DIE ZEIT 14/2005. Bis uns der Schredder scheidet
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- Jan Langenberg
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2 DIE ZEIT 14/2005 Bis uns der Schredder scheidet Handys, Kühlschränke, Waschmaschinen: Zwei Millionen Tonnen Elektrogeräte werfen die Deutschen jährlich in den Müll. Jetzt regelt ein Gesetz die Entsorgung und Wiederverwertung Von Nadine Oberhuber Im Umweltministerium hat das Unheil einen Namen: Dosenpfand. Schon bei der bloßen Erwähnung der Pfandpflicht und Verpackungsverordnung knautschen sich die Gesichter von Ministeriumsmitarbeitern im Referat Abfall zusammen wie Getränkedosen in der Recyclingpresse. Über 300 Prozesse von Händlern und Herstellern laufen gegen die Rücknahmeregelung. Und jetzt gibt es noch so ein Gesetz. Vom Jahr 2006 an soll das Elektrogesetz die Rücknahme und Verschrottung von Elektrogeräten regeln. Einen ähnlichen Aufstand wie beim Pfand können sich die Behörden nicht leisten. Auch den Elektrogeräte und IT Herstellern ist an einem reibungslosen Ablauf gelegen. Eines haben die Beteiligten schon geschafft: Anders als die Pfandsache erregte das Elektrogesetz bislang kaum Aufsehen. Denn es kam schleichend, und die wahren Ausmaße des Gesetzes, das die EU vorgegeben hat, sind noch unklar. Hierzulande ist das nationale Regelwerk vergangene Woche in Kraft getreten. Über die Verwertung von Elektroschrott wird seit 15 Jahren gestritten. Trotzdem blieben viele Fragen ungeklärt. Der Grund: Nicht nur Tausende von Herstellern und Händlern mussten sich verständigen, sondern auch viele hundert Kommunen. Obwohl sich Behörden, Unternehmen und kommunale Entsorger inzwischen eine»gute Zusammenarbeit«bescheinigen, ist keine Seite so richtig mit der Endfassung des Gesetzes zufrieden. Weder die Hersteller, die Produkte künftig kennzeichnen und entsorgen müssen, noch der Handel, der demnächst für die Verschrottung seiner Eigenmarken Geräte die Verantwortung trägt. Nicht einmal die Umweltschützer jubeln im Gegenteil. Nachhaltigkeitsexperten wie Christine Ax vom Institut für Produktdauerforschung (IfP) warnen sogar, das Gesetz könne»ökologisch wie ökonomisch eher nach hinten losgehen«. Dabei ist der Ansatz sinnvoll und notwendig: Der Schrottberg aus Zweit und Drittfernsehern, Firmen und Partnerhandys, aus Bartschneide und Kaffeemaschinen ist allein in Deutschland jährlich zwei Millionen Tonnen schwer und füllt einen Güterzug von Flensburg bis Venedig. Wer seine ausgedienten Büro, Bad und Küchenhelfer in den Hausmüll wirft, trägt dazu bei, dass Stoffe wie Quecksilber und Blei auf Deponien im Grundwasser versickern oder von Verbrennungsanlagen in die Luft geblasen werden. Das Gesetz soll deren Entsorgung regeln, indem es die Hersteller in die Pflicht nimmt: Sie sollen den Bürgern sämtliche elektrischen Geräte abnehmen, wenn sie aus welchen Gründen auch immer aussortiert werden. Die grundsätzliche Regel: Je mehr ein Hersteller verkauft, desto mehr muss er auch verschrotten. Vorgeschrieben ist auch, dass der Elektromüll zu bestimmten Prozentsätzen wiederverwertet wird; Kühl und Waschmaschinen beispielsweise zu 80 Prozent. Klingt nach einer guten Lösung, um den Schrottberg ökologisch korrekt abzutragen. Zumal die Verbraucher mal nicht draufzahlen sollen, wie das Gesetz mit dem DIE ZEIT 1
3 Die Zeit Wirtschaft : Bis uns der Schredder scheidet Hinweis auf die»kostenlose Rückgabe für private Endnutzer«verspricht. Doch umsonst ist nicht einmal der Tod von Elektrogeräten. Die Kommunen zahlen für Sammlung, Platz und Personal Das Zerlegen einer Waschmaschine kostet etwa 8Euro pro Stück, 80 Euro pro Tonne. Kühlschränke sind mit 300 Euro pro Tonne mehr als doppelt so teuer. Diese so genannte weiße Ware der Haushaltsgroßgeräte macht zusammen drei Viertel des Elektroschrottberges aus. Den Rest zu recyceln, nämlich Fernseher, Monitore sowie Kleingeräte aus Küche und Bad, schlägt sogar mit bis zu 800 Euro pro Tonne zu Buche. Kosten, die von 2006 an die Hersteller tragen sollen. Die sind darüber»not amused«, sagt Otmar Frey vom Zentralverband der Elektroindustrie (ZVEI) und Vorsitzender der Task Force Altgeräte:»Wir sind so zufrieden, wie man es sein kann, wenn man zusätzliche 350 bis 500 Millionen Euro aufbringen muss.«bei den wenigsten Geräten fahren die Firmen durch Recycling wieder Geld ein, etwa indem sie Metallteile daraus verwerten. Laut beklagen will sich Frey aber nicht, immerhin haben die Hersteller bei den Verhandlungen einen bedeutenden Sieg davongetragen: Das Einsammeln bleibt ihnen erspart. Abgeben können Bürger die Geräte weiterhin bei städtischen Sammelstellen wie bisher. Die Kommunen zahlen somit für Sammlung, Platz und Personal.»Sie haben die nötige Infrastruktur und Akzeptanz bei den Bürgern«, argumentiert Frey. In Wirklichkeit forderte die Elektroindustrie diese Lösung, weil sie sonst Millionen hätte investieren müssen, um selbst ein Netz an Rücknahmestellen aufzubauen.»das größte Problem war, dass die Hersteller lange Zeit gar nicht in die Produktverantwortung wollten«, sagt Thomas Rummler vom Umweltministerium rückblickend. Nur ein Kompromiss konnte sie mit ins Boot holen.»wir Kommunen haben uns lange gewehrt, aber am Ende zähneknirschend akzeptiert«, so der Umweltbeigeordnete Jens Lattmann vom Städtetag. Auf dieses Einlenken warteten die Beteiligten jahrelang. Schon 1991 wagte der Bund den ersten Vorstoß in Richtung Elektroaltgeräte Verordnung für die IT und Telekombranche.»Damals waren wir damit Vorreiter, heute sind wir das längst nicht mehr«, bedauert Mario Tobias, Bereichsleiter Umwelt beim IT Branchenverband Bitkom. Unter Mitwirkung der Umweltminister Merkel und Trittin schaffte es die Verordnung sogar bis in den deutschen Bundesrat. Dennoch geriet sie ins Stocken. Erstens zeichnete sich ab, dass die Europäische Union eine ähnliche Richtlinie für alle Mitgliedsstaaten und sämtliche Elektrogeräte plante. Einen vorauseilenden Vorstoß wagten die Deutschen aus Angst vor Wettbewerbsnachteilen für die heimischen Hersteller nicht. Zweitens entpuppte sich die Materie als so detailreich, dass sie in der Umsetzung zum»pingpong Gesetz«wurde. Die Partner spielten es sich zum Nachbessern immer wieder gegenseitig zu. Über 5000 deutsche Firmen sind betroffen: vom Handyproduzenten bis zum Röntgengerätehersteller.»Wir haben es mit Geräten von unterschiedlichster Lebensdauer, Einkaufspreisen, Wertstoff und Schadstoffgehalt zu tun. Das war sehr schwer zusammenzufassen. Immer wenn wir versucht haben, ein Problem zu regeln, tat sich ein neues auf«, erinnert sich Christiane Schnepel vom Umweltbundesamt. Zwei große»zielkonflikte«, wie Tobias vom Bitkom es nennt, blieben denn auch ungelöst. Bei rund 1000 städtischen Sammelzentren und wenn der Handel mitspielt bei 1000 Händler Rücknahmestellen wird alles in einen Topf geworfen und nur grob nach fünf Produktgruppen getrennt. Dass Siemens tatsächlich Siemens Rechner zum Umbau zurückbekommt oder Miele seine alten Waschmaschinen, bleibt»eine schöne Theorie, die in der Praxis nicht umsetzbar ist«, so Tobias. Künftig wird jeder Hersteller bei einem beliebigen Wertstoffhof eine bestimmte Menge Schrott abholen, um sie danach zur Entsorgungsfabrik zu karren. Die Grobsortierung beim Sammeln bedeutet auch, dass ein Handy ganz unten im Container womöglich von einem Laptop erschlagen wird, bevor ein altersschwacher Großrechner auf beide herabdonnert.»am Ende können Sie höchstens zehn Prozent davon wiederverwerten«, schätzt Produktdauerforscherin Ax. Der Rest taugt gerade noch zum Ausschlachten und Schreddern, aber nicht mehr zum Reparieren und zum Weiterverkauf an Schulen, wie es kleine Entsorger bisher praktizieren. DIE ZEIT 2
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5 Die Zeit Wirtschaft : Bis uns der Schredder scheidet Der zweite Knackpunkt sind die vorgeschriebenen Verwertungsquoten. Sie sollen Entsorger dazu bringen, dass möglichst viel vom Produkt im Materialkreislauf bleibt. Zwar ist es relativ leicht, Metallanteile aus Großgeräten zu filtern und wiederzuverwerten, aber bei Kleingeräten, die hauptsächlich aus Kunststoff bestehen, wird das schwierig. Möglichst viel zu recyceln hieße, selbst alte Kunststoffe mit schädlichen Flammschutzmitteln wiederzuverwenden.»im Zweifel werden Entsorger Kunststoff lieber aussortieren, weil sie den Chemikaliengehalt nicht prüfen können. Dadurch wird es schwer, die Quoten zu erfüllen«, fürchtet Tobias. Nachhaltigkeitsexpertin Christine Ax sagt es noch deutlicher:»der Regelfall wird der Schredder sein.«am Ende landet die»schredderleichtfraktion«, wie Umweltschützer die Kleingeräte nennen, fast immer in der»thermischen Verwertung«, warnt Umweltberaterin Gudrun Pinn. Sprich, in der Müllverbrennung. Freilich denken viele Hersteller schon im Vorfeld der Entsorgung an die Umwelt, entwickeln so genannte grüne PCs, löten ohne Blei, setzen auf die Langlebigkeit von Waschmaschinen oder bauen Kühlschränke, deren niedriger Energieverbrauch einen großen Fortschritt im Vergleich zu den Geräten der achtziger Jahre bedeutet. Allerdings bauten sie ihre Produkte nach wie vor so zusammen, dass sie kein Entsorger wieder trennen könne, klagt Carsten Franke vom Forschungsbereich Anlagen zur Aufbereitung der TU Berlin.»Die Industrie wäre zwar dazu in der Lage; sie will nur nicht.«es brächte eben mehr, neue Produkte zu verkaufen.»deshalb resignieren wir vor der Dummheit einiger Hersteller, die fünf Schrauben benutzen, statt eine Schnappverbindung einzubauen, die wieder geöffnet werden kann.«wenn das Gesetz die Hersteller beim Gerätebau in die Pflicht hätte nehmen wollen, hätte man es anders formulieren müssen, kritisiert Carsten Franke. Vielen Entsorgern kommt das alles aber gerade recht.»die haben in den vergangenen Jahren gigantische Schredderkapazitäten aufgebaut. Zusammen mit den Herstellern bilden sie eine starke Lobby«, sagt Ax. Große Anlagenbauer wie Marktführer EGR freuen sich jetzt auf»neue Arbeit«. Doch nicht die ganze Branche frohlockt, sondern nur die Firmen mit elektrischen Zerlegemaschinen. Andere wie die GDW, die mit 82 Behindertenwerkstätten zu den fünf großen Verwertern Deutschlands gehört, bangen um die Hälfte ihrer Aufträge.»Per Hand recyceln wir höherwertiger, aber bei den Schredderpreisen können wir nicht mithalten«, bedauert Stefan Werner, Projektleiter der GDW. Glaubt man der Konkurrenz, gehört das»auseinanderpulen von Geräten«in 400 kleinen Zerlegebetrieben bald der Vergangenheit an. Neue Arbeitsplätze werden aber auch bei Anlagenbauern kaum entstehen, schätzt EGR Geschäftsführer Karl Launer. Der deutsche Markt für Zerlegemaschinen ist inzwischen gesättigt. Ansteigen wird höchstens das Speditionsaufkommen, denn bei der Schrottabholung gilt künftig das Zufallsprinzip: Damit nicht ein Entsorger nur Notebooks in München Mitte abholt und der andere kaputte Rasierer auf dem Land, wird jeder Betrieb Container in unterschiedlichsten Regionen einsammeln. Ökologisch sinnvoll ist das nicht, aber ökonomisch gerecht, finden die Beteiligten. Der Kunde soll von den Schrottschiebereien hinter den Kulissen möglichst nichts mitbekommen, wünschen sich Hersteller und Verbände. Zwar sollte ihn die Regelung diesmal nichts kosten, tatsächlich aber wird die geteilte Verantwortung zwischen Industrie und Kommunen gleich doppelt bei ihm zu Buche schlagen: Hersteller und Händler werden ihre Entsorgungskosten auf die Preise abwälzen. Ein bis drei Prozent teurer werden Elektrogeräte, schätzen Marktstudien. Auch die Kommunen warnen, dass die Müllgebühren steigen könnten:»vor allem in kleineren Städten kann es erheblich teurer werden«, sagt Lattmann.»Das sollte uns zwar der Umweltschutz wert sein«, appelliert Eva Leonhardt von der Deutschen Umwelthilfe,»aber wir können nicht nur den grünen Daumen heben und mit dem Gesetz wedeln, wenn wir ein Umdenken erzielen wollen.«völlig unklar ist allen noch, was die Bürger tatsächlich dazu bewegen soll, von März 2006 an mehr Elektroschrott als bisher zu den Sammelstellen zu karren. Nach fünfjährigem Probelauf soll das Gesetz auf den Prüfstand. Sammeln die Deutschen dann nicht so viel Schrott, wie es die EU Vorgaben vorsehen, gibt es eine neue Debatte. Wie war das noch mit dem Dosenpfand? DIE ZEIT 3
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