Was wird aus Risikokindern? Die langfristigen Folgen früher Entwicklungsrisiken und mögliche Unterstützung in der Kindheit
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- Bernt Linden
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1 Was wird aus Risikokindern? Die langfristigen Folgen früher Entwicklungsrisiken und mögliche Unterstützung in der Kindheit Fachtag Frühe Hilfen und Kinderschutz in Mannheim 4. Juli 2014 Mannheim Erika Hohm, Dipl. Psychologin Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Mannheim Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters Arbeitsgruppe Neuropsychologie des Kindes- und Jugendalters Mannheimer Risikokinderstudie
2 Lebenssituation von Kindern und Familien in Industrieländern steigende Zahl von Kindern, die in Armut aufwachsen Kinderarmut in Deutschland nimmt zu Eine Längsschnittanalyse für den UNICEF-Bericht zur Lage der Kinder in Deutschland 2013 ergab, dass zwischen 2000 und 2010 rund 8,6 Prozent der Kinder und Jugendlichen langjährige Armutserfahrungen gemacht haben. Die meisten von ihnen (6,9 Prozent) lebten zwischen 7 und 11 Jahre lang in einem Haushalt, der mit weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens auskommen musste. 1,7 Prozent aller Heranwachsenden wuchsen sogar 12 bis 17 Jahre unter diesen schwierigen Bedingungen auf. Auf die heutige Situation bezogen wären demnach insgesamt rund 1,1 Millionen Heranwachsende einen Großteil ihrer Kindheit und Jugend relativer Armut ausgesetzt. UNICEF-Bericht Zur Lage von Kindern in Deutschland 2013
3 Verunsicherte und überforderte Eltern 750 Millionen Euro pro Jahr in Deutschland für Erziehungsratgeber! Viele Kinder haben schwer erziehbare Eltern (Jean-Jacques Rousseau, , Erfinder der Pädagogik)
4 Auflösung traditioneller familiärer Strukturen und Bindungen format43.jpg Familie im 21. Jahrhundert - Auslaufmodell oder Trendsetter Die Scheidungsrate in Deutschland ist innerhalb der letzten 40 Jahre von auf fast das dreifache Scheidungen pro Jahr - angestiegen. Durch die so rasant gestiegene Scheidungsrate kommt es zu einer neuen Familienform - die "Patchworkfamilie" oder auch "Vier- Eltern-Familie". Bei dieser Familienform leben Geschiedene Elternpaare mit neuen Partnern zusammen, so haben die Kinder oft zwei Mütter und zwei Väter, wobei meist nur die leiblichen Eltern das Erziehungsrecht erhalten und so in den Statistiken weiterhin als alleinerziehend gelten. Ist diese Art von Familie die Zukunft des 21. Jahrhunderts? Bertelsmannstiftung - Expertenkommission Familie (2011)
5 Preis des medizinischen Fortschrittes: Neonatologie: eine Handvoll Leben
6 RISIKOFORSCHUNG Ziele Gruppen von Kindern identifizieren, deren Entwicklung gefährdet ist Risikokinder Lebensbedingungen ermitteln, die eine Gefährdung der kindlichen Entwicklung darstellen Risikofaktoren Risikofaktor Bedingung, welche die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Störung erhöht (Garmezy, 1983)
7 RISIKOFAKTOREN kindbezogen ( Vulnerabilität ) z.b. genetische Belastung Frühgeburt niedrige Intelligenz schwieriges Temperament umweltbezogen ( Stressoren ) z.b. Armut psych. Erkrankung eines Elternteils sehr junge Eltern chronische Disharmonie i.d. Familie
8 Mannheimer Risikokinderstudie Längsschnittstudie von der Geburt bis ins Erwachsenenalter AG Neuropsychologie des Kindes- und Jugendalters Leitung: Prof. Dr. M. Laucht, Dipl.-Psych. Prof. Dr. D. Brandeis, M.A. Psych. Prof. Dr. Dr. T. Banaschewski, Dipl.-Psych. Wiss. Mitarbeiter: R. Boecker, Dipl.-Psych. E. Hohm, Dipl.-Psych. N. Holz, M.Sc. Dr. K. Zohsel, Dipl.-Psych. Wiss. Berater: Prof. Dr. G. Esser, Dipl.-Psych. Dr. Ch. Jennen-Steinmetz, Dipl.-Math. Prof. Dr. Dr. M.H. Schmidt, Dipl.-Psych. Sozialarbeit: E. Reichert, Soz.arb. Sekretariat: S. Heinzel
9 FRAGESTELLUNGEN Welche Kinder sind besonders gefährdet? Welche Entwicklungsfunktionen werden beeinträchtigt? Wann, wie und wie dauerhaft manifestieren sich Störungen der Entwicklung? Sind organische oder psychosoziale Risiken bedeutsamer für die Prognose? Welche Kinder sind besonders geschützt?
10 Mannheimer Risikokinderstudie Längsschnittstudie von der Geburt bis zum Erwachsenenalter (n= 384; 185 Jungen, 199 Mädchen) 86.3 % 89.6 % 92.7 % 85.4 % 83.4 % t % 94.8 % Psychosoziales Risiko Organisches Risiko 97.8 % % t 1 t 2 0; ; ; t 5 t 4 11;0 t 3 8; t 6 15; Erhebungszeitpunkte t 7 19; t 8 22; t 9 23;0 Risikogruppen 0 = kein 1 = mäßiges 2 = hohes Risiko
11 Mannheimer Risikokinderstudie Längsschnittstudie von der Geburt bis zum Erwachsenenalter Was wird aus Risikokindern? Die langfristigen Folgen I
12 Mannheimer Risikokinderstudie Längsschnittstudie von der Geburt bis zum Erwachsenenalter Ergebnisse Beeinträchtigungen zeigen sich in allen Bereichen der Entwicklung
13 Schulabschluss von 19-Jährigen aus psychosozial hochbelasteten Familien Prozent Psychosoziale Belastung gering mäßig hoch 43,3 59,0 p <.001; kontrolliert für IQ; 40 33,3 34,7 38, ,3 27, ,4 10,7 6,8 2,9 1,0 Sonderschule Hauptschule Realschule Gymnasium
14 Mannheimer Risikokinderstudie Längsschnittstudie von der Geburt bis zum Erwachsenenalter Ergebnisse Beeinträchtigungen zeigen sich in allen Bereichen der Entwicklung Die nachteiligen Folgen früher Entwicklungsrisiken bestehen bis ins Erwachsenenalter fort
15 Ohne Berufsabschluss 25-Jährige, nach psychosozialer Belastung Prozent , ,6 3,3 gering mäßig hoch Psychosoziale Belastung p <.01
16 Gesundheitszustand 25-Jährige, nach psychosozialer Belastung Wie würden Sie Ihren gegenwärtigen Gesundheitszustand beschreiben? Prozent max. zufriedenstellend gut sehr gut ,0 54,8 56, ,3 26,9 30, ,7 18,3 12,7 gering mäßig hoch Psychosoziale Belastung p <.05
17 Psychische Auffälligkeiten 0-19 Jahre, nach psychosozialer Belastung % psychisch auffällig Psychosoziale Belastung gering mäßig hoch Relatives Risiko 0 0;3 2;0 4;6 8;0 11;0 15;0 19;0. 2;0-19;0 Jahre
18 Mannheimer Risikokinderstudie Längsschnittstudie von der Geburt bis zum Erwachsenenalter Welche Kinder sind besonders gefährdet? Hochrisikogruppen
19 Psychosoziale Risikofaktoren Vorhersage psychischer Störungen LJ 0,0 0,5 1,0 1,5 2,0 2,5 3,0 3,5 Broken Home der Mutter 3,07 Chronische Schwierigkeiten Schwangerschaft unerwünscht Eltern psychisch auffällig Eltern schlecht ausgebildet 2,20 2,11 1,94 1,86 Relatives Risiko Schlechte Problembewältig. Familie mit Armutsrisiko Mutter alleinerziehend 1,67 1,86 1,84
20 Broken Home Herkunft der Mutter Externale Auffälligkeiten des Kindes Anzahl externaler Symptome (z-werte) 1,5 1 0,5 0 vom Kleinkind- bis zum jungen Erwachsenenalter ** *** *** *** *** ** Broken Home (n=20) Vergleich (n=300) -0,5 2;0 4;6 8;0 11;0 15;0 19;0 Jahre
21 Broken Home Herkunft der Mutter Frühe dysfunktionale Interaktionsmuster % 80 Vergleichsgruppe 80 Broken Home Responsivität der Mutter: normal gering p < negativ positiv negativ positiv Stimmung des Säuglings (negativ/positiv)
22 Chronizität der postpartalen Depression Externale Auffälligkeiten des Kindes
23 Mannheimer Risikokinderstudie Längsschnittstudie von der Geburt bis zum Erwachsenenalter Was wird aus Risikokindern? Die langfristigen Folgen II
24 Kumulation von Risikofaktoren für psychische Störungen in der Kindheit 100 % psychisch auffällig ,4 20,8 27,3 37,5 61, >6 Anzahl psychosozialer Risikofaktoren
25 Entwicklungsrisiken haben heterogene Folgen Zentraler Befund der Risikoforschung längst nicht alle Kinder, die Risiken ausgesetzt sind, werden auffällig viele entwickeln sich trotz (wegen?) erhöhter Risikobelastung erstaunlich positiv und kompetent Was macht diese Kinder stark? Was schützt sie vor den negativen Folgen von Entwicklungsrisiken? Gegenstand der Resilienzforschung Warum entwickeln sich Kinder trotz erdrückender Entwicklungs-? risiken Belastungen zu psychisch gesunden Persönlichkeiten?
26 Resilienz = Widerstandsfähigkeit Definition Fähigkeit, sich von den nachteiligen Folgen früher Erfahrungen schnell zu erholen oder angesichts belastender Lebensumstände ohne offensichtliche psychische Schäden zu bestehen und Bewältigungskompetenzen zu entwickeln. (Petermann et al., 1998) Psychische Widerstandfähigkeit von Kindern gegenüber biologischen, psychologischen und psychosozialen Entwicklungsrisiken.
27 Schutzfaktoren nach Werner & Smith (1982) Eigenschaften des Kindes, die positive Reaktionen in der Umgebung auslösen, wie z.b. attraktive Erscheinung, positives Temperament, Intelligenz Emotionale Bindungen und Erziehungsstile der Familie, die Vertrauen, Selbständigkeit und Initiative des Kindes fördern Unterstützungssysteme außerhalb der Familie, die Fähigkeiten des Kindes stärken und die Entwicklung positiver Wertvorstellungen fördern
28 Mannheimer Risikokinderstudie Längsschnittstudie von der Geburt bis zum Erwachsenenalter Welche Kinder sind besonders geschützt? Protektive Wirkungen der frühen Eltern-Kind- Beziehung
29 Mutter-Kind-Interaktion als Schutzfaktor Feinfühligkeit der Mutter vom Kleinkind zum Erwachsenen 1 psychosozial hoch belastet 1 psychosozial unbelastet Anzahl Symptome ( z-werte) 0,5 0-0,5 p <.001 2;0 4;6 8;0 11;0 15;0 19;0 0,5 0-0,5 n.s. 2;0 4;6 8;0 11;0 15;0 19;0 J. wenig feinfühlig feinfühlig
30 Vater-Kind-Interaktion als Schutzfaktor Supportivität des Vaters 5,0 Emotionale Probleme mit 11 J. 4,0 3,0 2,0 1,0 0,0 psychosozial hoch belastet unterstützt viel unterstützt wenig psychosozial gering belastet Interaktion p <.008 Familie
31 Mannheimer Risikokinderstudie Längsschnittstudie von der Geburt bis zum Erwachsenenalter Welche Kinder sind besonders geschützt? Protektive Wirkungen der frühen Eltern-Kind- Beziehung Ressourcen des Kindes als Schutzfaktoren
32 Temperament als Schutzfaktor Lächeln des Säuglings in der Interaktion
33 Frühe Sprachkompetenz als Schutzfaktor Expressive Sprache im Kleinkindalter
34 Schulische Fertigkeiten als Schutzfaktor Lesekompetenz im Grundschulalter Verhaltensprobleme mit 11 J. 3,0 2,5 2,0 1,5 1,0 0,5 liest gut liest weniger gut Interaktion p<.01 0,0 Armutsgruppe Vergleichsgruppe
35 Sozial-emotionale Kompetenzen als Schutzfaktor Selbstkonzept mit 8 Jahren Verhaltensprobleme mit 11 J. 3,0 2,5 2,0 1,5 1,0 0,5 eher positiv eher negativ Interaktion p<.012 0,0 Armutsgruppe Vergleichsgruppe
36 Mannheimer Risikokinderstudie Zusammenfassung 1 Zahlreiche frühkindliche Risikofaktoren sind mit einer ungünstigen Entwicklung verknüpft. Ihre Auswirkungen bestehen bis ins Erwachsenenalter fort. Frühindikatoren für Entwicklungsstörungen: Organische Risiken: Frühgeburt, sehr niedriges Geburtsgewicht Psychosoziale Risiken: Psychische Erkrankung eines Elternteils, Armut, Broken Home der Eltern
37 Mannheimer Risikokinderstudie Zusammenfassung 2 Kindliche Reaktionen auf Belastungen weisen eine hohe individuelle Variabilität auf: längst nicht alle Risikokinder entwickeln sich ungünstig; viele sind geschützt. Vor den gesundheitsschädlichen Folgen früher Entwicklungsrisiken schützen: Positive frühe Eltern-Kind-Beziehung Kompetenzen des Kindes Sie bilden die Grundlage für die Entwicklung von Resilienz.
38 Schlussfolgerungen Was wir von Mannheimern Risikokindern lernen können Entwicklungsrisiken frühzeitig erkennen Vorbeugung vermeidbarer Risiken Nicht vermeidbare Risiken abmildern Förderung der Erziehungskompetenz der Eltern Stärkung der Lebenskompetenzen von Kindern
39 Fazit für Frühe Kindheit Was ist in Mannheim umgesetzt? Foto pendergast photocase.de Fach- und Koordinationsstelle Frühe Hilfen Anlaufstelle Frühe Hilfen Screening in Geburtsklinken Willkommen im Leben Eltern-Kind-Zentren Baby- und Kleinkindsprechstunde Familienhebammen Stärke-Programme Kindesschutzteam Schwangerenberatungsstellen...
40 Danke für Ihre Aufmerksamkeit! Kontakt:
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