsbeurteilung? A) Die Gefährdungsbeurteilung wurde nicht durchgeführt B) Die Gefährdungsbeurteilung wurde nicht angemessen durchgeführt, wenn - die Gefährdungssituation unzutreffend bewertet ist - wesentliche Gefährdungen des Arbeitsplatzes/der Tätigkeit nicht ermittelt worden sind - wesentliche Arbeitsplätze/Tätigkeiten nicht beurteilt wurden - besondere Personengruppen nicht berücksichtigt wurden - Maßnahmen des Arbeitgebers nicht ausreichend oder ungeeignet sind - keine oder unvollständige Wirksamkeitskontrollen durchgeführt wurden - die Beurteilung nicht aktuell ist - erforderliche Unterlagen der Arbeitgeberin bzw. des Arbeitgebers nicht aussagefähig bzw. nicht plausibel sind. C) Die Gefährdungsbeurteilung wurde angemessen durchgeführt, wenn - die betriebliche Gefährdungsbeurteilung im Wesentlichen durchgeführt und zutreffend bewertet wurde - umgesetzte Maßnahmen des Arbeitgebers ausreichend und geeignet sind, - die Wirksamkeitskontrollen durchgeführt werden - die Beurteilung aktuell ist - die Dokumentation in Form und Inhalt angemessen vorliegt. 10 GDA-Leitlinie (2012): Beratung und Überwachung bei psychischer Belastung am Arbeitsplatz
32 Erfüllt ein (bereits bestehendes) Betriebliches Gesundheitsmanagement die Anforderungen an eine Gefährdungsbeurteilung? Ein bereits bestehendes BGM ersetzt nicht die Gefährdungsbeurteilung.
33 Die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts Stress am Arbeitsplatz ist eine Größe, die sich schlecht objektivieren lässt. Vieles hängt von der körperlichen und seelischen Belastbarkeit des einzelnen Arbeitnehmers ab. Gesetzliche Regelungen werden wenig zur Stressvermeidung beitragen können. [ ] Und nicht zuletzt: Die Betriebsräte haben schon jetzt erhebliche Eingriffsmöglichkeiten. Sie haben ein Mitbestimmungsrecht beim Gesundheitsschutz, bei der Verteilung der Arbeitszeit und der Anordnung von Überstunden. Auf dieser Grundlage können Betriebsvereinbarungen geschlossen werden. Allerdings darf man nicht auf das Extrem verfallen, psychische Belastungen allein auf die Arbeitsbedingungen zu schieben. Die Belastungen aus dem privaten Bereich können nicht negiert werden. Ingrid Schmidt Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts Interview: Frankfurter Allgemeine Zeitung,
34 Danke für Ihre Aufmerksamkeit! Kontakt: Dr. Ralf Schweer M info@ikage.de
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